Georg Kraft-Linz im Interview.
Georg Kraft-Kinz, Obmann des Vereins »Wirtschaft für Integration« und Generaldirektor-Stellvertreter der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, über das Trendviertel Brunnenmarkt, Mehrsprachigkeit als Handwerkszeug und die Rot-Weiß-Rot-Card.
(+) plus: Vor zwei Jahren haben Sie den Verein »Wirtschaft für Integration« gegründet. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Georg Kraft-Kinz: Viele Menschen beschweren sich über nicht gelungene Integration, aber ganz wenige versuchen, etwas zu verändern. Mein Freund Ali Rahimi und ich haben diesen Verein gegründet, so wie wir als Wirtschaftstreibende eben Dinge angehen – mit einem positiven, potenzialorientierten Zugang. Dann habe ich Feuer gefangen an der Sache. Unsere Ziele sind einfach: fordern und fördern. Wir zeigen her, wo Integration gut funktioniert; wo es nicht funktioniert, verändern wir. Das Thema Integration war früher wie ein Arztbesuch, den man lange vor sich herschiebt. Aber es ist eine Chance, die wir nützen müssen.
(+) plus: Viele Zuwanderer sind in Österreich unter ihrer Qualifikation beschäftigt, weil ihre Ausbildung nicht anerkannt wird. Wie kann dieses Potenzial besser genützt werden?
Kraft-Kinz: Wir leben in einer Abwertungsspirale. Wir müssen erkennen, welches Können, welche Vielfalt, welche Fähigkeiten zugewanderte Menschen in unser Land bringen. Ich finde es grob fahrlässig, Menschen in einem Beruf zu halten, in dem sie ihre Qualifikation nicht einmal annähernd nützen können. Ich bin kein Experte für Nostrifizierung, aber es ist absolut zynisch, wenn Menschen, die in Afrika Medizin studiert haben, in Österreich Taxi fahren müssen. Das ist frustrierend und auch nicht adäquat für unsere Volkswirtschaft.
(+) plus: Viele kleine Handwerksbetriebe werden von Migranten geführt. Werden diese Kleinunternehmer ausreichend unterstützt?
Kraft-Kinz: Die Wirtschaftskammer bemüht sich sehr um diese Unternehmen, aber die wichtigste Unterstützung ist unsere Wertschätzung. Es ist ja interessant, dass diese vormals schwierigen Bezirke plötzlich »trendy« werden. Sie werden sehen, in zwei Jahren ist der Brunnenmarkt wie der Naschmarkt. Natürlich haben wir Plätze, an denen sich Communitys zusammenballen. Aber denken Sie an London oder New York – bei uns spricht man von Ghettoisierung, dort ist man stolz auf »Little Italy«. Anders hinzuschauen, das tut der Metropole Wien gut.
(+) plus: Andererseits gibt es viele Migranten, auch der zweiten oder dritten Generation, die kaum berufliche Perspektiven sehen. Ist die Integration gescheitert?
Kraft-Kinz: In Österreich wurden die Defizite jahrelang nur beschrieben, aber nichts verändert. Es gibt auch viele österreichische Menschen, die wir nicht integrieren können. Das ist kein rein migrantisches Thema, die Gesellschaft fragmentiert sich enorm.
(+) plus: Mit dem Redewettbewerb »sag’s multi« fördern Sie gezielt die Mehrsprachigkeit von Jugendlichen. Warum ist die Muttersprache so wichtig?
Kraft-Kinz: Ich bin ein großer Anhänger der Mehrsprachigkeit. Es ist enorm wertvoll, wenn ein junger Mensch Deutsch und Türkisch kann – die Türkei ist ein Zukunftsmarkt. Es gibt in Wien ein französisches Lycée, aber unsere Handelsbeziehungen zu Frankreich sind endenwollend. Wir sind kein frankophiles Land. Ich bin überzeugt, es wird in wenigen Jahren eine türkisch-österreichische Schule in Wien geben.
Wenn ich an unseren Redewettbewerb denke, bekomme ich eine Gänsehaut. Den Zuhörern blieb der Mund offen. Ein 13-Jähriger aus Kroatien, der sich auf die Bühne stellt und vor 150 Leuten in perfektem Deutsch sagt: Ich werde der nächste Bundespräsident. Und dann spricht er in seiner Muttersprache über seine Migration – das berührt mich immer sehr, weil das auch für die Kinder sehr schwierige Geschichten sind. Viele Kinder erzählen, dass sie sich schämen, wenn sie in der U-Bahn mit ihrer Mutter Türkisch sprechen. Deutsch ist das Handwerkszeug dieser Volkswirtschaft. Aber Deutsch allein ist zu wenig, um für den Arbeitsmarkt fit zu sein. Die Wirtschaft ist globalisiert. Meine Vision ist, dass auch migrantische Jugendliche auf eine Fachhochschule gehen. Das Schlimmste ist, wenn Jugendliche mit 15 aus der Schule aussteigen, keine Lehrstelle finden und auf der Straße herumlungern.
(+) plus: Am 1. Juli tritt die Rot-Weiß-Rot-Card in Kraft. Ist Österreich attraktiv genug für qualifizierte Arbeitskräfte?
Kraft-Kinz: Von der Symbolik her ist das ganz wichtig. Man kann Österreich auch wie eine Firma sehen, die auf der Suche nach den besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist. Ein so kleines Land wie Österreich ist angewiesen auf Menschen, die es attraktiv finden, bei uns mitzuarbeiten. Wir haben großen Nachholbedarf in den technischen Berufen, wir brauchen Facharbeiter und Krankenschwestern. Der wanderungswillige, sehr gut ausgebildete Mensch überlegt sich wirklich gut, wo er oder sie hingeht. Wir müssen dieses Gefühl vermitteln: Ja, du bist bei uns willkommen. Das gelingt nur, wenn wir an den vielen Defiziten und Herausforderungen arbeiten.
(+) plus: Welche Maßnahmen wünschen Sie sich seitens der Politik?
Kraft-Kinz: Integration funktioniert nur mit Beiträgen von jedem von uns. Jeder ist verantwortlich. Österreich ist kein Kino, wo wir als Bürger sitzen, die Politiker beobachten und uns dann über den schlechten Film beschweren. Wenn die Zivilgesellschaft diese Veränderung mit großer Vehemenz vorantreibt, werden immer mehr Menschen sagen, wir wollen nicht im Zustand der Sprachlosigkeit miteinander leben, sondern Österreich qualitativ, sozial, menschlich, kulturell weiterentwickeln. Hunderttausende Leute in Österreich arbeiten ehrenamtlich – Mütter und Omas, die mit migrantischen Kindern Deutsch lernen, für null Euro. Es gibt unzählige Filme über die Probleme mit Migranten. Diese Bilder haben die öffentliche Meinung geprägt, aber Migration sieht ganz anders aus. Mir geht es nicht um Hilfe von Politikern. Ich will Veränderung. Nur zu Weihnachten wünsche ich mir etwas.
>> Integrationspreis 2011:
Für ein besseres Miteinander. Zum zweiten Mal wurde am 8. Juni der Österreichische Integrationspreis – initiiert vom Verein »Wirtschaft für Integration« und dem ORF – vergeben. Als Schirmherren fungieren Raiffeisen-General Christian Konrad und Bürgermeister Michael Häupl. Von 261 Einreichungen waren in vier Kategorien 16 Initiativen nominiert, die sich vorbildlich um das interkulturelle Zusammenleben bemühen.
In der Kategorie »anpacken & initiativ sein« beeindruckte das Projekt »Roma-Jugend« des Lions Club Murau. Der Verein finanziert mittels Bildungskredit die Ausbildung junger slowakischer Roma zu PflegehelferInnen. In der Kategorie »bilden & befähigen« wurde das Hausbesuchsprogramm HIPPY der beratungsgruppe.at ausgezeichnet. Sozial- und bildungsbenachteiligte Familien mit Vorschulkindern werden von zweisprachigen Betreuerinnen zu Frühförderung angeleitet. Der »KunstSozial Raum Brunnenpassage« der Caritas (Kategorie »fördern & unterstützen«) bringt Menschen unterschiedlicher Herkunft über die Kunst zusammen. Und wohnpartner, das Nachbarschaftsservice im Wiener Gemeindebau (Kategorie »unternehmen & arbeiten«), stärkt durch vielfältige Angebote die Identifikation mit dem Wohnumfeld und überzeugte durch den hohen Anteil an MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund.