Freda Meissner-Blau gilt als Galionsfigur der Ökologiebewegung. Tatsächlich war ihre politische Karriere in Österreich nur eine kurze Episode ihres vielfältigen gesellschaftlichen Engagements. Über hilfreichen Zorn, grüne Mannsbilder und Lebensbrüche erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.
Von Angela Heissenberger
(+) Plus: Sie schreiben in Ihrem Buch »Zorn und Empörung sterben nicht in mir, das stirbt erst mit mir« – von Altersmilde also keine Spur?
Freda Meissner-Blau: Überhaupt nicht. Wenn ich diese obszönen Reichtümer in der Welt sehe und die ebenso obszöne Armut, werde ich zornig. Der Zorn hilft einem, nicht depressiv zu werden. Wut ist blind, aber Zorn bedeutet Kraft. Wir haben in Hainburg für eine anständige Energiepolitik protestiert. Aber die Energieunternehmen arbeiten bis heute nur für ihren eigenen Profit, nicht für die Interessen der Allgemeinheit. Sie verdienen an jedem Kilowatt und wir ersticken an unserem eigenen Dreck.
(+) Plus: Mit der Besetzung der Hainburger Au vor 30 Jahren wurden Sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Hatten Sie mit so viel Zuspruch gerechnet?
Meissner-Blau: Begonnen hat ja alles schon früher mit Zwentendorf. Ich kam damals gerade aus Frankreich zurück und hatte das Desaster eines Atomstaates hautnah miterlebt. Dieser Kampf gegen Zwentendorf hat den Grundstein gelegt, denn danach wurde ich eingeladen, »Club 2«-Sendungen zu moderieren. Mein Gesicht war also relativ bekannt und das hat uns auch in der Au geholfen: Günther Nenning und ich waren die Ansprechpartner für Journalisten.
(+) Plus: Sie konnten schon damals bereits auf ein bewegtes, engagiertes Leben zurückblicken, hatten lange in Afrika gelebt, sich für Frieden, die Dritte Welt und Feminismus eingesetzt. Stört es Sie, heute auf Hainburg reduziert zu werden?
Meissner-Blau: Da haben Sie schon recht: Die Sache mit den Grünen ist ein ganz kleiner Ausschnitt in meinem Leben. Es hat mich nie gestört, aber ich habe es bedauert, auf einen Punkt zugeschnitten zu werden. Die Grünen sind kein Herzensinhalt – ich hab das eine Zeitlang gemacht und mich dann wie bei anderen Dingen zurückgezogen. Es kam immer wieder etwas Neues, das mir wichtiger wurde. Die Ereignisse haben mich geformt. Als ich nach Österreich zurückkam und sah, wie ein von Natur begnadetes Land so viel Blödsinn macht, da musste ich aufstehen. Mit Kreisky konnte man immerhin reden. Heute wird alles von Marionetten in Brüssel entschieden.
(+) Plus: Als Sie 1986 mit den Grünen ins Parlament einzogen, war die Partei von Geschlechterparität weit entfernt. Wie ging es Ihnen als einzige Frau mit den sieben »Alphatieren«?
Meissner-Blau: Zunächst empfand ich es als eine Blamage. Ich hatte ein Reißverschlusssystem vorgeschlagen und bin in meiner Naivität auf die Mannsbilder reingefallen. Jedes Bundesland hatte eine eigene Liste und an erster Stelle immer einen Mann gereiht. Nachdem aber maximal eine Person das Mandat geschafft hat, standen da plötzlich sieben Männer. Ich war erschüttert. Keiner war bereit, die zweitgereihte Frau vorzulassen. Die haben sich alle aufgepudelt. Erst als ich den Klubvorsitz zurücklegen wollte, haben sie einen Schreck bekommen, denn ich war ja das Aushängeschild. Ich wurde nur benützt.
(+) Plus: Die Grünen sind inzwischen in sechs Landesregierungen vertreten. Wie machen sie sich als Regierungspartei?
Meissner-Blau: Das ist fein, wenn sie nicht gerade solche Fehler machen wie die Tiroler Grünen, die die Zerstörung Tirols mitverantworten, weil sie sich als kleinerer Regierungspartner knebeln lassen. Die Mehrheitspartei entscheidet, die Grünen werden aber für deren Sünden verantwortlich gemacht. Das passiert jetzt und das verärgert mich.
(+) Plus: Sind Sie bei den Grünen nicht schon allein durch Ihre großbürgerliche Herkunft angeeckt?
Meissner-Blau: Auch, aber mehr noch bei den Feministinnen. Ich war wie ein exotischer Vogel. Erica Fischer sagte sehr abfällig zu mir: »Du bist ja eine Dame!« Dabei hab ich auch Jeans getragen, wie alle anderen. Ich habe mich als Teil der Bewegung gefühlt.
(+) Plus: Johanna Dohnal, mit der Sie später Seminare veranstalteten, hatte diese Vorbehalte nicht?
Meissner-Blau: Nein, gar nicht. Sie hat ganz gerne von mir gelernt. Sie sprach ja am Anfang kein Englisch, da habe ich ihr eine ganze Weile aus den wichtigsten internationalen Zeitungen interessante Artikel übersetzt oder zusammengefasst.
(+) Plus: Sie haben 1986 für die Bundespräsidentenamt kandidiert. Ist Österreich nun endlich reif für eine Frau an der Spitze?
Meissner-Blau: Ich würde Irmgard Griss gerne als Bundespräsidentin sehen. Allerdings hat sie einen Fehler gemacht, als sie als Bedingung nannte, »wenn sich beide Regierungsparteien auf meine Kandidatur einigen«. Das ist nicht sehr demokratisch. Sie hätte sagen müssen »wenn das Volk mich will«. Der Bundespräsident wird vom Volk gewählt, die Nominierung ist sekundär. Damit macht sie sich der Regierung schon untertan. Van der Bellen scheint mir zu desinteressiert. Er ist nicht so leidenschaftlich, wie ich jemanden in dieser Position gerne sehen möchte. In den zehn Jahren seines Parteivorsitzes hätte er als Nationalökonom wenigstens einen Entwurf zur Steuerreform vorlegen müssen.
(+) Plus: Nach Ihrer ersten Parlamentsrede fragte Bundeskanzler Vranitzky, ob Sie die österreichische Wirtschaft ruinieren möchten. Ist diese Frage angesichts des Hypo-Milliardendebakels nicht obsolet?
Meissner-Blau: Der Zeithistoriker Professor Jagschitz sagte mir, es war eine der besten Reden, die je im österreichischen Parlament gehalten wurden. Ich hatte sehr lange daran gearbeitet und viele Experten befragt. Es war eine starke Rede mit einer Vorschau, was wir in 20, 30 Jahren für Österreich erreichen wollen. Aber die Reihen waren nur dünn besetzt und der Applaus sehr matt. Das muss man erst überleben.
(+) Plus: Sind Sie selbst ein mutiger Mensch?
Meissner-Blau: Komisch, darüber habe ich nie nachgedacht. Ich glaube, allein während der Flucht als 17-Jährige durch das brennende Deutschland habe ich gelernt, Augen und Ohren immer offen zu halten, um zu überleben. Das hat mir wahrscheinlich den notwendigen Mut gegeben. Aber ich war am Anfang auch verschreckt. Erst im Parlament habe ich alle Ängste abgelegt.
(+) Plus: War es eine große Überwindung, vor vielen Menschen zu sprechen?
Meissner-Blau: Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Auftritt. Eine Kollegin nahm mich an die Uni zu einem Film von Abtreibungsgegnern mit, der von einem Babynahrungskonzern finanziert war. Weil ich einige Semester Medizin studiert hatte, erkannte ich sofort, dass die angeblich wenige Wochen alten Föten in Wirklichkeit viel älter waren und schon ausgebildete Hände und Gesichter hatten. Das sollte bei den Frauen Schuldgefühle erzeugen. Ich wurde so zornig und bin nach dem Vortrag nach vorne gegangen, obwohl ich mich das sonst nie getraut hätte, und habe vor dem vollen Saal gesprochen. Die positiven Reaktionen halfen mir, nicht mehr ganz so viel Angst zu haben. Aber glauben Sie mir, für die ersten »Club 2«-Sendungen habe ich mich nächtelang akribisch vorbereitet. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, wenn die Kameras auf mich zurollten und ich meine Einleitung sprechen sollte, würde meine Stimme versagen.
(+) Plus: Woher kommt Ihr politisches Engagement? Ihre Mutter sympathisierte mit den Nazis, ihr Vater wurde verfolgt und musste fliehen. Sie selbst waren mit zwölf Jungmädchenführerin.
Meissner-Blau: Meine Mutter war nicht wirklich ein Leitbild für mich, aber ich habe nie mit ihr darüber gesprochen. Mit 15 ist mir das Licht aufgegangen: Diese Disziplin in der Schule und die Propaganda über »unser Heer, das immer vorausgeht« – ich wusste aber, die sind bereits auf dem Rückzug. Da habe ich eine massive Resistenz entwickelt.
(+) Plus: Sind diese vermeintlichen Brüche nicht eigentlich Stationen des Lernens und der Bewusstseinsbildung?
Meissner-Blau: Ich verstehe das schon als Brüche. Scheidungen sind Brüche, auch jede Übersiedlung – ob man sie gern macht oder nicht. Man hat ja Wurzeln geschlagen und muss diese wieder aus der Erde herausziehen. Auch meine Übersiedlung vom ersten in den 19. Bezirk im vergangenen September war eindeutig ein Bruch in meinem Leben. Das waren 36 Jahre, in denen für mich in Österreich auch viel Persönliches passiert ist: Die Herztransplantation, der Tod meines Gefährten – das ist jetzt neun Jahre her und ich kann es immer noch nicht ganz fassen.
(+) Plus: Sehen Sie den Tod seither gelassener?
Meissner-Blau: Ich habe so viele Beinahe-Tode erlebt, das regt mich alles nicht mehr auf. Ich freue mich über jeden Tag. Aber wenn es aus ist, spielt es keine Rolle. Ich muss keine Kinder mehr betreuen, keine Parteigründen, kein Projekt fertig machen – eigentlich bin ich bereit zu gehen, ohne große Schwierigkeiten.
(+) Plus: Gibt es gar nichts, das Sie unbedingt noch machen wollen?
Meissner-Blau: Ich habe zu Weihnachten begonnen, mir mehr Zeit für mich zu nehmen. In Museen gehen, eine Stunde nur sitzen und denken, ein meditativeres Leben führen. Diese Idee ist momentan ganz stark. Ich wollte immer 35 Sachen auf einmal machen und habe mich mein Leben lang um andere Menschen gekümmert. Jetzt kann ich überlegen: Was will ich? Das ist ein großes Privileg.
Zur Person
1927 als Freda Meissner von Hohenmeiss geboren, wuchs das Mädchen in Reichenberg/Böhmen, Linz und Wien auf. Ihr Vater, ein NS-Gegner, flüchtete 1939 nach London, ihre Mutter blieb mit den vier Kindern zurück. 1944 erlebte die Schülerin in Dresden die Bombardierung der Stadt unmittelbar mit. Nach dem Krieg studierte Meissner-Blau zunächst Publizistik, absolvierte dann in England eine Ausbildung als Krankenschwester und begann in Frankfurt/Main ein Medizinstudium. 1953 heiratete sie Georges de Pawloff und ging mit ihm nach Zentralafrika – eine Zeit, die Meissner für die Probleme der »Dritten Welt« nachhaltig sensibilisierte. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie für die UNESCO in Paris und übersetzte nebenbei Angebote französischer Atomenergiekonzerne. Diese Tätigkeit machte sie zur überzeugten Atomkraftgegnerin, ihre zweite Ehe zerbrach später nicht zuletzt an politischen Differenzen.
1962–1968 leitete Meissner als Generalsekretärin das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien, übersiedelte 1968 mit ihren drei Kindern nach Paris und begeisterte sich für die Ideen der Studentenrevolte. 1970 heiratete sie Paul Blau, Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung. Zurück in Wien engagierte sich Meissner-Blau in der Frauenbewegung und der SPÖ, wegen ihres Widerstandes gegen das AKW Zwentendorf und das Kraftwerk Hainburg erfolgte 1984 der Parteiausschluss. 1986 erreichte die streitbare Aktivistin bei der Bundespräsidentenwahl 5,5 %, nach der Nationalratswahl zog die neugegründete Partei Grüne Alternative unter ihrer Führung ins Parlament ein. Im Dezember 1988 legte Meissner-Blau den Klubvorsitz nieder, meldet sich aber bis heute zu ökologischen, sozialen und politischen Themen kritisch zu Wort. In ihrem Buch »Die Frage bleibt« (Verlag Amalthea, Wien 2014) erzählt sie spannend und leidenschaftlich aus den »88 Lern- und Wanderjahren« ihres Lebens.