Montag, Dezember 23, 2024

Gelähmte Politik, untätige Behörden, verstrickte Unternehmen: Gefühlt sind Kleptokratie, Korruption und mafiöse Umtriebe unaufhaltsam im Vormarsch. Aber stimmt das wirklich? Was Korruption beflügelt, was sie eindämmt und was sie die Wirtschaft kostet.

 

Gefühlt ist Korruption ohnehin eine Geißel der Menschheit. Mit vollmundigen Verabsolutierungen sollte man eher vorsichtig sein, aber wer Gefühl durch Gewissheit ersetzt, liegt wohl auch nicht falsch. So redet etwa der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einer einschlägigen Studie gleich im ersten Satz der Einleitung Tacheles: Das Phänomen der Korruption stelle national wie international eines der zentralen gesellschafts-, kriminal- und rechtspolitischen Themen dar. Um gleich darauf den Politikern den Kopf zu waschen: Die Erfahrung in der Praxis habe gezeigt, dass Mandatsträger zunehmend in Korruptionsgeflechte eingebunden sind. Nur ein paar Worte später spannt der Wissenschaftliche Dienst noch den Bogen von Abgeordnetenbestechung und einem immer subtileren Lobbyismus zur Politikverdrossenheit. Für eine trockene rechtswissenschaftliche Untersuchung ist das unverblümte »Wording« schon vergleichsweise deftig.

Wer immer noch nicht glaubt, dass Korruption ein zentrales gesellschaftliches Problem ist, den macht vielleicht ein Blick in die Medien schlau. Besonders ergiebig war etwa alleine der 19. November 2012 – ein Tag, an dem sich die einschlägigen Meldungen nur so überschlagen haben. Natalia Perewersewa – Miss Moskau und russische Schönheitskönigin – bekam in einem eigentlich belanglosen Interview über Schönheitswettbewerbe plötzlich einen Anfall von verstörender Offenheit. Ihr geliebtes Russland werde von Korruption und gierigen, unehrlichen Menschen »erbarmungslos in Stücke gerissen«. Ihr Russland sei »ein Bettler, ein endloser Kaukasuskrieg«. Zar Putin und seine herrschende Oligarchen-Clique dürften »not amused« gewesen sein. Die altehrwürdige Komsomolskaja Prawda wusste daher auch gar nicht so recht, wie sie mit der vernichtenden Anklage umgehen sollte. Sicherheitshalber wurde die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass Perewersewa nur einen Scherz gemacht habe. Neben der rebellischen Beauty-Queen meldete sich EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta zu Wort. Via WirtschaftsWoche richtete er aus: Österreich und Luxemburg begünstigten Steuerhinterziehung – und blockierten seit Jahren Bemühungen um Transparenz und Kontrollen. Weitere Meldungen vom 19.11.2012: Der Ex-HSH Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher darf laut Süddeutscher und NDR seine vier Millionen Abfertigung auch dann behalten, wenn er wegen Bilanzfälschung und Untreue verurteilt werden sollte. Den deutschen Steuerzahlern dürfte wohl das Gesicht eingefroren sein. Die Rettung der von Nonnenmacher kaputtspekulierten HSH hat sie drei Milliarden Cash plus weiterer sieben Milliarden Euro Garantie gekos­tet. Dazu passend: Der Finanzstabilitätsrat FSB veröffentlichte zeitgleich seinen Bericht, demzufolge das Transaktionsvolumen der Schattenbanken – Krise hin, Krise her – seit 2010 schon wieder um locker fünf Billionen Dollar gewachsen ist und aktuell bei rund 67 Billionen liegt. Die abseits von Finanzmarktregulierungen, sofern es solche überhaupt im nennenswerten Umfang gibt, getätigten Transaktionen machen damit rund ein Viertel des weltweiten Volumens aus. Während bei der Kontrolle von Banken oder gar Schattenbanken alle Augen zugedrückt werden, läuft die Politik bei den Ärmsten der Armen zu Hochform auf. Die dazu passende Meldung vom 19.: Die deutschen Jobcenter strichen laut der Bundesagentur für Arbeit den Langzeitarbeitslosen erstmalig über eine Million mal pro Jahr die Leistungen. Im Schnitt wurde der Bezug von 374 auf 268 Euro monatlich gekürzt.

>> Leidgeprüfte Österreicher <<

Ein letztes Schmankerl vom 19.11.2012 – diesmal aus der heimischen Provinz: Die OÖN berichtete, dass der Bürgermeister der Innviertler Gemeinde Schildorn zurückgetreten ist. Der fantasievolle ÖVP-Mann hatte eine Gemeinderatssitzung plus die dazugehörigen Protokolle frei erfunden. Thema der fiktiven Sitzung: die Finanzierung einer örtlichen Mehrzweckhalle um knapp zwei Millionen Euro. Mehrzweck trifft es wohl ganz gut und ist in diesem Zusammenhang wahrscheinlich auch mehrdeutig.

2012 war für die ohnehin leidgeprüften Österreicher kein gutes Jahr. Der unselige Korruptionsausschuss wurde im Frühherbst endgültig abgedreht, die Flut glamouröser Verdachtsfälle ist bald unüberschaubar. Im Abwürgen des U-Ausschusses sah Nationalratspräsidentin Barbara Prammer übrigens gar einen Akt von »lebendigem Parlamentarismus«. Prammer agiert scheinbar nach dem Motto »eh schon wurscht« und liegt bei der Wahrnehmung der Realität gleichauf mit der Justizministerin. Diese billigt den Österreichern in jedem Interview – wie eine hängende Schallplatte – immer wieder »Vertrauen in die Justiz« zu. Vielleicht weil die Anklage gegen den Ex-Yline-Boss Werner Böhm nach endlosen elf Jahren Vorbereitung endlich fertig ist? Selbst die konservative und in der Wortwahl bedächtige Presse bezeichnete das jüngst ziemlich ätzend als »Weihnachtswunder« und ließ in der Beurteilung keinen Zweifel offen: »Der Prozess wird irgendwie schräg.« Das echte Wunder wird freilich nur dann stattfinden, wenn auch die Schutzengel Böhms in die Pflicht genommen werden. Die Aussicht auf Erfolg? Eher bescheiden. In Sachen Yline waren schon Ende der 90er zu viele prominente Ex-Politiker, Börsenbullen und internationale Hochfinanz nebst einem internationalen IT-Schwergewicht direkt oder indirekt involviert. Justiz und Finanz haben sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Via Web wird auch Werner Böhm sarkas­tisch: Das Verfahren laufe seit über einem Jahrzehnt, kaum jemand könne sich an die Sache oder das Unternehmen Yline erinnern, teilte er auf seiner Webseite mit. Unrecht hat Böhm damit nicht, was aber schade ist. Namen und Netzwerke, die schon Ende der 90er auftauchen, könnten möglicherweise vielleicht gar zur Erhellungen in der wesentlich jüngeren BUWOG-Causa beitragen. Vorausgesetzt, man hat ein Elefantengedächtnis – und kann eins und eins zusammenzählen.
Wer an eine uneingeschränkt freie heimische Presse glaubt, kann übrigens auch gleich an den Osterhasen glauben. Den Namen des illustren Investors Martin Schlaff darf man als Journalist zumindest noch schreiben. Den Namen des Österreichers »Mister X« sollte man freilich selbst dann lieber nicht erwähnen, wenn selbst nur amtsbekannte Tatsachen beschrieben werden. Selbst der legendäre und unerschrockene Aufdecker Alfred Worm und das juristisch gut beratene profil lieferten nach einer Intervention eine kurze Story, die auch gleich  in mesopotamischer Keilschrift verfassen hätte werden können. Nur eine Handvoll Leser dürfte überrissen haben, worüber zum Teufel Worm da überhaupt schrieb. Das ist keine Schande: Das Wall Street Journal, die Businessweek oder Forbes lieferten die einzig halbwegs substanziellen Reportagen. Die Welt von »Mister X« sei geheimnisvoll und gewalttätig, ließ Forbes gleich in Headline und Vorspann einer Top-Story wissen. Und gleich darauf: Man legt sich nicht mit ihm an. Die Welt, als eines der deutschen Leitmedien auch nicht gerade ein Provinzblatt, versuchte, in Österreich vor Ort zu recherchieren. Eine Beobachtung der Welt: Bereits die Nennung des Namens verursache nicht nur Schweigen – sondern auch Angst. 

>> Gelbe Karten für Österreich <<

Dass Korruption nicht nur ein moralisches, sondern auch massiv wirtschaftliches Übel ist, sagt einem ohnehin der Hausverstand. Der ist zwar durch die Rollkragenpulli-Kunstfigur von Billa leicht diskreditiert, zählt aber trotzdem. Dass Korruption extrem teuer ist, zeigen einschlägige Studien immer wieder aufs Neue, auch wenn sie zwangsläufig mit Unschärfen arbeiten (Details sie­he Kasten). Laut Weltbank liegt der jährliche Schaden bei satten vier Billionen Dollar. Übersetzt auf persönliche Verhältnisse: Jeder Erdenbüger wendet durchschnittlich rund sieben Prozent seiner Lebensarbeitszeit auf, um korrupte Eliten zu alimentieren. Die Grenzen werden immer schamloser überschritten, notorisch oft im Zusammenhang mit Privatisierungen.
Landkauf ist etwa ein ziemlich junges und systematisch recht unerforschtes Thema. Die Regierung von Madagaskar wollte 1,3 Millionen Hektar Land an den südkoreanischen Konzern Daewoo verscherbeln – rund die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen nutzbaren Fläche des Staates. Unruhen, Tote, Militärputsch und Rücknahme des Deals waren die fatale Folge. Von solchen anarchischen Zuständen ist Österreich Lichtjahre entfernt, auch wenn der aktuelle Eindruck anderes vermittelt. Transparency International (TI) veröffentlichte jüngst wieder den Korruptionswahrnehmungs-Index 2012. Österreich hat sich gegenüber 2011 deutlich um Plätze verschlechtert (siehe Grafik) und liegt nur mehr auf Platz 25 der »saubersten« Staaten. Keine Katastrophe, aber 2005 lag Österreich noch auf Platz 10.

Das »gefühlte« Ausmaß der heimischen Korruption trieb auch schon einmal den ehemaligen Rechnungshofpräsidenten und TI-Beiratspräsidenten Franz Fiedler zur Weißglut. Immer ernst und bedächtig, gab er schon zu Protokoll, dass Österreich bis zu den »Knien im Korruptionssumpf«stecke. Das ist knackig und nicht unzutreffend und wurde von den Medien auch dankbar aufgegriffen. Dass Fiedler auch bedächtig relativierte, war medial schon weniger sexy. Die jüngsten Änderungen des Korruptionsstrafgesetzes wurden von Fiedler – teilweise zumindest – auch als ambitioniert und sinnvoll bezeichnet.

Mit Zuckerbrot und Peitsche spielt auch die Industrieorganisation OECD in ihren Statements zu Österreich und Korruption. Die OECD war in der Vergangenheit schon mehrfach durch ihre kritischen Stellungnahmen »auffällig« geworden. Der jüngste Bericht, im letzten Sommer recherchiert und jüngst veröffentlicht, ist zwiespältig. Das Pressestatement der OECD erwähnt noch lobend Bemühungen wie etwa die Einrichtung einer Korruptions-Staatsanwaltschaft. Der Bericht selbst ist eher ernüchternd: Seit der Unterzeichnung der Anti-Schmiergeld-Konvention 1999 habe es Österreich nicht geschafft, auch nur einen einzigen der glamourösen Fälle abzuschließen. In fast der Hälfte der Fälle seit 1999 seien nicht einmal Ermittlungen aufgenommen oder wieder eingestellt worden. Eine Hymne klingt anders.

In ganz schlechter Gesellschaft befindet sich Österreich trotzdem nicht: Die Niederlande oder Deutschland schneiden nicht viel besser ab. Seit 2011 kennen Ökonomen aber den sogenannten »Habsburg-Effekt«: Regionen, die im Osten um 1900 geografisch zur Monarchie zählten, haben auch heute noch ein positiveres Verhältnis zu Korruption und Staatsmacht als Regionen, die damals nur ein paar Kilometer außerhalb lagen.
So schlimm die Verhältnisse in Österreich und im benachbarten Osten auch sein mögen: Ohne Österreich und seinen seit josephinischen Zeiten kulturell tief verankerten und teilweise auch widerspenstigem Beamtenadel wären sie vielleicht noch schlimmer. Jüngstes Beispiel unmittelbar vor Redaktionsschluss: Der unerschrockene Richter Georg Olschak war nur Stunden nach seinem Urteil über Ex-Innenminister Ernst Strasser quasi weltberühmt. Eine Google-Suche warf gut eine Million Treffer aus. Natürlich in Europa, aber selbst in Japan, Chile, den Philippinen, Indien oder im fernen Neuseeland wurde noch über das Urteil Olschaks berichtet und sein Name erwähnt.

Was wahrscheinlich auch eines zeigt: Korruption drückt wie die Pest auf alle Staaten. Und ein paar Staaten hätten auch gerne so einen Georg Olschak.

 

>>> Umfang und Kosten von Korruption sind naturgemäß nur schwer oder unscharf zu erfassen. Eines ist sicher: Korruption ist teuer und drückt auf ganze Volkswirtschaften. Nach Schätzungen der Weltbank etwa liegen die jährlich Schäden bei rund vier Billionen Dollar oder zwölf Prozent der weltweiten Bruttowirtschaftsleis­tung. Ein weiteres Schlaglicht: Laut dem »Global Corruption Report« 2009 zahlten die Unternehmen alleine in Entwicklungsländern jährlich 40 Milliarden Euro Bestechungsgelder. Für Öster­reich gibt es dank Friedrich Schneider konsistentes Zahlenmaterial. Der Ökonom der Linzer Johannes Kepler Universität forscht seit Jahren über Schattenwirtschaft und Korruption. Nach der jüngsten Untersuchung vom August 2012 liegt der in Österreich jährlich verursachte Schaden bei rund 17 Milliarden Euro, Tendenz steigend (siehe Grafik). Schneider verortet zudem einen »signifikant negativen« Zusammenhang zwischen Korruption und Bruttoinlandsprodukt. So reduziert bereits ein geringer Anstieg des Korruptionsindex das Wachstum in den OECD-Staaten um 1,25 Prozent. Wie lohnend Korruptionsbekämpfung sein kann, zeigt ein Vergleich: Gelänge es, das heimische Korruptionsniveau auf das der Schweiz zu senken, würde das der heimischen Wirtschaft laut Schneider Kosten in der Höhe von sechs Milliarden Euro jährlich ersparen. Beim Nachbar Deutschland liegt der jährliche Schaden bei aktuell rund 150 Milliarden. Anders als in Österreich sinkt dort jedoch die Schadenshöhe und liegt annähernd wieder auf dem Niveau von 2006.

 

>>> Wer vermutet hat, dass die Unzahl der heimischen Korruptionsskandale auf die einschlägigen Rankings durchschlagen wird, lag richtig. In soeben erschienenen Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von Transparency International liegt Österreich nur mehr auf Rang 25 (siehe Grafik). Das ist ein regelrechter Absturz. 2005 lag Österreich noch auf dem respektablen 10. Platz.

Die gute Botschaft: Im Weltvergleich liegt Österreich immer noch sehr gut. Die Schlechte: Nimmt man nur »zivilisierte« Demokratien als Vergleich, liegt das Land gerade noch im unteren Drittel des Rankings. Druck kommt auch von der OECD, die Österreich schon mehrfach gerügt hat. OECD-Experten waren letzten Sommer in der Alpenrepublik auf Erkundungstour. Der fertige Bericht wurde kürzlich veröffentlicht. Die Pressemeldung der OECD verteilt für Österreichs Bemühungen noch Lob, der Bericht selber schon weniger. Getadelt wird etwa, dass es in Österreich seit der Unterzeichnung der »Anti-Schmiergeld«-Konvention 1999 keine einzige Verurteilung wegen »Bestechung im Ausland« gegeben hat, obwohl es eine ganze Reihe einschlägiger Verdachtsfälle gab. In fast der Hälfte dieser »glamourösen« Fälle wurden Ermittlungen nicht einmal aufgenommen oder wieder eingestellt, moniert die Industrieorganisation. Die Verdachtsfälle werden von der OECD übrigens anonymisiert abgehandelt. Viel Fantasie braucht der gelernte Österreicher jedoch nicht, um die »üblichen« Verdächtigen zu identifizieren.

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