Digitalisierte Prozesse eröffnen weitreichende Möglichkeiten für die Wirtschaft. Wie Vorreiter die Zukunft bereits heute mitgestalten und was dabei verschiedene Branchen voneinander lernen können – eine prominent besetzte Runde diskutierte Ende September in Wien die Chancen und Herausforderungen durch die Digitalisierung. Im Fokus: Infrastrukturen und wie Unternehmen am Markt mit einen zunehmend datenbasierten Geschäft reüssieren.
Die Diskutanten:
- Stefan Zapotocky ist Vorsitzender des Vorstands der RPR Privatstiftung von Ronny Pecik.
- Volker Libovsky ist seit 2019 als CTIO für den Netzbetrieb und für den IT- und Netzausbau bei Magenta Telekom in Österreich zuständig.
- Martin Graf ist Vorstandsdirektor der Energie Steiermark und gelernter Wirtschaftsinformatiker.
- Volker Fuchs ist CEO des Hidden-Champions Test-Fuchs mit Sitz im Waldviertel und Kund*innen in der Flugzeugindustrie weltweit.
- Gerald Haidl ist Gründer des IT- und Netzausrüsters NEWCON.
- Christoph Mazakarini ist langjähriger Wegbegleiter von Gerald Haidl und CTO bei NEWCON.
(+) plus: In welcher Weise hat die Digitalisierung das Wertpapier- und Börsengeschäft in Österreich in den vergangenen Jahren verändert?
Stefan Zapotocky, RPR Privatstiftung: Ich habe dort drei große Phasen der Digitalisierung erlebt.
In den Neunzigerjahren wurden die alten manuellen Prozesse in einer unglaublich großen Umstellung modernisiert. Bis dahin hatte man noch »Orders« in Papierform, in den Banken wurden Aktiencoupons mit der Schere abgeschnitten, in den Depots waren Stöße an ausgedruckten Wertpapieren gelagert.
Stefan Zapotocky (Mitte) war Vorstand der Wiener Börse und verantwortete wichtige Systemänderungen im Wertpapiermarkt.
Die große Revolution begann dann aber mit dem weltweiten elektronischen System Xetra, der Vorreiter einer weltumspannenden Handelsautobahn. Die Wiener Börse war der erste Kunde der Lösung der Frankfurter Börse. Das war ein Glücksfall, den bis dahin waren die österreichischen Aktien international kaum handelbar.
Wir haben dann in einer Hauruckaktion den Prime-Markt eingeführt, der für die heimische Wirtschaft bedeutend war – zum ersten Mal mussten Unternehmen Berichte nach IFRS legen und damit begann eine Ära der Vollinformation mit Quartalsberichten und vielem mehr. Ein Riesenthema war dabei die Möglichkeit der modellbasierten Verfolgung von Handelsvergehen – wir hatten ja mittlerweile tausende Trades pro Sekunde.
Die dritte Welle der Modernisierung erleben wir jetzt mit der Ausrollung all dieser Lösungen am Handy. Allein in Deutschland hat sich aufgrund von Corona die Zahl der persönlichen Wertpapiertransaktionen verdoppelt. Mitunter sind die Konsumenten besser informiert als ihre Bankberater.
Hier kommt es im Tradingbereich zu Kooperation von FinTechs mit Banken, die dann etwa die Rolle der Depotbank übernehmen. Über die vielen Transaktionen verfügen zunehmend auch die kleineren Anbieter von modernen, flexiblen Tradingsystemen über einen gewaltigen Datenschatz. Big Data ist nicht mehr ausschließlich die Domäne der Banken und großen Broker.
(+) plus: Welche Herausforderungen sehen Sie durch datenbasierende Geschäftsmodelle und Services?
Zapotocky: Im Bankwesen ist eine der großen Herausforderung in der Nutzung von Daten derzeit, dass die steigenden Anforderungen aus dem Risk-Management ungeheure Ressourcen binden. Das hat Vor- und Nachteile.
Zum einen können die Spezialisten für die Kreditvergabe riesige Datenmengen mit vergleichbaren Fällen und statistischen Erfahrungen mit tausenden Kunden ausnützen. Die Analyse aus den Datensystemen ersetzt vielfach bereits die Einschätzung des Menschen. Durch die Nutzung von Big Data werden bereits die Entscheidungsprozesse im Banken- und Versicherungswesen verändert.
Das heißt zwar nicht, dass die Systeme immer richtig liegen, aber die klassischen Hierarchien vom Risk-Manager bis zum Vorstand können sich in der Regel den Ergebnissen der Datenverarbeitung nicht entziehen. Doch wenn dann Entscheidungen nur noch aus automatisierten Risikosystemen getroffen werden, ist das aus meiner Sicht ein Nachteil.
Wir fördern damit eine völlige Unbeweglichkeit der Unternehmen.
Je mehr Daten diese Branche auch im Asset-Management und Trading-Bereich hat, desto höher sind auch die Anforderungen von Aufsichtsbehörden. Gleichzeitig werden die Zinsspannen und Geschäftsmöglichkeiten durch Dienstleistungen immer weniger. Über mehr Daten zu verfügen, bedeutet nicht automatisch mehr Geschäft – es ist eher das Gegenteil.
Ich sehe es als größte Herausforderung für die Finanzbranche, ihre Ertragsfähigkeit bei den wachsenden Datenmengen und einer gleichzeitig immer strengeren Regulierung zu halten.
(+) plus: Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung von Infrastruktur und Services für Magenta? Welchen Bereich würden Sie dazu speziell nennen?
Volker Libovsky, Magenta: Wir sehen ebenfalls seit Mitte der Neunziger eine massive Datenrevolution.
Magenta Telekom transportiert 1,9 Terabit Daten pro Sekunde in seinen Mobilfunk- und kabelgebundenen Netzen. Das Aufkommen im Festnetz wächst derzeit jährlich um 60 %, Mobilfunk um 40 %.
Volker Libovsky, CTIO bei Magenta Telekom in Österreich: »Wir erleben eine massive Datenrevolution.«
Für uns bedeutet das auch, gut alle sieben Jahre unser komplettes Netz – die Bereiche Core und Access – komplett erneuern zu müssen, um diese Datenmengen weiterhin abführen zu können. Aktuell versuchen wir mit 5G in den nächsten vier bis fünf Jahren eine Universalversorgung sicherzustellen, um mobilen Anwendungen auch in völlig neuen Bereichen wie etwa autonomes Fahren Rechnung zu tragen.
Ebenso unterstützen wir mit Kabel- und Glasfasertechnologien Breitbandanschlüsse in ganz Österreich. Magenta repräsentiert mit 33 % den Großteil der insgesamt 40 % Gigabitversorgung der Haushalte im Land. Wir haben damit einen Vorsprung von gut zehn Jahren gegenüber allen anderen Anbietern – und wir investieren jährlich zirka 250 Millionen Euro in Netz- und IT-Systeme.
Neben dem Netzausbau haben wir als große Herausforderungen und Trends die »Customer Experience«: die Kunden erwarten Netflix- und Amazon-ähnliche Servicequalität. Man ist nicht mehr bereit zum Gang in den Shop oder dazu, lange Telefonate zu führen. Das bedeutet ein massives Kundenaufkommen auf unseren digitalen Plattformen.
Gerade Jüngere kaufen sich ein Smartphone oft separat vom Vertrag – sie erwarten keinen persönlichen Kundendienst, sondern einfach eine Abwicklung ihrer Anforderungen über eine App. Fast die Hälfte aller unserer Kund*innen ist mit uns nur noch über die App in Verbindung.
(+) plus: Welche Strategie und konkrete Projekte haben Sie dazu?
Libovsky: Wir betreiben nicht nur ein Netz, sondern mehrere Netzinfrastrukturen in Österreich – darunter allein zwei IoT-Netze. In der Konsolidierung von mittlerweile vier Mobilnetzen von 2G bis 5G arbeiten wir an einem »Network of Networks«, um künftig auch die Infrastrukturen anderer Betreiber – Mitbewerber im Mobilfunk oder etwa Energieversorger – stärker zu integrieren.
Damit wird sich der Infrastruktur-Wettbewerb in unserer Industrie zu einem gewissen Grad drehen: Es gibt ein Interesse aller, eine starke Position gegenüber neuen, branchenfernen Konkurrenten einnehmen zu können.
Ein aktuelles Projekt, an dem wir derzeit mit der TU Graz arbeiten, sind Campus Netzwerke. Es sind Netze, die Unternehmen exklusiv nutzen können, und die von anderen Kunden getrennt betrieben werden.
Ein anderer Bereich ist die Vereinfachung der IT-Systeme bei uns und auch bei unseren Kunden. Während früher die IT immer größer und größer in den Unternehmen geworden ist, versucht man seit wenigen Jahren eine Konsolidierung und Verschlankung. Microservices ist einer der neuen Standards, um Anwendungen und Funktionalitäten flexibler zu gestalten und schneller ausrollen zu können.
(+) plus: Welchen Unterschied sehen Sie bei heimischen Unternehmen zu den großen Plattformanbietern wie etwa Google und Amazon?
Libovsky: Die internationalen Unternehmen mit komplett digitalen Geschäftsmodellen unterliegen keiner Regulierung. Sie bieten Dienste an, die im Prinzip den Kunden zum Produkt machen. Wir dagegen – und ich denke, ich kann für alle in dieser Runde sprechen – werden an lokalen Regulatorien gemessen und das ist auch gut so.
Als CIO oder CTO bin ich nicht nur der technische Verantwortliche im Unternehmen, sondern auch der »Chief Trust Officer«. Unsere Kunden wissen, dass ihre Daten lokal hier gespeichert bleiben und wir kein Geschäft auf ihre Kosten machen wollen. Trotzdem wird es nur gemeinsam auch mit den Großen funktionieren – man kommt an deren Kapitalmacht und Industrie-Know-how auch nicht mehr vorbei.
(+) plus: Welchen Stellenwert hat dieses Thema für die Energie Steiermark? Warum ist die Digitalisierung auch rückblickend auf die letzten Jahre so wichtig?
Martin Graf, Vorstandsdirektor Energie Steiermark: Wir haben im Prinzip zwei große Meilensteine mit Digitalisierungsschüben in der Energiewirtschaft gehabt: Die erste große Veränderung kam aus rechtlichen Gründen durch die Marktliberalisierung – erste Kundenwechsel mussten abgewickelt werden, die von Clearingstellen wie Cismo und APCS digitalisiert wurden. Damit wurden die Geschäftsprozesse in Richtung Kunden modernisiert.
Martin Graf ist seit vielen Jahren in Führungsrollen in der IT-Wirtschaft und in der Energiebranche tätig. Bis 2016 leitete er als Vorstand die Regulierungsbehörde E-Control.
Den zweiten Schub sehen wir jetzt und dieser ist technologiegetrieben: Das Verteilnetz wird intelligent, die Smart Meter lösen die analogen Stromzähler ab. Das bedeutet die Datenübertragung von Viertelstundenwerten, im Gegensatz zu früher, als ein Zählerstand einmal im Jahr von einer Person abgelesen wurde.
Das verändert auch die Sicht auf die Kunden und ermöglicht, neue Services anzubieten. Customer-Experience umfasst jetzt weit mehr, als eine Rechnung an die Kunden zu schicken. In den letzten Jahren hat sich hier schon viel getan.
Auch die DNA in der Energiewirtschaft ist der Infrastrukturausbau – nicht nur von Energienetzen, sondern auch von digitaler Infrastruktur. So ist die Energie Steiermark auch im Bereich Fiber-to-the-Home sehr aktiv. Und wir sind mit unserer Tochter »easy green energy« der führende Onlineanbieter von Strom und Gas in Österreich – und damit trotz unserer Rolle als Incumbent einer der größten Newcomer am Energiemarkt.
(+) plus: Welche konkreten Digitalisierungsprojekte haben Sie derzeit?
Graf: In dem aktuellen Forschungsprojekt »Blockchain Grid«, das wir gemeinsam mit dem AIT und weiteren Partnern umsetzen, werden in einem kleinen Ortsnetz in der Südsteiermark unterschiedliche Haushalte gebündelt und miteinander intelligent vernetzt.
Die Haushalte speisen den Strom aus ihren Photovoltaikanlagen in einen gemeinsamen Speicher ein und teilen sich auch die Nutzung. Beispiele wie dieses zeigen, dass die Digitalisierung nun stark durch die verschiedensten Technologien getrieben wird.
Seit rund drei Jahren haben unsere Führungskräfte in dem Projekt »Digital Use Cases« das Ziel, zwei Digitalisierungsprojekte pro Jahr im Unternehmen tatsächlich praktisch umzusetzen. Ein Fokus liegt hier auf »Operational Excellence« von Robotic-Process-Automation in der Buchhaltung angefangen über viele weitere Unternehmensprozesse.
Ein zweiter Bereich ist die Netztechnik, beispielsweise die frühzeitige Erkennung von Fehlern und drohenden Gebrechen an Freileitungsmasten und Leitungen mittels Drohnen, Kameras und Bilderkennung auf Basis von künstlicher Intelligenz. Ein weiterer Fokus liegt auf der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen.
Diese Lösungen brauchen ebenfalls Systeme für die Abwicklung und auch Abrechnung, Rechtssicherheit und vieles mehr.
(+) plus: Warum sehen Sie die Digitalisierung auch als Element für die Energiewende? In den Netzen werden doch weiterhin die dicken Kupferleitungen notwendig sein.
Graf: Natürlich werden wir weiter Stahl, Kupfer, Transformatoren und Leitungen brauchen. Für die optimale Bewirtschaftung werden wir aber stärkere IT-Systeme und Sensorik in den Netzen benötigen. Der Strommarkt hat einen großen Unterschied zu anderen Märkten: Wir müssen gleichzeitig jene Mengen produzieren, die auch verbraucht werden.
Strom im großen Stil können wir abgesehen von den Pumpspeicherkraftwerken derzeit nicht hinreichend speichern. Deshalb muss in der bestehenden Infrastruktur der Ausgleich geschaffen werden.
(+) plus: Welche Produkte und Services bietet Test-Fuchs? Wer ist Ihre Zielgruppe?
Volker Fuchs: Mein Großvater hatte 1945 mit der Reparatur von Lichtmaschinen und Kühlaggregaten begonnen und in weiterer Folge mit seinen von ihm entwickelten Prüfgeräten die Flugzeugbranche als Nische entdeckt. Heute bieten wir Prüflösungen für physikalische Elemente in Flugzeugsystemen, für Komponenten etwa in der Hydraulik, Pneumatik und Elektrik.
Volker Fuchs, CEO von Test-Fuchs: »Die Hoheit über die Daten ist meiner Meinung nach noch ein ungelöstes Thema. Bei physischen Produkten kann man feststellen, wer diese rechtmäßig besitzt. Bei Daten ist das schwieriger.«
Unsere Systeme kommen nach der Produktion der Komponenten oder nach einer Wartung zum Einsatz, um die Teile wieder für den Einbau ins Flugzeug freizugeben. Kunden haben wir weltweit unter den Herstellern und technischen Dienstleistern der Flugindustrie.
(+) plus: Welche Herausforderungen sehen Sie hinsichtlich der Digitalisierung in dieser Industrie?
Fuchs: Zu einem Spezifikum der Branche gehört ein sehr starker Fokus auf die Sicherheit. Das Luftfahrzeug ist nach wie vor im Vergleich das sicherste Verkehrsmittel.
Aus diesem Grund gibt es extreme Hürden, um neue Produkte auf den Markt zu bringen. Das macht Entwicklungszyklen langwierig und diese erfordern auch enorme Investitionen. Die Branche ist zwar innovativ, aber der Lebenszyklus des Produkts Verkehrsflugzeug beträgt grundsätzlich rund 20 Jahre oder länger. Ausgenommen sind hier Plattformen, auf denen immer wieder Neues auch schneller entwickelt wird.
Wie sich das mit schnelllebigen IT-getriebenen Datenumgebungen vereinen lässt, ist aus meiner Sicht eine große Fragestellung in einer Industrie, die aus Gründen der Sicherheit erzkonservativ eingestellt ist.
Selbst wenn man durch die Digitalisierung Chancen für neue Geschäftsmodelle erkennt – man hat es mit Personalstrukturen zu tun, die von Grund auf gedrillt wurden, Veränderungen eher fünfmal zu hinterfragen und tendenziell zwingend von Gefahren und Unsicherheiten auszugehen.
In der Branche herrscht hier allgemein eine starke Spannung. Wie das zu lösen ist, weiß ich auch noch nicht.
(+) plus: Welchen Nutzen können nun datenbezogene Prozesse in diesem Bereich bewirken?
Fuchs: Die über unsere Testergebnisse erfassten Daten können prinzipiell für ein Monitoring eingesetzt werden oder sie werden auch in die Produktentwicklung rückgeführt. Hier wären wir technologisch bereits so weit, neue Services zu bieten.
In unkritischen Bereichen gibt es erste Ansätze für Umsetzungen, beispielsweise beim Waschen von Triebwerken. Wenn damit regelmäßig Verbrennungsrückstände entfernt werden, wird der Treibstoffverbrauch und damit auch der CO2-Footprint des Flugzeugs reduziert und gleichzeitig die Lebensdauer eines Triebwerks erhöht.
Über eine von uns entwickelte IoT-Lösung können wir gemeinsam mit Lufthansa Technik weltweit auf Flugzeuge zugeschnittene Waschprogramme optimieren und diese auch über ein Pay-per-Use-Modell vermarkten. Wir haben damit nicht nur einen Vorteil gegenüber unseren Mitbewerbern, sondern können über die Datenanalysen rechtzeitig die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und den Einsatz von Fachpersonal vor Ort besser planen.
(+) plus: Wem gehören die Daten aus Komponenten und Flugzeugen? Wie wird das in der Industrie gehandhabt?
Fuchs: Mit den Datenplattformen, die Daten aus dem laufenden Betrieb aggregieren, soll dieser sicherer und effizienter gemacht werden. Alle großen Player stellen hier Datenbasen zu Verfügung: zum Beispiel Airbus mit Skywise, Boing mit AnalytX oder Lufthansa Technik mit Aviatar.
Allerdings ist die Hoheit über die Daten meiner Meinung nach noch ein ungelöstes Thema – wer etwa die Rechte an der »Intellectual Property« hat. Bei physischen Produkten kann man klar feststellen, wer diese rechtmäßig besitzt. Bei Daten ist das schwieriger. Wir haben hier noch keine Standards und keine einheitliche Lösung – das ist aktuell die größte Herausforderung durch die Digitalisierung in dieser Branche.
Als vergleichsweise kleinerer Player in diesem Markt können wir uns dazu schon einbringen, müssen letztlich aber mit den Großen mitziehen. Im Endeffekt führt die Konzentration auf Datenplattformen zu einer Marktmacht der Anbieter. Da sind kleinere Partner dann eher vorsichtig, hier mitzumachen. Man hat die Sorge, in Abhängigkeiten zu geraten.
(+) plus: Welche Erfolgsfaktoren sehen Sie bei Digitalisierungsprojekten? Was sind hier auch Ihre persönlichen Erfahrungen?
Gerald Haidl, NEWCON: Ich habe die Digitalisierung des Festnetzes bei der damaligen Post und Telekom Austria in Österreich persönlich miterlebt.
Als Mitglied eines jungen Teams hatten wir damals die große Umstellung von der analogen in die digitale Welt IT-seitig mitgestaltet. Das GSM-Netz wurde dann von Anfang an digital gedacht und umgesetzt und mich hat das Thema Digitalisierung – auch wenn man den Begriff damals nicht so verwendet hatte – seitdem nicht mehr losgelassen.
Gerald Haidl ist ein Digitalisierer der ersten Stunde: Er verantwortete den Bereich Informationstechnologie bereits in unterschiedlichen Management-Positionen bei Post und Telekom Austria, Mannesmann, Vodafone, WesternWireless, tele.ring und HP. 2008 gründete er NEWCON.
Wir hatten zu dieser Zeit auch im liberalisierten Markt die Herausforderung Interconnection mit dem Festnetz, Mobilfunk und dem ersten Mitbewerber max.mobil – heute Magenta – relativ zügig in den Griff bekommen. Diese Interoperabilität am Markt, die Schaltung von Millionen Gesprächen täglich, wurde im Prinzip von einem kleinen Team erfolgreich umgesetzt.
Auch bei meinen späteren Aufgaben bei Mannesmann oder Western Wireless war das Erfolgsrezept immer ähnlich: mit schlanken Strukturen und den neuesten IT-Werkzeugen Unternehmensprozesse zu verschlanken und zu verbessern. Das gilt aus meiner Sicht für alle Branchen, egal ob es Order- oder Kundendaten sind.
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist eine starke Datenintegrität. Wir bieten das mit unserer Plattform, dem NEWCON, IntegrationLayer, unseren Kunden an. Anwendungsgebiete dieser »Digitalisierungs-Engine« sind beispielsweise Billing, IoT und elektronisches Fuhrparkmanagement.
Kunden wie Magenta wickeln darüber täglich Milliarden Transaktionen performant und sicher ab.
(+) plus: Welche Vorteile erzielen Kunden mit einer Datenintegration, deren Kerngeschäft noch nicht datenbasiert ist?
Haidl: Ein aktueller Anwendungsfall ist unser Kunde Gasline. Das deutschlandweit tätige Unternehmen bietet entlang von Fernleitungsnetzen der Energiewirtschaft auch eine sichere Glasfaserinfrastruktur, die Dritte nutzen können.
Wir haben in einem strategischen Digitalisierungsprojekt Daten aus den Geo- und den Netzinformationssystemen ebenso wie aus dem SAP zusammengeführt und auf eine Plattform gebracht. Aus abgetrennten Insellösungen wurden korrespondierende Gefäße, um Kundenservices, Planungs- und Abrechnungsprozesse besser aufeinander abzustimmen.
Nebenher wurde in diesem Projekt eine neue Struktur für die IT-Organisation und mit der Datenintegration auch eine verlässliche Basis für unternehmerische Entscheidungen eingeführt.
Christoph Mazakarini, NEWCON: Bei Gasline wurden durch die gemeinsame Datensicht auf die bestehende Leitungsinfrastruktur und neue Projektmöglichkeiten die Planung und Anbindung neuer Kundenstandorte erleichtert – bis hin zur Erweiterung des Geschäftsmodells.
Christoph Mazakarini, CTO bei NEWCON: »Digitalisierung ist kein alleinstehendes Thema.«
So hatte Vodafone bereits Rechenzentren und Switching-Standorte über Lichtwellenleiter der Gasline angebunden. Der nächste Schritt war dann, gut hundert Mobilfunk-Basisstationen innerhalb eines halben Jahres an diesen Backbone anzubinden. Mit der besseren Datenqualität und Verfügbarkeit von Informationen wurde etwa die Wirtschaftlichkeit dieser Leitungsanbindungen verbessert und diese so erst überhaupt möglich gemacht.
(+) plus: Wie sehr sind wir in Österreich diesem Thema aufgeschlossen?
Haidl: Das Schlagwort Digitalisierung kommt sicherlich in jedem zweiten Satz bei Diskussionen von Wirtschaft und Politik vor – oft ist damit aber einfach der Breitbandausbau gemeint und damit auch die Verteilung von Fördermillionen im ländlichen Raum, mit denen dann erst wieder nur Radwege errichtet werden.
Ich mache mir Sorgen, dass in Europa die Digitalisierung zu wenig pragmatisch gesehen wird. Bei Technologieunternehmen aus den USA gibt es eine gesunde Mischung der »Skills« auf Vorstandsebene, mit Menschen vor allem mit Technikwissen und nachgelagert natürlich auch Betriebswirtschaft. Dort weiß der CIO besser als der CEO, wie es um das Unternehmen steht.
In Europa dagegen wird die IT immer noch als Anhängsel vom Business gesehen. Dabei öffnet die Digitalisierung doch neue Chancen, ihre Services für Kunden einfacher zu gestalten.
Mazakarini: Digitalisierung ist ja kein alleinstehendes Thema, das zum Selbstzweck umgesetzt wird. Wenn man sich mit der Zusammenführung von Daten in einem Data Lake beschäftigt und Analysen daraus generiert, ist man auch mitten in Unternehmensprozessen, mitten in der Organisationsstruktur und in den verschiedenen Kommunikationswegen in einer Firma. Für den Mehrwert auf der Datenebene müssen sich alle Unternehmensabteilungen auf eine gemeinsame Sichtweise auf die Kunden einigen. Versteht der Vertrieb etwas anderes darunter als die Technik oder der Service, wird dieses Chaos auch in den Datenbanken widergespiegelt. Ein Digitalisierungsprojekt kann helfen, die nötigen Standards und Normen im Unternehmen zu schaffen.
Volker Fuchs: Als wir ein neues ERP-System und eine Lösung für Product-Lifecycle-Management eingeführt hatten, war klar, was bei der Digitalisierung sehr gut funktioniert: Man bekommt ein Spiegelbild der Organisation, das auch unverblümt Divergenzen in der Kommunikation und in den Prozessen aufdeckt.
Martin Graf: Und damit gibt es auch viel mehr eine zeitliche Koheränz zum Reporting in den Unternehmen. Früher haben die Quartalsberichte einen Überblick übers Unternehmen gegeben, der in der Regel ein Vierteljahr zu spät kam. Heute haben wir Dashboards mit zeitnahen Informationen zu allen Kundenentwicklungen und wichtigen Vorgängen. Man hat eine Basis für die weitere Unternehmensentwicklung. Wir verzahnen nun mit der Einführung von »Objective Key Results« das strategische und das operative Erreichen von Zielen enger. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen damit wesentlich fokussierter agieren können. Ohne die zugrundeliegenden Daten wäre das gar nicht möglich.
Volker Libovsky: Auch wenn die hier versammelten Industrien unterschiedlichen wirken, sind die Herausforderungen bei der Digitalisierung die gleichen. Die Themen Organisation, Prozesse, Effizienzsteigerung und neue Geschäftsmodelle stellen einen Blumenstrauß an positiven Möglichkeiten.
Digitalisierung bedeutet nicht ausschließlich Breitband, sondern die Verbesserung, Beschleunigung und vor allem die Neuerfindung von Business-Prozessen. Breitband ist die Autobahn, aber die Fahrerinnen und Fahrer müssen schon selbst die Fahrzeuge steuern. Die Zukunft wird sein, auch unseren Geschäftskunden möglichst viele eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei unseren Services zu geben. Wir stehen als vertrauenswürdiger Partner bei der Integration von Daten und der Entwicklung neuer Dienste zur Seite.
Christoph Mazakarini: Eine Wegrichtung zur Datensouveränität ist sicherlich die dezentrale Speicherung und Verarbeitung von Daten, sichergestellt durch eine standardisierte digitale Signatur. In künftigen Datennetzen ist dann ein einzelner Teilnehmer wie etwa Auto genauso Teil eines großen Systems. Es gibt keinen zentralen Betreiber, der die Hoheit über die Daten hat – und der sich sogar über geografische Grenzen und staatliche Gewalten hinwegsetzen könnte –, sondern ein Netzwerk vieler. Technisch kann das über eine Blockchain und andere dezentrale Datenspeicherungen gelöst werden. Wir verringern damit die Gefahr von Abhängigkeiten: Jeder hat ein bisschen etwas und wenn einmal einer ausfällt, bricht nicht die Welt zusammen.
Gerald Haidl: Durch die zunehmende Vernetzung von Dingen, Maschinen und auch unterschiedliche Services in den Mobilnetzen steigen die Anforderungen an die Technik. Die Kunst liegt darin, die bestehenden Systeme in Unternehmen mit neuen Lösungen zu verknüpfen – denn von heute auf morgen wird kein Unternehmen seine Bestands-IT wegschmeißen.