Der Weltuntergang ist abgesagt – aber Euphorie will auch auf den Finanzmärkten nicht so recht aufkommen. Die anhaltende Schuldenkrise in Europa und düstere Prognosen belasten die Weltwirtschaft. Report(+)PLUS hat bei renommierten Experten nachgefragt, wie sie die weitere Entwicklung einschätzen und wo sich Investments noch lohnen.
Von Angela Heissenberger
Es hätte 2012 auch schlechter laufen können. Ein europäischer Staat nach dem anderen drehte sich im Schuldenstrudel. Hatte es 2011 erstmals seit der Finanzkrise nach Frühlingserwachen ausgesehen, verlor die Konjunktur schon bald wieder an Schwung. Die Rezession im Euroraum strahlt auch auf andere Regionen aus, vor allem in Osteuropa. Unter den hoch verschuldeten Staaten konnte sich bislang nur Irland stabilisieren, die übrigen Länder verzeichnen dramatische Produktionsrückgänge und explodierende Arbeitslosenraten. Allen Unkenrufen zum Trotz schaffte es die Europäische Zentralbank (EZB), die Eurozone zumindest vorläufig zu beruhigen. Als viertes Land schlüpfte Spanien unter den Rettungsschirm ESM, den die Regierungschefs der Euro-Staaten mit großen Anstrengungen aufspannten.
Österreich behauptet sich in diesem Umfeld noch vergleichsweise gut. Die Wachstumsprognosen mussten 2012 auf 0,4 % und für 2013 auf 0,5 % (statt zuvor prognostizierten 1,7 %) revidiert werden. Die schwache Reallohnentwicklung dämpft den privaten Konsum, die nachlassende Konjunktur wirft zunehmend Schatten auf den österreichischen Arbeitsmarkt. 2013 ist mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 4,7 % zu rechnen – in der EU dennoch der niedrigste Wert.
An den Kapitalmärkten war das Vorjahr von großen Ängsten geprägt. Wer sich von den Hiobsbotschaften nicht beirren ließ, konnte aber durchaus beachtliche Erträge einfahren. Für die meisten Investoren stand Sicherheit hoch im Kurs, wobei es risikolose Investments, die auch noch respektable Renditen abwerfen, wohl nicht mehr gibt. Vielleicht mit einer Ausnahme: Gold – mehrfach totgesagt, aber bei kleinen und großen Anlegern noch immer ein Renner – legte abermals um rund 6 % auf 1.648 Dollar je Feinunze zu. Auch Zentralbanken sind zuletzt auf den Geschmack gekommen. Wer noch nicht in Edelmetall investiert ist, sollte jetzt auch die Finger davon lassen.
In den Schwellenländern bremste sich das Wachstum stark ein – China verzeichnete etwa bereits sieben Quartale in Folge abgeschwächte Zuwachsraten. Schlechte Vorzeichen für die ohnehin schlappe globale Konjunktur? Wie gesagt, es hätte schlechter laufen können: Die Eurozone ist nicht zerfallen, in den USA scheint die Rezession abgewendet, in China und Japan geben politische Machtwechsel sogar Grund zur Hoffnung. Überzogene Erwartungen sind dennoch nicht angebracht.
5 Fragen, 5 Antworten
- Das Börsenjahr 2012 geht nach bescheidenen Erwartungen mit durchaus positiven Vorzeichen zu Ende. Aktien sind äußerst günstig bewertet. An welchen Titeln führt kein Weg vorbei?
- Nach zermürbenden Verlusten flüchteten im Vorjahr viele Anleger in Staats- und Unternehmensanleihen sowie Sachwerte. Ist es ratsam, in dieser »Komfortzone« zu bleiben?
- Europa bleibt aufgrund der hohen Verschuldung und schwacher Wachstumsaussichten recht fragil. Werden die Maßnahmen der EU und der EZB ausreichende Beruhigung bringen?
- Der Währungskrieg zwischen Euro und Dollar scheint abgesagt. Sind vom erstarkten US-Aktienmarkt Impulse zu erwarten?
- Auch die Emerging Markets haben an Schwung verloren. Der »rote Riese« China wankt – wird der Westen mitgerissen oder bringt die neue politische Führung eine Wende?
>> Friedrich Mostböck, Head of Group Research Erste Bank AG
1.) Immofinanz, OMV, Vienna Insurance Group, voestalpine, Lenzing.
2.) Mit einem Teil des Vermögens bleibt einem unter dem Gesichtspunkt der Diversifikation oft nicht viel anderes über. Bei Unternehmensanleihen sollten weiterhin Investments in Grade-Bonds sowie als Beimischung BB und Hybridanleihen von soliden Emittenten gezeichnet werden.
3.) Sie müssen ausreichen. Nur infolge einer fehlenden gemeinsamen Fiskalpolitik und 17 unterschiedlichen Rentenmärkten sind wir in der Eurozone insgesamt angreifbarer. Wir leben aber in einer globalen Verschuldungskrise, die sich nicht nur auf die Eurozone beschränkt, sondern auch die USA, Großbritannien und Japan inkludiert.
4.) Von den USA werden wohl auch in 2013 wenn, dann nur verhaltene Impulse ausgehen. Die USA wird unter langfristigen Wachstumspotenzialen bleiben. Die USA verzeichnen eine durchschnittlich höhere Verschuldung als die Eurozone (107 vs. 93 %), haben aber den Vorteil einheitlicher Fiskalpolitik und einer gemeinsamen Asset-Klasse in Form von US-Treasuries. Dennoch muss die »Fiscal Cliff« einmal überwunden werden. Ob das nachhaltig gelingen wird, bleibt in Frage zu stellen.
5.) China wird auf moderateren Wachstumsniveaus aufsetzen. Das ist auch eine Folge der in Summe schwächer erwarteten globalen Konjunktur. Wir denken trotzdem, dass sich selektive Investments in Aktien längerfristig rechnen. Da die Zinsen niedrig bleiben, drängen sich in Folge Investitionen in risikoreicheren Anlageklassen wie Aktien auf. Wir erachten exportstarke Sektoren aus Industrie, Konsum und dem Gesundheitsbereich als interessant.
>> Peter Brezinschek, Chefanalyst Raiffeisen Research
1.) Der Schwung von 2012 sollte auch noch in den ersten Monaten 2013 anhalten. Grund dafür ist nicht die Wirtschaftslage, sondern die üppige Liquiditätsausstattung der Notenbanken weltweit. Doch die Vorlaufindikatoren zeigen auf Bodenbildung im Konjunkturzyklus mit baldigem Aufschwung im zweiten Halbjahr. Deswegen sind zyklische Branchen, wie Informationstechnologie, Chemie, Investitionsgüter, zyklischer Konsum an erster Stelle zu nennen. Bei der Titelauswahl würden wir europäische Aktien bevorzugen, weil sie günstiger bewertet sind. Auch die Dividendenrendite zwischen 3-4 % spricht für Aktien.
2.) Die hartnäckige Inflation von noch immer über 2 % macht ein langfristiges Investment in österreichische oder deutsche Staatsanleihen mit maximal 1,8 beziehungsweise 1,4 % Rendite zum programmierten Verlustgeschäft. Daher ist von Käufen in diese Anleihen vorerst abzuraten. Bei spanischen oder irischen Bonds liegen die Renditen mit 4,5 bis 5,3 % zumindest deutlich über der Teuerungsrate. Dagegen sind Immobilien – man denke an die Entwicklung in Wien – teilweise schon in eine überhitzte Phase eingetreten. Hier sollte nur noch selektiv und regional differenziert agiert werden.
3.) Die Europäische Zentralbank (EZB) entpuppte sich als effizientes Krisenfeuerwerk. Mit ihrer generösen Geldversorgung des Finanzsektors trug sie sehr zur vorübergehenden Beruhigung auf den Märkten bei. Doch am Zug sind nunmehr die Politiker, weil die EZB nur Zeit kaufen kann, jedoch nicht die Lösung des Schuldenproblems bewerkstelligen kann. Daher sind sparsame Budgets der EU für den Zeitraum 2014-2020 genauso wichtig wie konsequente Strukturreformen der jeweiligen Regierungen. Die Installierung der Bankenunion und die Etablierung der Fiskalunion sind weitere Meilensteine.
4.) Die EUR/USD-Parität wird maßgeblich von den Renditedifferenzen der USA und Deutschlands (als Repräsentant für die Eurozone) bestimmt. Der neutrale Wert befindet sich bei knapp über 1,30. Wir rechnen in einer Bandbreite von +/- 5 Cent mit einer leichten Verbesserung des Euro zum Jahresende von 1,35.
5.) In den Emerging Markets war in den letzten zwei Jahren weniger zu verdienen als in den etablierten Aktienmärkten. Doch mit der neuen chinesischen Führung ist ein klares Wachstumskonzept entwickelt worden, das für 2013 schon erste Auswirkungen mit realem BIP-Wachstum von über
8 % haben wird. Auch Indien hat Investitionsanreize geschaffen und sollte mit über 6,5 % Wachstum glänzen. Russland und Brasilien sind mit jeweils plus 3 % beim realem BIP zwar schwächer, aber noch immer deutlich über den entwickelten Staaten. Daher sollten Emerging- Market-Aktienfonds mit breiter Streuung über die Branchen ein gutes Langfristinvestment darstellen.
>>Christoph Wolf, Bereichsleiter Financial Markets der Bawag P.S.K.
1.) 2012 hat tatsächlich die meisten Marktbeobachter überrascht. Die entschlossene Haltung der Zentralbanken in USA und Europa, eine Eskalation der Finanzkrise mit massiven Assetkäufen zu verhindern, hat in Kombination mit historisch tiefen Leitzinsen und Kapitalmarktrenditen zu starken Zuflüssen in risikoreiche Veranlagungen und sehr positive Performance geführt.
Die Bewertung von Aktien ist jedoch regional und branchenspezifisch unterschiedlich. Das schwache makroökonomische Umfeld in den westlichen Industrieländern schafft zusätzliche Unsicherheit und bedingt eine höhere Risikoprämie für Dividendentitel. Positiv für 2013 sollten sich die tiefen Kapitalmarktzinsen sowie die Untergewichtung vieler institutioneller Investoren in Aktienanlagen auswirken.
2.) Die Renditen von Staatsanleihen in den USA, UK und den »Core«-Ländern der Eurozone verharren auf his-
torisch tiefem Niveau und bieten nur geringe Ertragschancen. Unternehmensanleihen sind deutlich teurer als vor zwölf Monaten, werden aber durch solide Bilanzen unterstützt und sollten weiterhin gehalten werden. Sachwerte sind aufgrund ihrer Volatilität (Rohstoffe) bzw. eingeschränkten Liquidität (Immobilien) nur eine eingeschränkte Option in einem diversifizierten Portfolio.
3.) Die Märkte honorieren seit Mitte 2012 die entschlossenen Maßnahmen der EZB und der EU-Finanzminister zur Eindämmung der Schuldenkrise in Europa. Aufgrund des schwachen Wachstums und der Sparmaßnahmen wird es zu Defizitüberschreitungen und Marktturbulenzen kommen. Trotzdem scheint der Höhepunkt der Krise bereits überwunden zu sein.
4.) Nach der temporären Abwendung der sogenannten »Fiscal Cliff« in den USA haben sich die Aussichten für die US-Wirtschaft kurzfristig aufgehellt. Weitere Entscheidungen zu Sparmaßnahmen und der Schuldenobergrenze stehen aber bevor und werden Unsicherheit an den Märkten erzeugen. Nur eine glaubhafte Lösung der öffentlichen Schuldensituation wird zu einer nachhaltigen Erholung der US-Wirtschaft führen.
5.) Wachstumsraten von 9 % über viele Jahre haben in China zu gefährlichen Instabilitäten am Immobilien- und Bankensektor geführt. Eine Wachstumsabschwächung ist daher durchaus positiv zu sehen. Generell bleibt der asiatische Raum (ohne Japan) ein sehr dynamischer Wirtschaftsraum, während Lateinamerika und Osteuropa etwas zurückfallen. Veranlagungen in Emerging Markets sowohl in Fixed Income als auch Equity Investments bleiben aber aufgrund der besseren Wirtschaftsdaten, geringerer Verschuldung und der demografischen Situation interessant.
>>Monika Rosen, Chefanalystin Bank Austria Private Banking
1.) keine Angaben
2.) Wir empfehlen grundsätzlich ein diversifiziertes Portfolio, in dem Anleihen natürlich eine wesentliche Rolle spielen. Aktuell sind wir bei Anleihen insgesamt unter-, bei Aktien übergewichtet. Wir gehen davon aus, dass die Renditen der Kernländer mittelfristig steigen werden, weshalb wir innerhalb des Rentenportfolios bei Staatsanleihen untergewichtet sind. Gute Chancen sehen wir weiterhin bei Unternehmensanleihen vor allem im Hochzinsbereich.
3.) Wir halten die Risiken für beherrschbar und sind fest davon überzeugt, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden und werden, um die Euro-Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Dass sich die Märkte schon ziemlich beruhigt haben, hat man im zweiten Halbjahr 2012 gesehen.
4.) Die USA haben zum Jahreswechsel zumindest temporär die Fiskalklippe umschifft, dennoch sind sie weiterhin mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die USA sind die stärkste Wachstumsregion der westlichen Welt, wichtiger Abnehmer für den Export der anderen (z.B. Emerging Markets). Positiv stimmt die Erholung am Immobilienmarkt. Der US-Konsument, der zwei Drittel der Konjunktur trägt, ist zentral für das globale Wirtschaftsgefüge. Insofern ist zu hoffen, dass die weiteren politischen Querelen nicht zu viel Unsicherheit erzeugen. Bei US-Aktien sind wir derzeit neutral (schon viel Positives eingepreist).
5.) Die Emerging Markets bleiben weltweit die Wachstumslokomotive, auch China sollte die Talsohle durchschritten haben. Wir gehen davon aus, dass auch in den EM die Geldpolitik expansiv bleibt. Die Aktienmärkte haben die überdurchschnittliche Wachstumsraten nicht immer reflektiert (China!), das könnte aber heuer anders werden.
>> Uwe Lang, Berater der Swissinvest Vermögensverwaltung
1.) Man sollte sich jetzt auf Aktien konzentrieren, die gut im Trend liegen, aber noch unter ihrem Buchwert notieren. Dazu gehören Erste Bank, in Deutschland Lufthansa, TUI, Heidelberg-Cement, im übrigen Europa KBC (Belgien), Air France-KLM (F), Renault (F) und der Versicherer Swiss RE (CH).
2.) Überhaupt nicht: Mit Anleihen lassen sich derzeit keine Renditen erzielen. Sachwerte wie Gold sind momentan zu teuer. Immobilien lohnen sich nur, wenn sie selbst genutzt werden können.
3.) Ja, diese Maßnahmen zeigen bereits Wirkung. Sie sollten ergänzt werden durch eine Art Marshall-Plan für Griechenland, Spanien und Portugal.
4.) Durchaus, die US-Börsen geben immer noch den Welt-Trend vor. Und das Vertrauen in die US-Konjunktur nimmt derzeit wieder zu.
5.) Ich würde mich auf interessante Hongkong-Aktien konzentrieren wie Cheung Kong.