Am 18. September 2015 teilte die US-Umweltbehörde EPA mit, dass die Volkswagen AG bei Modellen der Baujahre 2009 bis 2015 mittels Software die Messung des Schadstoffausstoßes manipuliert hat. Betroffen sind weltweit elf Millionen Fahrzeuge aller Konzernmarken, 363.400 davon in Österreich. VW-Chef Martin Winterkorn musste bereits seinen Hut nehmen, der Kreis der Mitwisser und Mittäter soll aber mindestens 30 Manager umfassen. Welche Auswirkungen hat die Affäre darüber hinaus? Report(+)PLUS hat ExpertInnen um eine Einschätzung gebeten.
1.Wie groß ist der Imageschaden für VW?
Wilfried Sihn, Geschäftsführer Fraunhofer Austria Research GmbH:
Der Imageschaden für VW ist sehr groß. Vor allem in den USA wird VW in den kommenden zwei bis drei Jahren große Schwierigkeiten haben, Diesel-Fahrzeuge zu verkaufen. Aber auch in Europa wird es bestimmt Umsatzeinbußen geben. Wie groß der Imageschaden bei uns tatsächlich ist, wird sich noch zeigen. Das hängt meiner Meinung nach von den verschiedenen Maßnahmen ab, die VW nun ergreift, etwa Rückholaktionen. Generell kann man von einem nicht zu entschuldigenden Vorgehen reden!
Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung: Ein kurzfristiger Imageschaden ist ganz sicher vorhanden, nur wenn diese Krise schlecht gemanagt wird, könnte sich daraus ein nachhaltiger Imageschaden entwickeln. Aus derzeitiger Sicht lässt sich das nicht beurteilen. Ob die Nachbesserung der betroffenen Autos Auswirkungen auf Verbrauch oder Leistung haben werden, wird sich der ÖAMTC genauestens ansehen. Sobald VW mit der Rückrufaktion beginnt, wird der Club gemeinsam mit Experten der TU Wien zufällig ausgewählte Fahrzeuge vor und nach der Nachbesserung auf Herz und Nieren testen.
Georg Rathwallner, Leiter der Abteilung Konsumentenschutz, AK Oberösterreich: VW hat zugegeben, in den USA Schadstofftests von Dieselmotoren manipuliert zu haben. Das wird nicht nur Strafen in Milliardenhöhe in den USA und wahrscheinlich auch anderen Ländern zur Folge haben, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Konzerns in Frage stellen. Dieser Imageschaden dürfte teurer kommen als die Strafen. Wie nachhaltig dieser Schaden ist, kann heute nicht gesagt werden. Allerdings haben Skandale bei anderen Autoherstellern in der Vergangenheit gezeigt, dass mit der Entwicklung neuer innovativer Modelle, die den Konsumenten spürbar e Verbesserungen bringen, ein Neustart möglich ist.
2.Sind Schadenersatzzahlungen für Kunden realistisch?
Wilfried Sihn: Geklagt wird auf jeden Fall. Und vor allem in den USA ist mit Schadenersatzzahlungen für Kunden zu rechnen. In Europa hingegen glaube ich weniger an Zahlungen, sondern eher an Nachbesserungen – vor allem bei älteren Fahrzeugen. Spannend für mich ist aber vor allem die Frage, wie der österreichische Staat auf den Skandal reagiert. Denn durch die geschönten Normwerte haben Fahrzeugkäufer zu wenig NoVA bezahlt. Somit wurde auch der Staat Österreich betrogen. Ich bin gespannt, ob deswegen Klage erhoben wird.
Bernhard Wiesinger:
Im Moment von Schadenersatzzahlungen für Kunden zu sprechen, ist unseriös, weil es für den einzelnen Kunden keinen Schaden gibt. Die einzig denkbare Variante wäre, dass ein Kunde sein Fahrzeug ganz überwiegend wegen des zugesicherten NOx-Ausstoßes gekauft hat und das auch beweisen kann. VW hat sich schlicht die Typgenehmigung beim NOx-Ausstoß erschlichen. Das mag Strafzahlungen an die Behörde zur Folge haben, begründet aber unmittelbar keine Schadenersatzpflicht an den Kunden. Erst wenn durch die Nachbesserung Änderungen bei Leistung oder Verbrauch entstehen, könnte für den Kunden Schadenersatz herausspringen. Daher testet der ÖAMTC.
Georg Rathwallner: Derzeit sind die technischen Nachteile der betroffenen Fahrzeuge noch nicht geklärt und der Schaden nicht zu beziffern. Ich gehe davon aus, dass der VW-Konzern das Problem technisch lösen wird und finanzielle Nachteile der Konsumenten (z.B. geringere Rückkaufs- oder Leasing-Restwerte) kompensieren wird, um das Imageproblem zu verringern. Wenn das nicht der Fall ist, können betroffene Konsumenten Gewährleistungs- bzw. Schadenersatzansprüche geltend machen und die Arbeiterkammer wird sie dabei unterstützen. Der Aufruf zu Sammelklagen hilft derzeit keinem Konsumenten, kann aber Arbeitsplätze gefährden.
3.Wird in der Automobilbranche noch mehr getrickst?
Wilfried Sihn: Wissen, wie es geht, tun alle. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass weitere renommierte Hersteller in diesem Ausmaß betrogen haben. Spätestens nach der Aufdeckung des VW-Skandals wären solche Aktionen bekannt gegeben worden. Prinzipiell versucht jeder Hersteller, Tests so gut wie möglich zu bestehen. Demnach wird natürlich in der Testsituation nur das beste Material eingesetzt. Die Ergebnisse eines Tests, der regelkonform abgelaufen ist, sind leider oft nicht 1:1 auf die reale Situation auf der Straße umzulegen. Die Abweichungen des realen Verbrauches von der Normvorgabe sind ja in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Die von den Herstellern aller Marken angegebenen Normverbrauchswerte haben mit dem realen Verbrauch nichts gemeinsam. Das, was VW gemacht hat, hat aber mit »tricksen« nichts mehr zu tun. Es handelt sich hier um vorsätzlichen Betrug. Und das ist die neue Dimension an diesem Skandal.
Bernhard Wiesinger: So ernüchternd das klingt: Das »Optimieren« eines Motors durch elektronische Einstellungen auf einen bestimmten Testzyklus hin ist weder illegal noch verhinderbar. Deswegen fordern wir seit Jahren gemeinsam mit anderen Clubs die Einführung eines neuen, realistischeren Testzyklus. 2017 soll es nun endlich so weit sein. Parallel dazu muss man aber die Fahrzeuge unbedingt im realen Fahrbetrieb testen. Und die beiden Ergebnisse dürfen nicht signifikant voneinander abweichen. Nicht Spekulieren über Firmen und möglich Tricks ist angesagt, sondern Handeln auf Behördenseite.
Georg Rathwallner:
Autos werden immer komplizierter und der Konkurrenzdruck führt dazu, dass technische Mängel oft erst auftreten, wenn das Auto bereits gefahren wird. Viele dieser Mängel nimmt der Konsument nicht wahr, weil sie nicht im Rahmen einer Rückholaktion behoben werden, sondern beim nächsten Service »mitgehen«. Bewusste Manipulationen wie bei VW sind aber die Ausnahme. Ob auch andere Autohersteller getrickst haben, werden die jetzt intensivierten behördlichen Überprüfungen zeigen.