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Wenn Kleines Großes bewirkt

Das 25. qualityaustria Forum am 13. März 2019 stand unter dem Titel »Tipping Points« – Kipppunkte, die den Erfolg eines Unternehmens entscheidend beeinflussen können.

Rund 700 Fach- und Führungskräfte waren der Einladung zum 25-jährigen Jubiläum des Branchentreffs im Salzburg Congress gefolgt. Gastgeber Konrad Scheiber, CEO der Quality Austria – Trainings, Zertifizierungs und Begutachtungs GmbH, verwies in seinem Impulsreferat gleich auf einen ganz persönlichen »Tipping Point« in seinem Leben. Solche Kipppunkte, die scheinbar eindeutige Entwicklungen plötzlich in eine andere Richtung lenken, abrupt abbrechen oder stark beschleunigen, kennt jeder.

Bild oben: Anni Koubek, Business Developerin für Qualität, berich-tete über neue Ziele nach der Revision ISO 9001:2015.  

Umweltkatastrophen, ein Arbeitsunfall oder eine totgesagte Marke, die überraschend zum gefragten Artikel wird: Tipping Points können entscheidend für den Erfolg oder das Scheitern eines Unternehmens sein. Die Pleite des Fotopioniers Kodak, der den Sprung zur Digitalfotografie verschlief, ging bekanntlich ebenso in die Geschichte ein wie das Zitat des Microsoft-Gründers Bill Gates, der das Potenzial  des Internets anfangs selbst unterschätzt hatte: »Das Internet ist nur ein Hype.«

Ob Kipppunkte als Risiko oder Chance betrachtet werden, hänge von ihrer Vulnerabilität (Verwundbarkeit) und der Resilienz (Widerstandsfähigkeit) des Unternehmens ab, erläuterte Scheiber: »Managementsysteme sind nicht nur mächtige Instrumente bei der Steuerung von Unternehmen, sie helfen auch beim Umgang mit Tipping Points.«

Bild oben: Axel Dick, Business Developer für Umwelt und Energie, warnte vor irreversiblen Kippeffekten durch den globalen Klimawandel.

Schlüsselereignisse

Die erste Keynote hielt der Berufs­pilot und Autor Philip Keil, der 2009 einen Kipppunkt erlebt hatte, als er unmittelbar nach dem Start in eine Windschere geriet und das Flugzeug nur durch ein spezielles Flugmanöver vor dem Absturz bewahren konnte.

Bild oben: Der Berufspilot Philip Keil erläuterte anschaulich den schmalen Grat zwischen Punktlandung und Absturz.

In 80 % aller Abstürze sei ein erfahrener Kapitän am Steuer gesessen, so Keil. Doch all die Erfahrung schütze nicht vor Sorglosigkeit, Selbstüberschätzung, Tunnelblick, übertriebener Toleranz oder indirekter Kommunikation. Wenn Teams versagen, treffe zumindest eines dieser fünf Verhaltensmuster zu, meint Keil: »Machtdistanz verhindert Teamwork, wenn niemand im Team den Fehler sieht oder sich traut, den Chef darauf hinzuweisen.« Führungskräfte, die sich auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern bewegen, können Schwierigkeiten rechtzeitig erkennen und eine »Bruchlandung« vermeiden.

Ein Beispiel für ein Schlüsselereignis mit positivem Ausgang brachte der Berufspilot abermals aus der Welt des Fliegens. Sehr packend schilderte Keil die gelungene Notwasserung eines Airbus A320 auf dem Hudson River durch Chesley B. Sullenberger und seine Crew – vielen auch durch den Film »Sully« mit Tom Hanks in Erinnerung. Sullenberger musste innerhalb weniger Minuten mehrere Entscheidungen treffen und hatte später in einem TV-Interview erklärt: »I was sure, I could do it.«

Genau diese Zuversicht mache den Unterschied aus und lasse sich auch auf Unternehmen übertragen, so Change-Management-Experte Keil: »Einer guten Führungskraft gelingt es, dass die Mitarbeiter sich selbst vertrauen. Vertrauen ist der Treibstoff für Erfolg. Es verändert die Perspektive und richtet den Fokus darauf, was man verändern kann.«

Bild oben: Konrad Scheiber, CEO der Quality Austria: »Längst geht es nicht nur darum, wie etwas gemacht wird, sondern viel stärker als früher auch darum, wie etwas kommuniziert wird.«

Im Team erfolgreicher

Anschließend gab Johann »Hansi« Hansmann in seinem Vortrag »Die Kraft der Disruption durch Start-ups« einen Einblick, was ein Geschäftskonzept mit Potenzial auszeichnet. Als Business Angel hat er mehr als 70 Beteiligungen und 23 Exits begleitet, darunter einige in mehrstelliger Millionenhöhe wie Runtastic, Shpock oder mySugr. Nicht immer waren seine Investments von Erfolg gekrönt, doch gerade das Scheitern bringe auch wertvolle Erfahrungen mit sich.

95 % seiner Investments, vorwiegend im   Digital- und Gesundheitsbereich angesiedelt, macht Hansmann von den Gründern abhängig. Sein Credo: Das Team ist wichtiger als das Produkt. Es sollte aus maximal vier Personen bestehen, die die Bereiche Produkt, Technik, Vertrieb und Finanzen abdecken. Darunter eine Führungspersönlichkeit mit starkem Charakter – »ein Leadertyp, der durch alle Schwierigkeiten durchtauchen kann«, so Hansmann, denn gerade in der Frühphase gebe es jede Menge Tipping Points und nur wenige Erfolgserlebnisse. Heterogene Teams mit Frauen an Bord hätten zudem höhere Erfolgschancen.

Bild oben: Eckehard Bauer, Business Developer für Sicherheit bei Quality Austria, erklärte, wie Unfälle und Fehlchargen vermieden werden können.

Von 100 Ideen, die an ihn herangetragen werden, taugen jedoch nur etwa fünf bis zehn: »Eine wichtige Frage wird oft vergessen: Wie groß ist der Markt für das Produkt?« Hansmann sieht dennoch die Digitalisierung als Nährboden, der viele Chancen schafft: »Von Gründern kann es gar nicht genug geben in unserem Land.«

Großartige Ideen, die bereits erfolgreich umgesetzt wurden, standen danach bei der Verleihung der diesjährigen Qualitäts-Awards im Mittelpunkt. Im Wettbewerb um den Titel »Qualitäts-Champion« setzte sich  Hans-Jürgen Linzer, Head of Process Management der FunderMax GmbH, durch. Der 38-Jährige überzeugte die Jury mit einer umfassenden Prozessoptimierung, die eine sprunghafte Leistungssteigerung ohne erhöhte Personalkosten bewirkte.

Bild oben: Business Angel Hansi Hansmann verriet sein Erfolgsrezept und welche Kraft in Start-ups steckt.

Die Auszeichnung »Qualitäts-Talent« konnte Karin Kiefel, Studentin an der FH Joanneum, einheimsen. In ihrer Masterarbeit im Fachbereich e-Health entwickelte sie eine digitale Checkliste für Operationen im Landeskrankenhaus Graz, die höhere Compliance und mehr Effizienz bewirkte.
Der Sonderpreis »Qualität & Innovation« ging an Kevin Pöltl. Der 26-jährige Quality Engineer im AT&S-Werk Fehring hatte erkannt, dass die 5G-Technologie andere Qualitätsstandards erfordert. Er entwickelte mit seinem Team eine innovative Lösung, die das Kundengeschäft in diesem Segment verzehnfachte und zu einer Patentanmeldung führte.

Gesamtheitliche Sicht

Nach der Mittagspause, die viele Tagungsteilnehmer zum angeregten Austausch über ihre Kipppunkte nutzten, startete das Forum mit einer geballten Ladung Management-Know-how in den Nachmittag. Die Experten der Quality Austria – Anni Koubek, Axel Dick und Eckehard Bauer – berichteten über neue Entwicklungen und Weichenstellungen in der Welt der Normen. Während noch einige Unternehmen mit der Umsetzung der ISO 9001:2015 befasst sind, wird im Hintergrund bereits an möglichen Verbesserungen getüftelt. Alle fünf Jahre steht eine sogenannte »systematic review« an. Anni Koubek erwartet nach der großen Revision aber nur kleinere Korrekturen.

Bild oben: Die ISO 9001 Zertifizierung legte laut Konzerthaus-Vorstand Johanna Möslinger die Basis für die steile Erfolgskurve. 

Anwenderfreundliche Regulative liefern die Basis für fundierte Entscheidungen. »Der Sinn der Audits ist nicht, ein Hakerl in der Normenliste zu machen, sondern Unternehmensziele zu erreichen«, hob Eckehard Bauer, Business Developer für Risiko- und Sicherheitsmanagement der Quality Austria, die Notwendigkeit zielgerichteten Handelns hervor. Während früher die Bereiche Umwelt, Sicherheit und Qualität isoliert betrachtet wurden, steht heute eine gesamtheitliche Sicht im Vordergrund, die sich an ständig verändernden Umständen orientiert.

Tipping Points treten selten isoliert auf. Vielmehr handelt es sich stets um ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren, wie Axel Dick erläuterte. Er rief die Klimaziele von Paris in Erinnerung und verwies auf den Protest der 16-jährigen schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. Der inzwischen für den Friedensnobelpreis nominierten Schülerin haben sich bereits tausende junge Menschen angeschlossen. Der globale Klimawandel sei somit längst eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung. Unternehmen sollten sich  ihrer Vorbildwirkung bewusst werden, appellierte Dick eindringlich: »Das sind Ihre Arbeitskräfte von morgen!«

Mut macht sich bezahlt

Unzählige Kipppunkte pro Jahr verzeichnet das Wiener Konzerthaus. Die Vorstände Matthias Naske und Johanna Möslinger nahmen die Zuhörer mit auf einen interessanten Spaziergang durch das traditionsreiche Haus, das mit innovativen Konzepten und bis zu elf Veranstaltungen täglich »den Dialog zwischen Menschen im Publikum und auf der Bühne Abend für Abend am Leben erhalten« will. Da werden manchmal alle Sitzreihen entfernt, das Orchester im ganzen Saal verteilt, alle Räume des Hauses gleichzeitig in verschiedenen Stilen zu einem Thema bespielt oder Schos­takowitsch mit 15 Streichquartetten in strenger zeitlicher Dramaturgie aufgeführt.

Bild oben: Matthias Naske, Indendant des Wiener Konzerthauses, versteht Exzellenz als »künstlerisches Leitmotiv und Unternehmensmaxime«.

»Das wäre vor 20 oder 30 Jahren noch undenkbar gewesen«, zeigte sich Naske überzeugt: »Aber es geht – ich bin noch immer Intendant.« Der Mut mache sich bezahlt: In den letzten zehn Jahren verzeichnete man einen stetigen Besucheranstieg. Seit drei Jahren ist das Konzerthaus nach ISO 9001 zertifiziert. Alle Abläufe in diesem »komplexen Gebilde auf drei Zeitebenen«, so Möslinger, werden nach jeder Veranstaltung einer Feedback-Schleife unterzogen: »Wir wären jetzt nicht da, hätten wir nicht diesen Weg beschritten.«

Auch der Regisseur und Schauspieler Severin von ­Hoensbroech kennt die speziellen Eigenheiten von Kultur­einrichtungen und ihrer Protagonisten. Anschaulich demonstrierte er mithilfe von »Freiwilligen« aus dem Publikum, welche unbewussten Signale wir in der Kommunikation unbedacht aussenden. »Wenn wir uns verlegen am Kopf kratzen, steckt hinter dieser Geste eine kommunikative Botschaft«  – oftmals mit großen Konsequenzen, so Hoensbroech: »Wenn wir die Kontrolle über die Kommunikation verlieren, entsteht ein Tipping Point.«

Es sei ein fein austariertes Netz aus körperlichen Signalen, das uns als soziale Wesen gemeinschaftsfähig mache, wobei Frauen und Männer ihre Statussignale strategisch recht unterschiedlich einsetzen. »Diese evolutionäre Mechanik begleitet uns unweigerlich in die Industrie 4.0 – und sie bleibt die Kommunikation 1.0«, meint der studierte Psychologe.

Die nächste Gelegenheit zum Austausch mit exzellenten Unternehmen und solchen, die es bald werden möchten, bietet sich am 5. Juni bei der Winners’ Conference in Wien, in deren Rahmen auch die Verleihung des Staatspreises Unternehmensqualität stattfindet.

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