Andreas Unger, Partner von BearingPoint Österreich, über die Herausforderungen der Digitalisierung, Erfolgsrezepte für die Wirtschaft und seine Empfehlung an die heimische Politik.
(+) plus: Sie haben in der Studie »Digital Leaders in Austria« die digitale Reife von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen bewertet. Woran messen Sie diesen Reifegrad?
Andreas Unger: Anstatt die Unternehmen selbst zu befragen, wie sie mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen, wurde eine Betrachtung von außen – ein 360-Grad-Blick – vorgenommen. Wir haben dazu auch KundInnen und BürgerInnen befragt. Der öffentliche Bereich wurde mit der gleichen Methodik untersucht. Im Blickpunkt standen sechs Kriterien, die den digitalen Wertschöpfungsprozess ausmachen. Wie wird etwas dargestellt und beworben? Wie einfach erhalte ich Informationen über Produkte? Wie ist der kommerzielle Prozess dazu, kann etwa das Produkt online erworben werden? Wir haben auch untersucht, in welcher Ausprägung die Kunden weiter betreut werden – und ob auch die sozialen Netzwerke eingebunden sind. Letzteres ist wichtig, um mit Feedback das eigene Angebot verbessern zu können und um am Kunden dran bleiben zu können.
(+) plus: Hat die heimische Wirtschaft die Digitalisierung verschlafen oder ist man in Poleposition?
Unger: Man kann das so direkt nicht sagen und über einen Kamm scheren. Zwei Hypothesen wurden in der Studie bestätigt. Zum einen haben die Unternehmen generell sehr gut in die Darstellung und Vermarkung investiert, im Sinne neuer Apps, Auftritten im Web und der Promotion online. Es ist der einfachere Teil der Arbeit, der auch ohne großen Umbau oder Eingreifen in die Kernprozesse funktioniert. Eher schwer tun sich die österreichischen Unternehmen dann mit der Kommerzialisierung und der damit verbundenen hohen Erwartungshaltung der Kunden. Auch in den Verkaufsprozessen gibt es noch viele Hürden – wenn etwa Informationen neuerlich eingegeben werden müssen, mit der Gefahr eines Abbruchs des Bestellvorgangs. Vom Fehlen durchgängiger Prozesse sprechen wir auch, wenn ein Produkt zwar online betrachtet, aber doch wieder nur in einer Filiale gekauft werden kann.
Bei Unternehmen international laufen diese Prozesse oft besser oder performanter ab. Beim Mobilitätsthema ist die heimische Wirtschaft im Vergleich wiederum vorne mit dabei.
(+) plus: Woran scheitern Digitalisierungsprojekte Ihrer Meinung nach oft?
Unger: Die Unternehmen sollten sich mehr trauen! Viele große Systemwechsel scheitern, da die neuen Prozesse lediglich an die bestehende IT-Infrastruktur – die teilweise Jahrzehnte alt ist – andockt. Vielmehr braucht es eine Modularisierung und Flexibilisierung, um die alte und neue Welt in Einklang zu bringen. Dazu müssen die Unternehmen ihre IT aber substanziell ändern – mit größeren Investments, die nicht unmittelbar in neues Geschäft verwandelbar sind. International gibt es viele Beispiele, wie neue Strukturen erfolgreich parallel aufgebaut wurden – ING etwa. Teile dieser Bank wurden von Grund auf neu aufgebaut.
Auch sehen wir, dass in der Digitalisierung erfolgreiche Konzerne dieses Thema an oberster Stelle ansiedeln. Der Vorstand verwendet dort bis zu 30 % seiner Zeit und Energie darauf, die Stellschrauben in seinem Unternehmen dafür zu schaffen und Hindernisse zu beseitigen. Umgekehrt können Sie die Erfolgschancen für einen Vorstand – wie auch immer dieser genannt wird, Chief Digital Officer beispielsweise – daran erkennen, ob dieser auch das nötige Pouvoir, Governance und das Geld hat, seine Vorhaben umzusetzen. Falls er das nicht hat, wird es ein paar Jahre später zwar Projekte geben, die einzeln hervorragend sind, aber das Unternehmen nicht im Kern verändern. Viele scheuen Investitionen, da damit ein großes Risiko verbunden ist. Aber wir wissen: die Zeitabstände werden immer kürzer. Dinge, von denen wir geglaubt haben, dass sie uns nicht betreffen, sind ein Jahr später mit einer unvorstellbaren Wucht da.
(+) plus: Österreich hat in der Vergangenheit in den E-Government-Vergleichen in Europa stets hervorragend abgeschnitten. Wie ist die Situation heute?
Unger: In gewissen Teilbereichen der Digitalisierung schneidet der Public Sector sehr gut ab, aber dort stellt sich ebenso die Frage, die Backend-Systeme durchgängig zu gestalten. Warum haben wir immer noch kein einheitliches, einziges Personenstandsregister? Wieso setzt man beim Grundbuch nicht auch auf Blockchain-Lösungen? Warum kann ich mir mein Kfz-Kennzeichen nicht einfach per App bestellen? Auch alle Behördenwege rund um eine Firmengründung aufs Smartphone zu bringen, ist leider noch Fiktion. Hier gibt es noch enormes Potenzial.
Andererseits gibt es hervorragende Anwendungen wie etwa E-Finanz mit dem automatisch durchgeführten Steuerausgleich. Doch bei vielen Kernthemen fehlt das nötige Budget für Veränderungen. Damit bleiben wir stets nur an der Oberfläche, am Frontend.
(+) plus: Welche politischen Rahmenbedingungen sehen Sie für eine erfolgreiche Digitalisierung in Österreich nötig?
Unger: Im Regierungsprogramm sind schon die richtigen Punkte als Überschriften angeführt. Die Frage ist nur, wie diese Themen umgesetzt werden. Persönlich bin ich der Meinung, dass wir nicht nur ein spezielles Ministeramt für das Thema Digitalisierung brauchen, sondern die Agenden direkt an oberster Stelle beim Bundeskanzler festmachen sollten. In der Budgetdiskussion braucht es einen klaren Indikator, wie die Digitalisierung finanziert werden kann. Denn wenn diese erfolgreich gehandhabt wird, werden sich Kunden und Bürger viel Zeit, Geld und Wege ersparen können – wir sprechen hier von einer Steigerung der»User Experience«. Das beinhaltet dann etwa auch Behördenwege am Handy auf Knopfdruck – etwa um in Sekundenschnelle einen neuen Führerschein zu beantragen.
(+) plus: Das Wirtschaftsministerium hat in seiner Titelzeile den Begriff Digitalisierung enthalten. Ist Ihnen das zu wenig?
Unger: Im internationalen Vergleich ist es sicherlich ein guter Versuch, dieses Thema zu meistern. Es wird aber beim Versuch bleiben, wenn dahinter nicht auch die notwendigen Maßnahmen finanziert werden. Studien, Powerpoint-Präsentationen oder Berater – die gibt es en masse. Was wir wirklich brauchen, sind sichtbare Projekte mit deutlichem Kunden- oder Bürgernutzen.
Mit dem Thema KMU kann man sicherlich Punkte in der öffentlichen Diskussion sammeln. Ich habe in den letzten Jahren allerdings noch keine Hilfestellung mit digitalen Lösungen im Sinne von Plattformen oder Werkzeuge gesehen. Förderung dazu zu bekommen, ist schwierig und komplex und man muss auch nicht immer das Rad neu erfinden.
Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel: Für Handwerksbetriebe gibt es kaum umfassende digitale Lösungen in Österreich. In der Regel ist ein Unternehmer einen großen Teil seiner Zeit damit beschäftigt, die Belege für die Steuererklärung in Ordnung zu bringen. Er weiß nicht, auf welche Baustelle seine Bohrmaschinen sind und er arbeitet rund um die Uhr, seine Organisation am Laufen zu halten. In Deutschland gibt es eine Lösung für KMU: Mit »openHandwerk« werden sämtliche Geschäftsprozesse eines Betriebes aufs Smartphone gebracht. Solche branchentypischen Leuchtturm-Werkzeuge brauchen auch wir für alle Wirtschaftsbereiche.
Die Basisfinanzierung und den Betrieb dieser Plattformen könnte ein Staat betreiben, mit Partnern in einem Netzwerk für Servicierung und Anpassung. Reisen in das Silicon Valley oder nach China dagegen werden den KMU nicht helfen.