Sonntag, Juni 30, 2024

»Der Kunde ist König« lautet eine alte Vertriebsweisheit. Damit der Kunde König sein kann, muss man seine Bedürfnisse kennen. Das Kano-Modell setzt die Kund*innenzufriedenheit in Relation zur Funktionalität des Produkts. Die Erfüllung von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen entscheidet über Erfolg und Misserfolg eines Produkts oder einer Dienstleistung. Teil 5 der Serie: »Lean Baumanagement – Werkzeuge und Methoden«.

Tipp: Die bisherigen Teile der Serie lassen sich unter folgenden Links nachlesen: 
Teil 1: Lean Baumanagement – mehr als Lean Construction
Teil 2: Probleme am Ursprung lösen
Teil 3: Effektivität steigern, Verschwendung minimieren
Teil 4: Verschwendung stoppen

James Womack und David Jones haben in ihrem Buch »Lean Thinking: Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern« festgestellt, dass der Wert aus Kund*innensicht den Startpunkt von Lean Thinking darstellt. Das bedeutet, dass der »Wert« des Produktes oder einer Leistung nur von den Endkund*innen oder späteren Nutzer*innen definiert werden kann. Die Unternehmung muss sämtliche Anstrengungen auf sich nehmen, diesen Wert so gut es geht zu identifizieren, zu verstehen und mit ihren Dienstleistungen und Produkten zu erfüllen.

Dafür hat der japanische Pädagoge Noriaki Kano das nach ihm benannte Kano-Modell der Kundenzufriedenheit entwickelt, ein Werkzeug zur systematischen Erfassung und Beschreibung der Beziehung zwischen verschiedenen Arten von Produktanforderungen und deren nicht linearen Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit. Das Kano-Modell stellt die Grundlage der theoretischen Überlegungen zu unterschiedlichen Leistungsattributen und der grafischen Darstellung des Zusammenhangs zwischen Erwartungserfüllung und Kundenzufriedenheit dar.

Grundsätzlich misst die Kano-Methode die Auswirkungen verschiedener Erwartungserfüllungen auf die Kund*innenzufriedenheit. Dies wird oft mittels Kano-Modell grafisch dargestellt. Das Kano-Modell ist zweidimensional aufgebaut, mit den Dimensionen Kund*innenzufriedenheit bzw. Kund*innenunzufriedenheit und der Funktionalität bzw. Dysfunktionalität des Produktes. In der Theorie wird davon ausgegangen, dass zwischen unterschiedlichen Arten von Anforderungen unterschieden werden kann. So unterscheidet Kano in seinem Modell zwischen Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen, welche nach der grafischen Darstellung des Kano-Modells in der folgenden Abbildung näher erläutert werden.



Die Basisanforderungen

Basisanforderungen stellen Produkteigenschaften dar, welche die Kund*innen grundsätzlich voraussetzen und welche unbedingt vorhanden und erfüllt sein müssen. Durch das Fehlen von Basisanforderungen entsteht überproportionale Kund*innenunzufriedenheit. Werden sie vom Produkt erfüllt, kann maximal ein Zustand der »Nicht-Unzufriedenheit« erreicht werden. Basisanforderungen müssen erfüllt sein, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein und von den Kund*innen für den Kauf in Betracht gezogen zu werden.

Die Erwartungen der Kund*innen an die Basisanforderungen richten sich nach dem öffentlich etablierten Standard. Erfüllt beispielsweise ein Produkt durch eine Innovation die Basisanforderungen sehr viel besser als die Konkurrenzprodukte, so kann sich die Erwartung an die Basisanforderungen der Kund*innen hin zum neuen Standard verschieben. Produkte, welche diese Innovation nicht nutzen, sind dann nicht mehr wettbewerbsfähig. Dies führt zu einem ständigen Innovationsdruck der Firmen. Die Basisanforderungen werden von Kund*innen meist nicht explizit artikuliert und als offensichtlich angesehen.

Die Leistungsanforderungen

Die um 45° geneigte blaue Linie stellt die Leistungsanforderungen dar. Diese Anforderungen haben einen linearen, positiv-proportionalen Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Funktionalität und der Auswirkung auf die Kund*innenzufriedenheit. Je mehr Leistungsanforderungen erfüllt sind, desto höher ist die Kund*innenzufriedenheit. Umgekehrt kann die Nichterfüllung allerdings zu Unzufriedenheit führen. Leistungsanforderungen werden von Kund*innen meist explizit artikuliert und sind in der Regel spezifisch und messbar. Die Erfüllung der Leistungsanforderungen kann einer Unternehmung helfen, wettbewerbsfähig zu sein. Zudem erwarten Kund*innen bei den wettbewerbsfähigen Produkten einen gewissen Grad der Erfüllung der Leistungsanforderungen.

Die Begeisterungsanforderungen

Die dritte Kategorie sind die Begeisterungsanforderungen, im Diagramm als grüne Kurve zu erkennen. Wie bei den Basisanforderungen ist ein nicht-linearer Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Anforderungen und der Kund*innenzufriedenheit zu sehen. Eine starke Ausprägung dieser Kategorie führt zu überproportionaler Kund*innenzufriedenheit. Im Gegensatz zu den anderen Anforderungen stellt sich bei Nichterfüllung keine Unzufriedenheit ein. Die Begeisterungsanforderungen werden von Kund*innen in der Regel nicht artikuliert, da diese neben den Basis- und Leistungsanforderungen oftmals keine expliziten Erwartungen an das Produkt haben. Schafft es eine Unternehmung, Kund*innen mittels auf sie zugeschnittener Leistungen zu begeistern, so stellt sich eine hohe Zufriedenheit ein.

Demzufolge muss eine Organisation die Probleme und Wertvorstellungen ihrer Kund*innen sehr genau beobachten und erforschen, um versteckte Wünsche oder Möglichkeiten zu finden, die Kund*innenzufriedenheit zu erhöhen. Hier zeigen sich Parallelen zur Denkweise von Lean Management, die den Wert aus Kund*innensicht bestmöglich zu verstehen und zu erfüllen versucht, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Damit es gelingt, Kund*innen mittels auf sie zugeschnittener Leistungen zu begeistern, um hohe Zufriedenheit sicherzustellen, muss eine Organisation die Probleme und Wertvorstellungen ihrer Kund*innen sehr genau erforschen, um dadurch versteckte Wünsche oder Möglichkeiten zu finden.

Weitere Anforderungen

Zusätzlich gibt es noch Indifferente Anforderungen, welche keinen merklichen Einfluss auf die Kund*innenzufriedenheit haben, egal ob sie erfüllt sind oder nicht. Gründe hierfür können sein, dass den Kund*innen bestimmte Produkteigenschaften egal sind oder diese keine Auswirkung auf die Problemlösungen sowie Wunscherfüllungen der Kund*innen haben. Indifferente Anforderungen werden grafisch entlang der Abszisse dargestellt.

Es gibt auch Reverse-Anforderungen, bei welchen die Kund*innen genau das Gegenteil der in der funktionalen Frage gestellten Produktanforderungen erwarten. Dahingehend führt die Nichterfüllung zu Kund*innenzufriedenheit und die Erfüllung zu Kund*innenunzufriedenheit. Reverse-Anforderungen sind in Kano-Befragungen eher selten, jedoch kann es vorkommen, dass befragende Unternehmen ihre Kund*innen falsch einschätzen. 

Fazit

Die Kano-Methode kann dazu verwendet werden, komplexe Anforderungen im Baukontext an den gestalteten Wohnraum oder gesellschaftliche Anforderungen an die Baubranche zu ordnen und eine Gewichtung hinsichtlich der Kund*innenzufriedenheit vorzunehmen. Dahingehend kann ein Bild des »Werts« aus Kund*innensicht geformt werden. Dieses stellt den Anfangspunkt aller Bemühungen dar, Kund*innen erneut für sich zu gewinnen, eine positive Reputation als Unternehmung aufzubauen, eine hohe Qualität in der Bauausführung zu liefern und den Fokus auf die überproportional wichtigen Aspekte des Bauens zu behalten.


Hintergrund zur Serie

Lean Baumanagement umfasst mehrere Bereiche, in denen unterschiedliche Werkzeuge und Methoden angewendet werden, um die Vorteile aus der Lean-Philosophie für den Baubereich nutzen zu können. Die Erläuterungen in den weiterführenden Ausgaben teilen sich grob in die sechs Bereiche Lean Production, Lean Construction, Lean Design, Lean Administration, Lean-Logistik sowie Supply Chain Management und Lean-Kultur auf. Aufbauend auf die Übersichtstabelle für Lean Baumanagement der Ausgabe 04/22 (Teil 1 unserer Serie) werden die einzelnen Bereiche kurz beschrieben und Werkzeuge und Methoden erläutert, die die Verschwendung identifizieren, reduzieren oder sogar eliminieren können.

(Bilder: iStock)

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