Donnerstag, November 21, 2024
Reiche besteuern?
Bild: iStock

Die Ankündigung der BASF-Erbin Marlene Engelhornt, 25 Millionen Euro ihres Vermögens von einem Bürger*innenrat »rückverteilen« zu lassen, hat ein umstrittenes Thema wieder aufs Tapet gebracht. Vermögen ist in Österreich höchst ungleich verteilt: Einem Prozent der Menschen gehört die Hälfte des gesamten Nettovermögens, 99 Prozent teilen sich die andere Hälfte. Nur in drei EU-Ländern ist die Ungleichheit noch größer. Die Vermögenssteuer wurde in Österreich 1994 abgeschafft, seit 2008 gibt es auch keine Erbschaftssteuer mehr. Wie sich eine Wiedereinführung auswirken würde, hat Report(+) bei drei Expert*innen nachgefragt.


1. Werden Reiche in Österreich bevorzugt?

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"Die bedeutendste Funktion von Vermögen ist neben der Erzielung von Gewinnen die Ausübung von Macht. Dabei geht es sowohl um die Ausübung von ökonomischer Macht auf unvollkommenen Märkten als auch um die Ausübung von Macht gegenüber der Arbeitnehmerseite sowie den demokratischen staatlichen Institutionen der Gesetzgebung. Jede Form von Marktregulierung schafft Gewinner und Verlierer. Dass Besitzer*innen von großem Vermögen überproportionale Mitsprachemöglichkeiten in der Gesetzgebung haben, ist sowohl national als auch international erkennbar."
Wilfried Altzinger, Mitbegründer und Leiter des Forschungsinstituts »Economics of Inequality« (INEQ) an der WU Wien

"Für Superreiche ist Österreich ein wahres Niedrigsteuerland: Während eine Mittelschichtfamilie einen Steuer- und Abgabenbeitrag von etwa 42 Prozent ihres Bruttoeinkommens leistet, liegt der Beitrag eines Beispiel-Millionärs bei nur 30 Prozent. Der Milliardär Mark Mateschitz trägt sogar nur 26 Prozent bei. Das liegt daran, dass unser progressives Lohnsteuersystem bei den Superreichen nicht mehr greift, da nur ein winziger Teil ihrer Einkünfte aus Arbeit kommt. Für andere Vermögenswerte gibt es aber, wenn überhaupt, nur viel niedrigere, einheitliche Steuersätze. Das ist problematisch, da Steuern und Abgaben wesentlich zur Finanzierung wichtiger Sozialstaatsleistungen wie Bildung, Sozialhilfe und sozialer Infrastruktur beitragen, von denen alle profitieren – auch Superreiche. Sie tragen jedoch deutlich weniger zum
österreichischen Sozialstaat bei."
Sophie Achleitner, Volkswirtschafterin am Momentum Institut

"Das österreichische Steuersysteme ist als Vielsteuersystem konzipiert. Es kennt eine Vielzahl von unterschiedlichen Abgaben, die den einzelnen Bürger unterschiedlich belasten. Die Abgabenquote beläuft sich auf knapp 44 % des BIP, was im internationalen Vergleich als hoch gilt. Darin sind auch Abgaben enthalten, die »Reiche« treffen. In Bezug auf eine abgabenübergreifende, gleichmäßige Lastenverteilung ist zu bedenken, dass die Gerechtigkeitsfrage nur mit Blick auf ein Gesamtsystem aus Wirtschaftsordnung, Steuer- und Transfersystem sinnvoll beantwortet werden kann. Österreich ist ein Sozialstaat und zeichnet sich durch ein umfassendes soziales Leistungsspektrum aus. Dieses wird nahezu ausschließlich über Steuerzahlungen finanziert. In der Debatte rund um die Besteuerung der Reichen wird häufig vergessen, dass in den Staatsausgaben, die durch Steuern finanziert werden, auch Steuern der Reichen stecken."
Anna-Maria Anderwald, Juristin am Institut für Finanzrecht, Universität Graz


2. Würde eine Erbschaftssteuer mehr Gerechtigkeit bringen?

"Erbschaften sind generell hochkonzentriert. Die Top-10-Prozent der Vermögensverteilung vererben rund 60 Prozent des gesamten Erbvolumens. Jede Erbschaft stellt ein leistungsloses Einkommen oder/und eine leistungslose Übertragung von Vermögen dar. In diesem Sinne entspricht die Erbschaft einer Geburtslotterie, die jedoch den weiteren Lebensverlauf eines Menschen zentral mitbestimmt. Eine Erbschaftssteuer ist ein sinnvolles Instrument zum Ausgleich der von Geburt an bestehenden Chancen­ungleichheiten."
Wilfried Altzinger

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"In den nächsten 30 Jahren werden in Österreich über 600 Milliarden Euro steuerfrei vererbt, wobei das reichste Zehntel der Haushalte die Hälfte dieser Erbschaften erhält. Gleichzeitig hat Österreich die höchste Vermögenskonzentration in der Eurozone: Die reichsten fünf Prozent besitzen mit 55 Prozent mehr als die Hälfte des Vermögens im Land. Durch eine Besteuerung dieser leistungslosen Einkommen (Erbschaften) könnte jährlich etwa eine Milliarde Euro generiert werden, die zur Steuergerechtigkeit in Österreich beitragen."
Sophie Achleitner

"Seit einigen Jahren kann ein Auseinanderdriften in den Vermögensverhältnissen in der österreichischen Bevölkerung beobachtet werden. Dieser Umstand wird als dem Gerechtigkeitspostulat widersprechend beklagt. Eine zunehmende Besteuerung des Faktors Kapital im Verhältnis zu Arbeit wird gefordert. Dafür scheint eine Erbschaftsteuer, die im Allgemeinen auch für Schenkungen gilt, geeignet. Aus steuerrechtlicher Sicht stellt eine Erbschaft- und Schenkungsteuer ein gewisses Korrektiv für die Unterfassung von Wertsteigerungen bei der klassischen Einkommensteuer dar. Die Erbschaftsteuer kann eine faktische Besteuerungs-
lücke schließen und ist geeignet, die unverminderte Weitergabe von Vermögen über Generationen hinweg zu unterbrechen."
Anna-Maria Anderwald


3. Wäre die Einführung einer Vermögenssteuer effektiver?

"Das private Vermögen hat sich in Relation zum Volkseinkommen in den letzten 30 Jahren mehr als verdoppelt, womit sich das ökonomische Gewicht von Einkommen hin zu Vermögen verschoben hat. In Österreich besitzt das Top-1-Prozent mehr als 30 Prozent des Gesamtvermögens. Insbesondere diese Personen üben einen starken Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft aus, wie uns die Berichte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zeigen. Die Einführung einer substanziellen und progressiven Vermögenssteuer – beschränkt auf die Top-1-Prozent der Vermögensbesitzer*innen – kann einer übermäßigen Vermögens- und Machtkonzentration entgegenwirken."
Wilfried Altzinger

"Die fehlende wirksame Besteuerung von Vermögen als auch Erbschaften verschärfen die wachsende Ungleichheit und Vermögenskonzentration in Österreich. Die Besteuerung von Vermögen bringt aktuell lediglich vier von 100 Steuereuros ein, während 80 von 100 Steuereuros aus Arbeit und Konsum kommen. Eine wirksame Vermögensbesteuerung könnte jedoch jährlich bis zu sechs Milliarden Euro einbringen. Für eine gerechtere Steuerstruktur braucht es diese ebenso, wie Erbschafts-, Schenkungs- und höhere Unternehmenssteuern. Es ist keine Frage des Entweder-oder, zielführend ist es, beide Steuern in Österreich wieder einzuführen."
Sophie Achleitner

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Insbesondere Vollzugsgründe, nämlich die umfassende und einheitliche Erfassung sämtlicher Vermögensgegenstände, spricht meines Erachtens für die Implementierung einer Erbschaft- und Schenkungsteuer anstelle einer Nettovermögenssteuer, um der ungehinderten Vermögensungleichverteilung Einhalt zu gebieten.
Anna-Maria Anderwald

Fotos: Martin Morscher, Pertramer, Uni Graz

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