Sonntag, Dezember 22, 2024

Um eines vorweg zu nehmen – „Digital Customer Experience (DCX)“ ist nicht „42“ (Douglas Adams zufolge die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens). Sie ist jedoch ein besonders effektiver Ansatz, Unternehmen, Dienstleistungen oder Produkte nachhaltig auf die Marktbedürfnisse auszurichten.

Durch die Krisen der letzten Jahre wurde in allen Branchen und Sektoren vermehrt auf Effizienzsteigerungen, Einsparungen und Minimalisierung in jeglichem Bereich fokussiert. Das Pendel schwenkt nun wieder in die andere Richtung - es gibt keine Quantensprünge mehr in der Effizienzsteigerung - lediglich inkrementelle Verbesserungen im Promille-Bereich. Nach einer Phase, in der Unternehmen vornehmlich mit sich selbst beschäftigt waren (interne Prozesse, Collaboration und Kommunikation zu optimieren), rückt nun wieder vermehrt der Kunde und somit auch der eigentliche Zweck der Unternehmung in den Vordergrund. 89 % der Konsumenten sind bereit, nach einem negativen Kundenerlebnis zur Konkurrenz zu wechseln. Besonders in Sektoren, in denen die Produkte oder Dienstleistungen zunehmend austauschbar werden, können sich Organisationen nur noch durch einen besonderen Service am Kunden vor, während und nach einem Erwerb differenzieren. 86 % sind bereit, für eine bessere Customer Experience mehr zu zahlen - auch kein zu verachtender Anreiz um sich das Konzept näher anzusehen. Weshalb wir vom digitalen Kundenerlebnis sprechen?: weil zunehmend mehr Informationssammlung, Service und teilweise der Kauf selbst online passiert und Unternehmen dies in ihrer IT-Landschaft abbilden müssen. Automobilhersteller können ein Lied davon singen. Vor zehn Jahren besuchte ein Kunde vor dem Kauf im Schnitt 4,5 mal das Autohaus. Heute vergleicht er mit Angebote mit jenen der Konkurrenz, konfiguriert seinen Traumwagen online und kommt nur noch 1,8 mal zum Händler. Der gut etablierte persönliche Kanal ist somit deutlich seltener geworden. Die Reise des Kunden („Customer Journey“) - von Informationssammlung und Kauf bis zur laufenden Servicierung - hat sich drastisch verändert.

Service wird neu erlebt und bewertet
Etablierte Unternehmen in allen Branchen stehen nun vor neuen Herausforderungen. Sie müssen sich nicht nur von der existierenden Konkurrenz abheben, sie müssen nun zusehends auch noch mit neuen, branchenfremden Wettbewerbern konkurrieren. Diese neuen Konkurrenten sind „Startups“ wie Google, Apple, Amazon, Tesla oder auch Plattformen wie Kickstarter. Sie fragen sich, weshalb dies Mitbewerber sein können? Dies ist aus drei Gründen so:

1. Kunden setzen die Messlatte für Angebote, Webauftritt und insbesondere für Serviceabwicklung besonders hoch an. Sie gewöhnen sich schnell an den perfekt durchdesignten Auftritt, die damit verbundene Nutzerfreundlichkeit und einfache Prozessgestaltung bei diversen IT- und New-Economy-Dienstleistern. Sie wollen nun eine ähnlich gute Servicequalität auch in den anderen Bereichen ihres Lebens haben - sei dies nun im Banken-, Versicherungs- oder Consumer-Bereich. Es werden zum Beispiel die Aufnahme eines Kredites mit dem vorbildlichen Shopping-Ablauf von Amazon, der Abschluss einer Versicherung mit dem Kauf eines Songs auf iTunes oder der Luxuswagen-Händler mit dem Entgegenkommen und guten Willen der IKEA-Mitarbeiter verglichen.

2. Doch es werde nicht nur althergebrachte Unternehmen mit völlig branchenfremden Unternehmen und deren Services verglichen werden und sie geraten so stark unter Druck. Nun drängen zusätzlich neue Unternehmen in Sektoren vor, die bis vor kurzem undenkbar waren (Michael E. Porter’s berühmte "Substitutes"). Durch den Ausbau der Portfolios von beispielsweise Google Wallet, Apple Pay und PayPal mit ihren Bezahldiensten entstehen nun Möglichkeiten „Banking“ auch ohne Bank zu betreiben. Durch Crowdfunding wie Kickstarter oder auch Microfinancing wie Kiva treten neue Player am Markt auf, die das klassische Kreditgeschäft drastisch verändern werden. Sie werden es vielleicht nicht revolutionieren, jedoch durch ihre einfach zu verstehenden und einfach zu nutzenden Leistungen nachhaltig verändern. Darüber hinaus drängen neue Startup-Banken auf den Markt, die ihre Geschäftsprozesse von Grund auf neu designen und keinen Rucksack alter Systeme oder Filialnetze tragen müssen.

3. Vergleichsplattformen haben nicht nur die Preise im Konsumgüter-Segment transparenter gemacht - so werden nun auch zunehmend andere Dienstleistungen (Strom, Gas, Versicherung etc.) verglichen und das Service bewertet. Gewinnen wird am Ende des Tages aber nicht der billigste Anbieter, sondern jener, der es dem Kunden am einfachsten macht, zu ihm zu wechseln, und diesen langfristig durch Servicequalität halten kann. Dies bedeutet, dass Digital Customer Experience schon vor der eigentlichen Dienstleistung eine gewichtige Rolle spielt.

Erlebnis auf allen Kanälen
Kunden vergleichen zunehmend unterschiedliche Branchen und auch die Kommunikationskanäle, über die mit ihnen interagiert wird. Daher ist es notwendig, die Unternehmensprozesse so weiter zu entwickeln, dass sie unabhängig vom Medium in gleich hoher Qualität zum gewünschten Ergebnis führen. Eine isolierte Betrachtung und Optimierung der bespielten dialogfähigen Kanäle (Homepage, Social Media, Telefon oder persönlich) ist nicht zielführend. Es wäre lediglich eine Weiterentwicklung der bestehenden Silostrukturen und keine nachhaltige Verbesserung aus Sicht des Kundenerlebnisses. Eine „Omni-channel-Orchestrierung“ dagegen macht es dem Kunden so leicht wie möglich, auf dem Kanal seiner Wahl die Dienstleistung oder das Produkt zu erwerben, einen Service zu erhalten, und um ihm zu einem treuen Kunden zu machen.

Capgemini erarbeitete gemeinsam mit Prof. Andrew McAfee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Studie "Leading Digital" - wir unterscheiden darin "Beginners", "Fashionistas", "Conservatives" und "Digital Masters". Digital Masters zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Vision auch digital eben und übererfüllen, exzellente Prozesse etabliert haben und diese abteilungsübergreifend leben und eine starke digitale Kultur besitzen. All dies ist notwendig, um Digital Customer Experience im gesamten Unternehmen über alle Kanäle zu etablieren - der Kunde wird nur die vielzitierte Spitze (des Eisbergs) der Servicekultur merken, weshalb diese stark ausgeprägt und von den Mitarbeitern gelebt werden muss.

Prozesse, Organisation, Technologie und Strategie können nur im Zusammenspiel eine spürbare Veränderung bringen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen im Schnitt 9 % mehr Umsatz generieren und die Profitabilität bis zu 26 % steigern können - man erkennt also deutlich die Hebelwirkung von Digital Customer Experience. Für Unternehmen, die sich zunehmend dem Wettbewerbsdruck mit der etablierten Konkurrenz und nun auch neuen Wettbewerbern gegenübersehen, stellen DCX-Projekte eine wirkungsvolle Maßnahme dar, um sich wieder profilieren zu können. Die Spannbreite solcher Projekte kann von kleinen Optimierungen bis zur strategischen Neuausrichtung der Unternehmensorganisation und seiner Prozesse reichen.

In der Regel beginnen aber alle DCX-Projekte mit der Customer Journey und dem damit verbundenen Perspektivenwechsel der eigenen Mitarbeiter - man schlüpft in die Rolle des Kunden oder gegebenenfalls auch in die Rolle anderer Kollegen. Dabei wird das Bewusstsein für die eigenen Handlungen geschärft und auch die IST-Situation auf die Probe gestellt. Mit „Cross-Industry Input“ und weltweiten Referenzbeispielen der eigenen Branche werden Denkanstöße für das Weiterentwickeln bestehender Angebote gegeben und ein unternehmerischer Spirit gesät.

Capgemini hat in unterschiedlichsten Branchen Unternehmen bei der Verbesserung der DCX begleitet - vom Turnaround britischer Modemarken über internationale Logistikriesen bis hin zu Finanzinstutitionen und Produzenten von schnelldrehenden Produkten profitierten Unternehmen und im Endeffekt  auch der Kunde.

Die Nachfrage nach DCX-Beratung und unseren Insights steigt zusehends - Retail und Finance sind besonders aktiv - sie haben den Handlungsdruck durch die neue Web-Konkurrenz gespürt und setzen sich nun mit der Thematik intensiv auseinander.



Über den Autor

Hellmuth Leinfellner, 33, ist Berater bei Capgemini Consulting mit internationaler Projekterfahrung in den Bereichen Reorganisation und Prozessmanagement vor dem Hintergrund von strategischen Änderung wie Customer Experience.

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