25 Jahre nach dem Ende des Kommunismus sind die meisten CEE-Länder kaum wiederzuerkennen. Einfacher wird es für sie auch in Zukunft nicht: Industrie 4.0 ist der Schlüssel zu weiterem Wachstum. Auch Österreich hat Nachholbedarf, wenn es seine Position als Osteuropa-Hub verteidigen will.
Von Angela Heissenberger
Fast jeder spricht davon und die meisten halten »vernetzte Fabriken« für wichtig. Was mit »Industrie 4.0« aber konkret gemeint ist, wissen nur wenige. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer Studie, die das IT-Unternehmen CSC unter 900 Entscheidungsträgern in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchführte. Die Hälfte der Befragten konnte mit dem Begriff gar nichts anfangen, ein Viertel hatte davon wenigstens gehört. Nur ein weiteres Viertel weiß über die mit dem Schlagwort Industrie 4.0 verbundenen Veränderungen bereits genau Bescheid. Bedenkt man, dass die Welt nach einhelliger Expertenmeinung an der Schwelle zu einer vierten industriellen Revolution steht, sind diese Werte umso alarmierender. Während in Deutschland die Idee der vernetzen Produktion bereits seit zwei Jahren intensiv vorangetrieben wird, erachten österreichische Manager die Entwicklung großteils zwar für wichtig – entsprechende Schritte planen freilich die wenigsten. Ein Drittel der befragten Unternehmen sieht keinerlei Investitionsbedarf. 41 % können dazu keine Angaben machen: »Der ›Weiß nicht‹-Anteil bei den Antworten lag in Österreich deutlich höher als in Deutschland«, bestätigt Walter Oberreiter, Head of Business Consulting der CSC Austria & Eastern Europe.
Wechselnde Kundenbedürfnisse
Ähnliche Ergebnisse zeigt der »Operations-Effizienz-Radar« von Roland Berger Strategy Consultants. »Viele Firmen sind sich über die Anforderungen der Industrie-4.0-Welt und die möglichen Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell noch nicht im Klaren und zögern daher noch«, sagt Roland Falb, Managing Partner im Wiener Büro von Roland Berger. In anderen Bereichen scheinen die Unternehmen weniger zaghaft: Um sich gegen die schwächere Konjunktur zu wappnen, steht für rund 70 % der befragten Betriebe die Optimierung des Produktportfolios im kommenden Jahr ganz oben auf der Agenda. Verbessertes Controlling und effizientere Steuerung der Vertriebskanäle sollen den Markterfolg zusätzlich antreiben. Je nach Branche verfolgen die Unternehmen dabei recht unterschiedliche Ziele: Während die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau und das Baugewerbe auf die Entwicklung einer zukunftsfähigen Produktpalette setzen, stehen in der Konsumgüterund Hightech-Industrie die Zeichen eher auf Reduktion. Generell heißt jedoch die große Herausforderung, die ständig wechselnden Kundenbedürfnisse besser zu berücksichtigen. Industrie 4.0 könnte dafür der Schlüssel sein, können doch die Firmen dadurch innovative Lösungen anbieten und Kundenwünsche selbst bei kleineren Mengen erfüllen. »Wer heute diese Transformation verpasst, wird bald den Druck der Kunden spüren«, meint Falb. »Sie werden früher oder später ihre Lieferanten dazu zwingen, sich den Industrie-4.0-Prozessen zu öffnen.« Die Produktion der Zukunft wird durch eine vollintegrierte und vollautomatisierte Produktionskette mit »wissendem« Werkstück gekennzeichnet sein. Diese »intelligenten Produkte« sind eindeutig identifizierbar, jederzeit lokalisierbar und kennen ihre Historie sowie den Weg zum Zielzustand.
CEE als Technologie-Nest
Österreich muss in diesem zukunftsweisenden Bereich am Ball bleiben, will es seine Position als Osteuropa-Hub nicht aufs Spiel setzen. »Die CEE-Region ist dabei, sich zu einem Technologie-Nest zu entwickeln«, analysierte die Erste Group kürzlich in einer Fallstudie. Eine ganze Reihe neu gegründeter IKT-Unternehmen nutzen die derzeit herrschende Aufbruchstimmung zu Erfolgsstorys à la Silicon Valley. Tschechien avanciert zu einem der weltweit führenden Entwicklerländer für Antiviren-Software – die beiden Hersteller Avast und AVG halten bereits einen Marktanteil von fast 25 %. Polnische und ungarische Unternehmen mischen ebenfalls mit IT-Innovationen im internationalen Geschäft mit. Auch Global Player wie Siemens, Ericsson, IBM, SAP, Microsoft und ENVOX haben die optimalen Voraussetzungen im CEERaum erkannt: eine traditionell polytechnisch geprägte Ausbildung, vergleichsweise niedrige Arbeitskosten und die Dynamik einer kosmopolitischen jungen Generation. In Rumänien haben sich mehr als 50 IT-Konzerne angesiedelt. Am Anteil der im Technologiesektor Beschäftigten gemessen liegt das Land in der EU an der Spitze, weltweit am sechsten Platz. Diese Zahlen stehen exemplarisch für den rasanten Aufschwung, den die Region in den vergangenen zwei Jahrzehnten genommen hat. Wirtschaftlich geht es den Ländern deutlich besser. Das BIP pro Kopf stieg von 49% auf 65 % des EU15-Durchschnitts. »Obwohl die Entwicklung der Region manchmal nach dem Muster ›einen Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück‹ zu verlaufen schien, haben diese Länder schon viel erreicht. Der freie Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr hat zur völligen Umstrukturierung dieser Volkswirtschaften beigetragen«, sagt Juraj Kotian, Head of CEE Research der Erste Group. Vom Wirtschaftswachstum der osteuropäischen Staaten würde sich so manches Land in der Eurozone dennoch gerne ein paar Prozentpunkte abschneiden.
Kommen und Gehen
Wien hat als Tor zum Osten 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an Relevanz verloren. Der Osteuropa-Boom ist Vergangenheit. Zudem sitzen in den Niederlassungen längst hochqualifizierte, ansässige Manager am Ruder, die eigenständig mit der Konzernmutter kommunizieren. Mit Prag, Bratislava und Warschau sind Wien in nächster Nachbarschaft zwar gleich gdrei unmittelbare Konkurrenten als Wirtschafts-Headquarters herangewachsen, auch Budapest liegt in Lauerstellung. Die Position Wiens als Drehscheibe zwischen Ost und West sieht Leo Hauska, Obmann der Plattform Headquarters Austria, aber nicht in Gefahr. Derzeit haben 314 Konzerne ihre CEE-Zentralen in Wien stationiert, die Zahl blieb im Vergleich zum Vorjahr konstant. Allerdings haben einige Unternehmen ihre Niederlassung personell und strategisch abgeschlankt und die Dienstleistungen teilweise in kostengünstigere Länder abgesiedelt. Henkel CEE betreibt beispielsweise ein Shared-Services-Center in Bratislava, während sich die Zentrale nach wie vor in Wien befindet. Auch sonst herrscht ein Kommen und Gehen. Nespresso, Nokia, Heineken zogen in den letzten Jahren aus der Bundeshauptstadt ab. Dafür betreut der Versandriese Otto seit kurzem die Märkte in Ungarn, Tschechien und der Slowakei von Wien aus. Honda Austria erhielt ebenfalls für diese Länder die Agenden. Bereits 2013 schlug der Pharmakonzern Merck Serono seine Zelte in Wien auf und steuert von hier die CEE-Aktivitäten. Die AUA musste infolge der Übernahme durch Lufthansa schmerzhafte Einschnitte hinnehmen, wenigstens der kleine Osteuropa-Bereich wanderte aber von Budapest nach Wien. Der US-Energieversorger ContourGlobal kündigte Ende November an, sein neues Europa-Headquarter in Österreich anzusiedeln.
Enge Beziehungen
Die Entwicklung der CEE-Region im Auge zu behalten, ist für Österreichs Wirtschaft von großer Relevanz. »Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und dem zentral- und osteuropäischen Raum waren immer schon stark. Österreich exportiert 20 % in Richtung seiner östlichen Nachbarn und ist einer der größten Investoren in der Region«, betont Christian Berger, Coface Country Manager Austria. Obwohl das weltweite Wirtschaftswachstum im Jahr 2013 wieder angezogen hat, wurden die Top-500-Unternehmen in Zentral- und Osteuropa davon kaum erfasst. Mit Umsätzen von rund 644 Milliarden Euro konnte nur eine leichte Steigerung von 0,2 % erzielt werden, die Top 100 mussten sogar einen Umsatzrückgang um 0,5 % hinnehmen. Nach Ländern gereiht, konnte sich Polen erneut an der Spitze des Rankings behaupten. Die Ukraine verwies Ungarn auf den dritten Platz. Wie sich der Konflikt mit Russland auf die wirtschaftliche Situation auswirkt, wird erst die Bilanz im kommenden Jahr zeigen. Ein Negativtrend zeichnete sich in Details jedoch bereits jetzt ab: Obwohl die Ukraine die meisten Newcomer im Ranking stellt, schafften es nur sieben Unternehmen, ihre Position zu verbessern – der Großteil fiel zurück. Wie in den Jahren zuvor zählen Unternehmen im Öl- und Gassektor zu den absoluten Gewinnern im CEE-Raum, mit Respektabstand, aber ebenfalls beachtlichen Umsatzzuwächsen folgen Energieversorger und der Automobilsektor. Angesichts der anhaltenden Rezession in der Eurozone und der hohen Arbeitslosenraten hoffen alle Beteiligten auf bessere Zeiten. Coface-Managerin Katarzyna Kompowska wagt mit einem Wachstumsplus von 2,4 % einen vorsichtig optimistischen Ausblick für CEE: »Vor allem die baltischen Staaten werden einen wesentlichen Beitrag leisten. Ihre nationalen Wirtschaften entwickeln sich derzeit sehr gut. Wachstumsmotor werden der private Konsum und verstärkte Exporte sein.«
FACTS: Fünf Trends in der Industrie
1. Service-Transformation.
> Der Servicebereich wird zunehmend aktiver Teil der Wertschöpfungskette
> Produkthersteller wandeln sich schrittweise zu Dienstleistern
2. Everything-as-a-Service.
> Verschiebung von Kaufeigentum zu Leasing
> Variabilisierung der Kostenstruktur
> Produkte werden Services-on-Demand
3. Individualisierung.
> Produkte lassen sich preiswert in individueller Auswahl und Kombinationsmöglichkeit herstellen und liefern
> Individuelle Änderungen sind bis knapp vor Auslieferung möglich
4. Digitalisierung.
> Zunehmender Software-Anteil in physischen Produkten (Smart Products)
> Universelle Vernetzung über das Internet
> Mobilität
> Innovative Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle
5. Wandel durch Hypercompetition.
> Verkürzte Innovationszyklen
> Neue branchenfremde Wettbewerber
> Radikale Innovation des Geschäftsmodells
> Produkte werden zu Ecosystemen
Quelle: CSC