An den denkwürdigen Winter 2009 dürfte sich Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny noch gut erinnern. Krise, Bankrettung und Verunsicherung erreichten ihren Höhepunkt. Trotzdem zeichnete Nowotny auf der »Sky-Konferenz« Ende Jänner zwar keinen wolkenlosen Himmel, aber ein grundsätzlich positives Bild des Österreich-Engagements im Osten. Jedoch nur wenige Tage später kam Störfeuer aus den USA. Die Rating Agentur Moody’s kam zu dem Schluss, dass das Ostengagement österreichischer Banken überproportional gefährlich sei – und das »Wall Street Journal« druckte Moody’s Erkenntnisse brav nach. Damit war der Wirbel fast schon perfekt, aber nur fast. Weil US-Ratingagenturen todsicher immer Recht haben, schlossen sich in der Folge der Internationale Währungsfond IWF und Starökonom Paul Krugman der Moody’schen Ferndiagnose an. Krugman orakelte in New York gar über einen möglichen Staatskollaps und sah Österreich schon in der gleichen Liga wie die Bankrottstaaten Island und Irland. Nowotny, ganz wie in alten Bawag-Zeiten, rückte aus, um den Feuerwehrmann zu spielen. Die Mission war zwar heikel, aber keine »Mission Impossible«. Moody’s wie IWF hatten sich in ihren Untersuchungen peinliche Zahlendreher und Fehleinschätzungen erlaubt. So peinlich, dass IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn zurückrudern musste. Strauss-Kahn stellte fest, dass die Probleme nicht größer seinen als die für andere Länder und dass man sich um »Österreich keine Sorgen mache«.
Als Unterstützer fungierte Jean-Claude Juncker, Chef der Euro-Gruppe, der sich gleichlautend äußerte.
Die Einsicht kam zwar nicht zu spät, aber spät – zumindest in finanzieller Hinsicht. Die Risikoaufschläge für heimische Staatsanleihen waren bereits hinaufgeschnellt. Die Refinanzierung kostete die Republik damals kurzfristig nicht viel weniger als dem späteren Pleitestaat Griechenland. Aber was ist, außer sinnloser Kosten, vom damaligen Wirbel geblieben und wie schlägt sich der heimische Finanzsektor im Osten heute? Und wie gefährlich ist das Engagement tatsächlich? Erschwert wird eine Einschätzung durch den Umstand, dass CEE als Dachbegriff für »Ostländer« wirtschaftlich und politisch gesehen mittlerweile höchst inhomogene Märkte und Staaten umfasst. Unter CE segeln »klassische« Mitteleuropäer wie Tschechien, Polen oder Ungarn. Unter SEE der Balkan-Länderbogen von Albanien über Serbien bis hin zu Rumänien. Unter CIS wiederum »echte Ostler« wie Russland oder die Ukraine. Viele dieser Staaten sind EU-Mitglied oder vereinzelt gar im Euro-Klub, andere stehen auf der engeren Beitrittsliste, wiederum andere gehören nur zu einem erweiterten EU-Wirtschaftsraum. Kein Wunder also, dass eine US-Agentur wie Moody’s mit der Zuordnung der Länder und ihrer Risiken ein wenig durcheinandergeraten ist. George W. Bush etwa konnte Slowenien und die Slowakei nicht auseinanderhalten – und spielt damit noch in der geografischen US-Oberliga. Sarah Palin sieht Russland von Alaska aus und findet Afrika am Globus nicht.
Was vom Ost-Boom bleibt
Da sind die Österreicher schon aus anderem Holz geschnitzt. Es klingt abgedroschen, aber K.u.k.-Vergangenheit, Nachbarschaft und mentale Nähe wirken nach. Und erklären auch die erstaunliche Präsenz der heimischen Wirtschaft im Osten. Vor allem aber zählte die Finanzwirtschaft zu den Pionieren. Raiffeisen etablierte sich noch vor der Wende in Ungarn, so gut wie alle anderen namhaften Banken und Versicherungen folgten nur kurz später. Lediglich Erste-Bank-Chef Andreas Treichl definierte für sich erst 1997 den »erweiterten Heimmarkt« – und galt damit schon als Nachzügler. Der Lohn der Mühe: In CEE erreichten die heimischen Institute eine Marktposition, von der selbst Finanzgroßmächte wie die USA, Deutschland oder Frankreich nur träumen können. Ganz ohne Friktionen verlief das nicht. Raiffeisen holte sich etwa bei der Russlandkrise Ende der 90er Schrammen. Viel mehr aber auch nicht. Renditen und Wachstum waren in den wilden und goldenen Boomzeiten so hoch, dass Ausfälle schnell zurückverdient waren. Im Immobilienbereich etwa sollen die diversen Bankentöchter und Entwicklungsgesellschaften Ostprojekte, die weniger als 20–25 Prozent Rendite versprachen, nicht einmal von der Ferne angesehen haben. Macht und Marktposition der heimischen Banken zeigt sich beim Kredit-Exposure, das laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2009 in den CEE-Volkswirtschaften bei knapp 200 Milliarden Euro lag. Prozentual umgelegt auf das BIP ist das zwar beachtlich, ein finanzieller Höllenstuhl ist das aber nur bedingt.
Rund drei Viertel der Verbindlichkeiten liegen in EU-Ländern, die über diverse Kohäsions- und Strukturfonds oder auch die Europäische Investitionsbank in den EU-Stabilitätsrahmen eingebettet sind. Ein nicht unwesentliches Detail, das etwa Moody’s bei seiner Analyse glatt entgangen ist. Sollte die EU zusammenkrachen, dürfte Österreich ohnehin auch andere Probleme haben als das Ostengagement des heimischen Finanzsektors. Wie turbulent die Prognose-Lage im harschen Krisenjahr 2009 noch war, zeigen aber kleine Details. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) analysierte sicher treffend, dass die CEE-Staaten überproportional von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Investitionsbereitschaft im Westen abhängen. Zu Recht wurde sicher auch die exzessive Kreditvergabe kritisiert, die in vielen CEE-Staaten stärker als die eigene Wirtschaft gewachsen ist und übermäßig von Fremdwährungskrediten lebt. Die EBRD-Schlussfolgerung, dass das »zentrale Wachstumsfundament« verlorenging, war schon weniger zutreffend (siehe Kasten). Nach einer radikalen Schrumpfkur, die die CEE-Staaten beim Bruttoinlandsprodukt noch 2009 verzeichnen mussten, stand dieser Indikator schon letztes Jahr weitgehend wieder auf Grün. Sieht man von Ausnahmeentwicklungen wie in Rumänien, Bulgarien oder dem Baltikum ab, stieg das durchschnittliche BIP-Wachstum schon 2010 wieder deutlich über das der alten EU-15-Kernstaaten an.
Good News für Österreicher
Das neue Jahr ist noch jung. Im Ostgeschäft konnten die heimischen Finanzunternehmen heuer trotzdem bereits aufzeigen. Die neu formierte Raiffeisen Bank International (RBI) kaufte Anfang Februar um 490 Millionen Euro 70 Prozent der polnischen Polbank EFG. Im nächsten Schritt werden die bestehende Raiffeisen Bank Polska und der neue Zukauf Polbank fusionieren. Damit wird die RBI die Anzahl der Geschäftsstellen in Polen rund vervierfachen, die Anzahl der Kunden wird von 240.000 auf über eine Million gepusht. RBI verbessert damit nicht nur ihre Marktposition in Polen, sondern setzt auch ein Zeichen. Der Deal ist seit der Finanzkrise die erste größere Übernahme im Ostbanken-Geschäft. Auch die Erste Bank dürfte wieder Gusto bekommen und liebäugelt laut Bank-Boss Andreas Treichl mit Zukäufen am Westbalkan, in Ungarn oder Polen. Gute Nachrichten kommen auch aus dem Versicherungsbereich. Die Vienna Insurance Group (VIG) vermeldete, dass sie in Tschechien Marktführer geworden ist.
In der Sparte Lebensversicherung hält die VIG in ihren CEE-Kernmärkten jetzt einen Anteil von knapp elf Prozent und setzt sich damit vom internationalen Wettbewerb ab. Anders als im Bankbereich ist das Ostgeschäft bei Versicherungen eher fragmentiert und inhomogen und die Dominanz der Österreicher weniger ausgeprägt als im Bankensektor. Ein Grund: Die ehemals staatlichen Monopolversicherer – respektive ihre Nachfolger – genießen einen Vertrauensbonus und sind beinharte Mitbewerber. Manpower und Vertriebsdruck sind ebenfalls kritische Größen. Mehr als Banken brauchen Versicherer schnurrende Vertriebsapparate, um ihre Produkte an den Mann zu bringen. Anders als bei den Banken scheint das Wachstumspotenzial schier endlos zu sein. 2003 gaben Osteuropäer gerade einmal 100 Euro jährlich für Versicherungsprämien aus – 15-mal weniger als Westeuropäer. Nach den EU-Beitritten hat sich die Relation auf etwa 1:4 verschoben, aber die Goldgrube lebt. Länder wie Rumänien oder Serbien bringen es bei Versicherungen laut Analysten der Erste Bank gerade einmal auf eine lächerlich geringe Durchdringungsrate von unter zwei Prozent.
Was kommt
Für in Franken verschuldete und bankrotte ungarische Häuslbauer ist das beispielsweise sicher kein Trost. Aber wenigstens zeigt ein volkswirtschaftlicher Indikator nach oben. Glaubt man der Einschätzung der EU-Kommission oder der meisten Banken-Researcher, wird sich das in den nächsten Jahren auch nicht grundlegend ändern. Leicht verunsichert zeigte sich bei den Krisenprognosen 2009 auch der Kreditversicherer Coface, der Österreich im Länderranking damals zurückstufte. Coface diagnostizierte viel Wahres, was Kreditausfälle und wirtschaftliche Befindlichkeiten in den CEE-Ländern und dem maßgeblich engagierten Österreich betraf. Aber auch kleine Widersprüchlichkeiten. Im Sommer wurde noch zurückgestuft, aber schon Ende September »trotzten die heimischen Top-500-Unternehmen« laut Aussendung bereits tapfer der CEE-Krise und konnten trotz einem »schwierigem Marktumfeld« massiv wachsen. Im Februar 2010 erhielt Österreich in der Coface-Länder-Watchlist schon wieder einen Pfeil nach oben. Langfristig gesichert sein dürften nur einige Annahmen von EU-Kommission, Ratingagenturen, diversen Analysten und Researchern. Das Ostgeschäft wird auch weiter deutlich über Schnitt der EU-15 wachsen, wenn auch abgeschwächt. Ebenso wird die Konvergenz von Lohn- und Dienstleistungsniveaus weiter fortschreiten.
Zum Bremsfaktor im Ostgeschäft wird freilich die demografische Entwicklung. Ganz nach dem Konvergenz-Gedanken wird die CEE-Bevölkerung nicht nur langsam wohlhabender, sondern viel schneller noch älter. Eine erfrischende Sicht auf diese Perspektive liefern etwa die Analysten der Erste Bank. Diese verknüpften länderübergreifend Schuldenstand, Alter der arbeitenden Bevölkerung und Wachstumsaussichten 2010–2020 in einem Chart, der die Aussichten in einer Wolke darstellt. Die bei weitem schlechtesten Karten dieser Sicht hat Japan, das die Analysten nicht unwitzig gleich als »dead man walking« klassifizieren. Amerika und England nehmen ebenfalls negative »Spitzenplätze« ein, gefolgt von der EU und dicht dahinter China. CEE-Länder wie Polen, Rumänien, Russland und Co punkten noch mit einem relativ niedrigen Schuldenstand und relativer Jugendlichkeit. Die echten »Stars«, bei denen alle betrachteten Parameter stimmen, finden sich freilich woanders. An der Spitze der langfristigen Wachstumsprognosen liegen in etwa gleichauf die Schwellenländer Brasilien und Indien, dicht gefolgt vom ewigen EU-Beitrittskandidaten Türkei. Aber genug »Hot Money« – wie es die Analysten leicht süffisant nennen – fließt dort sowieso schon hin. Vielleicht zu viel davon, denn ein »potenziell destabilisierender Faktor« für diese Länder wird deswegen auch schon geortet. Demnach scheint immerhin ein Markt zeitlos stabil zu sein: der »Markt« für Finanzblasen.