Fortbestehensprognosen sind für die Sanierbarkeit eines Unternehmens entscheidend. Durch fundierte Branchenexpertise und der Abwägung einer Restrukturierung bieten sie eine wichtige Informationsgrundlage in Krisenzeiten. Für die betroffenen Unternehmen geht es um Leben oder Tod.
Mit dem Jahresabschluss kommt für manche Unternehmen das böse Erwachen: Das ohnehin geringe Eigenkapital ist aufgebraucht. Der Geschäftsführer hatte es geahnt, waren doch die Umsätze über den Sommer stark eingebrochen und erst im Spätherbst wieder etwas angezogen. Die Verluste konnten diese Aufträge nicht mehr wettmachen. »Jeder Unternehmer sollte permanent die laufende wirtschaftliche Entwicklung verfolgen und planen«, erinnert Martin Buchegger, Managing Partner bei Advicum Consulting, an die Sorgfaltspflicht. »Bei einer GmbH mit 35.000 Euro Einlage kann das Eigenkapital schnell aufgebraucht sein – vielleicht schon Mitte des Jahres, spätestens beim Jahresabschluss kommt es dann heraus.«
Banken oder Steuerberater schlagen Alarm und fordern eine Fortbestehensprognose ein. Wirtschaftsprüfer Anton Schmidl sieht Steuerberater insbesondere in der Pflicht, bei ihren Klienten »genaue Erkundigungen zu Fragen der Überschuldung bei negativem Eigenkapital« einzuholen: »Lapidare Erklärungen wie ›Eine Überschuldung liegt aufgrund des Vorhandenseins stiller Reserven nicht vor‹ oder Ähnliches wird dabei wohl zu wenig sein.«
Nach österreichischem Recht gibt es zwei Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, die für Schuldner aller Rechtsformen gilt, und Überschuldung, die nur bei juristischen Personen und Kapitalgesellschaften zum Tragen kommt. Die rechnerische Überschuldung allein ist dabei nicht ausschlaggebend. Um Schwankungen in der laufenden Betriebstätigkeit zu berücksichtigen, muss auch eine negative Fortbestehens-prognose vorliegen, damit von einer Insolvenz gesprochen werden kann. Selbst dann ist noch nicht alles verloren: »Der Gesetzgeber hat aus volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht das Interesse, lebensfähige Unternehmen nicht abzuwürgen. Andererseits darf nicht jeder marode Betrieb einfach weiterarbeiten, das würde zu Lasten der Gläubiger gehen«, sagt Buchegger, der auch als Gerichtssachverständiger tätig ist.
Die Fortbestehensprognose hat sich seit vielen Jahren als taugliches Instrument zur Insolvenzprophylaxe etabliert und sollte im Sinne des wirtschaftlichen Weitblicks eigentlich bei allen Unternehmen, unabhängig von der Rechtsform, zum Einsatz kommen. In einer Krisensituation kann sie dazu beitragen, »künftige Entwicklungspotenziale eines Unternehmens zu erkennen und zu fördern, um (über-)lebensfähige Unternehmen zu sanieren«, so Thomas Trettnak, Partner der Kanzlei CHSH Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati in Wien. Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat 2016 gemeinsam mit der Wirtschaftskammer den »Leitfaden Fortbestehensprognose« überarbeitet und neu aufgelegt. Krisen können damit rechtzeitig erkannt und notwendige Sanierungsschritte früher in die Wege geleitet werden. Die Überlebenschancen eines Unternehmens steigen erheblich.
Bild oben: Hans-Georg Kantner, KSV1870: »Oft mangelt es in den Betrieben an fundamentalem Know-how.«
Den Turnaround schaffen
Die Fortbestehensprognose zieht zwei Kennzahlen als Indikatoren heran: Bei einer Schuldentilgungsdauer von mehr als 15 Jahren und einer geringen Eigenmittelquote (kleiner als 8 %) ist sie zu erstellen. Mit diesen beiden Kennzahlen werden drei Blickwinkel – Risikotragfähigkeit, Ertragsniveau und Schuldenlast – miteinander verknüpft. Je höher das Eigenkapital ist, desto größere Verluste kann das Unternehmen noch verkraften. Bei der Schuldentilgungsdauer wird der erwirtschaftete positive Cashflow zum Ausmaß der Schulden ins Verhältnis gesetzt. Angesichts der Vielfalt der Unternehmen und Branchen sind diese Indikatoren dennoch nur bedingt aussagefähig. Eine Garantie, dass ein Betrieb mit positiver Prognose den Turnaround auch tatsächlich schafft, gibt es naturgemäß nicht.
In den ersten drei Quartalen 2018 schlitterten in Österreich 3.773 Unternehmen in die Pleite. Laut Insolvenzstatistik des KSV1870 entspricht dies einem Anstieg von knapp 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017, die Passiva der insolventen Firmen wuchsen deutlich um 23 % auf 1,3 Millionen Euro an. Hans-Georg Kantner, Leiter Insolvenz beim KSV1870, sieht als Gründe für das Scheitern »immer weniger vorsätzliches Fehlverhalten, Überheblichkeit oder überzogene Risikobereitschaft«, sondern fachliches Unvermögen: »Oft mangelt es in den Betrieben an fundamentalem Know-how.«
Krisensituationen kommen im Wirtschaftsleben immer wieder vor. Wenn sie die Existenz des Unternehmens bedrohen, ist jedoch rasches Handeln angezeigt. Laut KMU Forschung Austria weist rund ein Viertel der heimischen Klein- und Mittelbetriebe negatives Eigenkapital aus, sie sind also buchmäßig überschuldet. Kleinere Unternehmen werden von Krisen eher getroffen als größere. Bei unregelmäßiger Auftragslage kann die mangelnde Liquidität zu Verzögerungen bei der Begleichung offener Forderungen führen. Im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit sind diese Zahlungsstockungen jedoch noch kein Insolvenzgrund. »Liegt im Unternehmen eine Zahlungsstockung vor, muss spätestens dann für Liquidität gesorgt werden, beispielsweise durch eine zügige Fakturierung von bereits erbrachten Lieferungen oder Leistungen sowie durch ein straffes Mahnwesen ausstehender Kundenforderungen oder auch durch eine sorgsame Waren- und Vorratsbewirtschaftung, die zu einem optimalen Lagerbestand, aber zu keinem liquiditätsbindenden Überlager führt«, beschreibt Heinz Harb, Geschäftsführer der LBG Österreich, mögliche Auswege aus der misslichen Lage.
Anders sieht es aus, wenn ein Unternehmen bereits mit beträchtlichen Altlas-ten kämpft und laufend mit Kreditraten in Verzug ist, Personalkosten nicht beglichen werden können, wichtige Auftraggeber wegfallen und neue nicht in Sicht sind. Die betriebswirtschaftliche Lage ist prekär und es gibt keine Anzeichen, dass sich die Situation in absehbarer Zeit bessern wird. In diesem Fall liegt Zahlungsunfähigkeit vor: Die Geschäftsführung – und zwar jedes Organmitglied – ist verpflichtet, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Insolvenzordnung sieht einen maximalen Zeitrahmen von 60 Tagen ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vor. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Heinz Harb rät zu raschem Handeln: »Wegschauen löst keine Probleme, kann aber zu allen dramatischen Haftungsfolgen aus einer Insolvenzverschleppung führen.«
Vogel-Strauß-Haltung
Wie eine Fortbestehensprognose genau auszusehen hat, ist gesetzlich nicht geregelt. Klargestellt ist jedoch, dass sie die weitere Unternehmensplanung nicht ersetzt, sondern lediglich eine Grundlage für deren Beurteilung bildet. Um ein mögliches Haftungsrisiko oder strafrechtliche Konsequenzen auszuschließen, empfiehlt sich das Konsultieren von Steuerexperten und Unternehmensberatern, die auf Insolvenzrecht spezialisiert sind.
Bei der Erstellung der Fortbestehensprognose werden die Ursachen für die Verluste ermittelt und ein Finanzierungsplan für die Zukunft erstellt. Die Primärprognose bezieht sich auf die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit innerhalb des Planungszeitraums, in der Regel zwölf Monate, bis Ende des folgenden Geschäftsjahres. Die Sekundärprog-nose lotet die längerfristigen Überlebenschancen des Unternehmens aus und bezieht neben allfälligen Risikofaktoren auch laufende, endfällige Kredite mit ein. Weiters ist nachzuweisen, dass eine »spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation« erwartet werden kann. »Eine sorgsam aufgestellte Fortbestehensprognose ist eine ganz wesentliche Grundlage in einer Unternehmenskrise«, meint LBG-Chef Harb. »Mindestens so bedeutend ist aber, wer das Ruder in die Hand nimmt, um aufgestellte Planrechnungen auch zügig, energisch und erfolgreich in den Alltag umzusetzen.«
Bild oben: Heinz Harb, LBG Österreich: »Wegschauen löst keine Probleme, kann aber zu dramatischen Haftungsfolgen führen.«
Eine Fortbestehensprognose fällt dann positiv aus, wenn die Erreichung dieser Ziele mit »überwiegender Wahrscheinlichkeit« – also mehr als 50 % – möglich scheint. Die aufgezeigten Maßnahmen müssen nachvollziehbar begründet werden und sind rechtsverbindlich. Gerade diese strengen Anforderungen machen die »ex-ante«, also im Voraus durchgeführte Beurteilung in der Praxis so schwierig. Die Überprüfung erfolgt durch einen gerichtlich beeideten Sachverständigen auf Basis der vorliegenden Planzahlen zum Zeitpunkt der Erstellung. Sie gilt aber nicht automatisch als »falsch«, wenn es letztlich doch zu einer Insolvenz kommt.
Wird rechtzeitig gegengesteuert, kann eine Insolvenz oftmals abgewendet werden. Wie die Erfahrung aus der Insolvenzberatung zeigt, wollen aber viele betroffene Unternehmer die Realität lange nicht erkennen. Entgegen jede Vernunft und betriebswirtschaftliche Fakten wird die missliche Lage des Unternehmens schöngeredet. Auch dieser Vogel-Strauß-Haltung will die Wirtschaftskammer entgegenwirken, wie WKO-Präsident Christoph Leitl anlässlich der Präsentation des Leitfadens erklärte: »Bereits das Planungs- und Rechnungswesen eines Unternehmens muss stark auf Krisenerkennung ausgerichtet sein, um möglichst zeitnahe Informationen für die Entwicklung und Zukunft eines Unternehmens zu liefern.«
Manchmal kommt die Rettung aber schlicht zu spät. Bei der Wiener Neustädter Firma Gutenberg Druck war jede Hilfe vergebens. Schon länger kriselte es, seit dem Spätherbst 2017 hatte das Unternehmen mit erheblichen Auftragsrückgängen zu kämpfen. Der Preisdruck in der Branche war schließlich übermächtig. Alle Versuche, frisches Kapital aufzubringen, um die Liquidität wieder herzustellen, scheiterten. Im März 2018 meldete die Geschäftsführung Konkurs an, da die Löhne und Gehälter der 28 Mitarbeiter für den laufenden Monat nicht mehr bezahlt werden konnten und keine positive Prognose für ein Fortbestehen möglich war. Auch ein Sanierungsplan erschien nach Einschätzung des Unternehmens nicht darstellbar.
»Eine Sanierung macht keinen Sinn, wenn die Produkte und Dienstleistungen am Markt keine Kunden finden, die diese auch zu ausreichenden Preisen und in einer ausreichenden Menge nachfragen«, sagt Harb. Will ein Unternehmer für eine Sanierungsstrategie, bei der wirklich nichts mehr schiefgehen darf, nicht alles riskieren, ist die Liquidierung zwar ein schmerzhafter, aber der vernünftigere Weg. Sonst ist neben dem Betrieb womöglich auch das Eigenheim und das sprichwörtlich letzte Hemd weg.
Checkliste Insolvenz
1. Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit: Ein Unternehmen ist insolvenzreif, wenn es zahlungsunfähig ist. Bei juristischen Personen wie GmbHs oder AGs ist auch die Überschuldung mit negativer Fortbestehensprognose ein verpflichtender Grund zur Konkursanmeldung.Zahlungsunfähig bedeutet, dass die laufenden Zahlungen und die eingegangenen Verbindlichkeiten nicht oder nicht fristgerecht bezahlt werden können. Überschuldet bedeutet, dass die positiven Vermögenswerte des Unternehmens geringer als die Schulden des Unternehmens sind. Die Prognose für das Fortbestehen des Unternehmens ist negativ.
2. Frist für den Konkursantrag: Innerhalb von 60 Tagen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist der Konkursantrag beim zuständigen Landesgericht zu stellen. Verpflichtet dazu sind Einzelunternehmer, alle vollhaftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft sowie handelsrechtliche Geschäftsführer einer GmbH. Bei einer GmbH ist der Konkursantrag bereits bei Überschuldung mit negativer Fortbestehensprognose zu stellen. Auch einer der Gläubiger kann einen Konkursantrag einbringen.
3. Unterlagen: Beim Konkursantrag sind folgende Unterlagen vorzulegen: die Liste der Gläubiger, Höhe, Fälligkeit und Art der Schulden, allfällige Klagen gegen das Unternehmen, bestehende Sicherheiten, offene Forderungen, verwertbare Gegenstände.
4. Kostendeckung: Gleichzeitig mit dem Antrag auf Konkurseröffnung sollte kostendeckendes Vermögen bescheinigt bzw. ein Kostenvorschuss bis zu 4.000 Euro (diese Höhe wird in der Regel vom Gericht ausgeschöpft) hinterlegt werden. Der handelsrechtliche Geschäftsführer einer GmbH haftet für die Kosten der Masseverwaltung bis zu diesem Betrag. Er kann versuchen, den Betrag als Masseforderung zurückzubekommen. Für darüber hinausgehende Forderungen kann er bei Verletzung der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes (z.B. bei verspäteter Insolvenzanmeldung) für alle Verbindlichkeiten, insbesondere auch für Sozialversicherungsbeiträge und Steuerschulden, belangt werden. Auch den Mehrheitsgesellschafter trifft die Pflicht zum Erlag eines Kostenvorschusses.
5. Nicht-Eröffnung mangels Kostendeckung: Ist kostendeckendes Vermögen nicht vorhanden bzw. wird der Kostenvorschuss nicht bezahlt, wird der Insolvenzantrag mangels Kostendeckung abgewiesen. Dies wird auch in der Insolvenzdatei veröffentlicht. In der Folge wird die Gewerbeberechtigung entzogen. Die Einzelexekutionen laufen weiter, das Insolvenzverfahren wird nicht durchgeführt. Auch wenn kein kostendeckendes Vermögen vorhanden ist, sollte rechtzeitig der Insolvenzantrag gestellt werden. Die verspätete Antragstellung gilt zwar nicht mehr als gerichtlicher Straftatbestand, jedoch haftet der rechtliche Vertreter des Unternehmens für den verursachten Schaden.
6. Insolvenzverfahren: Beheben Sie unverzüglich alle bei der Post hinterlegten amtlichen Schreiben und nehmen Sie gerichtliche Vorladungen wahr. Gegen Insolvenzeröffnungsbeschlüsse müssen Sie fristgerecht Rekurs erheben. Die 14-tägige Rekursfrist läuft bereits ab dem Tag, der der Veröffentlichung des Beschlusses in der Insolvenzdatei folgt – nicht erst mit Zustellung des Beschlusses! Durch ein Insolvenzverfahren erlöschen nicht automatisch alle Schulden. Das ist nur der Fall, wenn ein anschließender Sanierungsplan oder ein Privatkonkurs erfolgreich abgeschlossen wurden.
Quelle: WKO
Fakten
Rechnungslegungspflichtige Unternehmen müssen im Zuge des Jahresabschlusses auch evaluieren, ob der Geschäftsbetrieb aufrechterhalten werden kann (»Going concern«-Prinzip). Dazu zählen Faktoren wie die Ausstattung mit Eigenkapital, die Verfügbarkeit von Finanzierungsmitteln oder die Rentabilität des Geschäftsbetriebes. Vor allem jene Umstände, die gegen eine Weiterführung sprechen, müssen analysiert und dokumentiert werden. Liegen solche Faktoren vor, muss zusätzlich zum Jahresabschluss eine Überschuldungsprüfung gemacht werden.
Fällt diese negativ aus, so ist der zweite Insolvenzgrund erreicht und eine zukunftsorientierte Fortbestehensprognose muss erstellt werden. Typische Situationen, in denen eine Fortbestehensprognose ansteht, sind beispielsweise negatives Eigenkapital, Nennkapitalverluste, drohendes Ende der Laufzeit von Krediten ohne Aussicht auf Verlängerung, starke Wertminderungen bei Teilen des Betriebsvermögens, Wegfall von Gesellschaftern ohne geeigneten Ersatz, Personalprobleme oder anhängige Gerichtsverfahren.
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass sich der »sorgfältige Unternehmer« laufend Klarheit über die Lage seines Unternehmens verschafft. Geschäftsführer sind verpflichtet, in heiklen Situationen eine Fortführungsprognose erstellen zu lassen; ansonsten drohen Prozesse wegen Insolvenzverschleppung. Unternehmern, die nicht rechnungspflichtig sind, ist eine standardgemäße Buchführung trotzdem zu empfehlen – im Zweifel dient sie als Argument für rechtzeitig gesetzte Schritte.