Sonntag, Dezember 22, 2024
»Wir haben etwas Tolles geschaffen«

Im Hernalser »Backstüberl« ist das ganze Jahr über Weihnachten. Wolfgang Holzer hat sich auf die Produktion von Teegebäck spezialisiert und beliefert mit seinen Linzer Kipferln, Kokusbusserln und Punschkonfekt nahezu alle Luxushotels und den gehobenen Handel. Im Report(+)PLUS-Interview erzählt er über Qualitätsansprüche, chinesische Dumpingpreise und warum es ihn nach elf Jahren in Südafrika wieder nach Österreich verschlagen hat.

(+) plus: Sie führen das Unternehmen seit fast 24 Jahren. Wurde Ihnen das Handwerk in die Wiege gelegt?

Wolfgang Holzer: Ich bin auf dem Land in einer Fleischerei und einem Gasthaus aufgewachsen. In Wien habe ich die Lehre als Bäcker und Konditor absolviert und sieben Jahre in einem Betrieb auf der Wiedner Hauptstraße gearbeitet. Dann bin ich ins Hotel Intercontinental gewechselt. Schon nach circa fünf Monaten wanderte ich aber nach Südafrika aus.

(+) plus: Wie kam es dazu?

Holzer: Ich habe immer schon davon geträumt, von hier wegzugehen. Mein Cousin schwärmte immer von Australien. Mein Vater war aber dagegen, ich sollte ja im elterlichen Betrieb mitarbeiten. Die südafrikanische Botschaft in Wien stellte mir den Kontakt zum Carlton Hotel in Johannesburg her – nach zwei Wochen hatte ich ein Jobangebot und das Flugticket in der Tasche. Mein Vater war dann doch stolz auf mich. Ich blieb fast elf Jahre in Südafrika. Nach einigen Jahren in der Hotellerie wurde ich von Tiger Oats, einem aufstrebenden Bäckereiunternehmen, als Produktentwickler abgeworben. Unter dem Namen Tiger Brands ist es heute einer der größten Lebensmittelkonzerne Afrikas. Ich durchlief alle Bereiche vom Produktionsleiter bis zum General Manager. Dann bekam ich ein Angebot aus Kuwait, dem ich nicht widerstehen konnte.

(+) plus: Was hat Sie schließlich doch wieder nach Wien verschlagen?

Holzer: Ich war Operation Manager für die Supermarktkette Sultan Center. Nach 13 Monaten marschierte Saddam Hussein ein und wir mussten flüchten. Ich war unter den österreichischen Geiseln, die Bundespräsident Waldheim damals aus Bagdad befreite. So landete ich wieder in Österreich – das war eigentlich nur als Zwischenstation gedacht. Ich hatte ja noch alle Sachen in Südafrika. Meine Frau wollte lieber hier bleiben. Dreieinhalb Jahre arbeitete ich bei Blaschke als Betriebsleiter, aber der Gedanke an die Selbstständigkeit war immer da.

Die Confiserie Heindl, gute Bekannte von mir, fragte an, ob ich für sie Teegebäck herstellen würde. Ich holte mir einen Kollegen, Günter Prohaska, an Bord und startete los. In diesem Haus waren früher eine türkische Moschee und ein Altwarenhändler. Es befand sich in sehr schlechtem Zustand, aber in drei oder vier Monaten brachten wir das Gebäude auf Vordermann. Genau zu Weihnachten waren wir mit dem Umbau fertig – da ist die Kekserlsaison eigentlich schon vorbei.

(+) plus:Das Backstüberl ist bekannt für Teegebäck und Dauerbackwaren. Warum diese Spezialisierung?

Holzer: Teegebäck war eigentlich das Letzte, was ich machen wollte. Im Laufe der Zeit begannen aber viele kleinere Lebensmittelhändler, die es damals noch gab, unsere Ware zu vertreiben. Nach und nach wurden auch Supermarktketten und Großbäckereien auf uns aufmerksam. Wir beliefern inzwischen fast alle Fünf-Sterne-Hotels und sind mittlerweile in ganz Österreich vertreten. Ein wenig geht auch in den Export – da könnten wir en masse produzieren. Derzeit sind wir aber an einer Kapazitätsgrenze angelangt. Mehr Platz haben wir nicht und wollen wir auch nicht. Industrielle Erzeugung interessiert uns nicht. Unser »Home made«-Touch ist schon etwas Besonderes.

(+) plus: Wie viele Sorten Gebäck stellen Sie her?

Holzer: 70 Sorten werden es schon sein. Wir entwickeln auch laufend neue Produkte. Manchmal kommen auch Kunden mit speziellen Wünschen, die wir dann verwirklichen. Wir verwenden nur beste Rohstoffe. Alles wird mit Butter gebacken, wir nehmen Darbo-Marmelade und echte Schokolade, stellen echte Buttercremen her. Das schmeckt man auch.

(+) plus: Warum produzieren die gro­ßen Ketten nicht selbst?

Holzer: Den meisten ist es zu aufwendig. Kekse sind ein saisonales Geschäft und man findet auch kaum qualifizierte Leute dafür. Die Spezialisierung ist unsere große Stärke. Wir machen keine Werbung und sind trotzdem voll ausgelastet. Da wir für den Markt nicht genug produzieren können, gibt es immer wieder Mitbewerber, vor allem aus Ungarn kommt viel herein. Manche Großbäcker backen jetzt auch wieder selbst. Das tut uns aber nicht weh.

(+) plus: Ist die Weihnachtszeit der größte Umsatzbringer?

Holzer: Wir backen das ganze Jahr über, aber Anfang September geht es richtig los. Heuer war es extrem heiß. Unsere Räume sind zwar klimatisiert, aber die Lagerung ist nicht so einfach.

(+) plus: Kommen vorwiegend Stammkunden zu Ihnen? Das Geschäft liegt ja recht versteckt.

Holzer: Das Geschäftslokal läuft so nebenbei mit. Unsere Hauptumsätze erzielen wir im Großhandel. Die Kunden rufen uns aus ganz Österreich an, wenn sie etwas nirgends bekommen.

(+) plus: Welches Produkt verkauft sich am besten?

Holzer: Butterkekse sind traditionell Topseller. Aber auch die anderen Produkte hängen nicht wirklich nach. Kunden, die einmal unsere Linzer Augen oder Vanillekipferl probiert haben, kommen immer wieder. Unsere Philosophie ist ja »Beste Qualität zu einem vernünftigen Preis, den sich jeder leisten kann« – das leben wir auch.

(+) plus: Sind die Österreicherinnen und Österreicher konservative Naschkatzen?

Holzer: Ich höre oft, die Kekse schmecken wie damals von der Mama oder von der Oma. Viele Kunden, die für Weihnachten einkaufen, wollen sich das selbst nicht mehr antun. Manche backen selbst ein oder zwei Sorten und legen dann unsere Kekse einfach dazu.

(+) plus: Der Preisdruck ist so groß wie in kaum einer anderen Branche. Wie können Sie sich in diesem Umfeld behaupten?

Holzer: Zu uns ins Geschäft kommen auch Leute, die weniger Geld haben, weil sie sich manchmal etwas Gutes leisten möchten. Speziell zu Weihnachten.  In der Branche gibt es jetzt auch einige Bäcker, die wieder einen Langzeitteig ansetzen. Das ist ein wenig im Kommen. Die Handelsketten mit ihren Backshops machen den Bäckern natürlich den Garaus. Da kann niemand mithalten.

Unser Glück ist, dass wir ein handwerklicher Betrieb sind. Unsere Kekse sind nicht alle gleich und schmecken auch individuell. Wir machen für jedes Produkt einen eigenen Teig.

(+) plus: Wird die Industrialisierung auch Ihre Nische erfassen?

Holzer: Ich war erst vor kurzem bei der Internationalen Bäckerei-Ausstellung IBA in München. Dort informiere ich mich regelmäßig über neue Maschinen und Innovationen.

Zu meinem Erstaunen sind die Hallen inzwischen zu 20 % von chinesischen Ausstellern belegt. Die Silikonmatten, die wir als Backunterlage verwenden, kosten 21 Euro pro Stück. Die Chinesen bieten jetzt ein identisches Produkt um fünf Dollar an. Ähnlich ist es bei Verpackungsmaterial – China hat uns längst überholt.

Die Europäer lagern ihre Produktion aus und bringen ihr Know-how mit, im Gegenzug überschwemmen die Chinesen unseren Markt mit nachgebauten Produkten zu Dumpingpreisen. Zum ersten Mal verstehe ich Donald Trump.

(+) plus: Stirbt das Handwerk aus?

Holzer: In unserer Branche wird immer mehr mit computergesteuerten Maschinen produziert. Die Kekse laufen über ein Förderband und werden automatisch mit Marmelade oder Creme befüllt, egal wo sie liegen. Dafür braucht man keine Menschenkraft. Was machen wir dann mit unseren Leuten? In der IT können die nicht alle arbeiten. Momentan ist die Beschäftigungslage noch gut in Österreich, aber sobald die Konjunktur nachlässt, wird es krachen.

(+) plus: Haben Sie Schwierigkeiten, gute Leute zu finden?

Holzer: Wir beschäftigen ca. zehn, elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Stammpersonal.  Zu Weihnachten kommen noch Saisonkräfte dazu, die schon seit Jahren bei uns sind. Lehrlinge bilden wir nicht aus, weil wir nicht die gesamte Breite des Konditorberufs anbieten.

(+) plus: Investieren Sie regelmäßig in Maschinen oder Geräte?

Holzer: Technisch sind wir auf dem neuesten Stand. Wir haben viele Prototypen. Es gibt auf dem Markt zwar ähnliche Maschinen, die sind aber für unsere Anforderungen nicht spezifisch genug. Wenn ich sehe, dass ich eine Arbeit erleichtern kann, entwerfe ich eine Maschine und lasse sie nach meinen Vorstellungen bauen. Durch meine Erfahrung in der Industrie kenne ich die Hersteller und weiß, worauf es ankommt.

(+) plus: Zieht es Sie noch in die Ferne?

Holzer: Nur auf Urlaubsreisen. Ich kann aber allen nur empfehlen, hinauszugehen, Erfahrungen zu sammeln und dann die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Das haben wir gemacht: Mit dem Backstüberl ging es von Beginn an immer bergauf.

(+) plus: Welche Pläne haben Sie noch?

Holzer: Irgendwann ist Schluss. Mein Kollege und ich haben beide keine Nachkommen. Man muss das realistisch sehen: Alles hat einmal ein Ende. Wir haben etwas Tolles geschaffen – und wenn es jemand interessiert, der kann hier weitermachen.


Zur Person

Wolfgang Holzer, geb. 1956, wuchs in Großharras bei Laa/Thaya auf und absolvierte in Wien die Bäcker- und Konditorlehre. Nach mehreren Berufsjahren, darunter im Hotel Intercontinental in Wien, wanderte er nach Südafrika aus, wo er als Chefpatissier in verschiedenen Luxushotels tätig war. Schließlich wechselte Holzer als Produktentwickler in die Industrie zu Tiger Oats, einem der größten Backwarenproduzenten Afrikas. 1989 folgte er einem Angebot des Retailers Sultan Center nach Kuwait. Als 1990 irakische Truppen einmarschierten, war Holzer unter den 95 österreichischen Geiseln, die Bundespräsident Waldheim nach Verhandlungen mit Saddam Hussein heimholte. Zurück in Wien baute er ab 1995 gemeinsam mit Kompagnon Günter Prohaska das »Backstüberl« auf. 90 % der Produktion gehen in den Handel, der Rest in die Hotellerie.

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