Freitag, Mai 17, 2024

Mit dem Werkzeug der Wertstromanalyse können auch in der Bauwirtschaft die einzelnen Produktionsprozesse auf vorhandene Verschwendung durchleuchtet werden – mit dem Ziel, sie anschließend zu optimieren. 

Tipp: Die Themen der vorherigen Teile dieser Serie lassen sich unter folgenden Links wieder ins Gedächtnis rufen: 
Teil 1: Lean Baumanagement – mehr als Lean Construction
Teil 2: Probleme am Ursprung lösen
Teil 3: Effektivität steigern, Verschwendung minimieren

Die Wertstromanalyse ist ein Werkzeug zur systematischen Identifikation der vorhandenen Verschwendung in unterschiedlichen Unternehmensprozessen. Dieses Werkzeug entwickelte sich aus Flussdiagrammen, welche schon längere Zeit zur Aufzeichnung von Unternehmensprozessen und gegenseitigen Abhängigkeiten verwendet wurden. Mit ihrer Anwendung können Prozesse hinsichtlich ihres derzeitigen Zustandes auf Verbesserungspotenziale und Probleme analysiert werden.

Eine abteilungsübergreifende Wertstromanalyse wird häufig als Startschuss zur Prozessoptimierung genutzt, da mit ihr die Ist-Zustände systematisch aufgezeichnet werden. Dies stellt eine Voraussetzung für die Entwicklung eines Soll-Zustandes von Unternehmensprozessen dar. Aufbauend auf der Darstellung der aktuellen Gegebenheiten können Problemlösungen mittels PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) eingeleitet werden. Durch die Wertstromanalyse können die notwendigen Schritte aufgezeichnet und miteinander in Verbindung gebracht werden. Grundsätzlich sind die Schritte einer Wertstromanalyse folgende:

  1. Auswahl einer Produktfamilie
  2. Ist-Zustand
  3. Soll-Zustand
  4. Umsetzungsplan1


Auswahl einer Produktfamilie

Eine Produktfamilie ist eine Gruppe an Produkten oder Services, welche die gleichen oder ähnlichen Prozessschritte durchlaufen.

Ist-Analyse

Die Ist-Analyse sollte immer vor Ort passieren, indem der Material- und Informationsfluss abgegangen wird. Dazu kann ein schneller Durchgang des Prozesses der untersuchten Produktfamilie gemacht werden. Damit erhält man einen Überblick von Prozessbeginn bis Prozessende. Danach sollte der Prozess vom Ende aus in Richtung Beginn aufgenommen werden. Auf diese Weise zeigen sich jene Prozessschritte zuerst, welche direkt mit dem Kunden verlinkt sind. Bei der Prozessaufnahme sollten die wahren Gegebenheiten vor Ort untersucht werden. Dies kann beispielsweise mit einer Stoppuhr erfolgen.

Auch wenn in Computerprogrammen Daten über die Prozesse vorhanden sind, sollte hier den tatsächlichen Bedingungen vor Ort mehr Gewichtung geschenkt werden. Es empfiehlt sich, alle Prozessschritte gemeinsam im Team aufzuzeichnen, damit ein Verständnis des Prozesses und eine gemeinsame Wissensbasis entwickelt werden. Diese Aufzeichnungen vor Ort sollten mit Papier und Stift erfolgen und erst zu einem späteren Zeitpunkt digitalisiert werden.2

Die Wertstromlandkarte des aktuellen Zustandes ist das Ergebnis der Ist-Analyse. Sie ist in drei Bereiche eingeteilt: Den Materialfluss, den Informationsfluss und die Zeitschiene. Der Materialfluss geht vom Vorleister oder Lieferant über die Prozessschritte Lager, Vormontage, Endmontage und Funktionstest bis zur Spedition. Der elektronische Informationsfluss wird mittels gezackter Pfeile dargestellt. Die Pfeile ausgehend von der Produktionsplanung zu den Prozesskästchen symbolisieren den analogen Informationsfluss. Es wird ersichtlich, dass die einzelnen Prozessschritte mittels wöchentlicher Produktionspläne separat von der Produktionsplanung gesteuert werden.


Der untere Bereich zeigt eine Zeitleiste, in welcher die gesamte Durchlaufzeit den einzelnen wertschöpfenden Zeiten gegenübergestellt wird. In diesem Beispiel wird die aggregierte wertschöpfende Zeit von 125 Sekunden mit der gesamten Durchlaufzeit eines Teiles, von der Anlieferung bis zum Kunden, in Beziehung gesetzt. Die Aussage dieser Wertstromanalyse ist, dass innerhalb der 32 Tage, welche das Material für das Durchlaufen des Prozesses benötigt, nur etwa 125 Sekunden direkte Wertschöpfung am Produkt geschieht – der Rest ist Verschwendung. Diese Darstellung sowie die während der Aufzeichnung des Ist-Zustandes gesammelten Daten und Informationen sind die Basis für die aufbauende Entwicklung der Prozesslandkarte des Soll-Wertstromes und den dazugehörigen Implementierungsplan.

Soll-Zustand

Bei der Entwicklung des Soll-Zustandes wird darauf geachtet, dass ein Prozessschritt nur dann Teile produziert, sobald sie der nächstgelagerte Prozess benötigt. Mit der Verlinkung der einzelnen Stationen entsteht ein kontinuierlicher Fluss vom Kunden zurück zum Rohmaterial. Dadurch entstehen die geringste Durchlaufzeit, die höchste Qualität und die geringsten Kosten.

Nach dem Prinzip der Massenproduktion ist es sinnvoll, viele gleiche Produkte in großen Losen hintereinander zu produzieren, und dann die Maschinen einmal zu rüsten, bevor andere Produkte verarbeitet werden können. Im Gegensatz dazu wird mit Lean versucht, den schwankenden Kundenbedarf mit mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bestmöglich zu erfüllen. Damit soll eine gleichmäßige Auslastung der Ressourcen mittels Aufteilung verschiedener Produkte gewährleistet werden. Folglich muss auch die Rüstzeit und der dazugehörige Aufwand minimiert werden. 

Umsetzungsplan

Nachdem die Prozesslandkarte für den Soll-Zustand gezeichnet wurde, muss diese auch umgesetzt werden. In der Regel wird ein Umsetzungsplan für das nächste Jahr entwickelt, an welchem der aktuelle Implementierungsfortschritt, die verantwortlichen Personen und das Startdatum sowie das Enddatum abzulesen sind. Dieser Plan wird häufig auch dazu verwendet, eine Priorisierung der einzelnen Themen sowie eine Aufteilung der Aufgaben unter den Projektbeteiligten vorzunehmen.


Oben mittig stehen die Projektziele, welche in anschließenden Reviews gemessen werden. Links ist eine Legende zu finden, die dazu dient, Teilprojekte und einzelne Punkte mit einem Status – »Noch nicht gestartet«, »in Bearbeitung« oder »schon erledigt« – zu kennzeichnen. Weiters werden darunter der Einsatz und der Aufwand sowie der erwartete Effekt auf die Verbesserungen eingetragen. Damit kann eine Priorisierung erfolgen, auf Basis derer die Projekte ausgewählt werden, die gestartet werden sollen. Es werden solche bevorzugt, die eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweisen oder einen großen positiven Effekt für wenig Aufwand liefern. Nach der Auflistung der einzelnen Maßnahmen, welche aus der Soll-Zustand-Prozesslandkarte abgeleitet wurden, wird das Startdatum und Enddatum jedes Teilprojektes sowie eine verantwortliche Person eingetragen. So ist auf einen Blick ersichtlich, welche Projekte gestartet und erledigt wurden und wo Bedarf für spezielle Unterstützung von Führungskräften erforderlich ist.

Fazit

Die Wertstromanalyse bietet ein breites Anwendungsfeld und ein großes Potenzial hinsichtlich der Identifikation und Eliminierung der Verschwendung. Die Anwendung der Wertstromanalyse wird mit jedem Durchlauf der Reihenfolge – Produktfamilie, Ist-Analyse, Soll-Zustand und Umsetzungsplan – immer effizienter und hochwertiger. Abschließend kann gesagt werden, dass dieses Werkzeug bei erfolgreicher Anwendung nicht nur die vorhandene Verschwendung sorgfältig aufzeigt, sondern durch die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit echtes Teamwork fördert. 

Literaturnachweise: 

1 Rother, M.; Shook, J.: Learning to see - Value Stream Mapping to Create Value and Eliminate Muda. Workbook. S. 17. 
2 Ebd., S. 21. 


Hintergrund zur Serie

Lean Baumanagement umfasst mehrere Bereiche, in denen unterschiedliche Werkzeuge und Methoden angewendet werden, um die Vorteile aus der Lean-Philosophie für den Baubereich nutzen zu können. Die Erläuterungen in den weiterführenden Ausgaben teilen sich grob in die sechs Bereiche Lean Production, Lean Construction, Lean Design, Lean Administration, Lean-Logistik sowie Supply Chain Management und Lean-Kultur auf. Aufbauend auf die Übersichtstabelle für Lean Baumanagement der Ausgabe 04/22 werden die einzelnen Bereiche kurz beschrieben und Werkzeuge und Methoden erläutert, die die Verschwendung identifizieren, reduzieren oder sogar eliminieren können.


Buchtipp:
Lean Baumanagement Teil 3: Lean Reporting in der Baubranche 

Der dritte Band der Reihe Lean Baumanagement hinterfragt die Aspekte des Unternehmens- und Projekterfolgs in der Baubranche und zeigt Möglichkeiten auf, wie sich die Bauindustrie neuartige Managementansätze, deren Ursprünge in der stationären Fertigung, insbesondere in der Automobilbranche, liegen, zu Nutze machen kann, um den Erfolg im Gesamtunternehmen nachhaltig zu steigern. Durch die Betrachtung, Aufarbeitung und Verbindung der Begrifflichkeiten »Erfolg«, »Lean Management« und »Hoshin Kanri« im Literaturteil der Arbeit wird geklärt, inwiefern sich diese drei Konzepte gegenseitig beeinflussen und welche positiven Wechselwirkungen sich daraus ergeben können. Darüber hinaus werden die Ansätze aus dem Lean Management und von Hoshin Kanri in ein Reporting verpackt, um den Projekt- und Unternehmenserfolg steuern und nachhaltig verbessern zu können. 

Herausgeber: Gottfried Mauerhofer 
Autor: Bianca Gollner 
Erscheinungsjahr: 2022 
ISBN: 978-3-200-08333-2 
www.leanbau.at 

 

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