Auf Einladung von Report(+)PLUS diskutierten Wohnbauexperte Wolfgang Amann, Alfred Graf als Vertreter der gemeinnützigen Bauvereinigungen, Clemens Hecht von der Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme und Ronald Schlesinger von der Mieterhilfe Wien über Hürden und Hebel der thermischen Sanierung in Österreich. Übereinstimmendes Fazit: Neben Finanzierungsinstrumenten braucht es vor allem eine Bewusstseinsbildung und viel Kommunikation.
Die Teilnehmer (alphabetisch):
Wolfgang Amann, Institut für Immobilien Bauen und Wohnen
Alfred Graf, stv. Obmann Österreichischer Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen
Clemens Hecht, Sprecher der Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme
Ronald Schlesinger, Teamleiter Mieterhilfe Wien
(+) plus: Wenn man über das Thema Sanierung spricht, ist man schnell bei Themen wie dem Pariser Klimaschutzabkommen oder der österreichischen Klimastrategie. Immer wieder ist dabei die Rede von einer nötigen Sanierungsrate von 3 % jährlich. Herr Amann, wie wichtig und vor allem auch richtig ist diese 3-ProzentMarke und wo steht Österreich im Moment?
Wolfgang Amann: Im aktuellen Regierungsprogramm ist eine fixe Quote ausgespart, generell ist die thermische Sanierung im Regierungsprogramm nicht allzu stark verankert. Aus meiner Sicht wäre aber eine Quote sehr wohl wichtig, weil es eine Zielfestlegung ist und Ziele typischerweise nur erreicht werden, wenn sie vorher definiert wurden.
Mit Sicherheit kann man sagen, dass die Sanierungsquote bescheiden ist. 2010 gab es einen relativen Höhepunkt mit rund 1,2 % des Wohnungsbestandes, also auch weit entfernt vom 3-Prozent-Ziel. Mittlerweile ist man etwa bei der Hälfte davon angelangt.
Bild oben: Wolfgang Amann: »Ein fixe Sanierungsquote seitens der Regierung wäre wichtig, weil es eine Zielfestlegung ist.«
(+) plus: Was ist der Grund für diese Entwicklung?
Amann: Da gibt es viele, aber ein nicht unwesentlicher Grund ist sicher der boomende Wohnungsneubau, weshalb auch der Druck seitens der bauausführenden Wirtschaft in Richtung Sanierung gering ist.
(+) plus: Herr Graf, warum wird aus Ihrer Sicht so ungern saniert?
Graf: Wir, die gemeinnützigen Bauvereinigungen, sanieren gar nicht so ungern (lacht). Beim gemeinnützigen Wohnungsbestand ist der Anteil gut sanierter Wohnungen sehr hoch. Die Sanierungsquote bei den Gemeinnützigen ist etwa doppelt so hoch als im normalen Hausbesitzerbereich. Das liegt aber auch zu einem großen Teil daran, dass die historischen Gebäude das größte Problem darstellen. Da tun wir uns schon leichter.
Aber natürlich entsprechen Sanierungen der Vergangenheit nicht zwingend den heutigen Standards. Es ist aber unmöglich, ein Haus alle sieben oder acht Jahre zu sanieren. Im Endeffekt ist es eine Kostenfrage, weil der Hauseigentümer die Kosten trägt, die energetischen Einsparungen aber dem Mieter zugutekommen.
(+) plus: Herr Hecht, was sind aus Sicht der Industrie die Gründe für diese Sanierungsmüdigkeit?
Hecht: Wir haben da im Moment sicher ein politisches Loch. Thermisches Sanieren ist derzeit nicht hip oder populär. Das merkt man daran, dass Förderungen gekürzt oder gestrichen werden. Dabei fehlt es meiner Meinung nach vor allem an dem Verständnis, warum wir das machen. Da muss jeder auf sein eigenes Umfeld schauen, wie will man wohnen. Eine Sanierungsquote von 3 % bedeutet, dass alle 30 bis 35 Jahre der gesamte Gebäudebestand einmal saniert wurde. Bei einer Quote von 1 % reden wir von einem hundertjährigen Zyklus. Ich glaube aber nicht, dass irgendjemand heute in einer Wohnung mit den Standards von vor 100 Jahren leben möchte. Und schließlich gehen beim Heizen wertvolle Ressourcen verloren.
Es geht also nicht nur darum, die eigenen Kosten zu reduzieren, da gibt es auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Und dann gibt es natürlich die Diskrepanz zwischen Eigentümer und Mieter.
Bild oben: Clemens Hecht: »Thermisches Sanieren ist derzeit leider nicht hip oder populär.«
Graf: Das kann ich auch aus dem gemeinnützigen Sektor bestätigen. Die höhere Sanierungsquote bezieht sich nämlich in erster Linie auf unseren eigenen Hausbestand mit Mietwohnungen. Der ist relativ gut durchsaniert, weil es hier klare Entscheidungsszenarien gibt. Anders ist es im Bereich der Wohnungseigentumsgemeinschaften. Den Eigentümer, der eine Wohnung weitervermietet hat, zu einer Sanierung zu bewegen, ist schwierig, weil er zwar die Kosten, der Mieter aber die Vorteile hat.
(+) plus: Die Rede war jetzt oft vom Endkonsumenten, dem Mieter. Wie oft bekommen Sie bei der Mieterhilfe Anfragen oder Klagen wegen zu hoher Heizkosten und wie stehen Mieter zu thermischen Sanierungen?
Schlesinger: Das spielt eigentlich eine eher untergeordnete Rolle. Die Klagen beziehen sich auf zu hohe Mietzinsen oder zu hohe Betriebskosten.
Unsere Erfahrung aus der Beratung zeigt aber, dass die Mieter sehr positiv zu thermischen Sanierungen stehen. Dabei ist für die Mieter in der Regel aber völlig irrelevant, welche Produkte zum Einsatz kommen, ob erdölbasierte oder ökologische Produkte oder welche Heizsysteme die Wärme liefern. Entscheidend sind für die Mieter die Behaglichkeit, der Wohnkomfort und die Einsparung bei den Heizkosten. Allerdings sind viele von den tatsächlichen Kosteneinsparungen dann oft enttäuscht.
(+) plus: Herr Hecht, wird zu viel versprochen?
Hecht: Ich kann nur für uns sprechen. Wir als Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme artikulieren nur konkrete Projekte mit Vorher-Nachher-Werten. Eine allgemeine Aussage, was möglich ist, treibt die Erwartungshaltung tatsächlich enorm in die Höhe. Aber die Potenziale all dessen, was möglich ist, sind schon immens. Da reden wir von Einsparungen bis zu 95 %, das ist aber natürlich nicht immer erreichbar. Es darf aber nicht sein, dass dem Nutzer etwas versprochen wird, was dann nicht ankommt. Das kann aber auch daran liegen, dass durch den geringeren Energieverbrauch nach einer Sanierung der Mengenrabatt wegfällt und der Anreiz zum Sparen wegfällt.
Graf: Das sehen auch wir, dass die Erwartungshaltung der Nutzer deutlich höher ist. Aber rund 65 % der Kosten sind Grundkosten. Und die bleiben auf jeden Fall erhalten.
(+) plus: Herr Schlesinger, eine umfassende Sanierung bedeutet aber natürlich auch eine längere Lärm- und Staubbelastung. Sie haben vorhin erwähnt, dass Mieter Sanierungsvorhaben grundsätzlich positiv gegenüberstehen …
Schlesinger: … bis zum Baubeginn (lacht). Neben Lärm und Schmutz hat das Gerüst vor dem eigenen Fenster natürlich auch ein vermindertes Sicherheitsgefühl zur Folge. Das ist alles verkraftbar, wenn die Baustelle in einem vernünftigen Zeitrahmen abgewickelt wird. Wenn ein Gerüst aber längere Zeit leer steht, ohne dass eine Bautätigkeit erkennbar ist, wird das sehr wohl zum Problem.
Graf: Die Abwicklung einer Baustelle in einem bewohnten Objekt ist aufgrund des strengen Baustellenkoordinationsgesetzes immer eine Herausforderung.
Hecht: Ist das ein Hinderungsgrund für eine Sanierung?
Graf: Nein, das glaub ich nicht. Es bedarf aber einer wirklich guten Koordination. Das bewirkt natürlich auch wieder zusätzliche Kosten. Ohne eine örtliche Bauaufsicht etwa lassen sich solche Projekte nicht mehr umsetzen.
Bild oben: Alfred Graf: »Mieter und Eigentümer haben in Sachen Sanierung unter-schiedliche Interessen.«
(+) plus: Herr Hecht, was tut die Industrie, um die Lärm- und Schmutzentwicklung und auch die Sanierungsdauer so gering wie möglich zu halten?
Hecht: Da könnte ich mich jetzt natürlich zurücklehnen und die bauausführenden Unternehmen in die Pflicht nehmen (lacht). Aber die Unternehmen sind sich dieser Herausforderung natürlich bewusst und tun auch einiges. Die Produkte sind immer besser zu verarbeiten und mit Teilvorfertigungen können Baustellen kurz und sauber gehalten werden. Ganz wesentlich in der Baustellenabwicklung ist auch die Kommunikation. Was wird wann und warum gemacht? Wenn das die Betroffenen erfahren, wird viel an Konfliktpotenzial beseitigt.
Schlesinger: Das kann ich bestätigen. Was Mieter wollen, sind ein Ansprechpartner und ein konkreter Bauzeitenplan.
Bild oben: Ronald Schlesinger: »Mieter stehen der thermischen Sanierung positiv gegenüber.«
(+) plus: Kommen wir noch einmal zurück zur Sanierungsquote. Welche Möglichkeiten zur Erhöhung sehen Sie?
Amann: Es gibt drei wesentliche Bereiche: die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie die Bewusstseinsbildung. Rechtlich gesehen haben wir mit dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz WGG einen sehr guten Rahmen.
Im Wohnungseigentumsbereich gibt es seit langem den Vorschlag einer dispositiven Mindestrücklage analog zum WGG in der Schublade. Für eine Absenkung der Rücklagen wäre dann ein Mehrheitsbeschluss nötig und nicht wie derzeit für eine Anhebung. Das wäre sicher ein geeigneter Hebel, um die Sanierungsquote zu erhöhen.
Im Eigenheimbereich ist es schwierig. Da wäre allenfalls eine baurechtliche Verpflichtung, eine Sanierungspflicht, eine Option, aber das ist natürlich eine massive Rute im Fenster.
Bei der Finanzierung ist ein wesentlicher Hebel die Wohnbauförderung, die schon bisher in hohem Maße Mittel bereitstellt. Aber auch da stoßen wir an Grenzen. Immerhin sprechen wir da von einem Vermögenszuwachs aufseiten des Eigentümers. Da ist dann nicht gerechtfertigt, dass mehr als 30 % Barwertzuschuss von der öffentlichen Hand kommen.
Finanzierungsinstrumente sind vorhanden und passen grundsätzlich. Der Sanierungsscheck etwa hat lange Zeit eine sehr gute Performance gezeigt. Ganz wesentlich ist aber die Bewusstseinsbildung. 2010 wurden von allen Stakeholdern enorme Anstrengungen unternommen, um den Stellenwert der Sanierung zu erhöhen. Das war spürbar, Sanieren wurde zu einem positiv besetzten Thema. Da sind wir derzeit auf einem Tiefpunkt.
(+) plus: Sind Förderungen der Weisheit letzter Schluss oder droht nicht doch die Gefahr von Mitnahmeeffekten?
Amann: Mitnahmeeffekte sind natürlich nicht auszuschließen, vor allem bei Einmalzuschüssen und bei Modellen mit besonders leicht zu erreichenden Anforderungen. Verbunden mit einem Darlehen ist die Gefahr von Mitnahmeeffekten schon deutlich niedriger. Wenn der Förderungsbarwert in etwa der Höhe der Mehrwertsteuer entspricht, sind aus meiner Sicht die Mitnahmeeffekte verteilungspolitisch einigermaßen legitimierbar. Wenn wir von 30 oder 35 %
sprechen, ist das verteilungspolitisch natürlich heikel.
(+) plus: Seitens der Bauträger hört man immer wieder, dass die energetischen Auflagen beim geförderten Wohnungsneubau zu hoch sind. Die Mieter freut’s allerdings, wenn sie durch gute Dämmung Heizkosten sparen …
Graf: Der Mieter wird nur dann zufrieden sein, wenn seine Einsparungen höher sind als die baulichen Auflagen die Baukos-ten und somit die Miete erhöhen. Das Problem ist, dass viele Umweltfragen in den Gebäudebereich gepackt wurden, wir aber gerade im Neubau längst einen sehr hohen Standard erreicht haben. Es ist auch mehrfach belegt, wie wenig zusätzliche umweltpolitische Effekte wir durch strengere Auflagen noch auslösen können. Wir haben in einer Studie auch festgestellt, dass wir den besten Kosten-Nutzen-Effekt bei einem Heizwärmebedarf zwischen 30 und 35 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr haben. Tatsächlich sind wir im Neubau aber eher bei einem Wert von 20.
Amann: Gleichzeitig ist es aber so, dass sich die verwendeten Produkte seit dieser Untersuchung nicht nur qualitativ verbessert haben, sondern auch kostengünstiger geworden sind. Damit sollte sich auch die Kostenoptimalität verändern.
Graf: Das Problem ist, dass diese Auflagen nicht nur Teil der Wohnbauförderung, sondern auch der Bauvorschriften sind. Die OIB-Richtlinie 6 enthält unglaubliche Hürden. Diese OIB-Richtlinie wurde aus meiner Sicht von der Dämm- und Lüftungslobby geschrieben. Wir bauen luftdichte Häuser und müssen dann künstlich belüften. Dabei geht es längst nicht mehr um Energieeinsparungen, sondern um Wohnhygiene. All diese geforderten Maßnahmen müssen ja in einer vernünftigen Relation stehen.
(+) plus: Haben Sie einfach gut lobbyiert?
Hecht: Wir werden bei Maßnahmen wie der OIB-Richtlinie nie den Konsens finden, der alle Betroffenen glücklich macht. Es ist auch richtig, dass wir bereits hohe Standards haben. Das ist auch gut so. Und ich kann auch alle beruhigen, die Angst vor immer stärkeren Dämmdicken haben: Da wird es keine Steigerungen mehr geben, höhere Dämmwerte werden nur mehr durch bessere Dämmqualitäten erreicht.
Schlesinger: Auch aus Mietersicht ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis ganz zentral. Selbst wenn man es schafft, die Heizkosten fast auf null zu senken, im Gegenzug aber die Mieten steigen, dann kann es sein, dass die Operation »Klimaschutz« gelungen ist, aber der Patient »leistbares Wohnen« tot ist.
(+) plus: Sind die Anforderungen der Wohnbauförderung zu streng?
Amann: Im Rahmen der Neuausrichtung der Wohnbauförderung sind keine eigenen thermischen Mindeststandards mehr vorgesehen. Das hat für heftige Kritik gesorgt, dass die Wohnbauförderung damit ihre Vorreiterwirkung in Sachen Nachhaltigkeit aufgibt. Für diesen Schritt spricht aus meiner Sicht aber, dass die Auflagen und Anforderungen für die Baupraxis deutlich erleichtert wurden. Außerdem gibt es auch höhere Förderungen für jene, die es ganz genau nehmen. Es wurden lediglich die Mindeststandards an die Bauordnung angepasst. Das war aus meiner Sicht eine sinnvolle Deregulierung, die dazu führen könnte, dass die Wohnbauförderung gerade im Eigenheimbereich wieder mehr in Anspruch genommen wird.
(+) plus: Herr Hecht, wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Hecht: Bei der Sanierung brauchen wir eine Verfünffachung des aktuellen Stands, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Das wird durch Verschärfungen nicht zu erreichen sein. Aber natürlich ist unser Standpunkt der, dass die beste Energie diejenige ist, die gar nicht gebraucht wird. Die größten Herausforderungen sind aus meiner Sicht Kommunikation, Bewusstseinsbildung sowie Aus- und Weiterbildung.