Rund 10.000 Menschen folgten Ende Mai dem Aufruf der Klimaaktivistin Greta Thunberg und demonstrierten anlässlich der Klimaschutz-Konferenz in Wien für effizientere Maßnahmen gegen den Klimawandel. Klimaschutz ist längst kein Randthema mehr, auch die abgesetzte Regierung bezeichnete Klimaschutz als »die größte Aufgabe der Menschheit«. Trotzdem gibt es bislang keine konkrete Klimastrategie. Österreich liegt selbst im EU-Vergleich weit abgeschlagen, obwohl aus heutiger Sicht keines der Mitgliedsländer die Klimaziele erreichen wird. Report(+)PLUS hat drei Expertinnen um ihre Einschätzung gebeten.
1. Ist die Erreichung der EU-Ziele bis 2030 bzw. 2050 noch realistisch?
Ulla Rasmussen, Expertin des Verkehrsclubs Österreich
Aus Sicht des VCÖ ist es realistisch, im Verkehrsbereich die Klimaziele zu erreichen. Die Lösungen dafür gibt es bereits, ebenso die Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung, ihr Mobilitätsverhalten zu verändern. Was aber klar ist: Die Zeit eilt. Es bleiben nur noch elf Jahre, um den CO2-Ausstoß des Verkehrs um ein Drittel zu reduzieren. Und in den vergangenen vier Jahren stiegen in Österreich die CO2-Emissionen des Verkehrs. Wir brauchen mehr Tempo – aber nicht auf der Autobahn, sondern beim Klimaschutz.
Ulrike Rabmer-Koller, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich
Bezüglich der EU-2030-Ziele bin ich zuversichtlich. Eine wahre Herkulesaufgabe ist die Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens. Es reicht nicht aus, dass die EU mit ihrem 10 %-Anteil an den Weltemissionen mit gutem Beispiel vorangeht. Alle Teile der Erde sind gefordert, ihre Zusagen einzuhalten und auf ein Level zu bringen, das der EU-Reduktion entspricht. Leider passiert in der Realität das Gegenteil: Wichtige Staaten rudern zurück. Die Wirtschaft sehe ich hier als unverzichtbaren Partner, ja Motor der Transformation.
Helga Kromp-Kolb, emer. Professorin für Meteorologie und Klimatologie, Universität für Bodenkultur
Ja, der IPCC-Bericht SR15 kommt ganz eindeutig zu dem Schluss, dass es keinen wissenschaftlichen Grund gibt, warum wir 1,5 ° C nicht einhalten könnten. Auch die Technologie ist verfügbar – jedenfalls ist sie ausreichend, um zu beginnen.
2. Welche Maßnahmen sind dafür unumgänglich?
Ulla Rasmussen
Erstens: aufhören, das Falsche zu tun. Dazu zählen die massive Zersiedelung, der Straßenausbau und die umweltschädlichen Subventionen, wie die Steuerbefreiung von Kerosin, die Steuerprivilegien für Firmenwagen und Dieseltreibstoff. Zweitens: das Angebot an umweltverträglicher Mobilität massiv verbessern, also mehr Bahn und Bus, massiver Ausbau der Rad-Infrastruktur. Drittens: umweltfreundliches Verhalten belohnen und den CO2-Ausstoß höher besteuern. Deshalb fordert der VCÖ eine ökosoziale Steuerreform.
Ulrike Rabmer-Koller
Der Umbruch gelingt, wenn alle mitspielen. Der Staat muss bürokratische Hürden für Energiewendeinvestitionen wegräumen. Attraktive Angebote setzen sich von selbst durch und brauchen nicht verordnet zu werden. Genehmigungsverfahren für saubere Stromproduktion, Speicher und Leitungen dürfen nicht bis zum Nimmerleinstag dauern. Warum braucht das Gewerbe zwei behördliche Genehmigungen, wenn es Solarenergiemodule auf dem Dach installiert? Das schreckt viele ab, genauso wie die Besteuerung der Stromerzeugung für den Eigenbedarf.
Helga Kromp-Kolb
Es geht nicht mehr um kleine, inkrementelle Änderungen, sondern um wirkliche »Sprünge«. Das bedeutet z.B. eine wirkmächtige sozial-ökologische Steuerreform, also die kräftige Besteuerung fossiler Energie bei gleichzeitiger Auszahlung eines Klimabonus an wirtschaftlich schwächere Haushalte, Ausbau des öffentlichen Verkehrs und anderer moderner Mobilitätskonzepte, vor allem im ländlichen Raum. Aber es genügt keine einzelne Maßnahme – es muss eine umfassende, nationale Anstrengung unter Einbindung der Bevölkerung werden. Im Rahmen des Projektes UniNEtZ stellt die Wissenschaft, angeführt von BOKU, WU und Uni Graz, koordiniert vom CCCA gerade solche Maßnahmenpakete als Referenz für Politiker und die Öffentlichkeit zusammen, die dann hoffentlich breit diskutiert werden.
3. Soll der Klimaschutz in der Verfassung verankert werden?
Ulla Rasmussen
Wir werden die Klimaziele nur erreichen, wenn alle Gesellschaftsbereiche einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und die Politik auf allen Ebenen dem Klimaschutz höchste Priorität einräumt. Die Verfassung ist das wichtigste Regelwerk unserer Gesellschaft. Und die Bewältigung der Klimakrise ist unsere allergrößte Herausforderung. Somit macht es schon Sinn, wenn der Klimaschutz in der Verfassung verankert wird.
Ulrike Rabmer-Koller
Dort ist er ja schon verankert. Ich finde, dass wir dem Klimaschutz mit innovativen Maßnahmen mehr helfen als mit Herumdoktern an Staatszielen. Machen wir Klimaschutz alltagstauglich. Dazu nur wenige Beispiele: Stellen wir erschwingliche CO2-freie Wärmeversorgung für Haushalte und Betriebe sowie attraktive öffentliche Verkehrsmittel bereit. Geben wir den Menschen die Möglichkeit, ihr privates Kapital für
Energiewendeinvestitionen bonitätsgesichert und steuerbegünstigt anzulegen und unterstützen wir »GreenTech made in Austria« beim Export in Drittstaaten. Damit können auch außerhalb Europas Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden.
Helga Kromp-Kolb
Es kann nicht schaden. Aber Nachhaltigkeit umfasst Klimaschutz, und wie wir am Beispiel des VGH-Urteils zur dritten Piste gesehen haben, nützt die Verankerung im konkreten Fall nichts. Ich habe aufgrund dieses Urteils einiges an Vertrauen in die österreichische Rechtsprechung verloren. Jedenfalls müssten die Staatsziele sich auch in den übrigen Gesetzen widerspiegeln. Ich würde auch vorschlagen, dass in der Ausbildung von Juristen ein Mindestmaß an naturwissenschaftlichem und systemischem Denken vermittelt wird.