Sonntag, Dezember 22, 2024

Eine Gruppe agiert effizienter und kann mehr Leistung erbringen als ihre einzelnen Mitglieder in Summe. Das zeigt sich in der Ameisenkolonie ebenso wie in Unternehmen: Gelingt es, die kollektive Intelligenz der Mitarbeiter zu nutzen, werden neue Ideen generiert, Prozesse dynamischer und komplexe Probleme rascher gelöst.

Von Aristoteles ist die sinngemäße Aussage »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile« überliefert. Ameisen und Bienen errichten beeindruckende Bauwerke, die sie auch gegen größere Feinde erfolgreich verteidigen. Vogelschwärme ziehen ohne Navigationsgerät über tausende Kilometer von Kontinent zu Kontinent. Selbst Fische bewältigen in der Gruppe Herausforderungen, an denen sie alleine scheitern würden. Es bietet sich geradezu an, die offensichtliche Stärke dieser Verbände auf menschliche Organisationsstrukturen zu übertragen. Die aus dem Tierreich entliehenen Modelle haben nur einen entscheidenden Fehler: Das einzelne Individuum zählt nichts und bringt auch keinerlei eigene kreative Kompetenzen ein. Ein Tier gibt den Weg vor, alle anderen folgen ihm. Diese Form der »Schwarmintelligenz« ist zwar faszinierend zu beobachten, übertragen auf die komplexen Netzwerke der Menschen entspricht sie aber nur einer niedrigen Stufe von Gruppendynamik. Michael Hengl, Gründer und CEO der Unternehmensberatung 1492.//, hält die Analogie zum Tierreich grundsätzlich für fragwürdig: »Wer will schon eine Ameise sein?« Dem Prinzip der Sammlung und Nutzung der Potenziale aller an einem Prozess Beteiligten kann er jedoch viel abgewinnen. Hengl hat sich der Förderung der kollektiven Intelligenz in Unternehmen verschrieben und berät große Konzerne von ABB bis Volkswagen in der Organisations- und Personalentwicklung. Dabei kristallisiert sich immer wieder heraus: Werden Innovationskraft und Engagement der Mitarbeiter geweckt, entwickeln die Teams zumeist eine Problemlösungs- und Gestaltungskompetenz, die die Summe der Fähigkeiten jedes Einzelnen weit übertrifft.

Gemischte Teams erfolgreicher

Entscheidend ist eine möglichst hohe Diversität der Teams  – nach sozialen, kulturellen und fachlichen Kriterien sowie nach Geschlecht. Eine im Magazin Science veröffentlichte Studie der MIT Sloan School of Management belegt, dass ein hoher Frauenanteil die Intelligenz einer Gruppe signifikant erhöht. In mehreren Tests schnitten gemischte Teams klar besser ab als reine Frauen- oder Männerteams, und zwar unabhängig von der individuellen Intelligenz der einzelnen Mitglieder. Studienleiterin Anita Wolley nennt diesen Effekt »dynamische DNA«: Viele hochintelligente Menschen machen eine Gruppe nicht automatisch klüger, auch das Gegenteil kann eintreten. Eine ideal zusammengesetzte Gruppe organisiere sich ähnlich wie ein Ameisenstaat selbst. Durch die Interaktion mit anderen handle jeder Einzelne in diesem Superorganismus intelligenter, als er es allein tun würde und könnte. Unter diesem Aspekt sollten Unternehmen ihre Personalauswahl gründlich überdenken. Noch immer stehen Qualifikation und Leistung meist an erster Stelle. Die besten Bewerber machen das Rennen – doch sie sind nicht unbedingt auch die richtigen. Führt man sich vor Augen, dass bereits die Führungskräfte aus einem sehr eingeschränkten Pool an Kandidaten kommen, wundert die Gleichförmigkeit der Entscheidungen nur wenig. »Über Jahrzehnte werden Führungspositionen von denselben Headhuntern mit gleichlautenden Stellenprofilen besetzt«, kritisiert Sascha Konul, Managing Partner bei 1492.//. Gleich und gleich gesellt sich gern: Betriebswirtschafter wählen bevorzugt Betriebswirtschafter aus, Juristen fühlen sich unter Juristen wohler, Techniker schätzen ebenbürtige Mitarbeiter mit technischem Know-how – und Männer entscheiden sich ohnehin meist für Männer.

Gegen den Strom

Einer denkt wie der andere, alle sind sich einig. Doch die Harmonie trübt das Ergebnis. Die Formel 1+1=3 schrumpft mitunter zu einem Output von 1,5. Ein Team aus Betriebswirtschaftern schafft immer nur eine betriebswirtschaftlich orientierte Lösung. Meinungsvielfalt befruchtet dagegen die Gedanken und führt zu neuen Ideen. Voraussetzung ist eine Unternehmenskultur, die Meinungsvielfalt zulässt und Transparenz fördert. Die Angst vieler Führungskräfte, komdurch offene Strukturen an Kontrolle zu verlieren, sei unbegründet, so Unternehmensberater Hengl: »Kollektive Intelligenz soll das Management unterstützen, nicht ersetzen. Wenn man nicht in alten Paradigmen denkt, muss man nicht alle Antworten selbst haben. Das ist eine andere Identität als Führungskraft.« Zuvor müssten oft erst grundsätzliche Widerstände der Mitarbeiter gegen Neues überwunden werden – vor allem in Change- Prozessen, erklärt der 1492.//-CEO: »Bei gravierenden Änderungen blocken Menschen meist sofort ab. Aus der Perspektive der Mitarbeiter ist das verständlich: Sie greifen auf ihre Erfahrungen zurück. Das haben sie nie erlebt, also geht es auch nicht. Ihre Fantasie kann das gar nicht erreichen.« Auch hier ist Führungskompetenz gefragt. Kollektive Intelligenz spielt nicht nur beim Sammeln neuer Ideen eine Rolle, sondern liefert manchmal Lösungen für uralte Probleme oder Informationsgrundlagen für Entscheidungen.

Wünsche sind messbar

Im globalen Wettbewerb sinken Innovationszyklen von Jahren auf wenige Monate, während die Kundenerwartungen stetig steigen. Unternehmen müssen Wissen und Erfahrungen innerhalb des Betriebes möglichst effektiv einsetzen, gleichzeitig aber ihre Fühler ausstrecken, um Trends frühzeitig zu erkennen. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat basierend auf der Schwarmintelligenz- Theorie ein Monitoring-Tool entwickelt, das Vorhersagen über zukünftige Marktentwicklungen ermöglichen soll. Nicht nur das tatsächliche Konsumverhalten wird analysiert, sondern die »geheimen« Bedürfnisse der Menschen. Die Software durchforstet Blogs, Wikis und Netzwerken nach Meinungen, Beziehungen und Inhalten, die Menschen bewegen. Sie misst die »Temperatur« im Social Web zu bestimmten Themen. Was aufregt, interessiert viele, und wo Wünsche sind, gibt es auch einen Markt – so die Logik dahinter. Wann immer es darum geht, sich die Weisheit vieler zunutze zu machen, spricht man in der digitalen Welt von Crowdsourcing, entstanden aus Crowd und Outsourcing. Crowdsourcing ist dabei keineswegs ein Kind der digitalen Ära. Schon im 18. Jahrhundert machte sich die englische Regierung die kollektive Ideenfindung zunutze und setzte eine Prämie von 20.000 Pfund, wenn es gelingen sollte, den Längengrad bestimmen. Statt einer der namhaften Astronomen löste schließlich der Uhrmacher John Harrison 1735 das Problem. Unschöne Fußnote: Um das Preisgeld musste Harrison, der sich als wissenschaftlicher Laie vor einer Gelehrtenkommission zu behaupten hatte, noch über Jahrzehnte kämpfen. Neben Chancen und Potenzial birgt Crowdsourcing jedoch auch unvorhersehbare Risiken. Die sprunghafte Dynamik der Masse bereitete schon einigen Unternehmen Kopfzerbrechen, vor allem betreffend der Eigentumsrechte. Auch der Aufwand für die Umsetzung der Ideen wird oft unterschätzt. Eine gezielte Strategie und professionelle Planung seien unerlässlich, waren sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion der APA-E-Business Community Ende Juli einig. »Die Crowd ist zum Teil unberechenbar und nicht immer weise« , wie Karl-Heinz Leitner, vom Austrian Institute of Technology (AIT) ausführte. »Man muss sich rechtzeitig überlegen, ab welchem Zeitpunkt die Kunden eingebunden werden sollen, welche Methodik angewendet und wie das Feedback verarbeitet wird« , erklärte Paul Lehner, Head of Customer Experience & Market Research beim Mobilfunkanbieter A1. Dazu brauche es Spezialisten, die »die Crowdsprache in Firmensprache übersetzen«. Trotz aller Skepsis fällt Leitners Bilanz positiv aus: »Fünf bis zehn Prozent der Fälle scheitern. Darüber spricht man nicht besonders gerne.« Die Erste Bank hat für die Einbindung der Kunden in Entwicklungsprozesse einen eigenen Job geschaffen. Ein Co-Creation-Manager koordiniert die Online-Plattform »s Lab«, über die Kunden Ideen und Feedback einbringen oder diskutieren können.

Wertvolle Ideen

Gute Ideen schlummern aber auch in den Unternehmen selbst. Wie die 2012 veröffentlichte Studie »Corporate Capability Management« (CCM) der Forschungseinrichtung Fraunhofer Austria zeigt, wird das Innovationspotenzial nur unzureichend oder gar nicht genutzt. So beteiligen sich im Schnitt nur 30 % der Mitarbeiter an firmeninternen Initiativen. Pro 100 Mitarbeiter beträgt die Anzahl der eingebrachten Verbesserungsvorschläge nur 83. In Unternehmen, die ihre Mitarbeiter durch Aktivitäten im Bereich Ideenmanagement gezielt ermutigen, liegt dieser Wert bei 200. Wie Erfahrungen in mehreren österreichischen Industriebetrieben bestätigen, führt eine ganzheitliche Vorgangsweise später zu einer selbstständigen Generierung von Ideen. Abgesehen von der intensiven Mitarbeiterbindung lohnt sich die Ideengenerierung auch in finanzieller Hinsicht: Die Einsparungen betrugen pro Mitarbeiter durchschnittlich 1.100 Euro jährlich; Unternehmen, die ein breites Methodenset zur Aktivierung ihrer Mitarbeiterpotenziale einsetzen, können rund 1.700 Euro einsparen. Auch Kunden und Lieferanten werden als potenzielle Ideenquellen einbezogen. »Mit dem CCM-Konzept lässt sich das riesige Potenzial der Stakeholder an Know-how für das Unternehmen heben«, ist Fraunhofer-Geschäftsführer Wilfried Sihn überzeugt: »Ein Know-how, das einen wichtigen Beitrag für die Innovationen leistet, die ein Unternehmen zum Überleben braucht.«


Infos:

Was Kollektive Intelligenz fördert:
- aktiv und aufmerksam zuhören
- andere Meinungen gelten lassen
- die Gedanken assoziativ springen lassen
- Gefühle wahrnehmen
- nichts ausschließen oder bewerten
- gegenseitiges Vertrauen
- Engagement und Begeisterung

Was Kollektive Intelligenz hemmt:
- Schlagabtausch von Argumenten und Gegenargumenten
- Schuldzuweisungen
- starre Problemdefinition und Lösungssuche
- Widerstände und Konflikte unterdrücken
- Aktionismus
- Perfektionismus


Intuition und Organisation – zwei wie Wasser und Öl?

»Es ist alles sehr kompliziert«, sagte kolportierterweise ein österreichischer Bundeskanzler vor 30 Jahren. Politisch ist ihm das nicht gut bekommen, auch wenn er im Prinzip die Thematik einfach nur ehrlich angesprochen hat.

Ein Gastkommentar von Susanne Schwanzer, Herbert Strobl und Peter Fellner

Zwischenzeitlich ist die Welt noch schneller uns vielschichtiger geworden. Sie war jedoch nie »kompliziert« , sondern immer »komplex« . Das ist ein elementarer Unterschied. Eine Uhr mit Datums-, Monats- und Mondphasenanzeige ist kompliziert: Mit entsprechendem Fachwissen und sorgfältiger Analyse kann sie nach einem klaren Ursache-Wirkung-Prinzip zielgerichtet konstruiert, repariert und auch repliziert werden. Dem gegenüber sind komplexe Systeme weder vollständig durchschaubar noch sind sie von außen steuerbar. Beispiele dafür sind die Politik, eine globalisierte Wirtschaft oder zwischenmenschliche Beziehungen. Komplexität ist gekennzeichnet durch dauernden und rapiden Wechsel einer Vielzahl von relevanten, untereinander verbundenen Faktoren, die auch unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zulassen und somit zu einer permanenten Ambiguität führen. Weg A könnte richtig sein, oder Weg B oder keiner von beiden oder beide gleichzeitig. Unternehmen können mit ständiger Unsicherheit aber nicht (über-)leben, deshalb müssen immer Entscheidungen getroffen werden. Entscheidungen reduzieren per se Komplexität, weil sie neue Referenzpunkte setzen, auf die die Organisation und die Mitarbeiter in ihrem weiteren Tun aufsetzen können. Entscheiden ist damit eine Kernfunktion von Management. Dummerweise kann man oft erst ex post durch Zeitablauf feststellen, ob eine Entscheidung wirklich die Beste war. Was also tun, wenn man eine Entscheidung treffen muss, obwohl es zu viele relevante Faktoren gibt, die sich teilweise widersprechen oder deren Verlässlichkeit in Zweifel steht? Oder auch das Gegenteil davon, wenn man eigentlich viel zu wenige Entscheidungsgrundlagen an der Hand hat? Eine Antwort kann das bewusste Zulassen von Intuition in Unternehmen sein. Intuition bedeutet nicht willkürliches Entscheiden und ist auch nicht esoterisch. Es handelt sich dabei vielmehr um verinnerlichtes Wissen, das im Unbewussten gespeichert ist und bei Bedarf schnell ins Bewusstsein kommt. Intuitive Einsichten »sind einfach da«, ohne verstandesmäßige Kontrolle. Tatsächlich treffen wir alle tagtäglich eine Vielzahl von intuitiven Entscheidungen, die wir dann mit rationalen Erklärungen »verkaufen« , weil es in unserem kausalen Weltbild nicht zulässig ist, dass wir so »irrational« handeln. Diese unbewusste Entscheidungsfindung greift wie bei einer Faustregel auf wenige, zentrale Informationen zu, anstatt alle Details penibel durchzukauen (Stichwort Heuristik statt Algorithmus). Das funktioniert besonders gut, wenn wir wissen, was wir NICHT wollen. Intuitive Entscheidungen sind damit nicht nur viel schneller und ressourcenschonender, sondern erweisen sich oft auch als besser. Untersuchungen am Max Planck-Institut belegen eindrucksvoll die Überlegenheit intuitiver Entscheidungen unter Informationsmangel oder Datenflut. Auch wenn das mit sämtlichen Betriebswirtschaftskursen kaum kompatibel erscheint, ist es dennoch kein Widerspruch zu gutem Management. Intuitive Entscheidungen basieren nämlich auf einem notwendigen breiten Erfahrungshintergrund im Entscheidungsfeld. Intuition kann nur so gut sein wie die (Vor-)Erfahrungen, die eine Person/ eine Gruppe zu einem bestimmten Thema bereits gemacht hat. Vielleicht liegt gerade hier die Erklärung, warum viele eigentümergeführte Familienunternehmen überdurchschnittlich erfolgreich sind? Sie schaffen es besser Kopf und Bauch gleichermaßen einzusetzen. Das heißt dann im Ergebnis »unternehmerisches Gespür«. Chemisch würde man dazu Emulsion sagen – ein feines Gemisch der beiden normalerweise nicht mischbaren Flüssigkeiten Wasser und Öl mit neuen Eigenschaften, die über jene der Ausgangsstoffe hinausgehen.

Die Autoren: Susanne Schwanzer, Peter Fellner, und Herbert Strobl sind Gründer und Seniorpartner von CorporateCultureConsulting. Sie beraten Unternehmen dabei, strategische und operative Ziele unter Beachtung oder durch Gestaltung einer bestehenden Unternehmenskultur überdurchschnittlich und nachhaltig zu erreichen.

www.corporatecultureconsulting.eu

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