Montag, Dezember 23, 2024

Das Podiumsgespräch des Report zu Nachhaltigkeit, Standortfaktoren und Innovationskraft einer modernen Stadt.

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Der Wirtschaftsfaktor Nachhaltigkeit rückt in den Fokus – bei Gebäuden, Energieeffizienz sowie bei Mobilität. Aus welchen Gründen setzen Unternehmen auf Betriebsansiedlungen in der Stadt der Zukunft? Das jüngste Report-Publikumsgespräch fand am 16. September im Bürogebäude aspernIQ statt. Anhand des Praxisbeispiels Seestadt Aspern wurden die Standortfaktoren für die Wirtschaft erörtert. Mit Moderator Martin Szelgrad diskutierten Gerhard Schuster, Vorstand Wien 3420 Aspern Development AG; Thomas Madreiter, Planungsdirektor Stadt Wien, Gerhard Hirczi, Geschäftsführer Wirtschaftsagentur, und Caroline Palfy, Projektentwicklung Kerbler Holding.


(+) plus: Die erste Phase des Baus der Seestadt ist abgeschlossen. Können Sie uns einen Überblick zum Status quo geben?
Gerhard Schuster, Wien 3420: Derzeit leben bereits 6.000 Menschen in der aspern Seestadt und wir eröffnen gerade die erste gemanagte Einkaufsstraße Österreichs. Auf 3.000 m² werden gemeinsam mit unserem Entwicklungspartner Spar European Shopping Center Erdgeschoßzonen verwaltet und vermietet. Die Idee ist eine Stadt der kurzen Wege. Wir sind schon sehr auf die Rückmeldungen gespannt und werden diesen Prozess entsprechend begleiten.
Nachhaltigkeit bedeutet für uns die ökonomische, die ökologische, aber auch die soziale und technische Komponente – insgesamt wird darauf geachtet, wie mit geringerem Ressourcenverbrauch und niedrigeren Emissionen eine hohe Lebensqualität erreicht werden kann. Wir sehen die Seestadt auch als »Living Lab«, in dem nicht nur Bekanntes umgesetzt wird, sondern auch Neues erprobt und ständig optimiert wird. Wichtig dabei ist ein funktionierendes Zusammenspiel von Stadtplanung und Wirtschaft.

(+) plus: Was bedeutet »gemanagte« Einkaufsstraße?
Gerhard Schuster: Wir überlassen es nicht dem Zufall, an welchen Orten sich beispielsweise eine Trafik, ein Lebensmittelhändler, eine Versicherung oder eine Apotheke befinden. Ebenso wie ein gut gemanagtes Einkaufszentrum die bestmögliche Zusammensetzung von Angeboten und Branchen im Detail plant, steuern wir diese Zusammensetzung auch hier anhand von Erkenntnissen aus der Marktforschung und unseren eigenen Erfahrungen. Das Angebot der Geschäftslokale ist derzeit noch auf eine Nachfrage durch 6.000 Personen ausgelegt. Wir lassen die Geschäftsleute nicht alleine, sondern wollen gemeinsam organisch wachsen – bis hin zu einer Mietpreis- und Pachtgestaltung, die auf die jeweilige Ertragskraft Rücksicht nimmt. Ein völlig ungeregelter Markt würde dagegen derzeit Ausfälle produzieren. Auch in Einkaufszentren zahlt eine Top-Textilmarke ja einen anderen Mietpreis als das kleine Knopfgeschäft.

(+) plus: Wie geht der Ausbau nun weiter?
Gerhard Schuster: In der nächsten Phase werden wir nun jene Lücke schließen, die es derzeit noch zwischen der U-Bahn-Station und dem ersten Quartier auf mehreren 1.000 m² gibt. Das Highlight des neuen Seeparkquartiers wird ein Holzhochhaus sein, und es wird weitere Objekte für eine gemischte Nutzung geben, ein Studentenheim, Büros, Geschäfte und frei finanzierte Wohnungen. Der Großteil dieser Projekte geht in den kommenden zwölf Monaten in Bau. Bauende dieses Teils mit einer verbindenden autofreien Fußgänger- und Radfahrzone wird in etwa drei Jahren sein. Zuliefermöglichkeiten für den Handel wird es natürlich weiterhin geben, doch legen wir den Fokus auf eine angenehme Freiraumgestaltung für die Bewohner und Beschäftigte gleichermaßen.

(+) plus: Wie werden sich der Bezirk Donaustadt und Wien im Gesamten in den nächsten Jahren verändern?
Thomas Madreiter, Stadt Wien: Wien ist seit dem Jahr 2000 um 250.000 Menschen gewachsen – die Größe der Stadt Graz. Der Bezirk Donaustadt hat derzeit knapp 170.000 Einwohner und wird innerhalb der nächsten 20 Jahre auf 225.000 Bewohner anwachsen. Für die Stadtplanung bedeutet dies: Entweder wächst der Bezirk mit seinen Problemstellungen einfach um diesen Faktor oder wir nützen dieses Wachstum, um die Strukturen im Bezirk qualitativ zu verbessern.

In der Seestadt können Dinge ausprobiert werden, die nicht immer überall möglich sind. Weltweit stehen Städte vor der Herausforderung, eine belebte, gute Durchmischung von Wohn- und Gewerbeflächen zu erreichen. Natürlich wird man die Entwicklungen in Aspern auch kritisch prüfen müssen. Wir wissen aber, dass bereits europaweit nach Wien geschaut wird, um von uns lernen zu können. Nehmen Sie nur den öffentlichen Verkehr her, der in Wien bereits 27 % im Verkehrsmix einnimmt. Wenn man in Europa wissen möchte, wie es funktioniert, schaut man nach Wien. Die Skeptiker sind widerlegt, die eine Umsetzbarkeit des Ausbaus der U-Bahn-Infrastruktur nach Aspern für nicht möglich gehalten haben. Ebensowenig hat sich die Befürchtung bewahrheitet, keine neuen Unternehmen anziehen zu können.

Wir wollen nun in vielen Bereichen der Stadtentwicklung unsere Innovationsführerschaft halten und innovative Menschen und Unternehmen anziehen. Ein gutes Beispiel dazu ist unser Joint Venture Aspern Smart City Research mit dem Privatpartner Siemens, mit dem wir Energielösungen der Zukunft für die Smart City entwickeln. Es geht jetzt darum, eine kritische Masse zu entwickeln und wir sehen ein hohes Interesse der Bevölkerung, daran teilzuhaben. Viele, die sich hier angesiedelt haben und die hier arbeiten, sehen die Seestadt klar als Innovationsstandort. Hier passiert Neues.

(+) plus: Welche Faktoren sind für den Wirtschaftsfaktor aspern Seestadt wichtig? Und was brauchen die Unternehmen?
Gerhard Hirczi, Wirtschaftsagentur Wien: Es gibt in Wien einen harten Konkurrenzkampf zwischen Wohnbau, Gewerbeflächen und öffentlichen Raum. Ganz oben auf der Prioritätenskala für Unternehmen steht die Verfügbarkeit von Flächen. Wir sind gemeinsam mit der Wien 3420 im Standortmanagement für Betriebsansiedelungen in Aspern zuständig und treffen immer wieder auf Unternehmer, die sich zum Standort Wien bekennen wollen, die aber keine adäquaten Flächen finden. Die Seestadt hat nun eine Chance für Betriebsansiedelungen eröffnet, die wir seit 30 Jahren nicht mehr hatten. Sie bietet ein Metropolenumfeld, aber ohne Nachteile einer Metropole. Der Masterplan der Seestadt sieht eine lokal räumliche Trennung zwischen den wirtschaftlichen Aktivitäten und dem Wohnbau vor, um sich nicht in die Quere zu kommen. Unternehmen nutzen die Übersiedelung nach Aspern auch, um ihre Organisation und ihre Prozesse neu aufzustellen, und um sich ein neues Gesicht nach außen zu geben. Ein gutes Beispiel ist die Firma Hoerbiger, die eben erst die Dachgleiche eines Werkes für 550 Mitarbeiter gefeiert hat. Die Ansiedelungen von Betrieben werden von der Story der Seestadt begleitet: Hier entsteht nicht die 25. Pyjamastadt, in der man als Betrieb ein Anhängsel ist, sondern ein Stadtteil mit einem sehr hohen Anspruch als »Leading Edge« in einem Innovationsumfeld.

(+) plus: Wie viele Arbeitsplätze werden im Endausbau in der Seestadt entstehen?
Gerhard Hirczi: In Summe sollen in der Etappe Süd und in der Etappe Nord ungefähr 20.000 Arbeitsplätze angesiedelt werden. Mit dem Ansiedeln ist es freilich so eine Sache: Wir können Unternehmen bei der Ansiedlung begleiten und Incentives liefern – die Arbeitsplätze werden aber von der Wirtschaft selbst geschaffen. Dies ist auch der große Unterschied zu der herrschenden Riesennachfrage im Wohnbereich – bei den Betrieben haben wir die Aufgabe, entsprechend gute Angebote zu kreieren.

(+) plus: Wie gut kommt der neue Stadtteil tatsächlich bei der Wirtschaft an? 
Gerhard Hirczi: Begonnen hat dies mit dem Gebäude aspernIQ, das wir im Auftrag der Stadt Wien entwickelt haben. Es war ein Statement der Stadt, von Anfang an selbst ein Teil dieses Konzepts zu sein. Das IQ ist auch der erste Nukleus für viele weitere Aktivitäten. researchTUb, eine Tochtergesellschaft der Wirtschaftsagentur, Wien 3420 und der TU Wien, hat im IQ ein Fertigungs-Demonstrationslabor errichtet, das nun in die erste österreichische Pilotfabrik 4.0, die auch hier im Gebäude angesiedelt sein wird, integriert wird. Für die Firma Hoerbiger, die vor Jahren noch verschiedene Standorte geprüft hatte – im Gespräch war sogar die Abwanderung ins Ausland –, waren die ausschlaggebenden Standortfaktoren der Seestadt der hohe Bildungsstandard in Wien, der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften und vor allem die Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Wir haben eine De- facto-Zusage von Atos, einem der größten IT-Dienstleister weltweit, hier eine Unit anzusiedeln und wir beherbergen mittlerweile schon 15 Hightech-Startups im IQ.

(+) plus: Frau Palfy, woran arbeitet die Kerbler Gruppe in der Seestadt? Wie sehen ihre Projekte aus?
Caroline Palfy, cetus Baudevelopment: Das Engagement in Aspern ist auch für uns neu, da wir bislang vornehmlich im Bereich der Althaussanierung tätig waren. Wir sind aber stets offen für Neues, glauben an diesen Standort und entwickeln nun vier gewerbliche Projekte. Eines davon ist das Holzhochhaus »HoHo Wien«, das auf 24 Stockwerken und 19.500 m² Mietfläche Platz für ein Restaurant, ein Hotel, Apartments, Büroflächen und Wellnessbereiche bieten wird. Es wird durch seine Hybridbauweise ein Zeichen für die moderne Stadt setzen. Die weiteren Projekte sind campusartige Bürokomplexe und eine Hochgarage für 540 Stellplätze. Auch hier werden nachhaltige Werkstoffe zum Einsatz kommen. Ein Gebäude wird für einen Großmieter bestimmt sein. In dem anderen Objekt bieten wir Büroflächen, die nicht in direkter Konkurrenz zu innerstädtischen Flächen stehen, sondern einen neuen Ansatz verfolgen. Es sind kleine Einheiten mit Außenbereichen – Balkone, Loggien, Terrassen, Gärten –, ähnlich einem Familienhaus, mit einer Nasszelle in der Mitte. Darin können modular Glas- und Trockenbauwände aufgestellt werden, die mit Gängen variabel verbunden sind. Wächst ein Unternehmen, wachsen auch die Einheiten mit. Dies ist ein Riesenvorteil: Es muss nicht sofort voll ausgebaut werden, sondern entsprechend der Nachfrage.

(+) plus: So werden also die Büros der Zukunft errichtet? Modular?
Caroline Palfy: Ich glaube, dass dies auch innerstädtisch Thema wird. Auf diese Weise kann ein Neubau nachhaltig errichtet und bestmöglich bewirtschaftet werden. Ein weiteres Argument für die Mieter sind sicherlich die energieeffiziente Bauweise eines Gebäudes und Energiekonzepte, die auch die Betriebs- und Facility-Management-Kosten senken.

Gerhard Hirczi: Hier ist das aspernIQ-Gebäude ein gutes Beispiel: Es ist ein Plus-Energie-Gebäude nach Passivhausstandard. Erreicht wird dies durch die Kombination von Einzelmaßnahmen wie einer luftdichten Gebäudehülle, Energierückgewinnung und stromproduzierenden Photovoltaikelementen. Das bedeutet zwar höhere Investitionskosten, die in diesem Fall aber durch eine EU-Förderung abgefangen wurden. In den Betriebskosten ist es rund 1,40 bis 1,50 Euro pro Quadratmeter billiger als Standardgewerbeimmobilien.

Thomas Madreiter: Wir müssen uns die Frage stellen: Sind wir diejenigen, die neue Wege gehen und erfinden? Oder wollen wir zu jenen gehören, die nur nachmachen und anderen Lösungen abkaufen? Innovation bringt Widerstände – aber auch Chancen.

(+) plus: Es gibt auch kontroversielle Themen, etwa bei der Mobilität: Welche Strategie verfolgen Sie hier in der Seestadt? Auf ein genügend großes Parkplatzangebot wird bewusst verzichtet, oder?
Gerhard Schuster: Es wird vieles immer wieder anders dargestellt, als es tatsächlich ist. Strategie ist, den öffentlichen Verkehr – vor allem die U-Bahn – zu bevorzugen und auch auf Fuß- und Radwege zu setzen. Nur dort, wo das Auto die konkurrenzlose Transportmöglichkeit ist, soll es auch eingesetzt werden. Wir gehen davon aus, dass in Zukunft nicht jeder Haushalt in der Stadt auch ein Auto besitzen muss. Für die ersten 2.800 Wohnungen wurden dennoch 1.900 unterirdische Stellplätze geschaffen, 500 gibt es oberirdisch – vorwiegend für Gäste sowie für kurzfristiges Halten und Laden. Wir sehen jetzt schon, dass dies bei weitem nicht zu wenig sein wird.

Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass für den Individualverkehr die S1-Spange, die Stadtstraße schneller fertig wird. Wir können aber in einem strategischen Prozess derzeit jene Betriebe ansiedeln, die nicht auf eine Stadtautobahn angewiesen sind. Langfristig wird sie folgen – viele können aktuell aber auch ohne sie leben.

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