Trovarit untersucht seit 2004 den Markt für ERP-Lösungen. Michael Schober, Partner in Österreich, stand dem Report Rede und Antwort zu den Entwicklungen im Bereich Enterprise-Ressource-Planning anhand des Beispiels car2go.
Report: Welcher Punkt aus der im Sommer vorgestellten Studie »ERP in der Praxis« ist für Sie besonders erwähnenswert?
Michael Schober: Das Thema Mobility ist bei Business-Software-Lösungen neuerlich Schlusslicht: Es gibt zwar Bedarf für die mobile Nutzung, die Systeme liefern Mobility aber nicht in dem Ausmaß, wie es die Nutzer fordern. Das ist eigentlich einem Umstand geschuldet, der mit dem überlasteten Begriff Digitalisierung einhergeht: Mobility in IT-Lösungen zu bringen, bringt einen Wandel in den Geschäftsprozessen.
Nehmen wir als Beispiel einen Heurigenwirt: Er ist früher mit Bleistift und Block durch den Gastgarten marschiert, hat an den Tischen abserviert und im Vorbeigehen Bestellungen aufgenommen. Die Digitalisierung hat der Gastronomie nun eine arbeitsteilige Vorgangsweise gebracht. Ein Mitarbeiter nimmt jetzt mit einem mobilen Gerät Bestellungen auf und kassiert. Der Warenstrom selbst wird dagegen von anderen verrichtet. Jemandem, der nur serviert und abräumt kann man zurufen, er möge bitte noch drei G‘spritzte bringen – ob die Lieferung dann erfolgt, ist Glückssache. Manche Wirte, meist Betriebe mit vielen Stammgästen, verzichten wiederum bewusst auf mobile Bestellsysteme, um nicht die persönliche Servicebeziehung zum Gast zu verlieren. Umgekehrt wäre es auf Schihütten heute ohne mobile Systeme undenkbar.
Das Thema Mobility mag in vielen Fällen auch Schlagwort und Modebegriff für moderne IT-Lösungen sein, beschreibt aber sehr gut die Entwicklung von Technik generell in unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Das Smartphone hat eine Revolution der Geschäftsprozesse gebracht, der wir seitdem unter dem Deckmantel verschiedenster Etiketten hinterherhinken.
Report: Wann sind ERP-Projekte besonders erfolgreich?
Schober: Die Kernfrage in der Arbeit mit einem ERP ist nicht, wie die Software aussieht und wie sie zu bedienen ist. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet eine andere Frage: Wie kann ich mit dieser Lösung meine Prozesse im Unternehmen verändern?
Nehmen wir als Beispiel Carsharing-Anbieter. Deren Geschäftsmodelle würden ohne den Faktor Mobility nicht funktionieren, denn ihre Produkte sind keine Leihautos, sondern klar IT-basierte Dienstleistungen. Es sind Services, die sich – das kann man schon anerkennend erwähnen – in hoher Geschwindigkeit verbessern und weiterentwickeln. Gut zwei Jahre nach dem Marktstart von car2go sind die ursprünglich ausgegebenen Zutrittskarten für die Fahrzeuge durch eine App am Smartphone ersetzt worden. Heute kann ich mich als Benutzer einfach abmelden, in dem ich die Fahrertür zuschlage. Was ist hier passiert? Der Betreiber hat es verstanden, mit Sensoren und Zustandsmessungen Verhaltensmuster seiner Kunden in einem betriebswirtschaftlichen Prozess abzubilden. Wenn die Tür zufällt und gleichzeitig der Autoschlüssel in einem besonderen Fach steckt, gilt nach herkömmlichem Prozessverständnis der Auftrag als beendet.
Auch die Feedbackschleifen der Kunden an den Anbieter laufen beschleunigt ab. Früher gab es in den Autovermittlungen das klassische NCR-Papier mit Durchschlag, auf das Schadensmeldungen gekritzelt wurden. Die Kunden hatten sich meist knappgehalten, da der Ärger ohnehin groß genug war. Heute bieten Systeme bei der Abmeldung ein Smiley oder ein trauriges Gesicht zur Auswahl. Auf diese Weise kann die Qualität von Services rasch und dynamisch verbessert werden. Auf dem analogen Weg war diese Geschwindigkeit nicht möglich. Bis der vorhandene Stapel mit Formularen verbraucht war und ein Neudruck ausgeliefert wurde, sind Monate vergangen.
Diese neuen Möglichkeiten der Feedbackschleife werden das ebenfalls seit Jahren propagierte papierlose Büro weiter vorantreiben. Die Veränderungsgeschwindigkeit der Prozesse ist deshalb so schnell, weil auch die Formulare einfach veränderbar sind. Muss etwas im System geändert werden, wird es einfach umprogrammiert und ist in der nächsten Sekunde überall verfügbar.
Report: Damit fällt der physische Vertrieb, die klassische Logistik weg.
Schober: Die Verteilung geänderter Prozesse findet heute völlig anders statt, als es noch vor zehn Jahren passiert ist.
Report: Ist das die logische Folge einer modernen IT-Infrastruktur, mit der Disziplinen und Themen verknüpft werden?
Schober: Es ist sicherlich ein Teil des Industrie-4.0- und Digitalisierungs-Themas. In den letzten Jahrzehnten wurden hinsichtlich der Business Software zwei Wolkenkratzer in den Unternehmen gebaut. Der eine war die betriebswirtschaftliche EDV mit ERP- und CRM-Systemen – mit den »White Collar«-Leuten, wenn man es so nennen will. Der andere Turm wurde von der technischen IT gebildet – Fräsmaschinen oder Drehbänke sind heute Computer. Diese beiden Welten, der administrative und der produzierende Bereich, waren voneinander getrennt – es gab bestenfalls kleine Brücken für Bestellungen oder die Qualitätskontrolle. Industrie 4.0 bedeutet nun die Einhausung dieses Grabens, um darüber kreuz und quer die Informationen sausen zu lassen.
Das passiert hauptsächlich vom Fachbereich in Richtung Betriebswirtschaft, um Aktualität, Genauigkeit und Transparenz durch den gesamten Prozess von der Anlieferung der Rohstoffe bis vielleicht sogar zum Einsatz des Produkts beim Kunden zu bekommen. Diese Informationen eignen sich hervorragend etwa für Fehlersuche und Verbesserungen. Die Rückverfolgbarkeit, die man aus der Nahrungsmittelindustrie seit den Sechzigerjahren kennt, wird in alle Wirtschaftsbereiche einziehen. Durch eine moderne ERP wird in weiterer Folge auch der Cradle-to-cradle-Gedanke im Warenkreislauf massiv erleichtert – für ein nachhaltigeres Wirtschaften von der Herstellung bis zur Wiederverwertung.
Report: Wie lange haben Unternehmen ERP-Software im Schnitt im Einsatz?
Schober: Wir sehen in der Studie wieder einen Zuwachs an Lebensdauer der ERP-Systeme bei den Unternehmen. Systeme, die man heute kauft, werden noch länger im Einsatz sein, als bisherige. Bislang waren es knapp über 17 Jahre. Jetzt geht es auf 18 Jahre zu.
Report: Was ist der Grund?
Schober: Heutige ERP-Systeme haben ein derart breites Leistungsverzeichnis, dass ein Durchbuchen von Daten zwischen Auftragsverwaltung, Lieferantenverzeichnissen bis hin zur Finanzbuchhaltung und dem Kundenmanagement ganz ohne Schnittstellen möglich ist. SAP hat vor einigen Jahren bereits Anbieter von »Manufacturing Execution Systems« akquiriert und bot schon früh eine integrierte Betriebsdatenerfassung und Maschinensteuerung an. Damals konnte man den Begriff Industrie 4.0 noch nicht einmal in Fußnoten finden. Wenn ich nun heute in einem integrierten System etwas verändere, ist das völlig anders als früher. Ich spreche da nicht mehr von einer Herzoperation, die Routine wäre, sondern vom Austauschen des Rückgrats. Wenn man nicht wirklich muss, tut man sich das nicht an – oder wendet sich an Trovarit.