Sonntag, Dezember 22, 2024

Als Künstlerin, Agentin und Intendantin kennt Marika Lichter alle Facetten des Branche. Über die goldenen Zeiten, Erwin Pröll, warum »Star« kein Beruf und Talent nicht alles ist, erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Sie stehen selbst seit vielen Jahren als Sängerin und Schauspielerin auf der Bühne, kennen die Branche aber auch als Künstlervermittlerin. Inwieweit hat sich das Business verändert?

Marika Lichter: Wir vertreten in erster Linie Künstlerinnen und Künstler im Bereich Musical und Operette, etwas weniger für das Sprechtheater. Generell wird der persönliche Kontakt zu den Künstlern, wie auch zu den Produzenten und Theatern, immer wichtiger. In den letzten Jahren haben sich viele Stadttheater entschlossen, Musical zu machen. Vor allem Klassiker wie »Westside Story« und »My Fair Lady« werden gespielt, auch neue Musicals kommen – das begrüße ich sehr. Es gibt mehr Produktionen, die Theater zahlen aber schlechter. Die goldenen Zeiten der Engagements sind vorbei. Überall wird gespart. Häufig werden keine Probengelder mehr bezahlt, nur noch Pauschalen. Eine Unterkunft und Reisekosten muss man aushandeln. Es ist Aufgabe der Agentur, für die Künstler das Bestmögliche herauszuholen. Aber es ist einfach weniger Geld da, Subventionen werden gekürzt. Alle kämpfen.

(+) plus:  Verstehen Sie heute als Managerin beide Seiten besser?

Lichter: Ich verstehe schon, dass die Kunst in der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht ausgenommen werden kann. Es ist halt bedauerlich, wenn für Sport so viel Geld ausgegeben, hier aber gespart wird. Kunst ist wichtig für die Seele

(+) plus: Erkennen Sie gleich, ob ein Nachwuchstalent das Zeug für eine große Karriere hat?

Lichter: Na, wenn ich das nach 50 Jahren in der Branche nicht sehen würde, müsste ich es aufgeben! Ich nehme nur Künstler unter Vertrag, die ich für gut befinde. Ich bin sehr selektiv. Wenn der Künstler nicht gut ausgebildet ist oder die Leistung nicht erbringt, fällt das auf die Agentur zurück. Ich sitze auch in der Prüfungskommission der Privatuniversität für Musik und Kunst der Stadt Wien und kann dort die Entwicklung vieler junger Leute beobachten. Jenen, die mir besonders gut gefallen, biete ich an, zu mir in die Agentur zu kommen.
Unseren diesjährigen Song-Contest-Vertreter

Nathan Trent sah ich bei der Abschlussprüfung vorigen Sommer und fand ihn großartig. Ich habe aber gleich bemerkt, dass er auch in den Pop-Bereich passt. Ich bin sehr stolz, dass er unsere Agentur ausgewählt hat.

(+) plus: Was sind Ihre Kriterien?

Lichter: Ich sehe, ob ein Mensch dafür brennt oder nicht. Es gibt Künstler, die auf der Bühne stehen und keine Energie schicken. Auf die schaut man nicht, auch wenn sie Hauptrollen spielen. Manchmal fällt mir jemand in der zweiten Reihe auf, mit lebendigem Gesicht, der Körper voll Energie – das ist es. Aber wenn einer schon wegen eines Wochenendtermins mault, ist die Sache für mich gegessen. Es gibt in unserer Branche keinen Sonntag, keine Feiertage.

(+) plus: Viele Unternehmer klagen, die Jungen seien weniger leistungsorientiert und bleiben lieber in ihrer Komfortzone. Bemerken Sie das auch?

Lichter: Diese Frage stellt sich in jedem Beruf: Wie viel kann ich geben? Es gibt immer Menschen, die für etwas besonders begabt sind; andere müssen sich das schwer erarbeiten – wobei die hart Arbeitenden manchmal sogar besser sind als jene, die zwar begabt sind, aber faul. Ein Ensemble muss wie eine Einheit zusammenstehen. Einer, der immer unzufrieden ist oder seine Leistung nicht erbringt, ruiniert die Stimmung. Da kann ich nur sagen: »Geh und mach etwas anderes!« Es gibt Hunderte, die alles dafür geben würden. Es ist nie einfach nur ein Job, auf der Bühne zu stehen. Es ist eine Berufung.

Bild oben: Im Juni eröffnen Intendantin Marika Lichter und ihr Team mit »Zorro« den neuen Musicalsommer Winzendorf.

(+) plus: Kann man sich Starallüren überhaupt noch leisten?

Lichter: Star ist kein Beruf. Die gab’s nur im Film und vielleicht im Pop. Die Bühne ist ein hartes Geschäft.

(+) plus: Im Juni feiern Sie als Intendantin des neu gegründeten Musicalsommers Winzendorf Premiere. Welche Herausforderungen bringt diese Funktion als Kulturmanagerin?

Lichter: Ich habe in meinem Leben schon viele Produktionen geleitet. Eine Intendanz wollte ich nicht um jeden Preis, aber als ich das erste Mal nach Winzendorf kam, war ich überwältigt. Der Steinbruch ist wie ein Kraftplatz, ich bin total verliebt in diese Location. Wir haben etwas gesucht, das zu den Karl-May-Festspielen dort passt, und sind auf das Musical »Zorro« gestoßen – ebenfalls mit Pferden und der Musik der Gipsy Kings. Ich glaube, das wird toll! Wir haben eine wunderbare Besetzung und mit Andreas Gergen einen Regisseur, der gerade mit »Don Camillo und Peppone« Erfolge feiert, aber auch viele junge Leute von den Performing Arts Studios. Ich bin für die künstlerische Leitung verantwortlich, natürlich immer entsprechend der finanziellen Vorgaben. Ich bin kein Risikomensch und gehe immer an der Wand entlang. Es gibt genügend Produzenten, die Stücke ankündigen und schon zu Proben-beginn in Konkurs gehen.

(+) plus: Die Konkurrenz ist durch die Vielzahl an Sommerspielen groß. Wie gelingt es, sich hier zu positionieren?

Lichter: Im Bereich Musical sind zwei Spielstätten weggefallen – Stockerau und Gutenstein, beide machen jetzt Sprechtheater. In Niederösterreich gibt es sonst nur Amstetten und Staatz, wir liegen im Bezirk Wiener Neustadt geografisch ungefähr in der Mitte. Aktuell bemühen wir uns um Kooperationen mit Hotels und möchten Kombi-Tickets mit Übernachtung anbieten. Alle freuen sich, dass wir die Schneeberg-Region beleben. Das Open-Air-Problem wegen des Wetters fällt bei uns weg: Wir sind überdacht und spielen immer.

(+) plus: In Niederösterreich war der Einfluss des scheidenden Landeshauptmanns Erwin Pröll auch im Kulturbereich unübersehbar. Wird er eine Lücke hinterlassen?

Lichter: Er hat wirklich viel für die Kultur getan: Allein was er aus Grafenegg gemacht hat, auch der niederösterreichische Theatersommer ist eine tolle Institution. Das Publikum wurde richtig erzogen – Haag zum Beispiel liegt ja nicht gerade in der Nähe von Wien und trotzdem fahren die Leute hin. Man kommt einfach gerne zu Sommerspielen. Die Kultur ist in Niederösterreich etabliert, daran wird sich nicht viel ändern. Ich glaube, Pröll wird seine Stimme schon noch manchmal erheben.

(+) plus: Auch Sie haben sich immer wieder politisch geäußert und als Sozialdemokratin deklariert. Sind Sie mit dem neuen Arbeitspakt der Regierung zufrieden?

Lichter: Ich bin sehr froh, dass sich die Regierung einigen konnte. Jetzt muss endlich gearbeitet werden. Es kann nicht sein, dass sich die Parteivorsitzenden ständig über die Presse ausrichten, was zu tun wäre. Das Schlimmste sind die Verunsicherung und die Hetze, die von der FPÖ betrieben wird. Natürlich gibt es eine Flüchtlingsproblematik, aber Österreich war immer ein Einwanderungsland – das muss doch irgendwie machbar sein. Diese Menschen kamen nicht so überraschend. Man wusste es. Dass man ihnen unterstellt, sie hätten ihr Leben aus Jux und Tollerei aufs Spiel gestellt, ist schändlich. Natürlich gibt es immer solche und solche, so wie bei uns auch. Man kann nicht alle in einen Topf werfen. Was das Thema Terrorismus betrifft: Es wäre einiges zu verhindern gewesen, wenn die Überwachungssysteme gesamteuropäisch besser vernetzt wären. Wir müssen froh sein, dass hier noch nichts passiert ist.

(+) plus: Ihre jüdischen Vorfahren kamen im Holocaust ums Leben. Laut Antisemitismusbericht vom Vorjahr hat sich die Zahl der Übergriffe fast verdoppelt. Erleben Sie selbst auch Anfeindungen?

Lichter: Ich persönlich habe eigentlich viele Jahrzehnte keine schlechten Erfahrungen gemacht, obwohl ich immer offen sage, ich bin Jüdin. In meiner Jugend war es viel schlimmer. Damals hat man noch antisemitische Witze erzählt und es gab beleidigende Äußerungen. Das rechte Denken wird aber wieder salonfähig. Man kann Dinge sagen, die man sich lange nicht zu sagen getraut hat. Solange Menschen ein schlechtes Gewissen haben, ist die Hemmschwelle vielleicht größer. Junge Leute sind viel zu wenig informiert. Deshalb fand ich es so wunderbar, wenn Zeitzeugen in die Schulen gingen und ihre Geschichte erzählten. Leider sind die meisten schon gestorben. Man sieht es an dieser Frau Gertrude auf Facebook – das hatte schon eine unglaubliche Wirkung.

(+) plus: Sie sind seit vielen Jahren Geschäftsführerin des Vereins »Wider die Gewalt«. Warum ist Ihnen dieses Thema ein Anliegen?

Lichter: Es war mir noch kein Anliegen, als ich vor 28 Jahren gefragt wurde, ob ich dazu eine Veranstaltung machen könnte. Aber dann entwickelte sich eine Eigendynamik. Ich habe gesehen, wie wichtig das ist. Wir konnten bisher insgesamt drei Millionen Euro für Frauen und Kinder sammeln; darüber hinaus gelang es uns, Themen zu enttabuisieren. Die neuen Kulturen, die zu uns kommen, haben andere Usancen – hier hilft nur Aufklärung: Missbrauch und Gewalt, das geht einfach nicht. Das muss man den Menschen erklären, wenn sie es nicht anders kennen.


Zur Person

Marika Lichter, 1949 als Tochter eines polnischen Vaters und einer ungarischen Mutter in Wien geboren, erhielt ab ihrem dritten Lebensjahr Klavier- und Tanzunterricht und absolvierte ein Operngesangsstudium am Konservatorium der Stadt Wien. 1971 debütierte sie als Operettensoubrette im Wiener Raimundtheater und wirkte in den folgenden Jahren in Musicals u.a. im Theater an der Wien und Mörbisch mit. Zudem stand sie mehrfach als Schauspielerin bei Theaterproduktionen auf der Bühne. Bekannt wurde Lichter 2005 auch als Siegerin der ersten Staffel der TV-Show »Dancing Stars«. Seit 1996 betreibt sie die Künstlervermittlungsagentur GlanzLichter. Sie sitzt in der Jury der Deutschen Musicalakademie. Im Juni 2017 feiert Lichter als Intendantin des neu gegründeten Musicalsommers Winzendorf mit »Zorro« Premiere.

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