Mit der »Seitenblicke«-Gesellschaft ist Dompfarrer Toni Faber auf Du und Du. Seine ungewöhnliche Marketingstrategie zwischen Sekt und Brötchen ist erfolgreich, bringt ihm aber auch oft Kritik ein. Er selbst sieht sich als »City-Missionar «, der die Glaubensbotschaft zu den Menschen bringt.
(+) Plus: Nach etlichen turbulenten Jahren, in denen die katholische Kirche mit internen Konflikten und Skandalen konfrontiert war, wirkt es, als sei nun Ruhe eingekehrt. Trügt der Schein?
Toni Faber: Die Zeichen stehen nicht auf Ruhe, sondern auf Aufbruch. Papst Franziskus setzt Gesten, die die Menschen besser verstehen. Hier werden wirklich alte Zöpfe abgeschnitten. Für mich persönlich ist das ein ganz großes Geschenk. Als Hirte sollst du dich dort aufhalten, wo deine Schafe sind, sagt er – was ich in den letzten 17 Jahren als Dompfarrer versucht habe, wird nun also päpstlich unterstrichen. Nur ein Prozent der Wiener kommen am Sonntag in den Gottesdienst, daher muss ich die übrigen 99 Prozent anders erreichen. Das geht nur über profane Medien und Treffpunkte, wo ich aber vielleicht doch etwas von unserer Glaubensbotschaft anbringen kann.
(+) Plus: Auch die Kirche muss in gewisser Weise wie ein Unternehmen agieren – Grundbesitz und Immobilien verwalten, mit den Beiträgen der Mitglieder haushalten. Wie sieht Ihre Bilanz für heuer aus?
Faber: Als Gesamtdiözese schreiben wir schwarze Zahlen. Die Spendenbereitschaft für sozial-karitative Anliegen ist groß, für andere Zwecke ist sie allerdings im Schrumpfen begriffen. Wir müssen uns sehr anstrengen, um für die Renovierung des Stephansdoms und anderer Kirchen genügend Mittel aufzubringen. Für die geringer werdende Zahl der Katholiken gibt es viel zu viele kirchliche Bauobjekte. Wir werden uns von einigen Gebäuden trennen müssen. Die Filialstruktur für ein Unternehmen aufrechtzuerhalten, das vor 40 Jahren noch um die Hälfte mehr Mitglieder hatte – das kann einfach nicht gut gehen.
(+) Plus: Der katholischen Kirche sterben die Mitglieder nicht nur weg, viele treten aus Unzufriedenheit aus – 2013 waren es 54.800. Warum gelingt es nicht, diese Menschen zu erreichen?
Faber: In Wien sind nur noch 41 % der Bevölkerung katholisch. Die zweitgrößte Gruppe mit 30 % sind Unentschiedene, die beim Magistrat »ohne religiöses Bekenntnis« angeben. Darunter sind viele enttäuschte Sympathisanten, für die ich gerne Ansprechpartner sein möchte. Erst vor kurzem sagte mir einer: »Ich habe mir nur eine Auszeit von der Kirche genommen.« Ich glaube, das ist die tiefere Motivation vieler Menschen. Sie haben sich über den Kirchenbeitrag, das Wort eines Bischofs oder einen Missbrauchsvorwurf geärgert und wollten ein Zeichen des Protests setzen – das schien ihnen nur durch den Austritt möglich. Diese Menschen zurückzuholen, ist mein großer Ansporn. Bei mir treten zwischen 60 und 80 Personen pro Jahr wieder in die Kirche ein. Im Vergleich zu den Tausenden, die austreten, ist das natürlich nicht viel.
(+) Plus: Der riesige Esoterikmarkt spiegelt den Wunsch nach Spiritualität wider. Was kann die Kirche anbieten?
Faber: Die spirituelle Sehnsucht ist sehr groß. Ich merke das in einem Geschäftsbereich, den ich sozusagen neu belebt habe – den Segnungen. Ich lasse mich dafür gerne belächeln oder auch verspotten. Den Segen Gottes zu erbitten für Geschäfte oder Personen, vor einer Operation oder für die Liebe, ist ungeheuer begehrt, wenn alles in der Welt brüchig wird. Jeden Monat kommen hunderte Leute zur Segnung für Leidende und Kranke. Wir sind keine Wunderheiler, aber wir legen den Menschen die Hände auf und beten für sie in einfachen Worten. Dazu muss Kirche imstande sein: Menschen zu berühren, indem sie ihnen Hoffnung vermittelt, dass ihr Leben gelingen kann.
(+) Plus: Sie waren 1995, als die Affäre Groer ans Licht kam, sein Adlatus. Hat er sich Ihnen gegenüber gerechtfertigt?
Faber: Das war eine ganz bittere Zeit für mich, weil ich Kardinal Groer sechs Jahre hindurch als warmherzige Persönlichkeit kennengelernt habe, der mich mit Hochschätzung in das Amt des Protokollchefs eingeführt hat. Ich kann ihm außer väterliches Händchenhalten nichts nachreden. Er war sicherlich Gefangener seiner verengten Sexualmoral, die Berührungen nicht als Delikt verstanden hat. Wir legen heute höchste Aufmerksamkeit darauf, dass so etwas nicht mehr vorkommen kann. Ich mache keine Kinderbeichte mehr in geschlossenen Räumen. Man sitzt einander gegenüber, da gibt es keine Form von Missverständlichkeiten.
(+) Plus: Sie nützen Society-Events, um für die Kirche und um Mitglieder zu werben. Ihr offensives Auftreten wird aber auch häufig kritisiert. Nehmen Sie das in Kauf?
Faber: Mein Weg ist nicht der einzige und schon gar nicht der heilige. Ich versuche Menschen zu begegnen, die sonst nicht von der Kirche erreicht werden. Die große Zahl der Wiedereintritte und der Anfragen für Taufen und Hochzeiten gibt mir Recht. Kritikern gestehe ich ihre Meinung zu, sollen sie es ruhig besser machen. Ich arbeite gerade mit einem befreundeten Markencoach an meiner Ich-Marke in der öffentlichen Wahrnehmung, die ja in Wirklichkeit nur ein Teil von mir ist. Seit sechs Jahren schreibe ich jeden Sonntag für den Kurier eine Kolumne, um mich von der seichten Society-Berichterstattung abzuheben. Es braucht aber die Nase in der Mitte des Gesichtes, man kann nicht nur abstrakt von der Botschaft reden.
(+) Plus: Sind es vorwiegend Prominente, die Sie zum Wiedereintritt bewegen?
Faber: Nein, nein, das geht quer durch die Bank. Einmal stand ein Mann von der MA 48 in meinem Büro, im orangen Overall und mit dem Taufschein in der Hand: Er möchte wiedereintreten, aber es muss ganz schnell gehen, er ist nämlich im Dienst und der Kollege wartet unten mit dem Müllwagen. Prominente spreche ich oft gezielt an. Wenn Uwe Kröger in seiner Biografie schreibt, seine Enttäuschung war so groß, weil der Pfarrer beim Begräbnis des Vaters einen falschen Namen nannte, obwohl er immer in der Kirche war, gehe ich beim nächsten Event auf ihn zu. Es ist eine tolle Sache, solche Persönlichkeiten als Meinungsmacher zu gewinnen. Da wird mein missionarischer Eifer schon groß. Aber 90 Prozent der Wiedereintretenden sind nicht bekannte Persönlichkeiten, sondern einfache Menschen wie Sie und ich.
(+) Plus: In einem Interview mit der Zeitschrift Woman waren die meisten Fragen unter der Gürtellinie angesiedelt. Geht Ihnen das nicht auf die Nerven?
Faber: Ich habe schon angemerkt, ob außer »Waren Sie ein guter Liebhaber?« auch noch seriöse Fragen kommen. Armin Wolf meinte später, ich sei dumm, auf solche Fragen überhaupt zu antworten. Dabei hatte seine Frau Euke Frank ihre Journalistin so auf mich angesetzt. Ich bin ja nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen, aber es gibt schon noch ein paar andere Themen im Leben, die interessanter sind. Als Priesterseminarist hatte ich unzählige solcher Gespräche mit Menschen, die der Kirche nicht so nahe stehen. Immer ging es um den Zölibat. Ohne Frau und Kinder zu leben, das bleibt provokant. Wir leben in einer übersexualisierten Gesellschaft, auch in der Medienlandschaft gilt »Sex sells«, das ist halt leider so.
(+) Plus: Welche Einladungen lehnen Sie ab?
Faber: Meine seelsorglichen Termine haben Vorrang. Die Abende sind immer voll. Das macht mir Spaß, muss aber jetzt nicht das ganze Leben so weitergehen. Allein ein Empfang bei Birgit Sarata bietet unzählige Möglichkeiten zu Vernetzung und Seelsorge. Da kann man richtig fischen – ich bin freudestrahlend nach Hause gekommen, weil ich gleich fünf Wiedereintrittskandidaten an der Angel hatte. Insgesamt machen diese Veranstaltungen aber nicht mehr als ein Viertel meiner Tätigkeit aus. Die meiste Zeit bin ich normaler Pfarrer und Co-Manager des Unternehmens Stephansdom.
(+) Plus: Die meisten Leute wissen vermutlich gar nicht, dass im Stephansdom täglich sieben Gottesdienste abgehalten werden. Kommen nur noch Touristen?
Faber: Wir haben jährlich 5,3 Millionen Besucher im Dom, jeden Tag sieben Messen, am Sonntag neun und dazu noch jede Woche einige Sondergottesdienste. Am Sonntag kommen 4.000 Besucher, mehr als drei Viertel davon wohnen in anderen Bezirken und fahren etwa regelmäßig um 18 Uhr aus dem 10. Bezirk mit der U-Bahn zu ihrer Messe. Sogar unter der Woche gehen in den 6-Uhr-30-Gottesdienst ca. 50 Leute – das sind lauter fromme Wienerinnen und Wiener. Bis aufs Hochamt mit Chor und Orchester verirren sich nicht viele Touristen in die Messe.
(+) Plus: Rund 1,5 Millionen Österreicher sind von Armut gefährdet. Merken Sie die Zunahme an hilfsbedürftigen Menschen in der täglichen Seelsorge?
Faber: Das spüren wir total. Ich habe eine eigene Sozialarbeiterin angestellt, weil so viele Leute mit ihren Bitten zu uns kommen. Primär unterstützen wir mit Lebensmittelgutscheinen und Kleidung. Die Not nimmt zu, viele können die Miete oder die Heizkosten nicht mehr bezahlen. Es braucht aber nicht nur materielle Mittel, sondern auch ein zuhörendes Ohr und Herz. Das versuchen wir zum Beispiel mit dem 14-tägigen Spielenachmittag für Arme, Obdachlose und Einsame zu bieten. Fünf Mal pro Jahr gibt es ein richtiges Festmahl für 150 bis 200 Menschen, nicht einfach eine Ausspeisung. Das macht Freude, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.
(+) Plus: In der Adventzeit bevölkern unzählige Punschstände die Stadt, teilweise wird auch für karitative Zwecke getrunken. Wie stehen Sie zu dieser Art von Hilfe?
Faber: Wer eine bessere Idee hat, soll’s tun. Notleidende Menschen fragen nicht, woher das Geld kommt. Sie wissen nur, jemand war bereit, mit ihnen zu teilen. Sicher ist es nicht unbedingt notwendig, man könnte ja auch anders helfen. Aber es ist Not wendend. Wir haben beim Dom selbst einen Stand am Adventmarkt, für den Haubenköche den Punsch machen – da werde ich schon einen probieren.
Zur Person
Toni Faber (52), Sohn eines Wiener Straßenbahners und einer Hausfrau, wuchs in Wien-Liesing mit drei Geschwistern auf. Er fand als 17-Jähriger, nach einer schweren Nierenkrankheit, zu seiner Berufung, absolvierte das Theologiestudium und wurde 1988 zum Priester geweiht. 1989 übernahm Faber die Aufgabe als erzbischöflicher Zeremoniär, zunächst bei Kardinal Hans Hermann Groer, ab 1995 bei Erzbischof Christoph Schönborn. Seit 1992 ist er in der Pfarrseelsorge St. Stephan tätig, seit 1997 Dompfarrer. 2007 wurde er mit dem Großen Ehrenzeichen der Republik geehrt.