Montag, Juli 22, 2024

Ausgleichsmaßnahmen sollten kein politisches Thema sein, sondern fachlicher Bewertung unterliegen, meint Ulrike Pröbstl-Haider, Professorin am Institut für Landschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur.

(+) plus: Wie haben sich die Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen aus ökologischer Sicht gewandelt?

Ulrike Pröbstl-Haider: Die Aspekte der Nachhaltigkeit, der Effizienz und der Ressourcenschonung haben in den letzten Jahrzehnten extrem an Bedeutung gewonnen. Sie müssen sich vorstellen, dass pro Tag ein komplettes landwirtschaftliches Anwesen von etwa 16 Hektar versiegelt wird. Wir haben also eine starke Inanspruchnahme von Flächen, gleichzeitig findet eine Verknappung von Rohstoffen statt. Damit steigen die Nachfrage, der Wert und der Zwang, effizient damit umzugehen.

(+) plus: Was ist unter »ökologischer Aufwertung« zu verstehen?

Pröbstl-Haider: Wenn eine Kiesgrube ausgebeutet oder eine Straße gebaut wird, entsteht Ausgleichsbedarf. Da man in der Regel nicht veränderte Flächen entsiegeln und »der Natur zurückgeben« kann, muss man die Qualität anderer Flächen verbessern, um einen fairen Ausgleich zu erzielen. Dazu gibt es verschiedene Abstufungen und Bewertungsmodelle.

(+) plus: Wie wirksam sind Ausgleichsflächen?

Pröbstl-Haider: Die Maßnahmen sind schon wirksam. Die Palette reicht von der Renaturierung von Gewässern über Magerwiesen mit seltenen Schmetterlingen und Heuschrecken bis hin zu naturnahen Wäldern. Eine alte Hecke ist sehr wertvoll, weil sie Brutvögeln, aber auch Amphibien- und Reptilienarten Schutz bietet. Aus einer monostrukturierten Ackerfläche kann man natürlich leicht eine Ausgleichsfläche machen, aber eine Fläche, die an ein Schutzgebiet anschließt, ist naturschutzfachlich meist wertvoller, selbst wenn sie kleiner ist. Eine kleine Insel in einem riesigen Maisfeld kann von allen Seiten durch Pflanzenschutz- und Düngemittel belastet werden und daher nie dieselbe Funktion erfüllen.

(+) plus: Wo gibt es Konflikte?

Pröbstl-Haider: Bei UVP-Verfahren werden Auswahl und Qualität der Flächen festgeschrieben. Beim Kiesabbau ist das noch einfach, weil es sich um einen temporären Eingriff handelt. Häufig kann man mit stückweisem Abbau die Folgen begrenzen und schon vorher einen begrünten Schutzwall anlegen oder eine Feldhecke für Kleintiere pflanzen. Straßen und Gebäudekomplexe bleiben dagegen für immer und man muss einen Ausgleich an anderer Stelle schaffen. Zusätzlich sind neben dem Flächenbedarf auch die betrieblich bedingten Belastungen ein Problem, wie etwa  die Lkw-Transporte und die Lärm- und Staub­entwicklung.

(+) plus: Wie steht es um die wirtschaftliche Machbarkeit?

Pröbstl-Haider: Grundsätzlich besteht eine gesetzliche Verpflichtung. Ein Spielraum bietet sich nur in den Kosten. Für eine Magervegetation könnte es ausreichen, mit der Baggerschaufel den fetten Oberboden abzuheben und mit Saatgut oder Heu abzudecken. Bei sachgerechter Pflege dauert es zwar mindestens 15 bis 20 Jahre, bis sich eine artenreiche Vegetation einstellt, es ist aber relativ billig. Sollen große Alleebäume nachgepflanzt werden, kosten schon drei Bäume so viel wie die Pflege einer Wiese über zehn Jahre. Bei großen Bauvorhaben sind aber die Ausgleichsmaßnahmen in der Regel »Peanuts«, gemessen an den Summen für die Vorhaben. Die Verfügbarkeit von Flächen kann manchmal ein Problem sein, aber nicht die Kosten. Die Ausrede »Wir können wegen des Ausgleichs die Straße nicht bauen« lasse ich nicht gelten.

Letztlich dürfen jedoch nicht die Kosten entscheidend sein, sondern die Wiederherstellung der wertvollen Lebensräume, die im Naturhaushalt weggefallen sind. Es macht keinen Sinn, einen Magerlebensraum zu schaffen, wenn gerade ein Krötentümpel zerstört wurde. Bei Prüfverfahren wird deshalb darauf geachtet, ob es ein echter Ausgleich ist oder eher eine Ersatzmaßnahme. Ich plädiere sehr dafür, die Entscheidung in die Hände von Sachverständigen zu legen. Das sollte kein politisches Thema sein, sondern ein fachliches.

(+) plus: Wäre auch ein Monitoring sinnvoll?

Pröbstl-Haider: Das Monitoring kommt auf jeden Fall zu kurz. Ob unsere Prognosen stimmen und die Maßnahmen z.B. der Kröte wirklich geholfen haben, wissen wir oft nicht. Großbetriebe wie die Asfinag sind da sehr engagiert. Die ÖBB fanden bei der Kontrolle einer Feuchtwiese einmal eine Kohlplantage vor. Der Grundstückseigentümer hatte nicht damit gerechnet, dass jemand nachschauen kommt. Das Unternehmen zahlt aber für ökologische Bewirtschaftung, nicht damit der Bauer Ausgleichs-Kohlköpfe pflanzt.

(+) plus: Was halten Sie von Ökokonten?

Pröbstl-Haider: In Deutschland ist das Ökokonto seit Ende der 1990er-Jahre gesetzlich verankert. In Österreich gibt es seit langem Diskussionen über ein gemeinsames Landschaftskonto von Wien und Niederösterreich. Das halte ich für eine bessere Lösung als den »Schotterschilling«, wie es ihn etwa in Niederösterreich und Kärnten gibt. Für die Bürger ist überhaupt nicht nachvollziehbar, was mit dem »Schilling« – auch wenn es vermutlich ein Euro ist – passiert. Geld kann man umleiten, Flächenkonten aber nicht. Ich bin eine entschiedene Gegnerin sämtlicher Kompensationen in Geld. Das könnte anderweitig Verwendung finden.

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