Auch wenn man schon lange als Lektor an Fachhochschulen lehrt, ist man vor neuen Überraschungen nie gefeit. Wir stecken mitten in einem Paradigmenwechsel in der Führungskultur. Ein Gastkommentar von Herbert Strobl.
Im Rahmen einer Lehrveranstaltung über Mitarbeiterführung für Wirtschaftsingenieure lautete eine Aufgabenstellung für die Studierenden, zwölf vorgegebene Aussagen über wichtige Führungskennzeichen nach ihrer Relevanz zu reihen. Zuerst jeder für sich nach individueller Einschätzung, danach sollte eine konsensuale Reihung in Kleingruppen erfolgen. Binnen einer halben Stunde schrieb eine Gruppe ein kleines Excel-Programm, das die Gruppensicht auf Basis der Einzeleinschätzungen computertechnisch optimierte. Trotz aller IT-Brillanz war diese Lösung eigentlich eine Themenverfehlung. Zweck der Übung war es, die eigenständige Reflexionsfähigkeit anzuregen und das schlüssige Argumentieren im sozialen Gruppenumfeld zu üben. Mit einer wertschätzenden Rückmeldung konnte die Synchronisation zwischen Absicht und Ausführung schließlich leicht wiederhergestellt werden. Dieses kleine Beispiel zeigt aber prototypisch die digitalen Zugänge und Fähigkeiten der jüngeren Generationen. Wir stecken mitten in einem noch nie dagewesenen Paradigmenwechsel in der Führungskultur.
Grund dafür sind drei Megatrends, die zu disruptiven Veränderungen führen. Da ist zunächst der demografische Wandel mit drohendem Fachkräftemangel. Paradoxerweise lassen Unternehmen aber oft schon 45-Jährige als »altes Eisen« vor der Bewerbungstür stehen. Ein weiterer Megatrend ist die Globalisierung: Sie lässt Normalarbeitsverhältnisse zunehmend verschwinden und macht virtuelle Arbeit und internationale Mobilität zum neuen Standard der Zukunft. Megatrend Nr. 3 ist die Digitalisierung: Zukunftsfähig sind nur Jobs, die mit Kreativität, kritischem Denken und komplexen Lösungen zu tun haben. Arbeit ist nicht mehr die Zeit, die wir getrennt vom übrigen Leben am Arbeitsplatz verbringen, sondern wird immer mehr zu einem integral verwobenen Bestandteil des Lebens.
Führung in Zeiten der umfassenden digitalen Transformation muss sich entsprechend anpassen. Aber wie führt man Mitarbeiter in Richtung der Unternehmensziele, wenn sie vor allem Handlungs- und Entscheidungsspielraum brauchen, um schnell auf veränderte Umweltbedingungen reagieren zu können? Noch dazu, wenn die Generationen, die im Unternehmen zusammenarbeiten, ein durchaus divergentes Wertespektrum haben. Die Kultur des Unternehmens wird unter diesen Umständen noch stärker zum Kitt, der über ein gedeihliches Zusammenwirken von Alt und Jung entscheidet. Eine Führungskraft kann schon aufgrund der eigenen Interessen nicht wertneutraler Coach der eigenen Mitarbeiter sein. Sie kann aber mit einer coachenden Grundhaltung und partnerschaftlichen Führungsinstrumenten ein Gefäß für Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Auf fast wundersame Weise füllen jüngere und ältere Mitarbeiter dann dieses Gefäß normalerweise sehr effizient mit ihrem Experten-Input – vorausgesetzt, dass sie sich vor allem unterstützt und nicht kontrolliert fühlen. Was jedenfalls trotz Paradigmenwechsel unverändert bleiben sollte: Führungskräfte müssen transparent agieren und für verbindliche Werte stehen.
Der Autor: Herbert Strobl ist Managementberater und Entwicklungsbegleiter mit den Schwerpunkten Führung, Veränderung und Unternehmenskultur. Er verfügt über 20 Jahre Führungserfahrung in internationalen Konzernen und arbeitet seit vielen Jahren als systemischer Unternehmensberater.