Donnerstag, Juli 18, 2024
»Cobots bieten das Beste aus zwei Welten«

Mit den im Februar präsentierten Robotern ist das Portfolio von ABB zu einer »Cobot-Familie« angewachsen. Mit vielseitigen Features will man künftig auch KMU ansprechen.  Dario Stojicic, Produktbereichsspezialist für kollaborative Roboter bei ABB, erläutert die Vorteile und Anwendungsfelder. 

(+) plus: Welche Chancen bieten kollaborative Roboter in Industrie und Gewerbe?

Dario Stojicic: Bisher gab es zwei Grundsätze in der industriellen Fertigung: Ein Industrieroboter wurde dann eingesetzt, wenn es darum ging, in möglichst kurzer Zeit so viele Produkte wie möglich in gleichbleibender Qualität herzustellen. Die Stärken des Menschen wiederum liegen in der manuellen Fertigung – aufgrund seiner Wahrnehmung und seiner Möglichkeiten, sich flexibel innerhalb kürzester Zeit auf eine veränderte Umgebung einzustellen.

Kollaborative Roboter (Cobots) bieten nun die Möglichkeit, das »Beste aus beiden Welten« zu nutzen: Produktion in gleichbleibender Qualität, kombiniert mit einem hohen Maß an Flexibilität, etwa im Einsatzzweck und hinsichtlich schneller Umrüstzeiten. Dadurch können Prozesse automatisiert werden, welche bisher zu aufwendig umzusetzen waren. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in den verschiedensten Bereichen können von der Mensch-Maschinen-Kollaboration profitieren.

(+) plus: In welchen Bereichen kommen Cobots zum Einsatz?

Stojicic: Cobots werden sehr vielseitig eingesetzt, vor allem aber in Prozessen wie der präzisen Handhabung, Montage und Verpacken von Bauteilen, Maschinenbedienung und die Qualitätsüberprüfung mit Hilfe zusätzlicher Sensorsysteme. Die Rolle des Menschen ist dabei immer unterschiedlich notwendig. Manchmal werden Rohteile in das Robotersystem gebracht und fertige Bauteile entnommen. Ein anderes Mal wiederum wird z.B. bei Montagetätigkeiten ein Teilschritt übernommen, für welchen der Roboter nicht geeignet wäre. Überall, wo es darum geht, den Menschen bei unergonomischen oder eintönigen Tätigkeiten und geringem Platzbedarf zu unterstützen, sind

Cobots die beste Wahl. Dank ihrer Vielseitigkeit sind Cobots sowohl für den Einsatz in der Fertigung, in medizinischen Laboren, in Logistikzentren und Lagerhäusern ebenso geeignet wie für den Einsatz in Werkstätten und kleinen Produktionsbetrieben. Mit unseren neuen, heuer vorgestellten Cobots wollen wir vor allem wachstumsstarke Segmente wie Elektronik, Gesundheitswesen, Konsumgüter, Logistik sowie die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie unterstützen.

(+) plus: Welche technologischen Neuerungen sind damit verbunden? Welche Erfahrungen von Kunden wurden in den neuen Lösungen umgesetzt?

Stojicic: Mit unseren neuen Cobots ist unser bisheriges Angebot, bestehend aus einem Zweiarm-Roboter und dessen einarmiger Variante, zu einer »Cobot-Familie« mit vielseitigen Features und Sicherheitskonzepten gewachsen. Damit können unsere Kunden für jede Applikation die passende Kollaborationsform wählen.

Aufgrund der bisherigen Kundenerfahrungen haben wir bei unseren Cobots einen großen Fokus auf einfache und intuitive Bedienung gelegt, damit sich Neueinsteiger in der Robotik sehr schnell in die Thematik einarbeiten und ihr erstes Programm ohne großen Trainingsaufwand schreiben können. Dazu steht eine zusätzliche Benutzeroberfläche, genannt »Wizard-Easy-Programming«, zur Verfügung.

Auf dieser werden, vereinfacht gesagt, vordefinierte grafische Funktionsblöcke innerhalb weniger Minuten zu einem Programm zusammengesetzt. Mit steigenden Programmierkenntnissen kann der Benutzer dann mühelos zur »klassischen« Roboterprogrammierung wechseln, welche in der Praxis immer noch unerlässlich ist.

Eine weitere Unterstützung zur Programmierung der Cobots stellt der »Lead-Through-Modus« dar. Die Achsen der Roboter werden dabei »weich geschalten« und können mühelos per Hand im Raum positioniert und im weiteren Verlauf abgespeichert werden. Dafür steht bei unserem Roboter GoFa noch eine eigene Bedienschnittstelle direkt am Oberarm, das »Arm-Side-Interface« (ASI), zur Verfügung. Das ASI besteht aus zwei individuell konfigurierbaren Knöpfen sowie einem Leuchtring und ermöglicht dem Bediener eine intuitive Interaktion mit dem Roboter.

Beim Modell SWIFTI wiederum kann der Roboterarm mit Hilfe eines separaten Lead-Through-Geräts, welches am Endeffektor angebracht ist, in die gewünschten Positionen geführt werden. Dieses Gerät ist ähnlich wie eine »3D-Maus« aufgebaut, besitzt drei Freiheitsgrade und kann nach der Einrichtung schnell entfernt werden. Ebenso besitzt SWIFTI auch eine Statuslampe, damit der Bediener zu jeder Zeit weiß, in welchem Modus bzw. Status der Roboter sich befindet.

(+) plus: Welche Auswirkungen sehen Sie für Fachkräfte?

Stojicic: Cobots haben einen positiven Einfluss auf unterschiedliche Bereiche. Einer der wichtigsten ist die Gesundheit. Ein Beispiel dafür ist das schwedischen Unternehmen Cejn AG, das unseren Dual-Arm-YuMi zur Montage von tausenden Schnellkupplungen einsetzt, indem zwei Komponenten mit einem Feingewinde miteinander verschraubt werden. Bis zum Einsatz von YuMi musste dieser Prozess manuell von Facharbeiter*innen durchgeführt werden, was langfristig aufgrund der immer gleichen Drehbewegung zu gesundheitlichen Problemen in den Handgelenken führte.

Cobots wirken sich aber auch positiv auf die berufliche Entwicklung der Mitarbeiter*innen im Arbeitsumfeld aus. Mitarbeiter*innen die zuvor zum Beispiel den ganzen Tag im Takt nur Teile in eine Maschine eingelegt haben, übernehmen nun die Verantwortung für die Bedienung und Programmierung eines Cobots. Somit werden Beschäftigte gefördert und ein abwechslungsreiches Arbeitsumfeld geschaffen. Außerdem konnten wir bei diversen Kundenapplikationen beobachten, dass Mitarbeiter*innen dem Roboter Menschennamen geben und ihn wie einen Kollegen behandeln.

(+) plus: Wie könnte eine Kostenrechnung hinsichtlich Anschaffung, Installation und Betrieb aussehen?

Stojicic: Eine beispielhafte Kostenrechnung ist schwierig, da jede Applikation einzigartig ist. Der Cobot ist nur ein Teil davon und selbst bei diesem kann keine pauschale Aussage bezüglich Anschaffungskosten getroffen werden, da jeder Roboter von ABB unterschiedliche Optionen hat. Diese Optionen werden immer maßgeschneidert für den Kunden und seine spezifische Applikation gewählt. Vereinfacht kann man es am besten mit den Anschaffungskosten für ein Auto vergleichen. Gerne unterstützen wir aber unsere Kunden in jeder Lebensphase der Anlage, da wir angefangen vom Roboter bis hin zur schlüsselfertigen Anlage und dem Service danach alles anbieten können.

(+) plus: Gibt es auch Bereiche, in denen Sie von einer Cobot-Lösung abraten? Wo eignet sich ein Einsatz eher nicht?

Stojicic: Es gibt tatsächlich ein paar Punkte, welche beachtet werden sollten. Einer der wichtigsten ist die Taktzeit. Der Einsatz von Cobots ist sinnvoll bei taktzeit-unkritischen Aufgaben, da ansonsten die auftretenden Kräfte bei möglichen Kollisionen schwer zu kontrollieren sind. Bei taktzeit-kritischen Applikationen ist daher der Einsatz einer klassischen Roboteranlage sinnvoller und rentabler.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Prozess. Dieser kann an sich wie etwa beim Laserschweißen bereits eine Gefahr darstellen. Der Roboter selbst wäre zwar sicher, jedoch geht vom Laser eine Gefahr für Augen oder Haut eines Menschen aus. Daher muss eine Roboteranlage wie diese immer in einer blickdichten Zelle mit entsprechender Absaugung betrieben werden. Letztlich gilt es noch auf das Bauteil selbst einzugehen. Wenn dieses beispielsweise scharfkantig ist oder eine hohe Oberflächentemperatur besitzt, ist der Einsatz eines Cobots ebenfalls nicht zu empfehlen, da es auch hier zu gesundheitlichen Gefahren kommen könnte.

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