Reto Pazderka, der neue Österreich-Geschäftsführer des IT-Dienstleisters adesso, über Lernprozesse, agile Methoden und eine Welt, die sich nun öffnet.
(+) plus: Wie hat sich die direkte Zusammenarbeit der IT-Branche mit Unternehmen in den vergangenen Jahren verändert?
Reto Pazderka: Unternehmen hatten immer schon beim Ausrollen neuer Releases und der Umsetzung von IT-Projekten auf externe Dienstleister gesetzt. Bei fachlichen Themen wurde da und dort auch Beratung eingekauft. Heute ist man aber eher bereit, offen auch die »Pain Points« gemeinsam mit einem Dienstleister anzugehen. Hinterfragt wird: Sind die Systeme noch zeitgemäß? Hat die IT-Abteilung den nötigen Leistungsspielraum, um neue Projekte umzusetzen?
(+) plus: Empfehlen Sie Unternehmen, bewusst auch über den Tellerrand zu schauen?
Pazderka: Andere Branchen sind natürlich interessant, ebenso wie Erfahrungen aus anderen Ländern. Als international agierendes Unternehmen hat adesso das Know-how, was bei Kunden auch in Ländern wie Deutschland und der Schweiz gut funktioniert hat. Und auch in Nischenbereichen können wird mit unseren erprobten Methoden sofort einen produktiven Beitrag leisten.
Im »Interaction Room« etwa werden gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens oder einer Behörde auf Basis des vorhandenen Wissens neue Use-Cases und Projekte aufgesetzt.
Digitalisierung beginnt damit, dass die Menschen miteinander reden und sich austauschen. Oft kennt man sich im Unternehmen zwar seit vielen Jahren, bleibt aber durch dicke Abteilungsmauern voneinander getrennt. Wenn nun neue Denkmuster gefordert sind, erkennen viele, dass nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmensbereiche gemischt werden müssen. Das könnte dann der hippe UX-Designer (Anm. User-Expericence) sein, der unverblümt seine Erwartungen an einen neuen Service im Projektteam einbringt.
(+) plus: Gibt es die ideale Organisationsstruktur – flach oder steil –, die Innovationen besonders gut begünstigt?
Pazderka: Dieses Ideal hätte ich noch nicht gesehen. Nötig sind sowohl ein Vorstand im Unternehmen, der die Digitalisierung als nötigen Wandel erkennt, als auch die Unterstützung in der Basis durch die Mitarbeiter. Das bedeutet freilich nicht zwingend, gleich die ganze Organisation umzukrempeln. Wir empfehlen, die digitale Reise mit kleinen Schritten zu beginnen – mit einem ersten Thema und Anwendungsfall. Das wird zu weiteren Veränderungen führen – einem neuen Stück Software, einem verbesserten Use-Case oder einem besseren Geschäftsprozess. Meist passieren am Ende dieser Reise Dinge, die man sich am Beginn noch nicht vorstellen konnte. Deshalb wird diese Aufgabe gerade durch agile Prozesse bewältigbar.
(+) plus: Was können Unternehmen von der Methode der agilen Softwareentwicklung lernen?
Pazderka: Man hat vielfach gelernt, dass die Ergebnisse eines Projektes nicht in allen Details bereits zu Beginn festgemacht werden können. Bei agilen Prozessen wird schrittweise vorgegangen. Sie ersetzen nicht die Planung, sondern ermöglichen vielmehr, Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Hier spielt der Faktor Mensch eine wichtige Rolle, denn beispielsweise geteilte Dokumente, auf die mehrere NutzerInnen zugreifen können, bedeuten nicht automatisch auch geteiltes Wissen. Das mussten auch wir schmerzhaft lernen.
In Verbindung mit Digitalisierungsprojekten ist Agilität ein tolles Mittel, um Veränderungsprozesse zu managen. Es ist auch kein Zufall, dass Prof. Volker Gruhn, der die adesso vor 21 Jahren gegründet hat, bis heute als Universitätsprofessor für Software Engineering tätig ist. adesso hatte immer den Anspruch, Forschung und Entwicklung als maßgeblichen Bestandteil seiner DNA zu verankern. Hierbei geht es nicht nur um Technologie, sondern auch um Methoden – die Umsetzung von Projekten und auch die Schulung der Mitarbeiter.
(+) plus: Sie sind als neuer Geschäftsführer bei adesso angetreten. Was sind Ihre Ziele?
Pazderka: Mein vorrangiges Ziel ist der Auftrag, den jede Landeseinheit von adesso hat: unseren Kunden und Unternehmen Erfolg zu bringen. In Österreich wollen wir jetzt eine Sichtbarkeit erzielen, die wir in anderen Ländern bereits haben. adesso ist in Deutschland landesweit mit über 3.100 Mitarbeitern an 16 Standorten vertreten und gehört in vielen Branchen zu den Top-IT-Dienstleistern. In der Schweiz ist das Unternehmen ebenfalls mit vier Standorten gut unterwegs. Im Kernmarkt DACH-Raum hinken wir in Österreich ein bisschen nach. Hier ist einfach noch viel Potenzial da – gerade mit vielen innovativen Unternehmen in Wien, Graz und Linz, die zudem auch überregional in Zentraleuropa tätig sind. Wir wollen wachsen und suchen aktuell Fachkräfte.
(+) plus: Was suchen Ihre Kunden? Was benötigen Unternehmen auf der digitalen Reise?
Pazderka: Jedes Unternehmen befindet sich hier auf einem anderen Level. Manche stehen am Anfang der Reise. Unsere Digitalisierungsberater helfen hier, erste Anwendungsfälle auf den Boden zu bringen. Andere wiederum, die schon umgesetzt und implementiert haben, können wir mit Agilitäts-Coaching unterstützen. Unsere Leistungen reichen dann bis zu unserem Kernthema Softwareentwicklung.
Der Begriff soziotechnische Systeme umschreibt dies gut – wir fühlen uns sehr wohl an der Schnittstelle Mensch und Software, der Schnittstelle Mensch und Unternehmensprozesse.
(+) plus: Was wäre ein gutes Beispiel, wie Unternehmen ihre Prozesse auf IT-Basis flexibilisieren oder ihr Geschäftsmodell erweitern können?
Pazderka: Ein Beispiel derzeit ist eine spannende Zusammenarbeit mit der Niederösterreichischen Versicherung. Das Unternehmen hat sich auf diese digitale Reise mit uns als Partner gemacht. In mehreren Projekten wurden der Vertrieb auf eine komplett neue Softwarelandschaft gestellt – zunächst mit einem übersichtlichen Vertriebs-Cockpit und den Prozessen dahinter, in einem zweiten Schritt dann mit einer mobilen App für die Vertriebsmitarbeiter.
Die App bündelt die im Bedarfsfall gesuchten Informationen zu Kunden, Produkten aber auch zu einem Einzugsgebiet. Das heißt: Ortsbezogen werden Kundenkontakte dargestellt, die Mitarbeiter können damit flexibel agieren. Musste man sich früher am Vortrag überlegen, welche Dokumente man für Termine einpacken musste, stehen nun alle Infos aktuell gehalten und ortsunabhängig zu Verfügung. Damit alleine ist noch kein neues Produkt geschaffen, aber es gibt nun eine flexible und leistungsfähige Plattform, die alle Abläufe im Vertrieb abdeckt – und die den Nutzerinnen und Nutzern auch Spaß macht. Auch das ist Digitalisierung. Neue Services und Angebote zu kreieren – das wird der nächste Schritt sein.
Ein anderes Beispiel ist eine gemeinsam mit Daimler entwickelte App namens »Ask Mercedes«. Hier wird mit Augmented Reality die klassische Bedienungsanleitung im Auto ersetzt, am Handy werden die Funktionen und Teile im Auto erklärt. Dazu können Fragen im Dialog mit einem Chatbot an Mercedes gestellt werden. Die Fragestellungen werden auf Basis von künstlicher Intelligenz analysiert. Ein entsprechender Dialog-Regisseur im Hintergrund sorgt nicht nur für die passenden Inhalte, sondern auch die Art und Weise, wie geantwortet wird. Durch die ausgefeilteren Antworten haben die Nutzer das Gefühl, nicht nur mit einer Maschine zu kommunizieren.
Dieses Beispiel zeigt das Potenzial der Anwendungen generell. Die reale Welt komplexer Maschinen und Abläufe wird digital über Augmented Reality und Wissensplattformen mit den Nutzern verknüpft – bis hin zu weiterführenden Prozessen etwa von Bestellungen. Es ist eine Riesengebiet, dass sich hier öffnet. Auch Spracheingabe und -Erkennung werden generell an Bedeutung gewinnen.
Über das Unternehmen
Der IT-Dienstleister adesso hat mehr als 3.100 Beschäftigte in den Ländern Deutschland, Schweiz, Österreich, Bulgarien, Spanien, Türkei – davon 60 in Österreich. Zu den Kunden hierzulande zählen Finanzdienstleister wie Versicherungen und Banken, die Industrie und der öffentliche Bereich. Leistungsschwerpunkte sind Beratung, individuelle Softwareentwicklung und die Digitalisierung von Geschäftsprozessen.
Leuchtturmprojekt
adesso Austria, Niederösterreichische Versicherung
Projekt: Verkaufsprozess neu mit Vertriebscockpit und Offert 3.0
Die Niederösterreichische Versicherung hat in Kooperation mit adesso Austria einen Verkaufsprozess neu mit den Komponenten Vertriebscockpit und Offert 3.0 für den gesamten Verkauf produktiv geschaltet und gleichzeitig das alte Verkaufsprogramm deaktiviert.
Dies wurde von der IT der Niederösterreichischen Versicherung in enger Zusammenarbeit und auf Augenhöhe mit adesso Austria als voll digitaler Prozess realisiert. Mit methodischen Ansätzen agiler Umsetzung und der regelmäßigen Integration der Fachabteilung wurde dieser Prozess erfolgreich – nach einem Softstart für einige Vertriebsmitarbeiter – mit 1. Oktober 2018 realisiert. Der gesamte Verkaufsprozess ist IDD-gerecht abgebildet.