Es ist populär, Politiker mit Managern zu vergleichen. Ja, man fordert sogar Managementqualitäten von Politikern. Doch was sagt unsere Verfassung dazu?
Ein Gastkommentar von Hubert Thurnhofer
Es gehört zur österreichischen Realverfassung, dass sich jede Regierung die Staatsbeteiligungen so organisiert, dass sie der herrschenden Partei am besten in ihr Programm passen. So wurde aus der ÖIG 1970 die ÖIAG, daraus wurden die Austrian Industries herausgelöst, teilweise privatisiert und der Rest 1994 mit der ÖIAG wieder verschmolzen. 2015 wurde aus der AG eine GmbH mit dem Namen ÖBIB, nur um drei Jahre später wieder in eine AG (ÖBAG) umgewandelt zu werden.
Die Absichten der jeweiligen Regierungsparteien sind leicht durchschaubar: Es geht bei diesem Karussell immer nur darum, ihrer eigenen Klientel Vorteile zu verschaffen. Die Absichten der Regierenden als Manager sind schwer durchschaubar, denn sie wirken dabei weniger als Macher denn als Getriebene zweifelhafter Lobbyisten. Mehr noch: Das ÖBAG-Karussell hat anschaulich gezeigt, wie Politiker als selbsternannte Manager versagen.
Was die wenigsten wissen: Regierungspolitiker, die sich selbst als Manager neu definieren, agieren verfassungswidrig. Der Artikel 19 B-VG ist in dem Punkt eindeutig: »Die obersten Organe der Vollziehung sind der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie die Mitglieder der Landesregierungen.«
Und wo bleibt der in den Medien allgegenwärtige und scheinbar allmächtige Bundeskanzler? Wenn man das B-VG beim Wort nimmt, dann ist er ausschließlich für die Vorbereitung, Unterzeichnung und Überbringung von Urkunden zuständig.
Hier nur drei von dutzenden Belegstellen aus dem B-VG:
Artikel 23i (5) Beschlüsse des Nationalrates und des Bundesrates nach diesem Artikel sind vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Artikel 37 (2) Der Bundesrat gibt sich seine Geschäftsordnung durch Beschluss. [...] Der Geschäftsordnung kommt die Wirkung eines Bundesgesetzes zu; sie ist durch den Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Artikel 40 (1) Die Beschlüsse der Bundesversammlung werden von ihrem Vorsitzenden beurkundet und vom Bundeskanzler gegengezeichnet.
Gemäß Legalitätsprinzip handelt ein Kanzler, der regieren will – regieren nicht im Sinne von verwalten, sondern von gestalten – verfassungswidrig. Die eigentlich gestaltende Kraft im Lande ist laut Verfassung das Volk, indirekt die Volksvertreter – also die Abgeordneten zum Nationalrat. Der Artikel 56 (1) besagt: »Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.«
»Abgeordnete haben laut Artikel 56 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ihr Mandat frei auszuüben. Jede Art von Fraktions- oder Klubzwang ist damit unvereinbar.«
Dies schreibt Manfred Machold, ehemals Leiter des Rechtsbüros des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, in der Wiener Zeitung. Schön, dass auch Vertreter des Systems zu dieser Erkenntnis gelangen. Schade, dass sie diese Erkenntnis immer erst im Pensionsalter ereilt.
Höchst interessant, dass sogar die offizielle Webseite des Parlaments auf die Diskrepanz zwischen Verfassung und Realverfassung verweist: »Neben der formalen Verfassung gibt es die ›gelebte‹ Verfassung – die sogenannte Realverfassung. […] In Österreich ist es z. B. so, dass die Bundesverfassung in sehr vielen Staatsangelegenheiten eine zentrale Stellung für das Parlament vorsieht. Tatsächlich dominieren aber die Regierung und die Regierungsparteien weite Teile der Politik.«
So bleibt nur das Resümee: Die Realverfassung befindet sich in einer bedenklichen Verfassung! Natur, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und nicht zuletzt unsere Demokratie haben sich eine bessere Verfassung verdient.
Zur Person
Hubert Thurnhofer studierte Philosophie, arbeitet als Journalist, Medienberater und Galerist. Autor der Bücher »Moral 4.0« (2017) und »Baustelle Parlament« (2020), Betreiber der Seite www.ethos.at