Sonntag, November 24, 2024

Hohe Inflation und sehr geringes Wachstum – Österreich erwartet 2023 erstmals seit den 1970er-Jahren eine »Stagflation«, sagen die Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS. Viele Faktoren zeigen einen negativen Trend. Kann dieser gebremst werden? Report(+)PLUS hat bei Expert*innen nachgefragt.

1. Schlittert Österreich in eine Rezession?

Birgit Niessner
Direktorin der Abteilung für volkswirtschaftliche Analysen der Oesterreichischen Nationalbank

Die Konjunkturentwicklung im Jahr 2022 ist von zwei sehr unterschiedlichen Phasen gekennzeichnet. Während die Wachstumsdynamik im ersten Halbjahr noch sehr hoch war, ist im zweiten Halbjahr eine Eintrübung zu erwarten. Für das Gesamtjahr 2022 ergibt sich dadurch noch ein sehr kräftiges Wachstum von knapp fünf Prozent, das im Wesentlichen pandemiebedingte Aufholprozesse reflektiert. In Folge des Ukrainekriegs ist eine technische Rezession rund um den Jahreswechsel – also zwei aufeinander folgende Quartale mit einem negativen BIP-Wachstum –aus heutiger Sicht nicht auszuschließen.

Karlheinz Kopf
Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich


Nach den aktuellen Prognosen von WIFO und IHS liegen wir hier 2023 noch knapp über der Nulllinie. Die Abwärtsrisiken und geopolitischen Unsicherheitsfaktoren sind aber enorm, wir könnten allzu leicht in die Rezession abrutschen. Umso wichtiger ist es daher, den Unternehmen und der Wirtschaft als Ganzes Spielraum zu verschaffen. Ein Wirtschaften am äußersten Limit – wie das aufgrund der Kostensituation in unzähligen Betrieben quer durch alle Branchen längst traurige Realität ist – ist für den Standort, seine Betriebe und Mitarbeiter*innen existenzgefährdend.

Walter Pudschedl
Ökonom für Economics & Market Analysis Austria Corporates in der UniCredit Bank Austria

Ja, ich gehe schon seit längerer Zeit davon aus, dass die Belastungen durch den Energiepreisanstieg, die Abschwächung der globalen Konjunktur, aber auch das Auslaufen der Nachholeffekte nach der Pandemie die österreichische Wirtschaft noch vor dem Jahreswechsel in eine Rezession führen werden. Allerdings sehe ich dank einer ziemlich robusten Konsumnachfrage und eines recht stabilen Arbeitsmarkts einen nur kurzen und sehr moderaten Rückgang des BIP über den Winter entgegen.

2. Welche Wirtschaftssektoren sind besonders betroffen?

Birgit Niessner


Die aktuelle Abschwächung betrifft weite Teile der Wirtschaft. Die Industrie ist angesichts der internationalen Konjunkturabkühlung mit einem deutlichen Rückgang der Neuaufträge konfrontiert. Die energie-intensiven Energiezweige – vor allem Papier, Metall, Glas, Keramik und Chemie – sind mit massiven Kostensteigerungen konfrontiert. Schwierige Lohnverhandlungen erhöhen die Unsicherheit zusätzlich. Die hohe Inflation reduziert die Kaufkraft der privaten Haushalte, wodurch sich auch die Aussichten für den Einzelhandel und den Tourismus eingetrübt haben.

Karlheinz Kopf
In der Industrie steht eine Rezession vor der Tür. Das WIFO erwartet nächstes Jahr einen Wertschöpfungsrückgang von zwei Prozent in der heimischen Industrie. Schon jetzt gehen die Exportaufträge wegen der globalen konjunkturellen Abkühlung zurück. Gleichzeitig belasten die hohen Energiepreise die Betriebe enorm. Besonders stark betroffen ist die energie-intensive Industrie, denn in der EU sind die Gaspreise derzeit siebenmal so hoch wie in den USA. Für die Transportbranche wird 2023 voraussichtlich auch hart. Rasches und energisches Handeln und Gegensteuern – auf europäischer Ebene wie national – ist das Gebot der Stunde.

Walter Pudschedl
Die starken Energiepreisanstiege fordern in den kommenden Monaten zwar alle Wirtschaftssektoren, doch vor allem die energieintensiven und konjunkturreagiblen Produktionszweige, wie unter anderem Metallerzeuger und -verarbeiter oder Teile der Verpackungsindustrie, wie die Erzeugung von Papier, Pappe und Glas. Der Dienstleistungssektor insgesamt sollte sich vergleichsweise robust zeigen können. Doch mit Ausnahmen – denn einige Bereiche, wie das Transportgewerbe, werden voraussichtlich besonders großen Herausforderungen gegenüber stehen.

3. Halten Sie Preisdeckel für eine wirksame Maßnahme?

Birgit Niessner
Der Preissetzungsmechanismus auf den Energiemärkten führt aktuell zur Diskussion wirtschaftspolitischer Eingriffe, wie z.B. einem Preisdeckel. Allerdings ist hierbei die aktuelle Energieverknappung zu bedenken, welche eine Reduktion der Energienachfrage notwendig macht. Wenn zur Dämpfung der Inflation Preismechanismen ausgeschaltet werden, müsste dies möglicherweise von Rationierungsmaßnahmen begleitet werden, da ansonsten falsche Anreize gesetzt werden.

Karlheinz Kopf
Es kommt immer drauf an, was wir wie deckeln möchten. Eine Preisstützung für Gaskraftwerke, um Entlastungen über die Merit-Order zu erreichen, ist sicher sinnvoll, jedoch nur auf europäischer Ebene. Wir brauchen jetzt zügig ein derartiges Lösungsmodell, das die Preise senkt und die Versorgungssicherheit gewährleistet. Dazu zählen neben Eingriffen in den Strompreisbildungsmechanismus, auch der gemeinsame Gaseinkauf auf EU-Ebene. Auch braucht es auf nationaler Ebene dringend den Ausbau des günstigeren Stromerzeugungsangebots, also vor allem Erneuerbare.

Walter Pudschedl


Man muss eine solche Maßnahme differenzierter betrachten. Der Anreiz zum Energiesparen könnte eingeschränkt werden und es besteht keine soziale Treffsicherheit, sondern eine Subventionierung aller auf Kosten der Steuerzahler. Darüber hinaus könnten betroffene Lieferanten ihr Angebot einschränken und damit die Energieversorgung gefährden. So ein Eingriff in den Markt muss gut überlegt sein und kann nur auf europäischer Ebene durch die entsprechend hohe Macht der Nachfrage zum Erfolg führen.

(Bilder: iStock, Marek Knopp, OeNB, UniCredit)

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