Das Linzer Unternehmen FerRobotics ist Weltmarktführer für sensitive Robotik. Gründer Ronald Naderer erklärt im Report(+)PLUS-Interview, wo diese Technologie zum Einsatz kommt, was der Fachkräftemangel damit zu tun hat und warum er trotzdem lieber mit Menschen zusammenarbeitet.
(+) plus: Sie haben das Unternehmen 2006 gegründet. Wie hat sich der Markt für Robotik seither entwickelt?
Ronald Naderer: Das Unternehmen entstand als Spin-off meines Studiums an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Der Fokus lag von Beginn an auf sensitiver Robotik. Herkömmliche Roboter sind taub, blind, gefühllos. Hören ist in der Produktion ohnehin weniger wichtig, durch Kamerasysteme kam das Sehen dazu – das Gefühl war so etwas wie das »Missing Link«, mit dem wir uns bis heute befassen. Die Automatisierung geht Schritt für Schritt voran, die Anwendungsfelder werden breiter.
(+) plus: Hat das Thema durch KI-Technologien noch einmal einen Boost bekommen?
Naderer: Wir haben kleine KI-Funktionen in unser System integriert. Allerdings ist KI für uns nicht der Schlüssel, sondern nur ein Baustein für Komplettlösungen. Künstliche Intelligenz steckt noch in den Kinderschuhen. In der Produktion sind Kontinuität und Verlässlichkeit entscheidend. Der Produktionsleiter ist nicht der Stürmer der Mannschaft, sondern der Tormann – er muss sich nicht die innovativsten Neuerungen einfallen lassen. Die Innovationen stecken in den Produkten.
(+) plus: In welchen Bereichen kommt sensitive Robotik zum Einsatz?
Naderer: Da Roboter ursprünglich gefühllos waren, konnte man bestimmte Prozesse nur sehr aufwendig gestalten. Wir sprechen die kontaktsensible Gruppe an: Überall dort, wo der Mitarbeiter bisher mit dem Werkstück und dem Tool direkt in Kontakt kam, setzen wir an. Das betrifft vor allem die Bereiche Schleifen, Polieren und Entgraten, – also gesundheitsgefährdende, monotone Arbeitsplätze mit Staub- oder Vibrationsbelastung, sogenannte »3D-Jobs« (Dirty - Dangerous - Demeaning) –, aber auch das Kleben und Stapeln. Hier schließen wir Automatisierungslücken. Vor fünf bis zehn Jahren hatten wir vorwiegend große Industriebetriebe als Kunden, mittlerweile sind auch viele KMU dabei. Das Spektrum ist sehr groß: Unsere End-Effektoren bearbeiten Teile aus Metall, Glas, Holz, Kunststoff, Stein oder Keramik in jeder Größe – von Schmuck-Bauteilchen bis zu Schiffen.
(+) plus: Was sind dabei die besonderen Herausforderungen?
Naderer: Glas wird geritzt und gebrochen, die scharfen Kanten müssen geschliffen werden. Blechteile werden zusammengeschweißt, die Schweißnaht muss weggeschliffen werden, damit sie am fertigen Produkt nicht sichtbar ist und das Bauteil eventuell gleich danach in die Lackierung gehen kann. Wir haben dieses Fingerspitzengefühl, das für diese Arbeiten notwendig ist, ins System integriert. Der Roboter fährt mit unserem sensitiven End-Effektor genau bis zur betreffenden Oberfläche hinunter und die anzuwendende Kraft wird exakt dosiert. Auch bei komplexen Geometrien passt er sich in Echtzeit an. Die zweite Herausforderung ist der Prozess für die jeweilige Bearbeitung. Beides muss optimal abgestimmt sein, damit es funktioniert – und wir können beides.
(+) plus: Wie lange hat die Entwicklung dieser Technologie gedauert?
Naderer: Wir haben uns schon sieben Jahre vor der Unternehmensgründung mit dem Thema beschäftigt. Dann hat es noch einmal vier Jahre gedauert, bis das Produkt ausgereift war. Aber die Entwicklungsarbeit hört nie auf. Die Funktionalität, Sensorik und Integration werden stetig verbessert. Wir investieren 15 % des Umsatzes in Forschung & Entwicklung – das ist auch notwendig, da wir Vorreiter auf dem Markt sind. Unser Ziel ist, den Kunden Komplettlösungen zu liefern.
(+) plus: Wohin geht der Trend in der Branche – multifunktionale Alleskönner oder Spezialmaschinen für einzelne Aufgaben?
Naderer: Ich sehe momentan beide Fronten. Im hochautomatisierten Bereich, wo Millionen Stückzahlen mit demselben Setup produziert werden, geht es in Richtung weiterer Spezialisierung – noch kompaktere Maschinen, die noch mehr Funktionalität integriert haben und für ganz spezielle Aufgaben konstruiert wurden. Bei Klein- und Mittelbetrieben stehen Alleskönner im Mittelpunkt, die für unterschiedliche Anwendungen geeignet sind. Für beide Anforderungen bieten wir Lösungspakete: für die klassische Industrierobotik und für flexible Cobots. Für KMU, die manchmal nur 50 gleiche Teile erzeugen, ist nicht die Taktzahl entscheidend, sondern das schnelle Umrüsten auf eine andere Fertigungsart. Innerhalb einer Stunde ist eine Schweißnaht-Vorbereitung möglich und gleich danach das Lackieren.
(+) plus: Ist das auch eine Kostenfrage?
Naderer: Je größer das Unternehmen, desto kurzfristiger ist der Planungshorizont. Ein mittelständisches Unternehmen denkt nicht in Quartalen. Aber unsere Lösungen rechnen sich bereits in ein, zwei Jahren. Ein zusätzlicher Faktor ist der Fachkräftemangel: Gerade für belastende, monotone Tätigkeiten finden die Betriebe kein Personal. Wer eine Fachausbildung absolviert hat, will nicht den ganzen Tag mit der Schleifmaschine arbeiten. Alle wollen hochwertige Arbeitsplätze und die wird es durch die Robotik geben.
(+) plus: Wie gut klappt die Interaktion zwischen Mensch und Maschine?
Naderer: In der Automobilindustrie sind Roboter schon seit Jahrzehnten im Einsatz – das funktioniert sehr gut. Das Hand-in-Hand-Arbeiten mit einem Cobot ist jedoch eine Ausnahme. Es gibt kaum Anwendungsfälle dafür. Meist drückt der Mensch nur den Startknopf und der Roboter arbeitet. Ich glaube nicht, dass eine Kollaboration seitens der Mitarbeiter so erwünscht ist. Ich arbeite auch lieber mit einem Menschen zusammen.
(+) plus: Wie sehen Ihre Pläne aus?
Naderer: Die Automobilindustrie ist unser wichtigstes Standbein. Fast alle Autohersteller weltweit zählen zu unseren Kunden. Jetzt bewegen wir uns in Richtung Metallverarbeitung und Glasverarbeitung sowie kleinere Unternehmen. Im Vorjahr haben wir mit dem ACF-K ein neues Produkt präsentiert, für das wir viel Potenzial sehen. Die Anzahl der Kunden im KMU-Segment ist weitaus größer, aber schwieriger zu erreichen. Durch Corona haben Robotik und Automatisierung einen Schub erfahren. Auch von kleineren Betrieben kommt großes Interesse. Die Unternehmen haben gelernt: Die Produktion muss laufen, man strebt eine gewisse Unabhängigkeit an.
(+) plus: Wo sehen Sie die Grenzen?
Naderer: Der Roboter wird mittelfristig etwas wie ein Hammer sein – ein Tool, das ich aber nicht mit der Hand bedienen muss, sondern mit dem Kopf. Man wird Mitarbeiter für die Programmierung und Instandhaltung benötigen, das monotone »Draufhauen« mit dem Hammer übernimmt aber der Roboter. Die Wirtschaft braucht in Zukunft mehr geistige als körperliche Fähigkeiten. In diese Richtung entwickelt sich unsere Gesellschaft generell – ob das gut oder schlecht ist, möchte ich nicht kommentieren. Die Grenze ist dort, wo das Hirn der Menschen gebraucht wird. Von einem denkenden Roboter sind wir schon noch weit entfernt.