Montag, Dezember 23, 2024

Die Lage auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ist düster, mit einer Besserung in den nächsten beiden Jahren nicht zu rechnen. Die Anzahl der registrierten Beschäftigungslosen wird schon 2016 deutlich über dem Niveau vor der Wirtschaftskrise liegen, obwohl auch die Beschäftigungszahlen steigen. Gleichzeitig stagniert das Budget des Arbeitsmarktservice (AMS), einige Schulungsprogramme wurden bereits gekürzt. Geringer qualifizierte Personen sind aber schwerer vermittelbar – ein Teufelskreis? Report(+)PLUS hat bei Arbeitsmarkt-ExpertInnen nachgefragt.

1. Was sind die Problemgruppen in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit?

Ulrich Schuh, Wissenschaftlicher Vorstand des Instituts EcoAustria: Der hartnäckige Anstieg der Arbeitslosigkeit in Österreich seit dem Jahr 2011 konzentriert sich in auffälligem Maße auf Personen mit niedrigem Bildungs- und Qualifikationsniveau. Die Arbeitslosenquote von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss ist von 15 % im Jahr 2008 auf gegenwärtig 25 % angestiegen. Es muss meines Erachtens zur Kenntnis genommen werden, dass es sich dabei um keine Folge einer Wachstumsschwäche handelt, sondern um ein strukturelles Problem des österreichischen Arbeitsmarkts.

Sandra Müllbacher, Leiterin der Gruppe Arbeitsmarkt und Soziale Sicherheit am Institut für Höhere Studien (IHS): Die stark steigende Arbeitslosigkeit während der letzten Monate ist grundsätzlich auf eine schon länger andauernde schwierige konjunkturelle Lage sowie das weiterhin kräftig zulegende Arbeitskräfteangebot zurückzuführen. Auch die neueste Prognose des IHS erwartet eine anhaltend schwierige Situation am Arbeitsmarkt und erst für 2016 ein merklich anziehendes Wirtschaftswachstum. Dementsprechend ist derzeit eine breite Bevölkerungsschicht von Arbeitslosigkeit betroffen. Dennoch können einige besonders stark betroffenen Gruppen identifiziert werden: Personen mit schlechter Ausbildung, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, MigrantInnen und Ältere, wobei bei letzteren beiden Gruppen auch die Beschäftigung merklich steigt.

Klaus Lercher, Geschäftsführer der Trenkwalder Personaldienste GmbH: Die ökonomische Krise der letzten Jahre hatte große Auswirkungen auf den europäischen Arbeitsmarkt, in beinahe jedem EU-Mitgliedsstaat stiegen die Arbeitslosenzahlen rapide an. Für einige Gruppen ist die Integration in den Arbeitsprozess jedoch noch schwieriger. Dazu gehören zum Beispiel unqualifizierte oder gering qualifizierte Arbeitskräfte, Menschen mit Behinderungen und/oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Arbeitssuchende nach längerer Berufsunterbrechung oder Menschen mit Migrationshintergrund. Um diese Gruppen abzufangen, gilt es frühzeitig spezifische Maßnahmen zur Unterstützung und nachhaltigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu treffen.

2. Muss die Arbeitsmarktpolitik flexibler werden?

Ulrich Schuh: Die österreichische Arbeitsmarktpolitik ist ausreichend dotiert und weist zudem eine sehr breite Palette an Maßnahmen auf. Zu hinterfragen ist allerdings, ob die Gewichtung der Programme erfolgversprechend ist. Auf Basis von wissenschaftlichen Evaluierungen empfehle ich, defensive und kostspielige Maßnahmen wie die Altersteilzeit auslaufen zu lassen. Damit könnte Spielraum geschaffen werden, um gezielte Integrationsmaßnahmen für den Problembereich der gering qualifizierten Arbeitsuchenden auszubauen.

Sandra Müllbacher: Österreich hat im internationalen Vergleich hinsichtlich der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik aufgeholt. In letzter Zeit erfolgte auch eine Mittelumschichtung von kurzfristigen »Aktivierungsmaßnahmen« zu Qualifizierungsprogrammen und Beschäftigungsförderungen. Dies ist positiv zu bewerten: Aktivierungsmaßnahmen sind insbesondere dann erfolgreich, wenn Nachfrage am Arbeitsmarkt besteht, was derzeit kaum der Fall ist. Mit Qualifizierungsprogrammen und Beschäftigungsförderung kann sich die Arbeitsmarktpolitik den besonders betroffenen Gruppen widmen. Allerdings gilt es auch hier Flexibilität im Mitteleinsatz zu bewahren: Grundsätzlich sollten die AMS-BetreuerInnen genügend Entscheidungsgewalt über die Mittelverwendung haben, um für ihre KlientInnen die tatsächlich beste Maßnahme auswählen zu können.

Klaus Lercher: Eine Flexibilisierung ist in der Hinsicht sinnvoll, als Zeitarbeit in der Arbeitsmarktpolitik verstärkt als Instrument etabliert werden muss. Denn Zeitarbeit bietet eine gute Chance, erstmals oder auch erneut ins Arbeitsleben einzusteigen. Die heimischen Zeitarbeitsunternehmen zählen zu den wichtigsten Partnern des Arbeitsmarktservice und sind für den österreichischen Jobmarkt enorm wichtig. Laut einer aktuellen Studie gehen nur 14 % der überlassenen Arbeitskräfte nach dem Ende ihres Einsatzes wieder in der Arbeitslosigkeit zurück. Jedoch werden 51 % vom Betrieb in die Stammbelegschaft übernommen. Die Zeitarbeit erhöht also langfristig die Beschäftigung.

3. Wäre eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber vertretbar?

Ulrich Schuh: Trotz der schwachen Konjunktur und der kräftig steigenden Arbeitslosigkeit weist Österreich – dank einer starken Zuwanderung – weiterhin ein ansehnliches Wachstum der Beschäftigung auf. Dies ist ein Indiz dafür, dass der österreichische Arbeitsmarkt gut funktioniert und die Fähigkeit aufweist, ein steigendes Arbeitskräfteangebot aufzunehmen. Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber erscheint deshalb verkraftbar und würde zu insgesamt positiven Effekten für Wachstum und Beschäftigung führen.

Sandra Müllbacher: Die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt ist derzeit schwierig. Unbefriedigend ist aber auch die existierende Regelung, dass AsylwerberInnen nach dreimonatigem Aufenthalt und einer Bedarfsprüfung am Arbeitsmarkt nur in zwei Branchen (Landwirtschaft und Tourismus) befristet tätig sein dürfen. Eine Möglichkeit wäre es, die bestehende Regelung ohne Befristung auf alle Branchen auszudehnen. Grundsätzlich würden schnellere Verfahren diese Diskussion aber unnötig machen und das Hauptaugenmerk könnte auf die verbesserte Arbeitsmarktintegration anerkannter Flüchtlinge gelegt werden (Sprachkurse, Weiterbildungsmaßnahmen, bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse), sodass bestehende Qualifikationen produktiv am Arbeitsmarkt eingesetzt werden könnten.

Klaus Lercher: Die aktuelle Rechtslage erlaubt Personen, die seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen sind, Zugang zum Arbeitsmarkt. Voraussetzung ist die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung. Aufgrund eines Erlasses werden seit 2004 Beschäftigungsbewilligungen nur für Saisonbeschäftigungen erteilt. Abgesehen davon können Asylwerbende mit ihrem Einverständnis für Hilfstätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Unterbringung stehen oder gemeinnützig sind, herangezogen werden. Eine schrankenlose Öffnung des Arbeitsmarktes würde in Anbetracht der stagnierenden Wirtschaftslage und einer Rekordarbeitslosigkeit aktuell keine Mehrheit finden.

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