Sonntag, Dezember 22, 2024
»Wir wollen die Digi-Hauptstadt Europas werden«

Die Digitalisierung ist ein Megatrend, an dem auch Politik und Verwaltung nicht vorbeikommen. Im Interview mit Report(+)PLUS erklärt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, welchen Stellenwert die Digitalisierung für die Bundeshauptstadt hat, wie er Wien zur Digitalisierungshauptstadt Europas machen will und welche Rolle die IKT-Branche für den Wirtschaftsstandort Wien spielt. Und er gibt einen kurzen Einblick, welche digitalen Angebote der Stadt Wien der Privatmann Michael Ludwig regelmäßig nutzt.

(+) plus: Kaum ein Thema prägt den politischen und gesellschaftlichen Diskurs derzeit so stark wie Digitalisierung. Die Digitalisierung ändert unsere Art zu leben, zu arbeiten und miteinander zu kommunizieren. Wie begegnet die Stadt Wien diesem Veränderungsprozess?

Michael Ludwig: Mit der Digitalisierung erleben wir gerade eine Entwicklung, die eine der größten Herausforderungen unserer Zeit darstellt. Die Auswirkungen der Digitalisierung sind durchaus vergleichbar mit der industriellen Revolution. Die Digitalisierung verändert vieles – von der Arbeitswelt übers Bildungssystem bis zum privaten Leben. Die Digitalisierung bietet aber auch Chancen. Und die wollen wir nutzen, in der Wirtschaft, für den Wirtschaftsstandort Wien, aber auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen und auch in der täglichen Anwendung der Menschen.

Mir ist hier ganz besonders wichtig, dass alle Menschen in unserer Stadt gleichermaßen davon profitieren. Wien darf keine Stadt der zwei Geschwindigkeiten werden.
Daher achten wir ganz speziell auch darauf, dass wir auch jene, die mit dem rasanten Tempo nicht mithalten können, dennoch mitnehmen. Denn es darf zu keiner Vertiefung der sozialen Gegensätze kommen. Das beginnt u.a. bei den Kindern und Jugendlichen. 

In meiner Antrittsrede als Wiener Bürgermeister habe ich erklärt, dass ich mich dafür einsetzen werde, gemeinsam mit unseren befreundeten Bundesländern Niederösterreich und Burgenland ein besonderes Zentrum der Digitalisierung zu initiieren. Wir haben uns auch – das mag für manche vielleicht etwas vollmundig klingen – als Ziel gesteckt, wir wollen die Digitalisierungshauptstadt, die Digi-Hauptstadt Europas, werden. Und daran arbeiten wir auch intensiv.

(+) plus: Wie kann sichergestellt werden, dass in Wien alle gleichermaßen von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren und eine digitale Kluft sowohl im Wirtschaftsleben als auch im Alltag verhindert wird?

Ludwig: Digitale Veränderungsprozesse sind eine große Herausforderung für die Politik, die Verwaltung, die Wirtschaft und für die gesamte Bevölkerung. Die Stadt Wien stellt sicher, dass alle Services für alle Menschen der Stadt zugänglich bleiben – unabhängig von Bildung, Herkunft und Einkommen. Das Inklusionsprinzip ist daher ein zentrales Anliegen der Smart City Wien. Gleichzeitig unternehmen wir größte Anstrengungen, um allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen auch die technischen Möglichkeiten zu bieten.

Ein konkretes Beispiel betrifft das Thema Digitalisierung und Bildung – weil mir gerade der Bildungsbereich auch so wichtig ist. Wir werden in den nächsten Jahren schrittweise alle Wiener Pflichtschulen mit W-LAN in den Klassenräumen ausstatten. Wir beginnen bei jeder neu gebauten Schule, bei jeder Schulerweiterung sowie bei den Berufsschulen und den Neuen Mittelschulen in Wien.  Und ganz aktuell: Gemeinsam mit der Arbeiterkammer Wien fördern wir die berufliche Aus- und Weiterbildung im Bereich Digitalisierung. Gerade erst haben AK und Stadt Wien gemeinsam ein spezielles Angebot für die Wienerinnen und Wiener ins Leben gerufen. Mit dem »Digi-Winner« fördern Arbeiterkammer Wien und der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) Wiener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich für die künftige Arbeitswelt mit digitalen Kompetenzen gut rüsten wollen, mit bis zu 5.000 Euro für die Aus- und Weiterbildung.

Denn mir ist es ein Herzensanliegen, dass die Wienerinnen und Wiener von den digitalen Errungenschaften umfassend und bestmöglich profitieren, daran teilhaben können. Das neue Förderangebot, der »Digi-Winner«, ist ein maßgeblicher Beitrag dazu.

(+) plus: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Leuchtturmprojekte, die in Wien bereits umgesetzt wurden?

Ludwig: Am Wiener Rathausplatz gibt es bereits ein 5G-Pilotprojekt mit allen österreichischen Mobilfunkanbietern. Darüber hinaus testet die Stadt Wien mit dem Mobilfunknetzanbieter Drei Pre-5G-Technologien in der Seestadt Aspern. Wien ist zudem auch Modellregion beim elektronischen Impf-Pass.

Neben dem Ausbau des Breitbands bietet Wien an 400 Hotspots einen freien WLAN- Zugang an. Der WienBot, ein moderner und funktioneller Chatbot, läuft bereits sehr erfolgreich. Ganz egal, ob Fragen zu Bezirks­ämtern, Meldezettel, Parken, Bädern oder Veranstaltungen – der WienBot liefert die gewünschten Informationen schnell und einfach. In der App-Version können Fragen entweder getippt oder gesprochen werden. Zusätzlich können Nutzerinnen und Nutzer hier die Sprachausgabefunktion wählen. Vor allem für Menschen, die von unterwegs aus Informationen benötigen, ist der Wien­Bot eine enorme Erleichterung, da er direkte Antworten statt Linklisten liefert. Viele schauen mit großer Neugier auf Wien.

Die Anwendung »mein.wien« soll der digitale Dreh- und Angelpunkt werden, um den Wienerinnen und Wienern höchsten Komfort und Geschwindigkeit bei ihren Behördenwegen zu bieten. Zusätzlich informieren wir die Menschen über Neuigkeiten und Veranstaltungen in ihrem Grätzl. »mein.wien« ist damit auch ein aktueller Begleiter für ihre Wohnumgebung. Um den Wienerinnen und Wienern Zeit zu sparen und Wege zu verkürzen, verbessert die Stadt Behördenwege online.

Die Bestellung des Parkpickerls als Chat-Bot-Antrag sowie die völlig neue und moderne Online-Antragsmöglichkeit für die Bewilligung eines Schanigartens zählen zu den ersten Errungenschaften. Ziel ist es, die am stärksten nachgefragten Behördenwege nach und nach simpel und leicht zugänglich online anzubieten. Dazu gehört etwa die Online-Anmeldung für städtische Kindergartenplätze oder Wiener Musikschulen. Als Nächstes wird im Mai 2019 die »digitale Baueinreichung« realisiert.

Mit der »Sag’s Wien«-App können jederzeit von unterwegs Anliegen, eine Gefahrenstelle oder eine Störung via Smartphone an die Wiener Stadtverwaltung gemeldet werden. Mittels Push-Benachrichtigung bleibt man über den Bearbeitungs-Status informiert. Die App wurde im Rahmen der »Digitalen Agenda Wien« gemeinsam mit engagierten Wienerinnen und Wienern entwickelt.

(+) plus: Welche digitalen Angebote der Stadt Wien nutzt der Privatmann Michael Ludwig? Und warum?

Ludwig: Ich nutze insbesondere das digitale Nachrichtenangebot, aber auch den Stadtplan oder Echtzeitmitteilungen. Vieles davon liefert auch die »Stadt Wien live«-App. Echtzeitmitteilungen informieren unter anderem über Störungen der Wiener Linien oder herannahende Unwetter. Der Stadtplan ist jederzeit auch offline mit dabei und Wartezeiten in Ämtern können bereits unterwegs abgefragt werden.

(+) plus: Laut der Digitalen Agenda Wien sollen »technologisch getriebene Innovationen mit sozial getriebenen Innovationen verknüpft werden, um die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen«. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Ludwig: Die Stadt Wien denkt Digitalisierung ganzheitlich. Denn in einer Stadt sind alle Bereiche, im Großen wie im Kleinen, von der Digitalisierung betroffen, und die Stadt Wien will die Digitalisierung nutzen, um effizienter zu werden und damit auch Geld zu sparen. Wir wollen damit vor allem den Wienerinnen und Wienern Zeit sparen und ihre Wege verkürzen. Die Digitalisierung ist eine Entwicklung, die dem Menschen dienen soll, und darum müssen wir sie gestalten. In Wien tun wir das gemeinsam mit den Menschen, egal wie jung oder alt sie sind. Das bedeutet, dass alle Zugang zu den Vorteilen der Digitalisierung haben müssen.

Bild oben: Mit dem »Digi-Winner«-Programm fördern Arbeiterkammer Wien und der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) die digitale Aus- und Weiterbildung mit bis zu 5.000 Euro. (Im Bild: Michael Ludwig mit AK Präsidentin Renate Anderl und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke.)

(+) plus: Welchen Stellenwert hat die IKT-Branche für den Wirtschaftsstandort Wien?

Ludwig: Wir haben großartige Unternehmen in diesem Bereich. Allein in Wien arbeiten über 56.000 Menschen im IT-Bereich, es gibt über 6.000 IT-Firmen in der Stadt. Die Wertschöpfung in diesem IT-Bereich ist viermal höher als im Tourismus.

Ich bemühe mich derzeit auch gerade im Gespräch mit Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung und Technischer Universität, dass wir hier zu einem Ausbildungscampus kommen, der sich speziell auch mit der Frage der Digitalisierung auseinandersetzt, auch einen Cluster bildet, um den künftigen Herausforderungen auch im Bildungssystem etwas entgegenzusetzen.

Außerdem haben wir bereits in den letzten Monaten wichtige Maßnahmen zum Thema der Digitalisierung gesetzt. So etwa mit der Zukunftsvereinbarung, die die Stadt Wien und die Wirtschaftskammer Wien mit Präsidenten Walter Ruck gemeinsam geschlossen haben. Das umfasst den Ausbau der Infrastruktur, Investitionen und gezielte Initiativen für bestmögliche Qualifikationsangebote sowie innovative Lösungen insbesondere auch im Bereich der Digitalisierung.

Das Thema Digitalisierung war auch der Schwerpunkt des ersten Wiener Sozialpartnergipfels, zu dem ich im Oktober ins Rathaus geladen habe. Das Ergebnis ist ein
»Digitalisierungspakt« mit acht Punkten. Damit soll Wien in Zusammenarbeit mit Sozialpartnern und Wirtschaft sowie Industrie zu einem internationalen »Digitalisierungs-Hotspot« werden.

(+) plus: Wo steht Wien in Sachen Digitalisierung und Smart City im internationalen Vergleich? Wo ist die Stadt gut unterwegs? Wo gibt es Aufholbedarf? Anders gefragt: Wie smart ist Wien heute schon?

Ludwig: Zahlreiche Award-Gewinne, Studien und Rankings attestieren Wien eine ausgezeichnete Positionierung im globalen Wettbewerb und beste Voraussetzungen für eine dynamische weitere Entwicklung. Vor allem als Stadt mit der höchsten Lebensqualität wird Wien immer wieder international ausgezeichnet. Wien positioniert sich damit als erfolgreiche Smart City.

Viel wichtiger ist mir aber, dass die Wienerinnen und Wiener von diesen Entwicklungen direkt und indirekt profitieren. 

(+) plus: Welche Projekte und digitalen Meilensteine sollen als Nächstes umgesetzt werden, um den Wirtschaftsstandort Wien für die Zukunft fit zu machen und die Lebensqualität der Bevölkerung weiter zu verbessern?

Ludwig: In den kommenden Wochen werden wir weitere Projekte vorstellen, die zeigen, in welchen Bereichen der Stadt überall Digitalisierung drinsteckt und wo wir in Wien Digitalisierung zum Wohl und Nutzen der Menschen vorantreiben. So haben wir etwa ein eigenes Wartezeitenmanagement in den Spitalsambulanzen ins Leben gerufen: Im Zuge eines Pilotprojekts können Termine bereits vorher online gebucht und aktuelle Wartezeiten eingesehen werden.

Im ersten Halbjahr dieses Jahres startet auch der Beta-Test des mein.wien-Angebotes. Damit geht die Stadt Wien einen neuen Weg. Bürgerinnen und Bürger sowie Wirtschaftstreibende wissen am besten, was für Informationen sie noch brauchen können und wie diese aufbereitet sein sollen. Gleichzeitig gibt es der Stadt Wien die Möglichkeiten, das weitere Potenzial aus Stadtsicht auszuloten und das Angebot stetig zu verbessern. Die dort gesammelten Erfahrungen fließen laufend in das mein.wien-Angebot ein. Die Stadt Wien sucht für die gemeinsame Weiter entwicklung der Beta-Version Test-Userinnen und Test-User. Notwendig dafür ist nur eine  E-Mail-Adresse. Sobald man sich eingeloggt hat, werden auch schon die Grätzl-Infos und digitalen Amtswege angezeigt.

Glossar: Wiener Digitalisierungspakt

Bild oben: Gemeinsam mit Michael Ludwig unterzeichneten Landwirtschaftskammer-Wien-Präsident Franz Windisch, der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer Walter Ruck, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, AK-Wien-Präsidentin Renate Anderl und IV-Wien Präsident Wolfgang Hesoun den Wiener Digitalisierungspakt.

Ergebnis des ersten Wiener Sozialpartnergipfels ist ein »Digitalisierungspakt« mit acht Punkten:

1. Die berufliche Ausbildung mit digitalen Elementen weiterentwickeln. Digitale Studiensparten an den Universitäten, Fachhochschulen und HTLs werden ausgebaut. Ergänzend ist die überbetriebliche Lehrausbildung für Wien auch weiterhin wichtiger Baustein, um jungen Menschen eine Arbeitsmarktperspektive zu geben.

2. Laufende Aus- und Weiterbildung. Dazu gehören das Erlernen wichtiger Grundkompetenzen, das Nachholen von Bildungsabschlüssen, die Förderung digitalorientierter Weiterbildungsangebote auch für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie das ständige Lernen aus bereits bestehenden Angeboten.

3. Digitale Erwachsenenbildung. Einstiegsmöglichkeiten über niederschwellige Bildungs- und Trainingsangebote sowie darauf aufbauende Weiterbildungsangebote rund um digitale Kompetenzen.

4. Kindergarten und Schule. Aufbau von digitaler Kompetenz sowie niederschwelliger digitaler Anwendungen für alle Altersstufen.

5. Technische Infrastruktur. Bestmögliche Rahmenbedingungen für das Schaffen von »State of the Art«-Infrastrukturen samt notwendiger Vorbereitungen, wie etwa die gerade anlaufenden Testphasen für das Kommunikationsnetz 5G sowie der weitere Breitbandausbau.

6. Wissenschaft, Forschung, Know-how-Transfer. Ausbau von Grundlagen- und angewandter Forschung, unter Schaffung von Anreizen für nationale und internationale Talente und Schärfung der Schnittstellen zwischen innovativen Start-ups und der Betriebe zur Erzielung qualitativ hochwertiger Beschäftigung und Innovationen.

7. Aufbau neuer Wertschöpfungspotenziale für Unternehmen. Enges Zusammenwirken bei der Entwicklung zukunftsorientierter digitaler »Smart-Region-Practices« in Zusammenarbeit zwischen Stadt, Sozialpartnern, Wirtschaft und Landwirtschaft.

8. Internationale Vermarktung. Anhand konkreter Beispiele werden Wirtschaft und Industrie bei der Vermarktung von Applikationen unterstützt, die im Zuge der Wiener Smart City-Strategie entwickelt wurden. 

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