Freitag, Februar 07, 2025
»Wie eine Operation am offenen Herzen«

Die Überlebenschancen eines todgeweihten Unternehmens werden durch ein positives Gutachten nicht größer. Gefragt sind neue Ideen, eine nachhaltige Strategie und ausreichende Liquidität, meint Martin Buchegger, Associate Partner bei Advicum Consulting.

(+) plus: Wann wird eine Fortbestehensprognose erstellt?

Martin Buchegger: Die Fortbestehensprognose hat sich in den letzten Jahren zu einem Instrument entwickelt, auf dessen Basis über die Zukunft von Unternehmen entschieden wird. Sie kommt zum Einsatz, sobald die im Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) festgelegten Kennzahlen verletzt wurden und man sich rechtlich die Frage stellen muss: Darf ich noch weiterarbeiten oder muss ich schon Insolvenz anmelden? Bei allen Rechtsformen ohne natürliche Person als Vollhaftende gilt neben der Zahlungsunfähigkeit ein zusätzlicher Insolvenzgrund: die Überschuldung.

(+) plus: Wann fällt die Prognose positiv aus?

Buchegger: Die sogenannte »integrierte Planrechnung« verbindet alle Komponenten der Gewinn- und Verlustrechnung, Planbilanz und Cashflow-Rechnung. Dem Geschäftsführer gibt sie eine gute Entscheidungsgrundlage, um aus dieser Situation herauszukommen. Es ist aber wie eine Operation am offenen Herzen: Solche Unternehmen können auch in Insolvenz gehen und sterben. Das wirft dann viele rechtliche Fragen auf. Der Masseverwalter wird prüfen, ob die Fortbestehensprognose »lege artis«, also ordnungsgemäß, gemacht wurde. Neue Gläubiger werden zweifeln, ob das Unternehmen nicht schon vor einem halben Jahr konkursreif war. Das Werk muss also sehr sattelfest sein.

(+) plus: Kann die Überlebenswahrscheinlichkeit tatsächlich so sicher abgeschätzt werden?

Buchegger: Die Zukunft ist unsicher, das ist klar. Der Gesetzgeber hat das Interesse, lebensfähige Unternehmen nicht abzuwürgen, andererseits aber nicht jeden maroden Betrieb weiterarbeiten zu lassen, weil das zu Lasten der Gläubiger geht. Hier wurde ein Interessensausgleich gemacht. Man spricht in diesem Zusammenhang von »überwiegender Wahrscheinlichkeit« – ich glaube aber, dass es Sinn macht, bei der Sanierung von Unternehmen ein höheres Sicherheitslevel anzustreben. Das ist eine ganz wichtige Drehschraube, die wir mit Berechnungen abzuschätzen versuchen.

(+) plus: Sind die Banken nicht in der deutlich stärkeren Position?

Buchegger: Natürlich schauen die Banken in erster Linie auf das höhere Risiko. Der Kunde schuldet ihnen zwei Millionen, besichert ist nur eine Million – das gibt immer ein Gerangel um Liquidität. Die Bank will in dieser Situation nicht etwas zusätzlich finanzieren, sondern hat eher Sorge, dass sie das Geld zurückbekommt. Das künftige Überleben hängt von neuen Geschäftsideen und Veränderungen ab, aber wenn die Liquiditätsausstattung zu eng bemessen ist, kann es passieren, dass der nächste Gegenwind das Unternehmen schon umwirft. Bei stabileren Rahmenbedingungen können die Ziele mit höherer Wahrscheinlichkeit erreicht werden.

Von zehn Unternehmen wird bei neun die Sanierung versucht – aber ohne den erforderlichen Mitteleinsatz. Gehen von diesen neun letztlich sechs oder sieben pleite, zuckt die Bank nur mit den Schultern: Da ist halt wieder eine Sanierung schiefgegangen. Hier müssen wir oft Überzeugungsarbeit leisten. Wir identifizieren unter diesen zehn Unternehmen die besten fünf und zeigen den Banken auf, dass es in ihrem Interesse ist, in diesen Fällen etwas mehr zu investieren.

(+) plus: Welche Rolle spielt der Zeitpunkt?

Buchegger: Je länger man den Kopf in den Sand steckt, desto mehr Optionen fallen weg, Mitarbeiter verlassen das Unternehmen und Chancen werden vergeben. Damit sich etwas ändert, muss man erst die Ist-Situation erkennen, akzeptieren und mit dem Worst Case leben können. In der Beratung sehe ich das häufig: Sobald die Fakten auf dem Tisch liegen, ist die Furcht vor allem, das da kommen kann, schon kleiner. Das ist aber nur möglich, wenn man gleichzeitig eine Lösung aufzeigt. Die Unternehmer kommen noch immer ein bisschen zu spät, aber ich sehe eine positive Entwicklung.

(+) plus: Wann macht eine Sanierung keinen Sinn?

Buchegger: Wenn ein Unternehmen von der Null-Linie sehr weit entfernt ist und die Ideen fehlen, mit welchen Maßnahmen in absehbarer Zeit der Schritt ins Positive möglich wäre, ist es nicht fortführungsfähig. Die Mehrzahl der Fälle sind Unternehmen, die zwar Probleme haben, aber wissen, wie sie wieder nach oben kommen können. Es gibt immer zwei Ziele: eine Lösung, die das Tragen der Altlasten möglich macht, und eine Perspektive, die das Fortführen des Betriebes sinnvoll erscheinen lässt. Es gibt verschiedene Mechanismen, um diese beiden Ziele zu erreichen, damit das Unternehmen positiv wirtschaftet und mit seinen Schulden zurechtkommt.

(+) plus: Wie lange bleiben Krisenbetriebe unter Beobachtung?

Buchegger: Das ist tatsächlich ein offener Punkt. Die im URG festgelegten Kennzahlen sind ein Kompromiss. Man kann nicht sagen, ab dieser Schwelle fängt die Krise an – es besteht jedoch die Vermutung, dass eine Krise vorliegt. Das ließe sich mit einem Gutachten widerlegen. Aber wer würde sich trauen, so ein Gutachten zu erstellen? Zu sagen, die Krise ist überwunden, wäre umgekehrt mindestens so heikel wie die Fortbestehensprognose selbst. Sie kann dir um die Ohren fliegen, die Realität kann das Gegenteil beweisen.

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