71 % aller Neukunden kaufen nur ein einziges Mal. Trotz steigender Investitionen in Promotion und Vertrieb sinkt die Käuferreichweite merklich. Marketingstrategen müssen einen schwierigen Spagat schaffen – neue Kunden gewinnen und Stammkunden bei Laune halten.
Von Angela Heissenberger
»Der Verkauf eines Autos ist nicht der Abschluss eines Geschäftes, sondern der Beginn einer Beziehung«, soll der Automobilfabrikant Henry Ford gesagt haben. Sein unternehmerischer Weitblick besitzt noch heute Gültigkeit. Unter Marketingexperten gilt die Formel: Einen Neukunden zu akquirieren, ist mindestens fünfmal teurer, als einen Bestandskunden zu halten. Bis ein Erstkäufer zum Stammkunden wird, sind viel Aufmerksamkeit, Zeit und Einsatz vonnöten. Kunden zu halten, wird jedoch auch immer schwieriger. 41 % aller Herstellermarken verlieren pro Jahr ein Drittel ihrer Stammkunden, wie eine gemeinsame Studie der deutschen Agentur serviceplan und des Marktforschungsinstituts GfK belegt. Die Rückgänge versuchen Unternehmen meist durch eine hektische und ineffiziente Markenführung wettzumachen – mit wenig Erfolg. Spätestens nach zwei Jahren schlagen sich die Verluste mit schrumpfenden Marktanteilen zu Buche. Für die schwindende Treue macht serviceplan-Geschäftsführer Peter Haller den Zickzackkurs vieler Unternehmen bei der Präsentation ihrer Marken verantwortlich. Fast die Hälfte der 100 wichtigsten Marken tausche alle zwei Jahre den Werbeslogan oder ihr Testimonial aus. Im selben Rhythmus wechsle nämlich auch oft der Marketingleiter – und dieser wolle seine Handschrift hinterlassen.
Emotionale Bindung
Gute Freunde kann nichts ersetzen. Das gilt auch für Stammkunden, die besten Freunde einer Marke, wenn man so will. Sie sind loyal und halten einem Produkt über viele Jahre die Treue, manchmal ein Leben lang. Diese Loyalität ist jedoch im Schwinden. Die Konsumenten sind beweglicher geworden. Sie wollen ihre Individualität ausleben – selbst wenn sich die nur darin zeigt, jedes Mal eine andere Zahnpasta auszuprobieren. Hersteller versuchen, die Abgänge von Stammkunden durch Gelegenheitskäufer auszugleichen. »Für einen Stammkunden benötigen sie aber eineinhalb Gelegenheitskäufer, um den Verlust aufzuwiegen«, meint Peter Haller. Preispromotions, Werbeaktionen und Sortimentserweiterungen können die Aufmerksamkeit der Kunden nur kurzfristig auf sich ziehen. Im Gegensatz zu diesen »Burnout Brands«, die trotz großer Bemühungen stetig an Wert verlieren, gelingt es 34 % der Marken, sich auf der emotionalen Ebene zu positionieren. Der große Vorteil: Die emotionalen Eigenschaften eines Produktes können nicht kopiert werden. Diese »Growth Brands« stellen in der Werbung längst nicht mehr das Produkt in den Mittelpunkt, sondern transportieren Stimmung, Lebensfreude und das Gefühl, einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören. Coca-Cola spielt seit Jahrzehnten höchst erfolgreich mit dieser Art von Selbstinszenierung. »Bei Blindverkostungen gewinnt meist Pepsi. Zeigt man aber bei Tests die Flasche, schneidet immer Coca-Cola besser ab«, zollt GfK-Country Manager Ulf Schätzel Respekt. Auch BMW zelebriert in seinen Werbekampagnen pure »Freude am Fahren«. Technische Daten werden in dieser »konsequent konsumentbezogenen Strategie«, so Schätzel, bewusst ausgespart. Eine emotionale Bindung aufzubauen, dauert Jahre und ist keine Garantie für ewige Treue. Selbst alte, bewährte Marken wie Nivea oder Porsche müssen ihren Stellenwert stetig verteidigen. Das gelingt durch fokussierte Imagepflege, aber auch über die Wahl des richtigen Medienumfelds. Sämtliche Komponenten des Marktauftrittes müssen mit der emotionalen Positionierung stimmig sein.
Erlebniseinkauf
Was in der serviceplan-Studie in erster Linie für Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs gilt, lässt sich als Trend auch in den anderen Bereichen ablesen. Mühselig neu gewonnene Kunden bleiben bald wieder fern, 71% kaufen gar nur ein einziges Mal. Von den 720 Marken, die Ende 2014 untersucht wurden, verlieren rund 55% Käufer und nur 44% gewinnen neue dazu. Aber auch Marken mit steigender Reichweite können nur die Hälfte ihrer Käufer als Stammkunden gewinnen. Am stärksten betrifft das Marken im Mittelfeld. Während das Premiumsegment leicht wächst und der Diskontbereich stagniert, beobachten Handelsexperten eine Abkehr von Traditionsmarken zu billigeren Marken desselben Konzerns. Im Supermarkt sind das die Eigenmarken des Handels, bei Autos ist das etwa Skoda statt VW. Beiden bringt der Konsument gleichermaßen Vertrauen entgegen, die Qualität passt, der Preis ist aber eine Spur günstiger. Der Mehrwert für den Kunden besteht einzig in der Beziehung zur Marke, die für ihn emotional besetzt ist. Der Handel - durch die zunehmende Verlagerung in Online-Shops schwer unter Druck – will über die Erlebnisschiene wieder mehr Menschen in die Geschäfte locken: Einkaufen soll zum Event werden. Möbelhäuser laden zum Dinner für die ganze Familie, Parfümerieketten bieten ihren Kundinnen Make-up-Beratung und Fotoshootings, Modetempel adeln die Vorstellung der neuen Kollektion als exklusive Preview. Die positiv konnotierte Erinnerung soll sich möglichst im Einkaufsverhalten niederschlagen. Denn Stammkunden sind zwar meist die kleinste Käufergruppe, aber auch die effektivste. Jeder Stammkäufer gibt doppelt so viel Geld aus wie ein einzelner Gelegenheitskäufer. Noch wichtiger ist jedoch ihre Rolle als Sprachrohr. Gelingt es, über soziale Medien eine starke Community zu formieren, die sich intensiv über die Marke und ihre Produkte austauscht, ist bereits der erste Schritt in Richtung Emotionalisierung getan. Mundpropaganda ist Gold wert, da persönlichen Empfehlungen in der Regel mehr Glauben geschenkt wird als anonymen Werbebotschaften. Gerade Social Media wird als Kommunikationskanal aber noch vielfach unterschätzt oder – teilweise auch aufgrund fehlender Ressourcen – recht unprofessionell betreut.
Wo der Schuh drückt
Wie ihre Kunden wirklich ticken, wissen ohnehin nur wenige Unternehmen. Selbstbild und Fremdwahrnehmung sind recht subjektiv und klaffen oft weit auseinander. Dazu kommen Berichte der Außendienstmitarbeiter, die mäßige Erfolge in eigenem Interesse gerne etwas beschönigen. Wenn die Umsätze sinken, ist es oft schon zu spät. Die Kunden haben längst das Weite gesucht. Unter nehmensber ater Lambert Gneisz, dessen Führungskräfte-Monitor »Der Performer« mehrfach ausgezeichnet wurde, hat nun einen Kundendialog-Performer entwickelt. Die Kunden werden dafür auf elektronischem Weg zu einem Kurzdialog eingeladen. Zwei, drei Fragen loten die Zufriedenheit mit der Geschäftsbeziehung aus, eine offene Frage à la »Was ist Ihnen besonders wichtig?« gibt zusätzlich die Möglichkeit zum freien Kommentar, wo gerade der Schuh drückt. In ein bis zwei Minuten ist die Befragung erledigt – eine Zeitspanne, die den meisten Kunden erträglich erscheint. Führungskräfte können dieses Stimmungsbarometer in Echtzeit via Handy abrufen und bei Bedarf sofort Maßnahmen setzen. Schon ab der zweiten Befragung lassen sich mithilfe der Ampelgrafik Trends ablesen: Was Kunden gefällt, welche Kunden auch gerne mehr kaufen würden und wie sie das Unternehmen prinzipiell sehen. »Die Geschäftsführer und Verkaufsleiter sind nicht auf Gerüchte angewiesen, sondern erhalten eine objektive Darstellung«, erklärt Gneisz. Wie die Praxis zeigt, fallen die Bewertungen durchaus überraschend aus. Ein Unternehmen, das an seiner Innovationskraft zweifelte, wurde zwar als fortschrittlich bewertet, dafür klagten auffallend viele Kunden über unfreundliche Behandlung. An diesem Ergebnis hatte der Auftraggeber zunächst zu schlucken, es half aber, sofort die richtigen Hebel in Gang zu setzen.
Kunden zweiter Klasse
Eine solch intensive Pflege bestehender Geschäftsbeziehungen haben dennoch nur wenige Unternehmen im Fokus. Bestandskunden werden weitaus weniger umworben und umsorgt als Neukunden. Egal ob TV-Anschluss, Handyvertrag oder Sparkonto – winken zum Vertragsabschluss noch fette Rabatte und zusätzliche Goodies als Prämie, folgt spätestens im zweiten Jahr die Ernüchterung. Der Bonus fällt weg, und gemessen an den aktuellen Billigtarifen und Leistungspaketen erscheinen die »normalen« Konditionen plötzlich völlig überhöht. Langjährige Stammkunden können von so viel Zuwendung, wie sie wechselwilligen Interessenten zuteil wird, nur träumen. Für pünktlich bezahlte Rechnungen oder still akzeptierte Tariferhöhungen gibt es nie eine Belohnung. Oft werden sie bei der Umstellung auf neue Technologien sogar benachteiligt: Den Umstieg auf Breitband ließen sich einige Telekommunikationsunternehmen teuer bezahlen, obwohl ihre Kunden schon vom Preisverfall der vergangenen Jahre nicht profitiert hatten, weil ihre Verträge nie angepasst wurden. Treue ist offenbar nichts wert. Anne M. Schüller, Expertin für Loyalitätsmarketing und Autorin des Bestsellers »Kunden auf der Flucht«, nennt Bestandskunden deshalb »Zweite-Klasse-Kunden«: »Unternehmen geben meist so unglaublich viel Geld aus, um neue Kunden zu betören. Doch kaum sind sie endlich eingefangen, wird an allen Ecken und Enden gespart: Mitarbeiter werden nicht trainiert. Sie werden schlecht geführt, haben keinen Spielraum und keine Ideen, um Kunden zu begeistern und schließlich zu loyalisieren.« Ihr Fazit: »Treue wird nicht belohnt, sondern bestraft.« Eine Taktik, die sich schon bald rächen könnte, so Schüller: »Sobald sich ein Kunde enttäuscht, angeödet, gemobbt oder sonstwie schlecht behandelt fühlt, beginnt er sofort, über einen Wechsel nachzudenken. Und das wird er in Zukunft immer gnadenloser tun.« Schlaue Konsumenten verfolgen ohnehin bereits eine andere Strategie: Im Jahresrhythmus werden Zeitungsabos, Energieversorger und Mobilfunkanbieter gewechselt. Mühsam? Natürlich, genau darauf vertrauen die Unternehmen ja auch. Sie wissen, dass der Großteil ihrer Kunden für derlei Aktivitäten noch schlicht zu faul ist. Manchmal hilft schon die fristgerechte Kündigung eines bestehenden Vertrags, um endlich auch in den Genuss des Werbens zu kommen. Ist der Kundenservice auf Zack, flattert umgehend ein Offert ins Haus, das an die Konditionen für neugeworbene Kunden recht nahe herankommt. So lässt man sich vielleicht doch noch umstimmen, beim alten Anbieter zu bleiben. Ewig Neukunde bleiben, lautet die Devise.
Fakten: Kundenlebenszyklus
1. Interessent: In dieser Phase steht die Gewinnung eines Neukunden im Mittelpunkt. Das Interessentenmanagement umfasst alle aktiven Vertriebsmaßnahmen wie Adressengenerierung, Mailingaktionen, Telefonakquise, Präsentation und Angebotsabgabe.
2. Neukunde: Auch in dieser Phase ist noch kein Profit zu machen. Das Neukundenmanagement konzentriert sich zunächst auf jene Tätigkeiten, die nach Vertragsabschluss ausgeführt werden müssen, wie das Erfassen der Verträge und Kundendaten, die Koordination der Lieferung und das Rechnungswesen.
3. Bestandskunde: In dieser Phase erreicht der Kundenlebenszyklus seinen Höhepunkt, jetzt kann der höchste Gewinn erwirtschaftet werden. Ist ein Käufer zum Bestandskunden geworden, gilt es, ihn für einen möglichst langen Zeitraum zu halten. Wesentliche Grundlage dafür ist die Kundenzufriedenheit. Ein Kunde verhält sich umso loyaler, wenn er wertschätzend behandelt wird und seine Wünsche und Erwartungen erfüllt werden.
4. Verlorener Kunde: Diese Phase ist vor allem für jene Branchen relevant, in denen Kunden sehr rasch und häufig Produkte wechseln. Das Rückgewinnungsmanagement ist deutlich günstiger als die Neukundenakquise, da die Bedürfnisse des Kunden dem Unternehmen bereits bekannt sind und auf bestehendes Adressmaterial zurückgegriffen werden kann. Auch der Kunde selbst kennt das Unternehmen und die Produkte bereits – allerdings kann die Beziehung durch negative Erfahrungen belastet sein.
5. Zurückgewonnener Kunde: Konnte der Kunde neuerlich in den Bestandskundenstamm aufgenommen werden, sollte das Ziel nun eine möglichst dauerhafte Beziehung sein. Kundenbefragungen bringen Feedback und Anregungen zur Verbesserung der Produkte und Leistungen und sind ein erster Schritt zur Kundenbindung. Beschwerden sollten immer ernst genommen und prompt bearbeitet werden. Kunden, die sich stark mit dem Unternehmen verbunden fühlen, sind weniger wechselwillig und tragen dieses Wir-Gefühl als Botschafter nach außen.
Buchtipp: Der flüchtende Kunde
Konsumenten sind so informiert, kritisch und wechselfreudig wie noch nie.
Die Treue zu einer Marke oder einem Anbieter sinkt stetig – aber nicht nur aus Lust, etwas Neues auszuprobieren. Nach Ansicht der Autorin haben die Unternehmen an dieser Wechselbereitschaft selbst wesentlichen Anteil. Austauschbarkeit, Preis-Aktionismus, emotionale Kälte und ständig wechselnde Ansprechpartner tragen dazu bei, Kunden zu verärgern und in die Hände der Mitbewerber zu treiben. Alle Ressourcen sind einzig auf die Neukundenakquise ausgerichtet, während Millionen von Stammkäufern nur noch als selbstverständliche Bestandsmasse verwaltet werden. Das Hegen und Pflegen ist auf Dauer wirkungsvoller als das Jagen von Kunden, meint Anne M. Schüller. Unternehmen müssen Kundentreue wieder belohnen, fordert die Managementberaterin. Herkömmliche Kundenbindungsprogramme reichen aber nicht aus, wenn sie nicht auf der emotionalen Ebene, also »mit ganzem Herzen«, ansetzen. Das bereits in dritter, aktualisierter Auflage erschienene Buch liefert das nötige strategische und praktische Rüstzeug für die operative Umsetzung. Der Kundenkontakt (»Touchpoint«) nimmt dabei eine zentrale Stellung ein. Denn das beste und günstigste Marketing ist noch immer die Weiterempfehlung. Voraussetzung dafür sind jedoch zufriedene, loyale Kunden – und die gibt es immer weniger.
Anne M. Schüller: Kunden auf der Flucht? Wie Sie loyale Kunden gewinnen und halten
Verlag Orell Füssli, Zürich 2011
ISBN: 978-3-280-05382-9