Die Parteien sprechen einen bunten Strauß an Wirtschaftsthemen an – vielleicht um davon abzulenken, dass ihnen echte Visionen fehlen. Denn damit der Standort Österreich attraktiver wird, braucht es keine Einzelmaßnahmen, sondern umfassende Reformen.
It's the economy, stupid: Seit der Wahl von Bill Clinton zum US-Präsidenten im Jahr 1992 gilt die Devise, dass Wahlen von Wirtschaftsthemen entschieden werden. Auch in Österreich – und zwar sehr zum Leidwesen des Wirtschaftsstandortes, ist man versucht zu sagen. Denn während sich beispielsweise in unserem Nachbarland Deutschland alle Parteien über die Notwendigkeit der Budgetdisziplin einig sind, ist in Österreich bei Nationalratswahlen eher die Frage, welche Partei am spendabelsten ist und am meisten neue Ausgaben verspricht. Diesmal ist es auffällig, dass viele sehr genaue Versprechen gemacht werden – von der Begrenzung der Mieten bis zur Senkung der Abgabenquote. »Die Wirtschaft steht bei Wahlen immer im Mittelpunkt – meistens geht es aber nicht um Konkretes, sondern um die Frage, ob es den Wählern besser geht, als bei der letzten Wahl«, sagt Politikberater Thomas Hofer. »Diesmal gibt es zwar Konjunkturdaten, die einen Aufschwung vermuten lassen, dieser ist im Leben vieler Wähler aber noch nicht angekommen – dieses Spannungsfeld macht es für die Politiker besonders schwer und sie müssen genaue Versprechen machen, um ihre Wähler gezielt anzusprechen.«
Inzwischen enthalten die Programme der Parteien manchmal sogar Berechnungen, wie viele Milliarden diese Versprechen kosten und wo diese Milliarden herkommen sollen. Das ist laut Hofer begrüßenswert – kommt aber nicht von ungefähr: Österreich ist auch in den internationalen Standort-Rankings schon lange keine Insel der Seligen mehr, wo man selbsttragenden Aufschwung und Geld ohne Ende findet (siehe Kasten links). Vielmehr gibt es ernsthafte Sorgen um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes. Dennoch halten sich Unternehmer im Wahlkampf bedeckt. Kein Wunder: Wenn sich ein Wirtschaftstreibender zur Wirtschaftspolitik äußert, ein neues Stahlwerk aus Kostengründen nicht in Österreich, sondern in den USA errichtet oder Politiker gar als »dumm und feig« bezeichnet, folgt meistens ein Sturm der Entrüstung. Doch eine Meinung haben Wirtschaftstreibende sehr wohl, auch wenn sie diese nicht öffentlich kundtun. So ist es ein deutliches Zeichen, wenn der Industrielle Stefan Pierer oder Peter Röhrig, Gründer des Babyschnuller-Herstellers MAM, den ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz aus ihrer Privatkassa unterstützen.
Keine Überraschungen
Report(+)PLUS hat die Wahlprogramme der Parteien nach wirtschaftsbezogenen Themen durchforstet. Welche vorgeschlagene oder versprochene Maßnahme sich auf den Standort wie auswirken könnten, zeigt unsere Grafik. Doch seien Sie vorgewarnt: Große Überraschungen enthalten die Programme nicht. Vielmehr ist die Abwesenheit von großen Überraschungen die größte Überraschung, wie auch Hofer meint. Als würden wir noch immer auf der eingangs zitierten Insel der Seligen leben, mangelt es selbst den durchdachtesten Programmen an Vision. Natürlich – wie der deutsche Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt einst sagte: »Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.« Doch es ist dennoch enttäuschend, dass die großen Megatrends unserer Zeit an der heimischen Polit-Elite unbemerkt vorbeigehen. Keine Pläne zum breiten Umstieg auf E-Mobilität, keine umfassende Bildungsreform nach dem Vorbild der skandinavischen Länder, kein Wort von Industrie 4.0, Digitalisierung oder neuen Arbeitswelten. »Dabei werden Digitalisierung und Industrie 4.0 Österreich in den kommenden Jahren sehr verändern und da wäre es wünschenswert, von der Politik zu hören, wie sie beispielsweise mit den Umwälzungen am Arbeitsmarkt umzugehen gedenkt«, sagt Hofer.
Zudem geben die Programme der Wirtschaft oft kalt-warm: So ist es zwar erfreulich, wenn die SPÖ eine höhere Forschungsprämie und mehr Förderungen für Start-ups verspricht – die Unternehmen müssen das aber durch einen höheren Mindestlohn und höhere Steuern teils selbst bezahlen. Auch die FPÖ will vor allem KMU mit einem deutlichen Abbau der Bürokratie und der Überregulierung helfen – vergisst aber im Wahlprogramm zu erwähnen, dass viele Regelwerke nun mal nicht Bundes-, sondern Ländersache sind. Die ungewohnt wirtschaftsliberal erscheinenden Grünen, die Milliardeninves-titionen im Umweltsektor in Aussicht stellen, tappen ebenfalls in diese Falle und haben sich zugleich wie auch die SPÖ auf den Wohnbausektor »eingeschossen« und wollen »Miethaien« das Handwerk legen. Genauso gemischt ist das Bild bei den NEOS: Einer umfangreichen Senkung der Abgabenquote stehen Einschnitte bei der Mindestsicherung gegenüber – wobei dieses Geld meistens nicht auf Bankkonten in Liechtenstein geht, sondern in den Konsum in Österreich fließt. Die ÖVP will ebenfalls die Mindestsicherung von Asylwerbern senken und damit dem Einzelhandel Geld entziehen, hat aber als einzige Partei trotz der versprochenen milliardenschweren Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Erreichung des Nulldefizits zum Ziel.
»Ein Wahlprogramm ist letzten Endes doch die Eier legende Wollmilchsau«, meint auch Hofer. Er ortet zudem eine »Themenmigration«: Vieles, was eigentlich kein Wirtschaftsthema ist, ist trotzdem budgetrelevant. Auf der anderen Seite gibt es Wirtschaftsthemen wie den SPÖ-Vorschlag der Maschinensteuer, die über den sozialen Aspekt zu allgemeinen Themen werden. So gibt es sogar Vorschläge, die sich in jedem Parteiprogramm finden, etwa das Versprechen der Lohnnebenkostensenkung: »Dass die Arbeit entlastet werden muss, sagen inzwischen alle«, meint Hofer. »Nur die Antworten auf die Fragen nach dem Ausmaß sowie nach der Gegenfinanzierung sind je nach Partei unterschiedlich.« Sprich: Wer auch immer die Wahl gewinnt – die Lohnnebenkosten wird die nächste Regierung bestimmt senken. Auch gibt es zwischen Parteien klare Übereinstimmungen. So stehen ÖVP, FPÖ und NEOS für eine deutliche Steuersenkung, Bürokratieabbau und Entlastung des KMU-Sektors, während SPÖ und die Grünen eine Senkung der Mieten und eine höhere Besteuerung der Konzerne in Aussicht stellen.
Nach der Wahl kommt natürlich vieles anders. Vielleicht ist das der wichtigste Grund, warum sich neben Unternehmern auch Wirtschaftsforscher kaum veranlasst fühlen, die Wahlprogramme zu bewerten. Sieht man vom Auftritt des Steuerberaters und Ex-SPÖ-Finanzministers Andreas Staribacher an der Seite des amtierenden Bundeskanzlers bei einer Wahlveranstaltung ab, hat bisher einzig Ex-WIFO-Ökonom Stephan Schulmeister mit einer fundierten Kritik am Wirtschaftsprogramm der ÖVP aufhorchen lassen – mit der Folge, dass sich das WIFO per Presseaussendung von seinem ehemaligen Experten distanzierte. Allein die Ratingagentur Standard&Poor's hat sich mit einer ungewohnt klar formulierten Analyse zu Wort gemeldet (siehe Kasten S. 55). Dazu kommt noch die Meinung von Christian Helmenstein, der zwar als Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV) nicht unabhängig ist, dessen Forschungsinstitut Economica aber international angesehen ist. Helmensteins warnende Worte werden hoffentlich von allen Parteien ernst genommen: Der Aufschwung der Wirtschaft sei zwar nicht der Boom, der von manchen herbeigeschworen werde, aber tatsächlich messbar, sagt er. Allerdings: »Ohne tiefgreifende Strukturreformen kommen wir nicht vorwärts.« Die Steuer- und Abgabenquote sollte gesenkt, administrative Hürden beseitigt und die Arbeitsmotivation gesteigert werden. Auch eine KÖSt-Senkung und die Flexibilisierung der Arbeitszeit wären laut Helmenstein empfehlenswert. Oder, wie es IV-Präsident und Unternehmer Georg Kapsch formuliert: »Der Studien sind genug geschrieben – jetzt müssen die Strukturreformen kommen.«
Vom Musterschüler zum Sorgenkind
»Österreich: Das bessere Deutschland«. So urteilte das Nachrichtenmagazin Stern 2005. »Was ist seit 2005 passiert, beziehungsweise was ist in dieser Zeit in Österreich nicht passiert?«, wollte Franz Schellhorn, Direktor des unabhängigen Thinktanks Agenda Austria wissen. Das Ergebnis: eine dicke Studie über die Verfehlungen der Wirtschaftspolitik in den vergangenen mehr als zehn Jahren, veröffentlicht im Sommer 2017. »Die harten Kennzahlen wie etwa das Wachstum pro Kopf oder die Arbeitslosenquote zeigen, dass Österreich längst nicht mehr dort steht, wo es sich einst als Musterland profilieren konnte«, resümiert Agenda Austria. »Denn während sich unser großer Nachbar im Norden in den Standortrankings Jahr für Jahr sukzessive nach vorne gearbeitet hat, liegt Österreich nur noch im Mittelfeld. Das lässt sich aus den beiden wichtigsten Wettbewerbsrankings ablesen, sowohl aus jenem des World Economic Forum als auch aus jenem des International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne. Seit 2005 ist Deutschland um zwölf Plätze vorgerückt, während Österreich ins Mittelfeld durchgereicht wurde.« Neben der Diagnose hat die Agenda Austria auch die Therapie bereit: Eine Reform des Arbeitsmarktes, die Senkung der Belastung der Steuerzahler und die Reduktion der Staatsausgaben sind die drei wichtigsten Maßnahmen, um in den Rankings wieder besser zu werden und damit vermehrt internationale wie nationale Investoren anzulocken.
Ratingagentur sieht Österreich am Scheideweg
Die Ratingagenturen Moody’s, Fitch und Standard&Poor's (S&P) werden oft für ihre zweideutigen Empfehlungen kritisiert. Die Ende September veröffentlichte Einschätzung des S&P-Experten Alois Strasser zu Österreichs Bonität könnte jedoch nicht klarer sein: S&P hält das Länderrating Österreichs unverändert bei AA+ und damit eine Stufe von der Bestnote AAA entfernt. Ob es in Zukunft eine Heraufstufung auf das Top-Niveau oder eine weitere Verschlechterung geben wird, hängt indes eindeutig von den Folgen des Urnengangs am 15. Oktober an: »Wir könnten die Ratings erhöhen, wenn sich die fiskalische Unsicherheit vor und nach der Wahl verringert«, schreibt Strasser. »Das könnte zum Beispiel in Form eines verlässlichen Finanzplanes sein, der im Einklang mit den Regeln des europäischen Stabilitätspaktes für Österreich steht. Wir könnten aber auch eine negative Rating-Aktion ergreifen, wenn wir festgestellt haben, dass Österreichs Konsolidierungspläne aufgegeben wurden und das budgetäre Gleichgewicht substanziell schwächer geworden ist, als es bei einer Einhaltung der Vorgaben des Stabilitätspaktes der Fall gewesen wäre.« Mit anderen Worten: Wenn die neue Regierung das Defizit erhöht, ist Österreichs Rating in Gefahr. Und vom Länderrating hängt nicht nur der Kurs der österreichischen Staatsanleihen, sondern auch das Rating jedes einzelnen Unternehmens ab – von der Kelag- oder OMV-Unternehmensanleihe bis hin zur Bonitätsbeurteilung eines KMU, das bei einer Bank um einen neuen Kredit ansucht.