Montag, Juli 22, 2024

Locker wie Start-ups wollen Unternehmen erscheinen und verjüngen sich auch optisch. Der legere Look täuscht: Der Strukturwandel ist oft rein äußerlich. Die formalen Hierarchien bleiben bestehen, während Verantwortung und Arbeitsdruck zunehmen.

Von Ikea ist man das Du seit jeher gewohnt. Niki Lauda tritt auch zu Vorstandssitzungen konsequent mit Jeans und rotem Käppi an. Und Mark Zuckerberg kann man sich mit Krawatte gar nicht vorstellen. Mit den Wohlfühllandschaften zog in die Büros eine Lässigkeit ein, die aber nicht bei allen Unternehmen wirklich authentisch rüberkommt.

Durch die Globalisierung nivellierte das englische »you« längst sprachliche Barrieren in der länderübergreifenden Kommunikation. Seit Konzerne verstärkt mit Start-ups zusammenarbeiten und sich generell progressiver geben wollen, um junge Talente anzulocken, ist auch ein optischer Wandel zu bemerken. Allianz-Vorstand Oliver Bäte kommt in knallroten Turnschuhen zur Hauptversammlung und Siemens-Chef Joe Kaeser zeigt sich gerne im offenen Hemd, vorzugsweise bei Vorträgen vor dynamischen Jungunternehmern. Kaeser tauschte zudem nach der Rückkehr aus den USA seinen Vornamen Josef Käser gegen die coolere internationale Version. Auch VW-Chef Johann Jungwirth will lieber J.J. (sprich »tschey-tschey«) heißen, so wie seinerzeit als Apple-Manager im Silicon Valley.

Verordnung von oben

Die Duz-Kultur soll Hierarchien abbauen. Doch reicht es dafür schon, die Krawatte abzulegen und allen Mitarbeitern das Du anzubieten? Wenn es unter Zwang geschieht, eher nicht, wie die Verwirrung bei Lidl Deutschland zeigt, die ein joviales E-Mail des Konzernchefs Klaus Gehrig – unterzeichnet mit »Gruß Klaus« – an seine Führungskräfte auslöste. 2004 hatte das Unternehmen noch für negative Schlagzeilen gesorgt, weil Mitarbeiter in Umkleideräumen und Toiletten heimlich mit Videokameras überwacht wurden. Entsprechend verhalten blieben die Reaktionen ob dieser Verordnung von oben. Gehrig wird intern hinter vorgehaltener Hand »Killerwal« genannt und führte die Schwarz-Gruppe bislang mit strenger Hand.

Bild oben: Allianz-Vorstand Oliver Bäte überraschte bei der Aktionärsversammlung weniger mit seinen Umbauplänen als mit roten Turnschuhen.

Er hatte sich vom Beispiel der recht behäbigen Otto Group begeistern lassen. Deren Vorstandschef Hans-Otto Schrader rief im Februar 2016, ein Jahr vor seiner Pensionierung, das allgemeine Du-Wort aus – als »eine Art verbaler Startschuss für unser Projekt Kulturwandel 4.0«. Gleichzeitig sollte nur sein Kurzname »Hos« verwendet werden. Alexander Birken, der inzwischen Schraders Nachfolge antrat, betrachtet die neue Vertraulichkeit etwas diferrenzierter: »Es geht nicht darum, dass wir uns alle liebhaben und alles cosy ist, es geht um Offenheit, Transparenz und Collaboration. Der Vorstand muss ein Vorbild sein und wird sehr genau beobachtet. Wir müssen anfassbar sein und vorleben, dass jeder Mitarbeiter seine Verantwortung für das Unternehmen trägt, dass das Überspringen von Hierarchieebenen kein Loyalitätsproblem ist.«

Hinter der Fassade

Dass die Chefs plötzlich auf cool machen, kann über den notwendigen strukturellen Umbau hinter der Fassade nicht hinwegtäuschen. In einer Studie des Frankfurter Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) waren nahezu alle Befragten (98 %) überzeugt, eine Führungskraft müsse »wahrhaftig und glaubhaft auftreten«. 90 % stimmten der Aussage zu, eine Führungskraft müsse »die Individualität der Mitarbeiter achten«.

Bild oben: Siemens-Chef Josef Käser nennt sich Joe Kaeser und tritt vor Studierenden und Jungunternehmern gerne hemds-ärmelig auf.

Allerdings zeigte sich auch eine deutliche Diskrepanz zwischen jüngeren und älteren Führungskräften. Nur 63 % der Älteren (85 %der Jüngeren) erachten es als sehr wichtig, dass Informationen regelmäßig weitergegeben werden. Sie gegen davon aus, dass die digitale Vernetzung »sozusagen automatisch zu einer transparenteren Mitarbeiterführung führt«; eine Meinung, die nur 36 % der Jüngeren teilen, wie IFIDZ-Leiterin Barbara Liebermeister analysiert: »Die jüngeren Führungskräfte sind in der Unternehmenshierarchie meist noch tiefer als ihre älteren Kollegen angesiedelt. Deshalb sammeln sie im Betriebsalltag häufiger die Erfahrung: Unsere Chefs kommunizieren zwar ihre Entscheidungen, sie binden uns aber nicht stärker in ihre Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse ein.« Offensichtlich wird diese schiefe Ebene, wenn an die lockere Vertraulichkeit ungleich größere Verantwortung geknüpft ist. Unter der freundlichen Oberfläche gibt der Leistungsdruck weiter das Tempo vor, während die Firma »liebe Familie« spielt.

Lidl-Konzernchef Gehrig präzisierte in einem Interview seine Ansicht von Freiwilligkeit: »Es gibt keinen Zwang. Aber klar ist: Wer sich nicht duzt, isoliert sich. Das sind nicht die Leute, die wir brauchen.« Klingt schon viel weniger freundlich.

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