Sonntag, Dezember 22, 2024

Risiko von seinem negativen Image zu befreien, ist im mitteleuropäischen Raum nach wie vor eine mühsame Aufgabe. Das Sicherheitsdenken überwiegt. Report (+)PLUS hat mit Risk-Managern und Instituten über Risikoappetit, Risiko-owner und den Umgang mit Risiko gesprochen.

Ein Synonym für »to risk« lautet im Amerikanischen »to take a chance«, gleichbedeutend mit »Probier es. Riskier es«. »Wenn ich etwas haben will, muss ich etwas einsetzen. Die Frage ist, ob den Leuten immer bewusst ist, wie viel Risiko sie einsetzen können«, so Gerhart Ebner, Geschäftsführer von Risk Experts. Die Risiko-Chancen-Verhältnisse müssen richtig abgewogen werden. »Ich mache seit 27 Jahren Aufklärungsarbeit. In Europa dominiert fast immer das Thema Sicherheit.« Manchmal werden Risiken als etwas angesehen, das nicht verhindert werden kann und um das man sich erst kümmert, wenn es akut ist. Es liegt allerdings im Wesen von Märkten, dass diese unsicher sind«, so Martin Langer, Studiengangsleiter Risiko- und Sicherheitsmanagement an der FH Campus Wien.

Risikomanagement?

Kernbotschaft eines modernen RM-Ansatzes ist: Risiken sind nicht nur als potenzielle Verbindlichkeit oder Verlustgefahr zu betrachten, sondern vor allem als potenzielles strategisches Asset und Wachstums­potenzial. Die Grundsätze und Richtlinien dafür finden sich in der ÖNORM ISO 31000. Gerald Netal, Co-Geschäftsführer von Risk Experts: »Jeder versteht unter Risikomanagement allerdings etwas anderes. Ich wollte vor 20 Jahren meine Diplomarbeit diesem Thema widmen. Mein Professor hat schon damals gesagt: Tun Sie das nicht, Sie können das nicht analysieren, weil es keine einheitliche Begrifflichkeit gibt.« Daran habe sich bis heute nichts geändert. Aufgrund von Normen und Gesetzen sei RM aber inzwischen etwas einheitlicher. Laut VAV Versicherung sind dadurch die Anforderungen gewachsen.

Der Vorstand der VAV befasst sich aktuell auch wesentlich häufiger als früher mit Fragen des RMs. Die Bedeutung von RM wird zunehmen, prognostizieren Risikomanager. »Unternehmen tendieren dazu, mehr von dem zu machen, was in der Vergangenheit gut funktionierte. Aber was damals funktionierte, kann heute oder morgen die völlig falsche Strategie sein«, betont Priv.-Doz. Guido Strunk von der FH Campus Wien. Auch Bernhard Brunnthaler, Lehrgangsleiter RM an der Donau-Universität Krems, sieht das Wissen um Chancen und Risiken sowie die proaktive Steuerung von potenziellen Krisen zunehmend als über Erfolg oder Misserfolg entscheidend an.

RM für die Praxis

Auf Basis der erkannten Risiken muss ein Maßnahmenportfolio erstellt werden, wie auf eintretende Vorfälle zu reagieren wäre. Dazu Guido Strunk: »Die Forschung hat eine Reihe von Instrumenten und Analysetools erstellt, anhand derer Unternehmen nützliche Informationen über die Dynamik von Systemen generieren können.« Anhand von Algorithmen lassen sich Fragen beantworten wie: Wie stark wirken Einflüsse von außen auf das System? Wie sicher sind Entscheidungen und Prognosen? Wie sinnvoll sind Interventionen? Vor allem für kleine Unternehmen sei Risk Management überlebensnotwendig. Bernhard Brunnthaler: »Auch ein kleines Unternehmen mit drei oder vier Mitarbeitern muss sich mit RM beschäftigen und eine Risikomatrix aufsetzen.« Das Worst-Case-Szenario wird bei kleinen wie großen Unternehmen oft nur auf bereits angefallene Fehler reduziert bzw Risiken werden überhaupt negiert. Unternehmen wie die Strabag erkennen in RM auch Chancen.

»Risikomanagement bildet einen durch den Mitbewerb schwer zu kopierenden Wettbewerbsvorteil. Wir wollen Projekte mit einem unattraktiven Chancen-Risiken-Profil bereits in der Selektionsphase ausschließen«, steht im Geschäftsbericht 2016. Der ÖBB Konzern sieht in RM die Chance, neue Kunden zu gewinnen bzw. das Marktpotenzial bestehender Kunden weiter auszuschöpfen. Im Projekt »Weiterentwicklung des Chancen- und Risikomanagements« wurden u.a. der Reifegrad des RM-Systems im Vergleich zu namhaften Benchmark-Unternehmen in Österreich evaluiert und Weiterentwicklungspotenzial identifiziert. Professionelles RM erfordert zwei Beauftragte – den Risikomanager und den Risikoeigner. Der Manager überblickt Finanzrisiken wie Zins-, Währungs- und Rohstoffrisiken ebenso wie strategische Risiken, Risiken von Compliance und vom operativen Geschäftsbetrieb. Riskowner sind Abteilungsleiter und Beauftragte, sie verantworten das Risiko.

Aus Sicht der Unternehmen

»Theoretisch und bei Außerachtlassung der rechtlichen Rahmenbedingungen kann das Versicherungsgeschäft vielleicht auch ohne RM funktionieren, wie vor 20 Jahren. Professionell wäre das heute aber nicht«, wertet Norbert Griesmayr, Vorstandsvorsitzender der VAV, und nennt Datenverlust aufgrund einer Cybercrime Attacke, die einzuhaltende DSGVO ab Mai 2018 und den Einkauf von Rückversicherungs-Schutz als für ihn relevante Risken. RM – die VAV ist per Gesetz dazu verpflichtet – sei eine Bereicherung für die professionelle Abwicklung des Versicherungsgeschäfts. Priv.-Doz. Guido Strunk ergänzt: »Unternehmen brauchen für ihre erfolgreiche Entwicklung klassisches betriebswirtschaftliches Know-how ebenso wie RM.« Der perfekte Business-Plan reicht nicht, um erfolgreich zu sein. Für die Asfinag spielt Risikomanagement seit jeher eine bedeutende Rolle. »Wir erfüllen eine volkswirtschaftliche Aufgabe, müssen ein zuverlässiges, sicheres Straßennetz zur Verfügung stellen und sind daher auf Sicherheit bedacht«, betont Stefan Resch, Abteilungsleiter Controlling, Kos­ten- und Mauttarifrechnung. RM bildet für ihn die Voraussetzung für professionelles Infrastrukturmanagement und damit für Vertrauen.

Ausschlaggebend für das RM der Strabag (Geschäftsbericht 2016) sind die allgemeine wirtschaftliche sowie die Entwicklung der Baumärkte, die Wettbewerbssituation, aber auch die Verhältnisse auf den Kapitalmärkten und die technologischen Veränderungen. Im Rahmen der konzerninternen Risikoevaluierung hat der Baukonzern daher zahlreiche Kategorien definiert, u.a. extern, betriebliche und technische, rechtliche und politische Risiken, Finanzwirtschaft, Personal, IT und Beteiligungen. Der ÖBB-Konzern führt sein Chancen- und Risikomanagement entlang von neun Risikofeldern – Strategie, Vertrieb, Beschaffung, Operativer Betrieb, Personal, Informationsverarbeitung, Recht, Beteiligungen und Finanzinstrumente – periodisch durch.

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