MitarbeiterInnen, die unternehmerisch denken und handeln, wünscht sich jedes Unternehmen. Doch eigenständige Entscheidungen lassen die wenigsten zu.
Von Angela Heissenberger
»Wir setzen hohe Leistungsbereitschaft, unternehmerisches Denken, Teamfähigkeit und ständiges Lernen voraus.« Die Grazer Hydraulikfirma legt schon in der Stellenausschreibung ihre Recruiting-Latte bewusst hoch. Gesucht wird aber nicht etwa eine Nachwuchsführungskraft, sondern ein Lehrling. Auch für Jobs im Kundencenter einer Montagefirma oder bei einem Partyservice wird »unternehmerisches Denken« als Qualifikation gefordert. Hört man sich bei Firmenchefs um, was denn darunter zu verstehen sei, werden von »Eigeninitiative« und »Selbstständigkeit« bis zu »Kostenbewusstsein« und »Kundenorientierung« höchst unterschiedliche Erwartungen genannt. Aber warum sollten sich Mitarbeiter mit ihren viel geringeren Gehältern ebenso Gedanken über den Bestand und die Zukunft des Unternehmens machen wie ihre Geschäftsführer? Und ist das eigenständige Denken und Handeln tatsächlich in allen Belangen erwünscht?
Über den Schreibtischrand
Werden große Unternehmerpersönlichkeiten porträtiert, sticht oft ihr Wunsch nach Unabhängigkeit und der Mut zu unkonventionellen Entscheidungen heraus – Eigenschaften, die bei Mitarbeitern eher weniger geschätzt werden. In Zeiten des verschärften Wettbewerbs ist zwar rasches Handeln gefragt, das visionäre, strategische Denken behält das Management in der Regel dennoch lieber für sich reserviert. Auch die Risikobereitschaft steht seit der Finanzkrise in anderem Licht. Kreativität, Eigeninitiative beim Lösen von komplexen Problemen und Interesse am sparsamen Ressourceneinsatz werden inzwischen überall gern gesehen. Dahinter steht der Wunsch nach mehr Vernetzung der unterschiedlichen Funktionsbereiche innerhalb des Unternehmens. Jeder Mitarbeiter soll über den eigenen Schreibtischrand hinausblicken, auch einmal einen anderen Weg ausprobieren. Genau das Gegenteil ist aber bis heute in den meisten Betrieben Realität. Jahrzehntelang hatte »der Chef« das alleinige Sagen. Die Mitarbeiter erfüllten gehorsam die ihnen übertragenen Aufgaben. Eigenständiges Entscheiden oder Einmischen in andere Kompetenzbereiche war unerwünscht. Mitarbeiter und junge Führungskräfte, die wiederholt Vorschläge brachten, fielen in diesem Gefüge negativ als »Besserwisser« auf. Fehler wurden bisweilen sogar sanktioniert. Auch wenn inzwischen ein anderes Credo gilt, hat sich an den Strukturen nicht allzu viel geändert. »Zahlreichen Unternehmensführern graust es insgeheim bei der Vorstellung von vielen kleinen Unternehmern in ihrer Organisation. Denn sie befürchten: Dann kann ich das Unternehmen oder meinen Bereich nicht mehr steuern und kontrollieren«, schreibt Unternehmensberater Ulrich Dressel. Agiert jeder Mitarbeiter so, wie er es für richtig hält, würde das Chaos ausbrechen, glauben viele Führungskräfte und bremsen bewusst den Gestaltungswillen.
Leadership 3.0
Dabei gerät keineswegs das ganze System in Wanken. Nicht alle Beschäftigten werden plötzlich zu Entrepreneuren, die am liebsten alles auf den Kopf stellen. Freigeister, die vor Ideen nur so sprühen, bleiben die Ausnahme. »Es braucht ein Gefüge, Administratoren sind auch weiterhin notwendig. Vielmehr geht es darum, dass die Mitarbeiter mehr mitdenken«, sagt Christian R. Dickmann, Geschäftsführer der Beratungsfirma Seven Tools: »Wenn ein Arbeiter an einer Maschine einen Fehler bemerkt und ohne zu überlegen gleich den Servicetechniker anfordert, dieser von Wien nach Linz fährt und sieht, dass nur ein Schalter verstellt war, sind die Kosten durch den Stillstand und für den Serviceeinsatz enorm.« Würde der Mitarbeiter ebenso leichtfertig handeln, wenn es seine eigene Firma wäre? Oder prüft er zuerst, ob vielleicht nur eine Kleinigkeit vorliegt? Für Dickmann ist das auch eine Frage der Unternehmenskultur: »Die Haltung muss sich verändern, dann hätten die Unternehmen schon viel gewonnen. Andererseits muss es seitens der Führungskräfte auch Wertschätzung geben.« Die Bereitschaft zu mehr Engagement ist prinzipiell vorhanden, wie eine 2014 präsentierte Haufe-Studie unter 12.000 Arbeitnehmern mit und ohne Führungsverantwortung in Deutschland, Österreich und der Schweiz belegt. Knapp drei Viertel der Befragten gehen davon aus, dass ihr Unternehmen erfolgreicher wäre, wenn sie sich stärker in Entscheidungen einbringen könnten. 69 % wünschen sich mehr Verantwortung. Die Unternehmen können davon eigentlich nur profitieren: Denn 77 % der Mitarbeiter bestätigten, dass sich die stärkere Einbindung positiv auf ihre Motivation und Leistungsbereitschaft auswirkt. Dem Wunsch der Mitarbeiter sollte ein modernes Management Rechnung tragen, so Joachim Rotzinger, Geschäftsführer bei Haufe-Lexware: »Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter an Unternehmensprozessen partizipieren. Tun sie das nicht, riskieren sie kurz- bis mittelfristig ein abnehmendes Engagement ihrer Belegschaft und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Leadership 3.0 ist ein Führungskonzept, in dem Mitarbeiter zu Mitunternehmern werden – und damit auch Verantwortung übernehmen.«
Viele kleine Unternehmer
Obwohl immaterielle Anreize bekanntlich dauerhafter motivieren, denken einige Unternehmen beim Stichwort »Mitunternehmertum« in erster Linie an finanzielle Beteiligungsmodelle. Die Mitarbeiter werden für ihr Engagement durch Bonuszahlungen oder Aktien belohnt. Der Anreiz ist also direkt an den Erfolg der Firma geknüpft. Kein ausreichendes Konzept, wie Rolf Wunderer, Partner des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen und Doyen auf dem Gebiet der Mitarbeiterführung, kritisiert: »Da Mitunternehmer primär eigenmotiviert sind, bevorzugen sie statt Anreizsystemen den Abbau von Motivationsbarrieren.« Geht es dem Unternehmen nur darum, Risiken abzuwälzen und die Gehälter zu drücken, empfinden die Mitarbeiter die vorgebliche Partizipation als Hohn. Dazu kommt die Unberechenbarkeit volatiler Märkte: Nach einem Börsenabsturz bleibt statt der erhofften »Intrapreneurship«, also internes Unternehmertum, ist nach Meinung der Experten ein Top-down-Prozess. Statt nur die mangelnde Eigeninitiative der Mitarbeiter zu beklagen, müssten zuerst die Führungskräfte an ihren Kompetenzen arbeiten, ist Ulrich Dressel überzeugt: »Wenn unternehmerisches Denken und Handeln in einer Organisation verankert werden sollen, dann ist zunächst ein Umdenken und Neulernen der oberen Führungskräfte nötig. Doch dies spiegelt sich leider in den meisten Personalentwicklungskonzepten nicht wider. Sie setzen in der Regel den Fokus einseitig auf die Mitarbeiter. Übersehen wird, dass auch ihre Vorgesetzten die Fähigkeit entwickeln müssen, Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln zu lassen.« Bianca Prommer, die vorwiegend Industriebetriebe mit mehr als 200 Mitarbeitern berät, plädiert für klare Ziele und mehr Wertschätzung: »Führungskräfte sollten eine motivierende Vision vorgeben, damit alle Mitarbeiter ein Bild vor Augen haben, wohin es in den nächsten Jahren gehen soll«. Gleichzeitig sollten Führungskräfte ausdrücklich betonen: »Um dieses Ziel zu erreichen, brauche ich von jedem Einzelnen Unterstützung.« Für die Unternehmen sei der Schritt zu mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung eine Win-win-Situation, meint Seven Tools-Chef Dickmann: »Die Identifikation mit dem Betrieb wird auf jeden Fall größer. Das Motto ›Wir ziehen an einem Strang‹ ist dann nicht bloß eine Metapher.«
Glossar: Rahmenbedingungen
1. Sollen: Wenn Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln sollen, muss das in den Werten und Normen einer Organisation verankert sein, klar kommuniziert und tatsächlich gelebt werden. Hilfreich ist die Orientierung an erfolgreichen Beispielen. Das Hervorheben guter Ideen wirkt positiv und schafft soziale Akzeptanz.
2. Dürfen: Unternehmerisches Denken braucht für eine erfolgreiche Umsetzung Handlungsspielräume. Führungskräfte müssen den Mitarbeitern Entscheidungskompetenz und Gestaltungsmöglichkeiten zugestehen und eigenständige Entwicklungen geradezu einfordern, ohne eine Richtung aber allzu stark vorzugeben. Straffe Kontrolle behindert die Entfaltung kreativer Lösungen. Das vernünftige Eingehen von Risiken sollte ebenso wie eine gewisse Fehlertoleranz akzeptiert sein.
3. Wollen: Schon bei der Personalauswahl sollte auf bestimmte Eigenschaften geachtet werden, z.B. Mitarbeiter, die gerne eigenständig arbeiten, in der Lösung von Problemen einen Ansporn sehen, erfolgsorientiert sind und eine gewisse Risikofreude zeigen. Anreizsysteme können das unternehmerische Denken fördern. Materielle Anreize wie eine variable Vergütung oder eine Erfolgsbeteiligung sind direkt mit dem Geschäftsgang des Unternehmens verbunden. Nicht-materielle Anreize wie Anerkennung und das gemeinsame Erfolgserlebnis wirken nachhaltiger.
4. Können: Um unternehmerisch aktiv sein zu können, müssen die Mitarbeiter über die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen verfügen. Fach- und Sozialkompetenzen können auch gezielt entwickelt werden. Neben den finanziellen Mitteln, die Mitarbeiter für ihre Projekte benötigen, trägt das Personalmanagement auch für deren Gesundheit Verantwortung. Intrapreneure stehen besonders unter hoher Belastung und Stress und neigen stärker dazu, die Zeichen von Überbeanspruchung zu verdrängen, um ihr Ziel zu erreichen.