Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht der neue Geschäftsführer der Geschäftsstelle Bau in der Wirtschaftskammer, Michael Steibl, über legale und illegale Wettbewerbsverzerrung, beantwortet die Gretchenfrage, wie er es mit der Gewerkschaft halten wird, kündigt eine europäische Schwerpunktsetzung an und erklärt, warum bei der Auftragsvergabe in vielen Fällen das »Prinzip Hoffnung« regiert.
Report: Der Abgang von Manfred Katzenschlager kam für viele überraschend. Für Sie auch?
Michael Steibl: Natürlich kam die Entscheidung von Manfred Katzenschlager, die Geschäftsstelle Bau zu verlassen, im ersten Moment für alle überraschend. Auf den zweiten Blick muss man sagen, dass eine berufliche Veränderung nach zwölf Jahren eigentlich nichts Besonderes ist.
Report: War Ihnen sofort klar, dass Sie sich um die Stelle bewerben wollen?
Steibl: Mir war natürlich schnell klar, dass ich von der Papierform für eine Nachfolge in Frage käme. Die Entscheidung, mich tatsächlich zu bewerben, fiel erst nach einem Gespräch mit den beiden Obmännern (Hans-Werner Frömmel, Bundesinnungsmeister Bau, und Hans Peter Haselsteiner, Obmann Fachverband der Bauindustrie; Anm.d.Red.).
Report: Die letzten Jahre waren geprägt vom Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping, einem neuen Vergaberecht und der Wohnbauoffensive. Das alles ist mehr oder weniger auf Schiene. Wo werden Sie Ihre inhaltlichen Schwerpunkte setzen?
Steibl: Aufgrund der Besonderheiten der Bauwirtschaft sind die Schwerpunkte mehr oder weniger vorgegeben. Daran wird sich auch nichts ändern. Ein Schwerpunkt werden immer Arbeitsrecht und Sozialpolitik sein, weil wir in der bauausführenden Wirtschaft einen sehr hohen Arbeitskostenanteil haben. Da geht es neben den reinen Kosten natürlich auch um das Thema Arbeitszeitflexibilisierung. Das ist für die Unternehmen ein ganz wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Damit einher geht die Öffnung des Arbeits- und Baumarktes. Wir waren jahrelang eine nationale Binnenbranche und werden jetzt eine gesamteuropäische Binnenbranche. Ich denke, dass sich die Politik lange Zeit nicht wirklich bewusst war, welche Auswirkungen das unterschiedliche Preis- und Lohnniveau tatsächlich haben wird. Dafür müssen wir Lösungen finden.
Report: Wie könnten diese Lösungen aussehen?
Steibl: Die von der EU angestrebte Angleichung der Lohnniveaus hat so nicht stattgefunden. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit hat aber dazu geführt, dass wir aktuell mit zwei Phänomenen zu kämpfen haben. Es gibt eine Wettbewerbsverzerrung, die sich im legalen Rahmen abspielt und vor allem den niedrigeren Lohnnebenkosten der Entsendebetriebe geschuldet ist. Und es gibt eine illegale Wettbewerbsverzerrung, weil entweder den Entsendestaaten oder den entsandten Mitarbeiter bis zu einem gewissen Grad gleichgültig ist, welches Lohnniveau wir in Österreich haben, wenn man auch mit einer geringeren Entlohnung immer noch doppelt so viel wie im Herkunftsland verdienen kann.
Report: Wird aus Ihrer Sicht seitens der Politik genug gegen dieses Lohn- und Sozialdumping gemacht?
Steibl: Aus meiner Sicht wollte man das Problem bislang hauptsächlich über Haftungen lösen, weil man es nicht verhindern oder in dem Ausmaß kontrollieren kann, wie man das gerne möchte. Deshalb soll der kontrollieren, der mit diesen Unternehmen zusammenarbeitet. Das ist rechtlich aber gar nicht so einfach, weil man die Handlungen der Subunternehmer nie genau kontrollieren kann. Die Markt- und Kostensituation erfordert aber in vielen Fällen einfach die Beauftragung von Subunternehmen. Die Bauwirtschaft arbeitet ja nicht deshalb arbeitsteilig, um irgendwelche Umgehungskonstruktionen zu schmieden, sondern aufgrund der Besonderheit, dass die Branche nicht auf Lager produzieren kann. Es ist immer eine Frage der kontinuierlichen Auslastung, weshalb gewisse Spezialleistungen vorzugsweise zugekauft werden.
Report: Zum Thema Entsendungen gibt es auch innerhalb der Branche sehr unterschiedliche Meinungen. Große Bauindustrielle wie Karl-Heinz Strauss sind gegen eine Verschärfung, viele kleine Bauunternehmen und auch die Bundesinnung waren in der Vergangenheit immer dafür. Wo stehen Sie in der Sache?
Steibl: Wo ich persönlich stehe, ist in dieser Frage nicht relevant. Beide Positionen sind nachvollziehbar. Einerseits kann es nicht sein, dass man den freien Markt propagiert und über die Hintertür gleichzeitig administrativ aufwändige Reglementierungen einführt. Andererseits muss man als Unternehmen aber auch erwarten können, dass die Rahmenbedingungen für alle gleich sind. Das ist in vielen grenznahen Bereichen leider nicht der Fall. Deshalb ist die Politik gefragt, für Chancengleichheit zu sorgen.
Report: Sie werden also versuchen, sich diesbezüglich auf Lobbyingebene Gehör zu verschaffen?
Steibl: Ja, das gilt aber für alle Themen, die uns wichtig sind. Das Problem ist, dass der aktuelle Ansatz über Haftungen oder das Vergaberecht nicht immer zielführend ist. Das Vergaberecht erfasst nur den öffentlichen Bereich und ist zudem eine EU-Vorschrift. Die EU will aber den gesamteuropäischen Binnenmarkt realisieren. Will man nun über das Vergaberecht die heimische Wertschöpfung erhöhen, ergibt das einen klassischen Zielkonflikt. Das Thema Haftungen begleitet mich seit mittlerweile 20 Jahren. Wenn ich für andere Unternehmen hafte, muss ich in eine Art Ersatz-Sheriff-Rolle schlüpfen. Genau dort wird es schwierig, denn das sind ureigenste staatliche Kontrollaufgaben.
Report: Die österreichische Bauwirtschaft gilt vielen als überdimensioniert. Sind die Pleiten nur die natürlich Auslese und sogar gesund für die Branche?
Steibl: Das Argument der überdimensionierten Bauwirtschaft kann ich nicht nachvollziehen. Jedes Unternehmen beschäftigt nur so viele Mitarbeiter, wie es Aufträge hat. Die Kapazität einer Bauunternehmung wird fast ausschließlich durch die Mitarbeiterzahl bestimmt.
Report: Aber hat nicht auch die Anzahl der Bauunternehmen direkte Auswirkungen auf die Preisgestaltung? Wird es nicht immer ein Unternehmen geben, das einen Auftrag ganz dringend braucht?
Steibl: Das würde auch dann der Fall sein, wenn es nur fünf Baubetriebe gäbe. Es wird immer Situationen geben, wo ein Unternehmen eine gute Partie halten will und deshalb Aufträge annimmt, die die Vollkosten nicht abdecken. Das ist kurzfristig für das einzelnen Unternehmen eine durchaus logische und betriebswirtschaftlich richtige Entscheidung. Für die Branche setzt es natürlich eine Abwärtsspirale des Preises in Gang.
Report: Also ein Strukturproblem?
Steibl: Es ist ein Wettbewerbsproblem, weil ich nicht auf Lager produzieren und einen Mindestpreis für meine Produkte festlegen kann. Ich muss passende Anschluss-Aufträge lukrieren und dafür der Billigste sein, denn andernfalls werde ich meine Mitarbeiter nicht im Unternehmen halten können.
Report: Inwieweit könnte das Bestbieterprinzip hier Abhilfe schaffen? Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie?
Steibl: Da muss man zuallererst eine Begriffsdefinition vornehmen. Bestbieterprinzip im rein vergaberechtlichen Sinn bedeutet nur, dass es neben dem Preis zumindest ein zusätzliches Kriterium gibt, das für die Zuschlagsentscheidung berücksichtigt wird. Politisch wurde der Begriff viel weiter gefasst, etwa dass hinsichtlich der Eignung schärfere Kriterien bestehen. Das muss man auseinander halten.
Vom Bestangebotsprinzip im vergaberechtlichen Sinn erwarte ich mir hinsichtlich des Wettbewerbs nur geringen Auswirkungen. Wesentlich wird sein, wie die unternehmensbezogenen Kriterien gehandhabt werden und was mit ihnen passiert. Das sollten sich Auftraggeber im Vorfeld ansehen, ohne dass man da schon weiß, zu welchem Preis angeboten wird. Denn viele Auftraggeber reden sich Unternehmen schön, wenn der Preis niedrig genug ist.
Solange der Preis für die Auftraggeber das wichtigste ist, regiert das »Prinzip Hoffnung«. Deshalb sind die Eignungskriterien so wichtig, die Zuschlagskriterien sind dann das Zünglein an der Waage. Im Regelfall ist es aber so, und das bestätigen auch die Erfahrungen, die etwa eine Asfinag gemacht hat, dass das nicht den Ausschlag gibt. Beim Probegalopp der Asfinag hat sich herausgestellt, dass diejenigen, die beim Preis immer sehr ambitioniert waren, auch bei Bestbieterkriterien vorne liegen.
Report: Welche Hürden sehen Sie noch?
Steibl: Es kommt nicht nur auf die Gewichtung des Kriteriums, sondern auch auf die innere Ausgestaltung an. Angenommen, ich formuliere ein No-Na-Kriterium, das von allen Unternehmen erfüllt wird: Das kann ich dann sogar mit 90 Prozent gewichten, entscheiden wird dann wieder nur der Preis.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass das Bestbieterprinzip ein Instrument ist, das im Positiven genutzt werden kann. Wie es tatsächlich umgesetzt wird, ist in hohem Maße von den Auftraggebern abhängig. Die Auftraggeber bekommen mehr Macht, aber auch mehr Verantwortung.
Report: Die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit funktioniert in der Bauwirtschaft sehr gut. Es gibt aber auf beiden Seiten immer wieder Stimmen, die mehr Ecken und Kanten ihrer Interessensvertretung fordern. Die Gretchenfrage: Wie werden Sie es mit der Gewerkschaft halten?
Steibl: Wenn man sich mit dem Sozialpartner an den Tisch setzt, ist es sinnvoll, sich im Vorfeld nicht nur zu überlegen, was man selbst will, sondern auch die Möglichkeiten und Befindlichkeiten des Gegenübers zu kennen. Es hat ja wenig Sinn, Forderungen in den Raum zu stellen, von denen man sicher weiß, dass sie nicht durchgesetzt werden können. Das hat in den letzten Jahren in der Bausozialpartnerschaft gut funktioniert. Ich kenne aber auch noch andere Zeiten. Dabei ist ganz wesentlich, dass man niemals auf eine persönlich verletzende Ebene kommt, sondern sachlich die Anliegen diskutiert. Ein freundschaftlicher Umgangston ändert aber nichts daran, dass wir einen naturgegebenen Interessensgegensatz haben. Die aktuelle Wettbewerbssituation hat zur Folge, dass wir nicht auf jeden Zuruf des Sozialpartners eingehen können.
Report: Gibt es für Sie unumstößliche Themen, die in den nächsten KV-Verhandlungen umgesetzt werden müssen – Stichwort Arbeitszeitflexibilisierung?
Steibl: Ein KV-Abschluss braucht zwei Partner. Da macht es keinen Sinn, sich im Vorfeld gegenseitig auszurichten, was drinnen zu stehen hat – schon gar nicht über die Medien. Aber natürlich gibt es Themen, die für uns ganz wesentlich sind. Dazu zählen die Arbeitskosten insgesamt, die Flexibilität und natürlich auch all die administratven Anforderungen in Hinblick auf das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Das sind Stolpersteine auch für die Unternehmen, die alles korrekt machen wollen. Je einfacher die Modelle sind, desto besser können sie gelebt werden.
Report: Welche kurz-, mittel- und langfristigen Ziele haben Sie sich gesteckt?
Steibl: Kurzfristig kann es nur darum gehen, die Aktivitäten meines Vorgängers bestmöglich weiterzuführen. Mittel- und langfristig sind die Herausforderungen durch die bereits erwähnten besonderen Rahmenbedingungen der Bauwirtschaft vorgegeben. Dazu wird unter dem Schlagwort Industrie 4.0 bzw. BIM die Digitalisierung weiter voranzutreiben sein. Da müssen und werden wir viel Unterstützung leisten. Und dann wird es sicher eine gewisse Schwerpunktsetzung in Richtung europäischer Aktivitäten geben. Es geht darum, auf EU-Ebene Partner mit gleichen Interessen zu suchen und gemeinsam in einer früheren Phase der Entscheidungsfindung die EU-Vorgaben mitzugestalten.