Ein gutes Auto hat ein Navi, ein gutes Unternehmen auch. Aber in zwei Drittel der Unternehmen wissen die Mitarbeiter nur bedingt Bescheid, welche Perspektiven ihr Arbeitgeber verfolgt. Führungskräfte sind gefordert, ihre Ziele transparent zu kommunizieren und ihre Mitarbeiter einzubinden, um erfolgreich zu sein.
»Ich hab zwar ka Ahnung, wo ich hinfahr. Aber dafür bin i g’schwinder durt«, proklamierte einst Helmut Qualtinger im Bronner-Song »Der Halbwilde«. Ähnlich orientierungslos agieren offenbar viele Unternehmen. Denn wie Mitarbeiterbefragungen zeigen, bleibt die Belegschaft über die größeren Zusammenhänge ihres Tuns allzu oft im Dunkeln. Dass auch die Führungskräfte mitunter kein Ziel vor Augen haben, ist ein böser Verdacht – gibt es Ziele und Strategien, werden diese zumindest nicht ausreichend kommuniziert.
In 65 % der deutschen Unternehmen sind Mitarbeiter nur bedingt darüber im Bilde, wo ihr Arbeitgeber hin möchte und wie erdabei vorgehen wird. Die Studie »Einfluss des HR-Managements auf den Unternehmenserfolg« der Personalberatung Rochus Mummert legt diesbezüglich strukturelle Bremsfaktoren offen, die sich bis ins kleinste Team auswirken: Nur jeder fünfte Teamleiter setzt klare Ziele. Mitarbeitern fällt es deshalb schwerer, sich mit einer Aufgabe zu identifizieren. »Transparenz in Sachen Unternehmensziele und Strategie verschafft den Mitarbeitern Orientierung und Verlässlichkeit«, erklärt Hans Schlipat, Studienleiter und Managing Partner der Rochus-Mummert-Gruppe. »Heute gilt es, klare und erreichbare Herausforderungen zu stellen, damit qualifizierte Fach- und Führungskräfte dem Unternehmen treu bleiben.«
Mit Kopf und Herz
Von den hehren Visionen, die in Weihnachtsreden gerne wortreich postuliert werden, bleiben jedoch häufig nicht mehr als leere Worthülsen und sperrig formulierte Unternehmensleitbilder. Wie diese auf den Arbeitsalltag übertragen werden sollen, ist unklar. Eine vertane Chance, denn ein zuversichtlicher, ja charismatischer CEO vermag es, Aufbruchstimmung zu erzeugen. »Diese Stimmung ist für die meisten Unternehmen lebensnotwendig und der wichtigste Motor ihrer Wettbewerbsfähigkeit«, meint Sören
Buschmann, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Strametz & Partner. Jeder Mitarbeiter brauche ein Navigationsgerät, das – mit den richtigen Daten gefüttert – die nächsten Ziele ansteuert.
Das beginnt schon bei der Definition. »Zehn Prozent Umsatzsteigerung « klingt recht plakativ. Doch was bedeutet das konkret für die jeweiligen Abteilungen, den einzelnen Mitarbeiter? Auch die Botschaft »Zufriedenere Kunden« wird jeder begrüßen, aber welchen Beitrag kann ich selbst erbringen? Die genialste Strategie nützt nichts, wenn sie nicht umgesetzt wird. Das gelingt nach Meinung des Schweizer Strategieberaters Ignaz Furger nur durch frühzeitige Einbindung der Mitarbeiter: »Mitarbeiter, die eine Strategie selbst (mit)entwickeln, wollen diese auch realisieren, da sie bereits in ihren Köpfen und Herzen verankert ist.«
Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Stratact unter 2.000 Arbeitnehmern im deutschsprachigen Raum gelten nur 10 % der Mitarbeiter als »Entflammte«. 25 % zählen zur Kategorie der »Unbedarften«, denen die Ziele ihres Arbeitgebers völlig egal sind – sie gibt es übrigens quer durch alle Hierarchieebenen. Die grundsätzliche Bereitschaft, sich im Sinne der Unternehmensstrategie einzusetzen, liegt bei knapp 30 %. Mitarbeiter handeln jedoch nur danach, wenn sie eine direkte Wirkung ableiten und erfahren können.
Die da oben
Mitarbeiter, die nur über die »Gerüchteküche« oder – noch schlimmer – über die Medien von wichtigen strategischen Entscheidungen der Unternehmensleitung erfahren, nehmen automatisch eine passiv-abwartende oder negative Haltung ein. Um sie für die Rettung oder Umgestaltung der Firma zu begeistern, ist kostenintensives Change Management erforderlich. Das freut zwar Unternehmensberater – die Kluft zwischen »den Entscheidern da oben« und den betroffenen Mitarbeitern, die sich nicht verantwortlich fühlen, müsste aber gar nicht erst entstehen.
Bei Veränderungen in Unternehmen stehen in der Regel technische oder betriebswirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. Projektplaner konzentrieren sich gerne auf die Anpassung der Abteilungsstrukturen und die Umstellung des IT-Systems. »Weiche Faktoren wie Kommunikation, die nicht offensichtlich sind, werden dabei häufig vergessen. Denn die harten Faktoren sind viel greifbarer «, erläutert Till R. Lohmann, Partner bei PwC.
Führungskräfte sind daher gut beraten, transparente Informationskanäle zu installieren. Das können regelmäßige Meetings der Strategieteams sein, in denen Ziele festgelegt und überprüft werden, E-Mails, die wichtige Änderungen bekanntgeben, sowie Informationsveranstaltungen, die alle Mitarbeiter über den Status quo informieren. Der informelle Austausch – in der Kaffeeküche, im Aufzug, beim Kopierer – spielt dabei keine unwesentliche Rolle. Das Teilen von Sorgen und Kritik gehört zu einer gesunden Unternehmenskultur mit dazu, meint die Autorin Sabine Hockling, die selbst viele Jahre in leitenden Positionen tätig war: »Ausgerechnet der Flurfunk kann zu einer größeren Zustimmung zur Unternehmensstrategie in der Belegschaft führen. Denn auf diese Weise wird ein Wir-Gefühl gefördert, das den nötigen Rückhalt auch in schwierigen Zeiten geben kann.«
Gemeinsame Sprache
Strametz-Partner Sören Buschmann empfiehlt, nach der SMART-Regel vorzugehen – Ziele sollten demnach spezifisch, messbar, ausführbar, relevant und terminisiert sein. Das jährliche Mitarbeitergespräch kann ein guter Anlass sein, gemeinsam Zielvereinbarungen festzulegen. »Wenn jedoch die Mitarbeiter nach dem Gespräch ein anderes Verständnis der Ziele haben als ihre Vorgesetzten, kann dies ein Unternehmen vom Kurs abbringen«, warnt Buschmann.
Die strategische Positionierung muss die Unverwechselbarkeit des Unternehmens, der Marke, der Produkte und Dienstleistungen hervorstreichen. Sie zeigt potenziellen und bestehenden Kunden, warum sie gerade bei diesem Betrieb kaufen oder mit ihm arbeiten sollten. Das Bewusstsein, was das Unternehmen so besonders macht, trägt aber auch entscheidend zur Identifikation und Motivation der Mitarbeiter bei. Sie sind lebende Aushängeschilder der Firma. »Vision, Mission und Leitbild müssen von den Führungskräften aktiv eingesetzt werden. Eine schöne Urkunde am Gang ist da viel zu wenig«, sagt Strategie-Experte Norbert Ulbing von Ulbing Consulting. Vision entspricht demnach Zielen, die wir erreichen möchten, und Mission allem, was wir bewirken wollen, während das Leitbild zeigt, welche Werte wir unserem Verhalten und Handeln zugrundelegen.
Der Schlüssel für eine gelungene Umsetzung der Strategie ist wie so oft die Kommunikation. Gemeinsames Handeln ist nur möglich, wenn alle unabhängig von ihrer Tätigkeit, Qualifikation und Herkunft eine gemeinsame Sprache finden. Offenheit wird inzwischen auch von den Mitarbeitern selbst eingefordert. Mit dem Eintritt der Generation Y ins Berufsleben gewinnt eine transparente Führungs- und Leitungskultur zunehmend an Bedeutung. Ein hohes Gehalt als einzige Motivation reicht längst nicht mehr aus, ist Rochus-Mummert-Partner Schlipat überzeugt: »Unternehmen sind gerade in Zeiten des Fachkräftemangels aufgerufen, über geeignete Rahmenbedingungen nachzudenken. Die immateriellen Anreize sind dabei schwerer anzupacken als das Gehalt – auf jeden Fall gehören regelmäßige Zielsetzungen und deren gemeinsame Überprüfung sowie die Work-Life-Balance dazu.« An einem Punkt sollte trotz weitgehender Einbindung der Mitarbeiter nicht gerüttelt werden: Die Verantwortung für dieSteuerung des Strategieprozesses und damit verbundene Entscheidungen trägt das Management. Diesem tut neben einer ordentlichen Portion Mut zur Umsetzung auch ein Quäntchen Selbstkritik gut – nämlich beim regelmäßigen Hinterfragen des eigenen Führungsverhaltens.
10 Thesen
Der Schweizer Strategieberater Ignaz Furger entwickelte folgende zehn Thesen für eine im Unternehmen integrierte und von den Mitarbeitern getragene Strategie:
1. Strategisches Denken und Handeln der Mitarbeiter sind für ein Unternehmen überlegenswichtig.
Entscheidungen erfordern auch bei global agierenden Unternehmen regionale Anpassungen vor Ort. Die Mitarbeiter müssen in Innovationsprozesse eingebunden werden. Der Aufbau von Führungskräften ist ein integraler Bestandteil der Ausbildung.
2. Mitarbeiter lernen strategisches Denken in praktischen Aufgaben.
Die Unternehmensleitung gibt den Rahmen vor, das Team sammelt und analysiert Daten und erarbeitet daraus strategische Optionen. Die Mitarbeiter bauen auf diese Weise Wissen und Sinn für das Machbare und damit auch Führungsstärke auf.
3. Die besten Strategen für ein Unternehmen sind seine Mitarbeiter.
Die Kenntnisse externer Experten sind auch der Konkurrenz zugänglich. Die Strategien der Unternehmen werden somit immer ähnlicher. Eine gute Strategie sollte dagegen beim spezifischen Wissen über das eigene Unternehmen, seine Produkte, die Märkte und Kunden ansetzen – und niemand weiß darüber besser Bescheid als die eigenen Mitarbeiter.
4. Die wirkliche Expertise liefern die Kunden (und Nicht-Kunden).
80 % des Wissen sind in der Firma vorhanden, den Rest kann man bei externen Beratern gezielt zukaufen.
5. Strategische Methoden sind hinlänglich bekannt und leicht erlernbar.
Abgesehen von modernen Terminologien gibt es auf dem Gebiet der Techniken seit Jahrzehnten nichts wirklich Neues. Entscheidend für die Wirksamkeit einer Strategie sind aber ohnehin nicht die Instrumente, sondern wer sie wie anwendet – vor allem wenn die externen Spezialisten wieder weg sind.
6. Eine selbst erarbeitete Strategie setzen Mitarbeiter auch selbst um.
Überzeugungsarbeit kostet viel Zeit und Energie. Wirkungsvoller geht es, wenn Mitarbeiter in die Strategieplanung eingebunden werden – und von Anfang an mit Kopf und Herz dabei sind. Change Management wird damit überflüssig.
7. Die Unternehmensleitung konzentriert sich auf die richtige Frage- und Aufgabenstellung.
Die Geschäftsführung definiert die strategischen Leitplanken, bestimmt Schlüsselpersonen und klinkt sich bei Review-Meetings immer wieder unterstützend ein. Achtung: Zurücklehnen ist nicht erlaubt! Die Entwicklung, die Umsetzung und auch die eigene Rolle müssen regelmäßig hinterfragt werden.
8. Durch die gemeinsame Erarbeitung entsteht eine Kultur des Dialogs.
Im Projektteam findet ein Prozess der konstruktiven Kontroverse statt – Konsens ist nur gut, wenn er aus Dissens entstanden ist. Voraussetzung ist eine möglichst heterogene Zusammenstellung des Teams aus verschiedenen Hierarchieebenen, Funktionen und Regionen. Mit der Bildung einer Vertrauensbasis ensteht auch eine gemeinsame Sprache – diese Entwicklung ist ein integraler Bestandteil einer lernenden Organisation.
9. Die strategische Gesamtverantwortung liegt bei der Unternehmensleitung.
Die Rollen müssen trotz der Einbindung der Mitarbeiter klar verteilt sein. Ein eigenständiger Planungs- und Controllingprozess ist hilfreich. Strategien bauen zwar auf einer breit abgestimmten Entwicklungsarbeit auf, die Entscheidungen bleiben aber immer in der Verantwortung des Managements. In bestimmten Fällen – z.B. Akquisitionen, Verkäufe oder Sanierungen – muss die Geschäftsleitung jedoch aufgrund aus Gründen der Vertraulichkeit autonom arbeiten.
10. Durch den integrierten Ansatz entsteht eine für das Unternehmen maßgeschneiderte Strategie.
Eine aus dem Wissen der Mitarbeiter und Kunden entwickelte Strategie ist ohne Zeit- und Kraftverlust wirksam und von anderen Unternehmen nur schwer zu imitieren.