Montag, Dezember 23, 2024

Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Unterhaltung fristet die Nische Werbefilm ein Schattendasein. Doch selbst Oscar-Preisträger sind sich nicht zu schade für Werbespots – und einige Unternehmen sind gerne bereit, für einen Regisseur internationalen Formats mehr zu bezahlen.

Spitzt’s eure Schweinsohren, los geht’s! Keck läuft das kleine Ferkel durch die Bauernstube und ermahnt den Bauern, sein Fruchtjoghurt nicht »wie ein Schweinderl« zu essen. Seit fast 20 Jahren ist die Bio-Marke »Ja! Natürlich« auf dem Markt, 2012 wurde sie zur beliebtesten österreichischen Marke gewählt. Die ungebrochene Popularität ist zu einem Gutteil auf die einprägsamen Werbespots zurückzuführen. Tiere und Kinder sind bei heimischen Konsumenten Sympathieträger Nummer eins, ihr Einsatz als Testimonials somit eine sichere Bank. Dennoch heben sich die Schweinderl-Spots wohltuend vom sonstigen Werbeeinheitsbrei ab – Dramaturgie, Kameraführung, Schnitt und Timing passen punktgenau, statt bloßem Hinausposaunen plakativer Slogans wird eine kleine Geschichte erzählt.

Regie führt seit mehreren Jahren einer, der sein Handwerk gelernt hat: Stefan Ruzowitzky. Auch seit der Oscar-Prämierung seines Films »Die Fälscher« 2008 dreht der 51-Jährige weiterhin TV-Spots und befindet sich damit in guter Gesellschaft. Während einige Branchenkollegen Werbung eher abschätzig betrachten oder als einträgliche Geldquelle gerade noch gelten lassen, sind 30-Sekunden-Spots für andere die kleinste Filmkunstform schlechthin. Alan Parker, Hugh Hudson, Ridley Scott sind nur drei von unzähligen internationalen Starregisseuren, die ihre Karriere als Werbefilmer begannen. Claude Chabrol und Federico Fellini waren sich auch am Höhepunkt ihres Schaffens nicht zu schade, schnöde Alltagsprodukte in Szene zu setzen. David Fincher führte u.a. für Adidas, Coca-Cola und Chanel Regie. Guy Ritchie drehte im Vorjahr für H&M die aufsehenerregende Unterhosen-Kampagne mit David Beckham. Die Nike-Spots mit Michael Jordan unter Regie von Spike Lee sind bis heute legendär. Auch für Levi’s, AT&T, American Express und andere drehte Lee, mit den Honoraren finanzierte er seine Spielfilme.
 
>> Kunst und Kommerz <<
In Frankreich und den USA hat die inspirierende Koexistenz von Werbefilm und Spielfilm lange Tradition, beide Genres werden gleichermaßen ernst genommen. In Fachzeitschriften erscheinen regelmäßig Rezensionen der neuesten Clips. Österreichische Werbefilmproduzenten klagen dagegen seit Jahren über Preisdruck und Geringschätzung. Sie würden zu bloßen Handlangern degradiert, ihre kreative Leistung nicht ausreichend gewürdigt. Seit digitale Technik das Filmen und die Nachbearbeitung am Computer scheinbar kinderleicht macht, produzieren etliche Werbeagenturen »inhouse«. Die Qualität solcher semi-professioneller Clips lässt zwar zu wünschen übrig, für viele Kunden zählt aber in erster Linie der Preis. Mit dem Qualitätszertifikat »Certified Austrian Filmproducer« (CAFP) versucht der Fachverband der Film- und Musikindustrie, einheitliche Standards und transparente Kalkulationsgrundlagen für Werbe- und Industriefilmproduktionen durchzusetzen.

Am heimischen Markt tummeln sich rund 100 Unternehmen, wobei sich etwa zehn rund 90 % der Aufträge teilen. Ein in Österreich produzierter Werbefilm schlägt sich je nach Aufwand mit 70.000 bis 150.000 Euro zu Buche. Für ein professionelles Drehteam mit Kameramann und eigenen Licht- und Tonassistenten müssen pro Tag ab 2.000 Euro veranschlagt werden. Wird am Strand unter Palmen gedreht, bekannte Schauspieler und/oder ein prominenter Regisseur engagiert, ist ein Budget von 300.000 Euro rasch verbraucht. Mit der kreativen Freiheit ist es oft nicht weit her: Drehbuch und Umsetzung legen die Produktion in enge budgetäre Schranken. Statt einmal unkonventionelle Ideen auszuprobieren, gehen Kunden und Agenturen lieber auf Nummer sicher. Beim Werbefestival in Cannes – dem Pendant zu Hollywoods Oscar-Verleihung – reichte es im Vorjahr lediglich für einen Bronze-»Löwen« (DDB Wien für McDonald's) in der Kategorie »Press«. 2011 waren Österreichs Werber gänzlich leer ausgegangen. Der bislang einzige Erfolg in der Königsdisziplin »Film« datiert bereits aus dem Jahr 1985 (GGK für den Zigarettenspot »Men Aeroplane«, Regie: Franz Novotny).

>> Langes Online-Leben <<
Erfolgsregisseur Harald Sicheritz schaffte es 2006 mit einem Werbefilm für die »1. Österreichische Barkeeperschule« auf die Shortlist der Cannes Lions. 2008 erhielt er für einen Spot für das Wiener Kindertheater den österreichischen Staatspreis für Werbefilm. »Darauf bin ich schon sehr stolz«, sagt Sicheritz, der gleichzeitig derlei Auszeichnungen nicht überbewerten möchte. Bezeichnenderweise wurden beide prämierten Spots von allen Beteiligten gratis produziert – denn auch für brillante Ideen können im regulären Business kaum Agenturen bzw. Kunden gefunden werden.

Für XXXLutz drehte Sicheritz von 1999 bis 2010 sämtliche Kampagnen. Die Möbelhauskette wuchs in dieser Zeitspanne von der viertgrößten Österreichs zur zweitgrößten der Welt heran. »Ein Sonderfall«, wie Sicheritz meint. »Als wir die erste Staffel gedreht haben, war das nicht so geplant.« Während die begleitende Agentur von starker Fluktuation geplagt wurde, sorgte das Filmteam für eine konstante Linie. Über die Jahre entwickelte sich eine intensive Bindung, auch zu den Darstellern der »Familie Putz«. Obwohl man nun auf der bewährten Schiene weiterfährt, ist den neuen Episoden der Regiewechsel anzumerken.

In den Abgesang der österreichischen Werbewirtschaft will Sicheritz nicht einstimmen: Für qualitativ hochwertige Werbefilme werde es aufgrund ihrer Unverwechselbarkeit auch weiterhin einen Markt geben. Das Internet muss dabei nicht unbedingt ein Ersatzmedium sein, wie aktuelle Erhebungen zeigen. So leben besonders beliebte Spots auch nach dem Ende ihrer TV-Präsenz online oft lange weiter und erreichen noch weitaus größere Verbreitung. Mit mehr als 62 Millionen Clicks ist der Volkswagen-Clip mit dem »kleinen Darth Vader« – ursprünglich für die Werbepause der Super Bowl 2011 produziert – bisher eines der erfolgreichsten Werbevideos im Social Web.

Möglicherweise wird sich das Format jedoch an die veränderten Seh- und Nutzungsgewohnheiten anpassen müssen. Fernsehinhalte und Videos werden zunehmend auf Laptops, Tablets oder Smartphones konsumiert. Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuseher nimmt ab. Laut einer Studie des Multi-Channel-Spezialisten Interone entwickelt sich das Fernsehen vom Leit- zum Ambient-Medium: 67 % der Befragten lassen das TV-Gerät häufig oder gelegentlich nur noch nebenbei laufen. 17 % sehen fast ausschließlich Filme oder Serien an und haben nahezu keine Berührungspunkte mehr mit klassischer TV-Werbung. Interone-CEO Franziska von Lewinski erwartet massive Auswirkungen auf künftige Marketingstrategien: »Die Multikanalnutzung hat das Bewegtbild erreicht und wird langfristig die Internetlogik auf das TV übertragen.«

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