Sonntag, November 24, 2024
Städtischer Bergbau
Rückbau der ehemaligen Vorklinik Graz durch die BauKarussell Genossenschaft. Das Universitätsgebäude wurde im Auftrag der Bundesimmobiliengesellschaft mit Fokus auf höchstmögliche Wiederverwendungs- und Wiederverwertungsquote für den Abbruch vorbereitet. (Bild: Daniel Hinterramskogler)

Die Abrissbirne ist der »alte weiße Mann« der Baubranche, sie hatte ihre Zeit und darf nun von der Bühne treten. Urban Mining heißt der neue Akteur, auf den sich nun die hoffnungsvollen Scheinwerfer richten. Ein echter Early Bird ist Österreich nicht, das Thema nimmt aber Fahrt auf.

 

A ngepriesen wird Urban Mining als nächste Stufe im ressourcenschonenden Bauen, die von der Reduktion, über das Recyceln hinaus sogar dem Cradle-to-Cradle-Prinzip noch ein Schäuferl drauflegt. Das Prinzip war im traditionellen, vernakulären Bauen zwar immer schon Usus, unter dem neuen Namen begeistert es nun aber ein breiteres Fachpublikum.

Wer hat’s erfunden?
Geprägt wurde der Begriff bereits in den 1980er-Jahren und zwar vom japanischen Professor Hideo Naniyo, der am Forschungsinstitut für Mineralaufbereitung und Metallurgie an der Universität Tohoku tätig war. Aus der Erkenntnis heraus, dass die bisherige und immer noch fortlaufende Urbanisierung riesige Rohstofflagerstätten hervorbrachte und -bringt, bezeichnete er mit Urban Mining die »Identifizierung und Qualifizierung dieser anthropogenen [menschengeschaffenen] Lagerstätten, die Quantifizierung der darin enthaltenen Sekundärrohstoffe, Wirtschaftlichkeitsberechnungen vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden technischen Rückgewinnungsvarianten und den derzeit erzielbaren und zukünftig prognostizierten Erlösen, die wirtschaftliche Aufbereitung und Wiedergewinnung der identifizierten Wertstoffe sowie die integrale Bewirtschaftung anthropogener Lagerstätten.« (Quelle: Wikipedia.)

In Japan und anderen Teilen Asiens fand die Idee schnell große Verbreitung. Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff erst in den 2010er-Jahren populärer geworden, angestoßen vermutlich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. Fortgetragen von der so langsam endlich von allen eingestandenen Klimakrise, findet sie im Zuge verschiedener nationaler Kreislaufwirtschaftsstrategien aktuell nährhaften Boden.

Neue Geschäftmodelle
Hat ein Gebäude ausgedient, kommen inzwischen auch in Europa statt der dumpfen Abrissbirne immer öfter spezialisierte Unternehmen, die es in feinerer Arbeit in ihre Einzelteile zerlegen und diese dann unter dem Label »ressourcenschonend gewonnen« auf einem größer werdenden Markt feilbieten. Klingt nach einem lukrativen Geschäftsmodell, gerade dort, wo sich erst langsam ein Bewusstsein bildet, dass was bisher mit teils hohem Kostenaufwand entsorgt wurde, in Wahrheit wertvollste Rohstoffe beinhaltet und zwar teils ohne dafür eine zeit- und energieaufwendige Runde über den Recyclingprozess drehen zu müssen. Vorausgesetzt – und darin liegt zumeist der Haken – Baumaterialien wurden schadstofffrei und sortenrein verbaut. Leider ging die Tendenz im Bauen in den letzten Jahrzehnten nicht in diese Richtung. Es wäre vielleicht zu hoch gegriffen, zu behaupten, Österreich gehöre beim Urban-Mining-Trend zu den Early Birds. Doch inzwischen gibt es sie auch hier: In den letzten Jahren sind Urban Mining Consulting- und spezialisierte Abbruch- bzw. Rückbauunternehmen entstanden, ebenso Start-ups, die sich dem Thema mit unterschiedlichen Zugängen widmen.

Next Generation
Eines davon ist Revitalyze, das vor wenigen Monaten als FlexCo gegründet wurde. Gründer David Plaseller ist Quereinsteiger aus dem Tourismus. Gerade dort sind Bauwerke oft von extrem kurzen Lebenszyklen bestimmt. Vor allem in der gehobenen Hotellerie wird etwa alle fünf Jahre die gesamte Einrichtung ausgetauscht, was zur Entsorgung großer Mengen funktionaler Bauteile und -materialien führt. Angetrieben von der Motivation, etwas zu machen, worauf man stolz sein kann, suchten Plaseller und seine Mitgründer (Digital Natives und Angehörige der Fridays-for-Future-Generation) nach Wegen, Bauprozesse effizienter, digitaler und vor allem weniger linear, sondern zirkulär zu gestalten. Für ihre Plattform Revitalyze staubten sie bereits mehrere Auszeichnungen und Förderungen ab, was die Gründung vor wenigen Monaten zum nächsten logischen Schritt machte. Derzeit ist das Start-up mit ersten vielversprechenden Projekten in Innsbruck und München aktiv. Wünschenswert wäre es laut Plaseller, wenn die öffentliche Hand – ähnlich wie in der Schweiz, wo verpflichtende Rezyklatvorschriften einzuhalten sind – verstärkt eine Vorreiterrolle einnehmen würde, um den Markt für Re-Use und Sekundärmaterialien anzukurbeln.

Umweltvorteil mit sozialem Aspekt
Bereits etwas länger im Geschäft ist die BauKarussell Genossenschaft. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die 2015 mit der Recyclingbaustoffverordnung geschaffen wurden, waren für Thomas Romm der Anstoß, um sich einen langgehegten Wunsch zu verwirklichen. In der Baustoffverordnung Paragraph 4 wird der Bauherr dazu verpflichtet, Bauteile, die zur Wiederverwendung geeignet sind, zu dokumentieren, und im Paragraph 5 wird diese Verpflichtung sogar noch damit erweitert, dass sie auf Nachfrage Dritter für die Wiederverwendung vorbereitet werden müssen. Diesen Dritten hat Romm mit BauKarussell geschaffen.

Keineswegs geregelt ist dabei, ob dies entgeltlich oder unentgeltliche geschehen muss. Ein wichtiger Punkt, da BauKarussell von Anfang an nicht nur den Vorteil für die Umwelt, sondern auch soziale Aspekte im Blick hatte. Das mühsame manuelle Ausbauen von Elementen lasse sich laut Romm hauptsächlich und vor allen Dingen durch Sozialwirtschaft abbilden. Mit dem Konzept des Social Urban Mining, das die Inklusion von sozialwirtschaftlichen Betrieben beinhaltet, und mit Fokus auf Qualifizierung und Integration hat BauKarussell ein Alleinstellungsmerkmal in Europa. »Dies zeichnet aus meiner Sicht die hervorragende Situation in Österreich nach«, so der stolze Gründer. Dennoch müsse der Wiederverwendungsgrad dringend gesteigert werden. »Wir liegen im Moment im Ein-Prozent-Bereich. Zu viel landet in der Aufbereitung und zu wenig funktionale Bauteile, auch tragende, werden vor Ort wiederverwendet.«

Romm wird nicht müde, Auftraggebern und auch der Politik vorzurechnen, dass es zu einer deutlich besseren Ökobilanz führt, wenn Baustoffe nicht von der Baustelle weggefahren werden, um deponiert oder aufbereitet zu werden, nur um anderes Material wieder zur Baustelle hinzufahren. »Es geht darum, Abbruchvorhaben mit dem Neubauprojekt zu überschneiden und anhand von Massenströmen darzustellen. Diese Überschneidungsmenge nennen wir Urban Mining. Idealerweise, werden Materialien direkt am Ort verwertet. Das ist nicht nur ressourcenschonend, sondern spart Geld und Zeit«, so Romm.

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