Die Personalstruktur wird immer vielfältiger, das Arbeitsumfeld komplexer und dynamischer. Herkömmliche Führungsansätze greifen zu kurz, um diese Herausforderungen bewältigen zu können. Auch Führungskräftetrainings setzen deshalb auf neue Methoden.
Angela Heissenberger
Österreichs Chefs sind die Besten. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls die aktuelle Jobwechsler-Studie von Monster Worldwide Austria. Neun von zehn Befragten sind mit ihren Vorgesetzten zumindest einigermaßen zufrieden, beinahe jeder zweite Arbeitnehmer vergibt die Bestnote für seine Führungskraft. »Dieses Ergebnis ist auch für uns sehr überraschend«, bestätigt Barbara Riedl-Wiesinger, Monster-Country Managerin augenzwinkernd: »Österreicher raunzen ja gerne.« Die Raunzer sind diesmal deutlich in der Minderzahl: Knapp neun Prozent äußern Unmut, lediglich ein Prozent der Befragten sind überhaupt nicht zufrieden. Das deckt sich mit jenen, die mit ihrer beruflichen Situation insgesamt unzufrieden sind. »Arbeitszufriedenheit und die Zufriedenheit mit dem Chef sind kommunizierende Gefäße«, sagt Studienleiter Paul Eiselsberg, Research Director bei IMAS International. So ist auch bei Arbeitnehmern, die einen Jobwechsel überlegen, das Bild ihres aktuellen Vorgesetzten überdurchschnittlich stark von negativen Aspekten geprägt. Diese negativen Zuschreibungen rangieren im Ranking aller Befragten sämtlich ganz unten.
Superhelden gesucht
Zwei Zuschreibungen schätzen Arbeitnehmer an Führungskräften besonders: Gerechtigkeitssinn (74 %) und der Einsatz für die Mitarbeiter (73 %). Das allein reicht jedoch nicht. Ein guter Chef muss über eine ganze Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Elf der 20 in der Studie abgefragten Aspekte wurden von mehr als der Hälfte der Befragten als ideale Voraussetzungen von Führungskräften genannt. Und: Bei Personen, die höchste Zufriedenheit mit ihrem aktuellen Vorgesetzten angeben, ist auch die Erwartungshaltung überdurchschnittlich hoch. Künftig kommen aber noch größere Herausforderungen auf die Chefetage zu. Branchen und Märkte werden komplexer und verändern sich rascher als jemals zuvor. Auch der Arbeitsalltag ist zunehmend von Mobilität geprägt. Gleichzeitig wird die Personalstruktur immer diverser – die Globalisierung tut ein Übriges und würfelt unterschiedliche Kulturen, Generationen und Ethnien in Teams zusammen. Als wären das nicht schon genügend Baustellen, befinden sich auch die Werte von Arbeit und Gesellschaft in einem grundlegenden Wandel. Führung wird zu einem Projekt für wahre Superhelden. Zahlen, Daten und Fakten bilden zwar weiterhin die Basis, der allwissende, allein entscheidende Leitwolf hat aber ausgedient. Waren am Höhepunkt der Krise starke Machertypen gefragt, die kompromisslos durchgriffen und die Kosten kappten, fanden in den letzten Jahren Soft Skills stärkere Beachtung. Die Beziehungsebene zu den Mitarbeitern galt als Schlüssel zum Erfolg – das allein wird aber langfristig nicht mehr ausreichen. Die Unternehmensberatung AchieveGlobal identifizierte in ihrer im November 2014 präsentierten Studie »Die Führungskraft im 21. Jahrhundert « sechs Kernkompetenzfelder, die das Anforderungsprofil erfolgreicher Manager in Zukunft bilden: Reflexion, Werteorientierung, Umgang mit Vielfalt, Kreativität, Mensch und Business. In die Untersuchung flossen die Einschätzungen von fast 1.000 Führungskräften in Europa, Asien und Nordamerika ein. Interessanter Nebenaspekt: Unabhängig von ihrem Standort beschreiben die Befragten eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die als wichtig erachteten Führungsfertigkeiten seien in der Praxis häufig nicht erkennbar. »Führung hängt wie eine Dienstleistung davon ab, dass Kundenerwartungen erfüllt werden. Eine Führungskraft der mittleren Ebene dient mindestens zwei internen Kundengruppen: direkt unterstellten Mitarbeitern und den eigenen Vorgesetzten. Wenn diese Gruppen eine höhere Kompetenz verlangen, als die Führungskraft bieten kann, leiden die Glaubwürdigkeit, die Beziehungen, die Ergebnisse und letztlich die Führungskraft selbst«, erläutern die Studienautoren.
Partizipatives Modell
Ohne Mitarbeiter geht es auch weiterhin nicht, so viel ist klar. Darüber hinaus ist jedoch eine andere Qualität der Leadership erforderlich. Führungskräfte werden künftig daran gemessen, wie gut sie Selbstorganisation initiieren bzw. zulassen und ein attraktives Umfeld gestalten, in dem Mitarbeiter über sich hinauswachsen können. Junge, engagierte Talente wollen gefunden und gefördert werden. Dafür braucht es eine offene, transparente Kommunikationskultur, die nicht sofort für alle Probleme eine Antwort parat hat, sondern einen Dialog anregt, in den sich alle frei von Hierarchien einbringen können. Ein Chef, der Anweisungen gibt und die Mitarbeiter später danach bewertet, wie viele seiner Vorgaben erfüllt wurden, wird sich insbesondere bei der jüngeren Generation keine Freunde machen. Der frühere Leiter der privaten Jacobs University Bremen Heinz-Otto Peitgen sieht den Wandel deshalb vor allem durch den Generationenwechsel begründet: »Wenn sie guten Nachwuchs haben wollen, werden Unternehmen ein Modell anbieten müssen, das partizipativer und selbstorganisierter ist. Da kommt eine Generation mit völlig anderen Wertvorstellungen, die auch anders geführt werden will.« Bekommt ein Mitarbeiter das Gefühl, dass sein Chef ihn nur als Arbeitsressource, nicht als Mensch, betrachtet, sinkt die Motivation rapide. Die Folge: Dienst nach Vorschrift oder Jobwechsel. Umgekehrt können ehrliches Interesse und Verbundenheit wahre Wunder bewirken. »Wir wissen aus unseren internationalen Studien, dass die Wertschätzung als ganze Person das Engagement vervielfachen kann«, erklärt Robert Korp, Geschäftsführer und Mastertrainer von Dale Carnegie Austria. Gemessen am regen Zulauf zu Führungskräfte-Coachings und Entwicklungsprogrammen dürften den Unternehmen, aber auch den betroffenen Managern selbst die anstehenden Herausforderungen durchaus bewusst sein. Julia Halwax von 5p Consulting ortet verstärkte Nachfrage nach Unterstützung in Change-Prozessen: »Führungskräfte sind nicht automatisch veränderungsbegeistert. Das macht es für sie häufig besonders schwer, die Lokomotive zu sein, die das Team zieht, statt sich mit dem Team gemeinsam dem Widerstand anzuschließen.« Besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang dem Teambuilding: Mitarbeiter mit unterschiedlichstem Background müssen zu einer Gemeinschaft geformt werden. Interdisziplinarität und Internationalität schreiben sich aber in der Unternehmensvision recht leicht, in der gelebten Praxis treten Vorurteile umso deutlicher zutage.
An die Grenzen
»Gute Führungsarbeit bedeutet für uns, Mitarbeiter zu fordern, zu fördern und zu entwickeln. Dazu benötigen Führungskräfte vor allem die Fähigkeit, gute Gespräche zu führen«, umreißt die ISG Personalmanagement ihren Beratungsansatz. Zur Schärfung der Führungskompetenzen setzt die Personalberatung auch auf unkonventionelle Methoden wie Pferdetraining und asiatische Kampfkunst. Diese – lange Zeit etwas belächelten – Outdoor- und Selbsterfahrungsworkshops feiern derzeit ein Comeback. Strategien, neue Strukturen oder Werte lassen sich in Seminaren zwar auf theoretischer Ebene diskutieren. Was auf Flipcharts mit markigen Stichworten so anschaulich umrissen war, erweist sich zurück im Betrieb oft als zäher Prozess. Viele Entwicklungen wie auch Teambuilding kommen abseits des Arbeitsalltags rascher und dauerhafter in Gang. Ob Pferdedressur, Kampfsport oder Kajakfahrt, das Ziel ist meist dasselbe: in ungewohnten Situationen an die eigenen Grenzen zu gehen und aus dieser Erfahrung heraus Entscheidungskraft und Zusammenhalt zu stärken. »Was verbirgt sich hinter der nächsten Kurve? Wie geht's weiter? Klar haben wir Karten, GPS und können auf fast alle Informationen zugreifen, um uns ein Bild von dem zu machen, was vor uns liegt, nämlich dann, wenn wir im Umfeld der Natur auf dem Fluss, am Berg oder auf dem Meer unterwegs sind. Und doch, jedes Mal wenn wir in eine neue Kletterroute einsteigen, wenn wir uns mit dem Kajak oder Kanu auf einem unbekannten Flussabschnitt wagen, wenn wir die Segel zu einem neuen Schlag auf das offene Meer hinaus setzen, bleibt ein Stück von Ungewissheit, Unsicherheit und Kribbeln vor dem Unerwarteten in uns bestehen «, beschreibt die Beratergruppe »3U Leaders« aus Abtenau den besonderen Reiz ihrer Outdoor-Specials. Für Führungskräfte sei jedoch – ähnlich wie bei Spitzensportlern – auch geistige Fitness wichtig, um in Verhandlungen oder an stressigen Tagen klaren Kopf bewahren und sich schnell regenerieren zu können. Während mentale Übungen bei Spitzensportlern fixer Bestandteil des Trainingsplans sind, sehen es viele Topmanager noch als Zeichen von Schwäche, zwischendurch Meditationseinheiten einzulegen. Asiatische Kampftechniken verbunden mit einem Kick fernöstlicher Philosophie erscheinen da schon progressiver, auch wenn hier der »Sieg ohne Kampf« durch möglichst wirkungsvolle und kräfteschonende Lösungen das Ziel ist. Mussten sich Führungskräfte früher noch mit einem Lauf über glühende Kohlen ihrer Stärken bewusst werden, dreht sich inzwischen alles um Respekt und Vertrauen. Pferde eignen sich dafür besonders gut. Sie zeigen sich von Titeln und Status ihrer »Laientrainer « gänzlich unbeeindruckt, sind aber grundsätzlich bereit zu folgen, wenn deren Haltung und Ausdruck Klarheit vermitteln. Die Tiere verfügen über ein feines Sensorium und merken sofort, ob der Mensch vor ihnen standfest ist – und gleichzeitig dem Pferd mit Achtsamkeit gegenüber tritt. Diese Verhaltens- und Reaktionsmuster weisen verblüffende Parallelen zum Arbeitsalltag auf. So manchem Teilnehmer wird plötzlich bewusst, warum seine Mitarbeiter auf Anweisungen mitunter wie störrische Esel reagieren. Der Gedanke dahinter, so HorsePower-Geschäftsführer Thomas M. Egger: »Wer ein 1.000 kg-Pferd führen kann, ist auch in der Lage, 1.000 Mitarbeiter zu führen.«
Buchtipp: Der Mythos Shackleton
Der britische Polarforscher Ernest Shackleton brach im Dezember 1914 auf, um die Antarktis zu durchqueren. Doch die legendäre Endurance-Expedition scheiterte. Das Schiff wurde von Packeis eingeschlossen und musste aufgegeben werden. Trotz widrigster Umstände konnte Shackleton seine Männer motivieren, gemeinsam von einer hunderte Seemeilen entfernten Insel Hilfe zu holen. Nach mehreren Versuchen, die unberechenbaren Eismassen zu überwinden, erreichten sie schließlich nach 497 Tagen im April 1916 auf den drei verbliebenen Rettungsbooten die unbewohnte Elephant Island. Selbstlos überließ Shackleton dabei seine Handschuhe dem Fotografen Frank Hurley und trug schwere Erfrierungen davon. Mit fünf Männern stach er von der Insel erneut mit einem der kleinen Boote in See und steuerte die Walfangstationen in Südgeorgien an. Wegen starken Sturmes mussten sie an der menschenleeren Südküste an Land gehen und überquerten das Gebirge auf einer zuvor noch nie begangenen Route. Endlich am Ziel, sandte Shackleton sofort ein Schiff zur Elephant Island. Aufgrund der schwierigen Eisverhältnisse konnten die verbliebenen Expeditionsteilnehmer erst im August 1916 an Bord geholt werden. Die abenteuerliche Rettungsaktion bewahrte die gesamte Mannschaft vor dem sicheren Tod und machte Shackleton letztlich bekannter, als es seine wissenschaftlichen Beiträge vermochten. Die beiden Autoren Baumgartner und Hornbostel analysieren anhand dieses Beispiels die außergewöhnliche Führungspersönlichkeit Shackleton, der sich in jeder Phase der Expedition für seine Leute verantwortlich fühlte. Vorausschauendes Handeln, Neuorientierung nach Rückschlägen und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, sind jene Faktoren, die auch in Unternehmen über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Peter Baumgartner, Rainer Hornbostel: Manager müssen Mut machen. Mythos Shackleton
Verlag Börsenmedien 2013.
ISBN: 978-3-86470-167-2