Sonntag, Dezember 22, 2024

Reinhard Karl, Kommerzkunden-Vorstand der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, über die Investitionsklemme, Risiken bei Auslandsgeschäften und die angeblich »abgesandelte« Wirtschaft.

(+) Plus: Die Konjunkturprognosen zeigen ein leichtes Wirtschaftswachstum. Haben wir die Krise und ihre Folgen überstanden?
Reinhard Karl: Ich glaube, dass die Talsohle durchschritten ist. Mit den Maßnahmen der EZB und dem Schutzschirm ESM ist die Stabilität des Euro gewährleistet. Positive Signale kommen auch von der Weltkonjunktur, ausgehend von den USA. Einige europäische Länder bewegen
sich doch in die positive Richtung. Wir haben den betroffenen Staaten mit dem niedrigen Zinsniveau Zeit gegeben, um strukturelle Maßnahmen zu tätigen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Deutschland ist sicher der Wachstumsmotor und in diesem Windschatten profitiert auch die österreichische Wirtschaft, vor allem im Auslandsgeschäft. Natürlich gibt es Probleme, die wir auch in Österreich zu lösen haben. Grundsätzlich ist die österreichische Wirtschaft aber besser positioniert als andere europäische Länder. Ich sehe auch in meinen Gesprächen mit den Unternehmen einen gewissen Optimismus. Gerade im dritten und vierten Quartal 2013 hat sich die Stimmung gedreht.

(+) Plus: Im Wahlkampf sorgte der Sager von der angeblich »abgesandelten« Wirtschaft für Aufsehen. Als Banker haben Sie Einblick in die finanzielle Situation der Unternehmen: Wie gut geht es den österreichischen Betrieben tatsächlich?
Karl: Das war eine sehr pointierte Erklärung von Wirtschaftskammer-Präsident Leitl. Er wollte offensichtlich darauf hinweisen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich in Gefahr ist. Während einige Länder ihre Lohnstückkosten in den vergangenen Jahren reduzierten, sind sie in Österreich im internationalen Vergleich am höchsten. Die Unternehmen haben aber die Krise genutzt, ihre internen Strukturen und Kosten zu optimieren. Die Eigenkapitalquote der KMU beträgt 28,8 %, bei den Großbetrieben 33,1 %. Das sind – in einer Durchschnittsbetrachtung – recht gute Werte. Die Umsatzrentabilität ist mit 2,8 % im KMU-Bereich eher bescheiden, aber sie reicht aus, damit die Betriebe ihre Verpflichtungen erfüllen können. Was man aber klar sagen muss: Diese Umsatzrentabilität gibt keinen Spielraum für zusätzliche Steuern. Seitens der Politik muss es hier zu einer Entlastung kommen. Die Investitionsbereitschaft muss stärker unterstützt werden, um letztlich die Arbeitsplätze zu sichern, aber auch die Inlandsnachfrage wieder anzukurbeln.

(+) Plus: Die Unternehmen zeigen sich bei Investitionen noch sehr zurückhaltend. Trauen sie dem sanften Aufschwung nicht?
Karl: Die Stimmung ist noch vorsichtig. Investitionen sind für uns immer gleichbedeutend mit Kreditanfragen – und die Kreditnachfrage war im ersten Halbjahr 2013 spürbar zurückhaltend. Dieses Bild hat sich im dritten und vierten Quartal verändert: Die Unternehmer denken wieder an Investitionen. Jetzt muss man sich wieder auf die
Märkte konzentrieren, denn der Mitbewerb bleibt ja nicht stehen.

(+) Plus: Vor allem KMU klagen über die strengen Richtlinien bei der Kreditvergabe. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?
Karl: Aus meiner Sicht gab es in den letzten Jahren eher eine Investitionsklemme als eine Kreditklemme. Wer einen Kredit wollte und dafür ein ordentliches Konzept vorlegen konnte und entsprechende Sicherheiten hatte, konnte bei uns immer einen Kredit bekommen. Auch 2009 bis 2013 hatten wir in der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien jedes Jahr ein Kreditwachstum. Im Vorjahr verzeichneten wir per 30.9. knapp 3 % Zuwachs. Jeder Unternehmer, der einen Kredit braucht, ist bei Raiffeisen herzlich willkommen.

(+) Plus: Haben sich Ihre Bewertungsgrundsätze und Vergaberichtlinien geändert?
Karl: Was sich geändert hat, sind die Informationserfordernisse der Banken – bedingt durch die steigenden regulatorischen Anforderungen. Es reicht eben heute nicht mehr, mit einer eineinhalb Jahre alten Bilanz zu kommen. Die Banken sind verpflichtet, die Bonität entsprechend zu dokumentieren. Ein kleines Unternehmen muss eine aktuelle Saldenliste haben, ein mittleres Unternehmen braucht ein Controlling, das auf vierteljährlicher Basis zeigt, wo der Betrieb steht. Wir bieten zur Erleichterung auf unserer Webseite einen Online-Bonitätsrechner an. Der Unternehmer kann dort seine Bilanzkennzahlen eingeben und sieht, wie seine Bonität von einer Bank beurteilt würde und wie es sich auf sein Rating auswirkt, wenn er verschiedene Parameter verändert.

(+) Plus: Wie groß ist der Entscheidungsspielraum der lokalen Bankinstitute?
Karl: Wir müssen für jedes Unternehmen ein Rating erstellen, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Das betrifft zunächst die »hard facts«, also die Ertragskennzahlen, Eigenkapitalsituation, Verschuldung. Auf der anderen Seite fließen die »soft facts« mit ein, etwa die Marktstellung, Wettbewerbsfähigkeit, Managementqualitäten. Wir sind nahe am Kunden und fällen die Kreditentscheidung vor Ort, nicht nach reinem Zahlenwerk. Die Handschlagqualität des Unternehmers spielt nach wie vor eine wesentliche Rolle.

(+) Plus: Um auf dem Markt bestehen zu können, schaffen sich viele ein Standbein im Ausland. Welche Unterstützung bieten Sie Ihren Kunden diesbezüglich?
Karl: Wir stehen den Unternehmern bei allen Auslandsaktivitäten beratend zur Seite. Für den Unternehmer, der zum ersten Mal eine Holzlieferung nach Algerien schickt, erstellen wir ein maßgeschneidertes Konzept. Wenn ein Autozulieferer nach China geht, weil die Automobilproduktion dort vor Ort ist und er auf kurzen Wegen liefern muss, ermöglichen wir eine Beteiligungsfinanzierung, die die Risiken aus diesem Investment abfedert. Der Unternehmer muss sich bewusst sein, dass die Gewinnspanne im Ausland zwar höher ist, die Zahlungsrisiken aber vielleicht bis zum möglichen Totalausfall reichen können. Ein frühzeitiges Gespräch mit der Bank ist deshalb wichtig, um in den Vertrags- und Zahlungsbedingungen jene Punkte zu verankern, die zur Absicherung des Auslandsgeschäftes dienen. Unsere Finanzierungen reichten im vergangenen Jahr von Brasilien über China und Südosteuropa bis zum Nahen Osten. Wir können die Kundenbedürfnisse einerseits über unsere Consultants aus Wien abdecken, durch die Raiffeisen Bank International verfügen wir außerdem in 17 Ländern über ein Netzwerk mit direkten lokalen Kontakten. Zusätzlich korrespondieren wir mit über 2.000 Banken weltweit. Dort, wo sich unsere Kunden bewegen, können wir sie auch unterstützen.

(+) Plus: Haben sich die Anforderungen an Kundenberater in Banken gewandelt?
Karl: Der Kundenberater ist und bleibt die Drehscheibe zwischen Bank und Kunden. Die Beratung ist sicher komplexer geworden. Vor zehn Jahren konnte und durfte ein Kundenbetreuer noch viel mehr mit eigenem Fachwissen abdecken. Das Risikomanagement hat inzwischen stark an Bedeutung gewonnen. Man muss Anlegerprofile erstellen, Risikohinweise geben – das kann nur ein geschulter Mitarbeiter, der das Produkt und das Risiko genau kennt. Wir lösen das, indem der Kundenbetreuer für alle speziellen Anliegen des Kunden entsprechende Experten zur Hand hat – etwa für Förderungen, Auslandsinvestitionen, Währungsabsicherungen, Dokumentengeschäfte oder Wertpapierveranlagungen.

(+) Plus: Sind auch die Kunden anspruchsvoller und informierter als früher?
Karl: Das Informationsbedürfnis ist auf beiden Seiten gewachsen. Die Bank muss heute mehr über den laufenden Betrieb des Unternehmens wissen. Gleichzeitig informiert sich aber auch ein Unternehmer, der etwas veranlagen möchte, über die Bonität der Bank. Dieselben Fragen, die wir an den Unternehmer haben, werden immer öfter auch uns gestellt. Die Zeiten haben sich eben geändert.

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