Nach Neuseeland und Island startete nun auch in Schottland ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche. Begleitende Studien brachten eine durchwegs positive Bilanz – weniger Stress, mehr Arbeitsbereitschaft und -zufriedenheit, eine bessere Work-Life-Balance. Trotz weniger Stunden soll der Lohn gleich bleiben. Der Maßstab ist die Produktivität: 20 Prozent weniger, aber effektiver arbeiten. Ob diese Rechnung aufgeht, hat der Report bei Expert*innen nachgefragt.
1. Ist die Vier-Tage-Woche ein ideales Arbeitsmodell?
Gebhard Borck, Geschäftsführender Gesellschafter GB KOMMUNIKATION GmbH, Autor des Buches »Die selbstwirksame Organisation«
"Sie ist weder ein geeignetes noch ein per se ungeeignetes Arbeitsmodell. Wichtiger als der Zeitbezug ist der Arbeitsinhalt. Außerdem sind die Bedingungen, zu denen die Arbeit eingefordert wird, sehr entscheidend. Können wir Menschen diese mitgestalten? Üben wir eine Tätigkeit aus, die uns in allen Belangen anspricht? Mögen wir das, was wir tun? Gibt es ausreichend Raum, uns von Anstrengungen zu erholen oder geht das nur in der Freizeit? Je mehr dieser Fragen wir mit »Ja« beantworten können, umso unwichtiger ist die Anzahl der Arbeitstage pro Woche."
Klaus Hochreiter, Geschäftsführer eMagnetix Online Marketing GmbH
"Diese Frage muss jedes Unternehmen für sich selbst beantworten – für uns bei eMagnetix ist die Vier-Tage-Woche ein weiterer Baustein in unserem flexiblen Arbeitszeitmodell. Wir gehen sogar so weit, dass unsere Mitarbeiter jede Woche eigenverantwortlich entscheiden können, ob die Wochenstunden in vier oder fünf Tagen absolviert werden. Flexibilität ist das Gebot der Stunde und ein sehr wichtiges Argument, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Arbeitnehmer befinden sich in den unterschiedlichsten Lebensphasen und dafür sollte ich als Arbeitgeber jeweilige Lösungen und Benefits bieten können."
Birgit Artner, Arbeits- und Organisationspsychologin, AMD Salzburg – Gesellschaft für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Arbeitspsychologie GmbH
So einfach lässt sich diese Frage leider nicht beantworten, da weniger Arbeitstage nicht auch gleichzeitig weniger Tätigkeiten und mehr Erholung bedeuten. Da braucht es eine komplexere Betrachtungsweise. Jedenfalls müssten die Rahmenbedingungen bei einer Vier-Tage-Woche vorab genau mit dem Arbeitgeber definiert werden, damit es dann nicht zu einer höheren Stressbelastung kommt. Zudem sollten auch die individuellen Lebensumstände (u.a. Betreuungspflichten, finanzielle Situation) mitberücksichtigt werden.
2. Welche Auswirkungen hat die Verringerung der Arbeitszeit?
Gebhard Borck
Sie gibt den meisten Menschen mehr Raum zur Kompensation von Stress, der bei ihnen arbeitsbezogen entsteht. Ich kenne allerdings Gruppen, die den Wertbeitrag unter den Teammitgliedern abstimmen. Danach richtet sich dann auch die Entlohnung. So steht das Ergebnis vor der aufgewandten Zeit. Da ist es wichtig, die eigene Leistungsfähigkeit gut einschätzen zu können. Gelingt das ohne Ausbeutung, ist diese Form der Zusammenarbeit deutlich gesünder als jedes Arbeitszeitmodell, das ich kenne.
Klaus Hochreiter
Wir haben im Jahr 2018 als eines der ersten Unternehmen in Österreich und Europa auf eine 30-Stunden-Woche – aber bei vollem Lohnausgleich (= #30sindgenug) – reduziert und profitieren nun auf mehreren Ebenen nachhaltig davon. Unsere Bewerberquote hat sich verzehnfacht, das Team verdreifacht und die Umsätze vervielfacht. 83 Prozent der Mitarbeiter von eMagnetix fühlen sich seit #30sindgenug sogar gesünder als zuvor. Natürlich gab es auch Herausforderungen und die wird es auch in Zukunft geben. Wenn man aber auch hier als Unternehmen flexibel ist, kann man rasch Lösungen finden.
Birgit Artner
Das hängt davon ab, ob sich mit der geringeren Arbeitszeit auch die Arbeitsmenge reduziert. Andernfalls würde der gewünschte Erholungseffekt ausbleiben. Denn Menschen, die in kurzer Zeit viel arbeiten, sind an ihren arbeitsfreien Tagen oft müder, erschöpfter und unkonzentrierter. Lässt sich der »gewonnene« Tag tatsächlich für die Regeneration nutzen, wird die notwendige Work-Life-Balance gefördert und das Burnout-Risiko gesenkt.
3. Wie kann die Arbeitszufriedenheit verbessert werden?
Gebhard Borck
Jenseits von Zeitschemas ganz einfach dadurch, dass wir Menschen uns die Freiheit geben, zu wirken. Sobald wir unsere Systeme – also auch den Arbeitsplatz – tatsächlich verantwortlich mitgestalten können, steigt die Zufriedenheit. Natürlich nur dann, wenn wir von den Erfolgen profitieren. Sei das in Form von mehr freier Zeit, mehr Einkommen oder mehr Gemeinschaft. Säen (Selbstwirksamkeit), Erhalten (Verantwortung) und Ernten (Profit) ist der harmonische Dreiklang für hohe Arbeitszufriedenheit.
Klaus Hochreiter
Jedes Unternehmen sollte individuelle Lösungen und Maßnahmen installieren, um bessere Arbeitsbedingungen herzustellen – für den einen Mitarbeiter ist eine Vier-Tage-Woche ideal, für einen anderen die Homeoffice-Möglichkeit. Als ersten Schritt würde ich die Mitarbeiter befragen, was sie sich wünschen. Oder gerne auch mal die Bewerber fragen, was sie von einem Arbeitgeber erwarten. Wer jetzt sagt »Das ist mir aber alles zu viel Aufwand, das rechnet sich nicht«, der sollte sich eine Zahl vor Augen führen: Die durchschnittlichen Fluktuationskosten pro Job betragen laut einer Deloitte-Studie 15.000 Euro.
Birgit Artner
Menschen sind zufriedener, wenn sie selbst mehr bestimmen sowie abwechslungsreiche und eigenverantwortliche Tätigkeiten ausüben können. Die Pandemie hat zudem erneut aufgezeigt, wie wichtig eine gute Work-Life-Balance ist. Daher werden flexiblere Arbeitszeitmodelle und soziale Goodies, die das Unternehmen bietet, immer wichtiger! Auch Wertschätzung, faire Entlohnung und ein gutes Betriebsklima sind Faktoren, die sich positiv auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden auswirken.