Samstag, November 16, 2024

Christian Petz kochte einst das Palais Coburg mit vier Hauben und zwei Michelin-Sternen in den Gourmethimmel und kehrte der Luxusküche gleich darauf den Rücken. Am Wiener Badeschiff zeigte der Starkoch exzellente Kochkunst in unprätentiösem Rahmen – ein Konzept, das er nun in einem einfachen Gasthaus zur Vollendung führt. Was er von Eckart Witzigmann gelernt hat, über Bröselnudeln und warum »Bio« nicht auf seiner Speisekarte steht, erzählt er im Report(+)PLUS-Interview.

Von Angela Heissenberger

(+) Plus: Seit der Eröffnung des »Gußhaus« kommt die Gourmetszene aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?


Christian Petz: In dieser Form nicht. Das hat mich, ehrlich gesagt, auch ein bisschen überrumpelt. Vielleicht war ich auch blauäugig. Die meisten Leute haben gesagt: Was hättest du denn geglaubt? Wahrscheinlich unterschätze ich mich lieber, als mich zu überschätzen. Das war jedenfalls ziemlich wild.

(+) Plus: Spricht es nicht auch gegen die Spitzengastronomie, wenn ihr ein gutbürgerliches Gasthaus den Rang abläuft?

Petz: Ich weiß nicht, ob wir hier jemandem den Rang ablaufen. Das würde ich so nicht behaupten. Aber ich glaube schon, dass es ein Zeichen der Zeit ist. Das ist ja auch der Grund, warum ich so etwas mache. Mir ist es selbst auf die Nerven gegangen, wie manches in der absoluten Oberliga ausufert. Der Aufwand ist mittlerweile viel zu hoch. Man kann dort mit sehr guter Küche und guten Ideen kaum mehr reüssieren, weil hochkompliziertes Siebenerlei und Konstruktionen auf den Teller gebracht werden, bei dem ich nicht mehr mit will.

(+) Plus: Woher kommt Ihr Faible für das »Nose to Tail«-Konzept, wo alle Teile eines Tieres verarbeitet werden?

Petz: Ich bin in einem Wirtshaus aufgewachsen, in dem vernünftig gekocht wurde. Mein Großvater hat selbst geschlachtet. Wenn man die aktuelle Entwicklung mitbekommt, dass eigentlich nur mehr sogenannte »Edelteile« wichtig sind und noch dazu in einer ganz seltsamen Form von Qualitätsbewusstsein – Hauptsache, es ist mager –, da kann ich nur noch den Kopf schütteln. Ein Filet von irgendeinem Viech interessiert mich nicht. Das ist sowas von fad. Da nehme ich lieber ein anderes Teil und mach was Lässiges draus. Es schmeckt doch viel besser, wenn etwas durchzogen und ein bissl fett ist.

(+) Plus: Manche Ihrer Speisen haben die Gäste schon seit der Kindheit nicht mehr gegessen. Ist daran auch die Einheitsküche der Restaurants schuld?

Petz: Vor kurzem hatte ich Bröselnudeln auf der Karte. Da erzählen meine Gäste: »Das hat das letzte Mal meine Oma gekocht.« Viele Sachen kennen meine Lehrlinge gar nicht mehr. Ich bin aber noch damit aufgewachsen – daran sieht man, es geht wirklich ein Stück Kultur verloren. Mir geht es um den Verlust der Küchenkultur, speziell der Wiener Küche, aber auch um den Respekt vor den Lebensmitteln und dem Tier. Man kann doch nicht sagen, diesen Teil verwende ich und den Rest schmeiß ich auf den Misthaufen. Das geht nicht.

(+) Plus: Viele Kinder kennen bestimmte Gemüsesorten nicht mehr und wissen nicht, woher Lebensmittel stammen. Sehen Sie darin den Grund für viele Gesundheitsprobleme?

Petz: Selbstverständlich. Was man wirklich einführen sollte, ist Ernährungslehre für Kinder ab der ersten Klasse Volksschule. Das ist nicht das Allheilmittel, aber das Einzige, das den Verfall ein wenig aufhalten könnte. Ich meine damit nicht nur den Verfall der Esskultur, sondern auch den körperlichen Verfall der Gesellschaft.

(+) Plus: Sie haben das Palais Coburg am Gipfel Ihres Erfolgs mit vier Hauben verlassen. Haben Sie diesen Entschluss jemals bereut?

Petz: Ich war damals für das gesamte Haus – Restaurant, Veranstaltungsräume, Bistro, Bar, Frühstück für die Hotelgäste – verantwortlich. Spätestens mit der vierten Haube habe ich gesagt, das kann ich nicht mehr. Ich will mich auf das Restaurant konzentrieren können. Das wollte die Geschäftsleitung nicht und deshalb hab ich es gelassen. Ich habe nie einen Schritt in meinem Leben bereut, keinen einzigen. Auch beim »Badeschiff« war es so – wenn es nicht mehr passt, muss man halt Schluss machen.

(+) Plus: Mussten Sie sich Trends beugen und beispielsweise Molekularküche anbieten?

Petz: Das musste ich nicht. Zum Teil habe ich natürlich einiges ausprobiert, aber nie als Selbstzweck, sondern als Bestandteil eines Gerichts oder um andere Techniken anzuwenden. Eigentlich habe ich mich aber immer eher gegen Trends gesetzt und versucht, ihnen auszuweichen. Sobald ich gemerkt habe, dass etwas zur Mode wird, habe ich sehr schnell damit aufgehört.

(+) Plus: Verlangen die Gäste nicht danach?

Petz: Das ist mir aber wurscht.

(+) Plus: Sie haben in Ihren Wanderjahren u.a. bei Eckart Witzigmann gearbeitet. Geht es bei diesen Adressen nur um berühmte Namen im Lebenslauf oder kann man sich von großen Köchen tatsächlich etwas abschauen?

Petz: Es ist ein Grundfehler, zu glauben, man kann nichts lernen. Selbst wenn man sieht, wie es nicht geht, hat man etwas gelernt.

(+) Plus: Haben Sie bei ihm gelernt, wie es geht oder wie es nicht geht?

Petz: Wie es geht, kann man nur ganz selten sehen. Man kann sich etwas davon abschauen, was einem selbst wichtig ist. Na klar war die »Aubergine« eine wichtige Station für mich, in vielfacher Hinsicht. Ich habe sehr viel gelernt – und da geht es nicht unbedingt ums Kochen und Rezepte, sondern eher um Philosophie: Was kann ich mit Lebensmitteln anfangen? Wie geht man mit Gästen um, mit der Öffentlichkeit? Auch Belastbarkeit ist ein Thema.

(+) Plus: Viele Spitzenköche pflegen einen recht autoritären Führungsstil. Wie ist es bei Ihnen?

Petz: Das bringt der Beruf mit sich. Ich glaube, es geht kaum anders. Ich bin sicher sehr autoritär. Aber es kommt auch immer darauf an, mit wem man arbeitet und wie gut man sich kennt. Es gibt Leute, mit denen man auf der gleichen Welle ist, da gibt es keine Aufgeregtheiten. Mit manchen funktioniert es halt weniger gut, weil man nicht gleich denkt. Dann wird es schwieriger.

(+) Plus: Haben Sie Ihr Team im »Gußhaus« ganz neu zusammengestellt?

Petz: Im Moment sind drei in der Küche, mit denen ich schon gearbeitet habe. Einer davon begleitet mich seit meinen Zeiten im »Meinl am Graben«. Es ist schön, dass einige Leute immer wieder kommen.
 
(+) Plus: Die Branche klagt über Arbeitskräftemangel. Ist das Problem hausgemacht?

Petz: Das ist kein Wunder, die sollen einmal anfangen, Mitarbeiter auszubilden. Ich habe drei Lehrlinge, und das ist wirklich nicht einfach. Aber ich will sie ausbilden und ich glaube, die können auch etwas lernen bei mir. Wenn sie hier drei Jahre gearbeitet haben, können sie überall bestehen.

(+) Plus: Sind junge Menschen heute nicht mehr bereit, sich voll reinzuhängen?

Petz: Das ist alles ein Schmarrn. Ich höre das sehr ungern. Wir müssen akzeptieren, dass sich hier etwas geändert hat. Das ist auch gut so. Deshalb müssen wir auch unsere eigene Einstellung ändern. Auch ich bin gefordert, meine Art auszubilden zu ändern – sonst passt das nie zusammen. Das ist zum Teil wirklich mühsam. Aber ich sehe es auch als gesellschaftliche Verpflichtung.

(+) Plus: Hat der Beruf des Kochs durch die TV-Kochshows eine gewisse Aufwertung erfahren?

Petz: Oberflächlich vielleicht, aber in Wahrheit kaum. Die Leute kochen deswegen auch nicht mehr. Sie brauchen nur im Supermarkt zu schauen, wie viele Fertiggerichte es inzwischen gibt. Die Spezialangebote sind nur Makulatur, da geht es rein ums Image. Dahinter wird nur Schrott verkauft und zwar in Unmengen. Da geht es auch um den Preis, aber hauptsächlich um die Wertigkeit.

(+) Plus: Versuchen Sie in diese Richtung Überzeugungsarbeit zu leisten?

Petz: Das mache ich intern, indem ich nur beste Qualität auf den Teller bringe. Ich halte vieles im Verborgenen. Da muss ich nicht auf irgendeiner Welle mitreiten. Mir geht es um mein Seelenheil und darum, die Umwelt möglichst wenig zu schädigen. Ich verarbeite großteils Biofleisch, das steht aber nicht auf der Karte. Das Backhendl ist zum Beispiel ein »Label rouge«-Freilandhendl aus Frankreich vom Allerfeinsten. Das weiß nur keiner.

(+) Plus: Warum schreiben Sie es nicht auf die Karte?

Petz: Mir geht dieses Namedropping ziemlich auf die Nerven. Ich weiß, wie viel gelogen wird in der Gastronomie. Ich will mich nicht auf diese Ebene begeben. Fahren Sie einmal zum Neusiedler See: Wie viel Zander dort angeboten werden, die gibt es in zehn Neusiedler Seen nicht. Der steht auf der Karte mit 7,90 Euro, das kann sich schon vom Preis her nicht ausgehen. Wenn der Teller kommt, sehe ich mit einem Blick, das ist ein schwedischer Fisch aus dem Tiefkühler. Höchst renommierte Betriebe schreiben Sachen auf die Speisekarte, die gibt es gar nicht in dieser Menge, in dieser Jahreszeit und zu diesem Preis. Das sind Betrüger. Da mach ich nicht mit.


Zur Person

Christian Petz wurde 1963 geboren und wuchs in Grein in Oberösterreich auf. Bereits als Kind half er im elterlichen Gasthaus mit. Die Hotelfachschule Bad Ischl brach Petz ab und begann eine Lehre in Bad Gastein, die er im Hotel Ifen im Kleinwalsertal fortsetzte. Danach führten ihn seine »Wanderjahre« zu Jörg Müller auf Sylt, in den Königshof München, ins Restaurant Aubergine zu Eckart Witzigmann und ins Hilton Plaza in Wien zu Werner Matt. 1990 begann Petz als Küchenchef im Hotel Post in Lech am Arlberg und erreichte die Bewertung von zwei Gault-Millau-Hauben. 1995 wechselte er als Küchenchef ins Palais Schwarzenberg in Wien, dessen Niveau er ebenfalls auf zwei Hauben hob. 1999 konzipierte er mit Karl Seiser die Eröffnung des Restaurants Meinl am Graben, heimste auch dort bereits im ersten Jahr zwei Hauben und im Jahr darauf drei Hauben ein. 2002 wurde Petz zum »Trendsetter des Jahres« (Bertelsmann) und »Koch des Jahres« (Gault-Millau) gekürt. 2003 übernahm Petz gemeinsam mit Seiser die Geschäftsführung des Palais Coburg und zeichnete für Restaurant, Bistro und den renommierten Weinkeller verantwortlich. Als Küchenchef erkochte er dort einen Stern im Guide Michelin, fünf Sterne im Guide A la Carte und vier Hauben bei Gault-Millau, nahm aber 2009 Abschied von der Luxus-Küche. Von 2010 bis 2013 kochte Petz im legeren Ambiente des Badeschiffs am Wiener Donaukanal und wurde auch dort mit zwei Hauben gekrönt. Am 15. Jänner 2015 eröffnete er sein eigenes Lokal Petz im Gußhaus hinter der Wiener Karlskirche.

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