Das Gesundheitswesen steht so stark wie noch nie im Spannungsfeld zwischen Versorgungs- auftrag, knappen Ressourcen und regulierten Leistungsentgelten. Digitalisierung bietet die Chance, Kosten zu senken und die Verwaltung zu entlasten. Vom verbesserten Service profitieren auch die Patienten.
Effizienz steigern und Kosten sparen – das sind die Prämissen, denen sich heute jedes Unternehmen stellen muss. Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen stehen vor zusätzlichen Herausforderungen: Die Betreuung der Patientinnen und Patienten darf unter den Kürzungen nicht leiden,
absolute Datensicherheit ist oberstes Gebot und das medizinische Personal sollte nicht durch mehr administrative Aufgaben belas-tet werden. Sämtliche Applikationen, die in einem Krankenhaus- oder Reha-Informationssystem notwendig sind, müssen mobil zur Verfügung stehen. Die Oberfläche muss ansprechend gestaltet, leicht zu bedienen und selbsterklärend sein. Für langwierige Einschulungen ist im Krankenhausalltag keine Zeit. Auf Tablet oder Smartphone können Ärzte und Pfleger Befunde ansehen, Diagnosen dokumentieren und mittels elektronischer Spracherkennung Entlassungsbriefe schreiben oder korrigieren. Mobilität und Sicherheit sind die großen Herausforderungen, erklärt Katharina Proske, Head of Sales Public&Health bei T-Systems Austria: »Es dürfen keine Patientendaten auf Endgeräten gespeichert werden. Alle Informationen müssen verschlüsselt und vor ›Cybercrime‹ geschützt sein.«
Big Data im Krankenhaus
In Österreich wurden im Gesundheitswesen schon immer große Datenmengen sehr umfassend dokumentiert. Durch die Digitalisierung ist es nun möglich, Daten aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzuführen und rascher auszuwerten. Während die Erstellung eines Reports früher einige Stunden oder gar Tage benötigte, liegt er jetzt innerhalb von Sekunden vor. Wie die digitale Vernetzung in der Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel Krankenhaus Schwarzach. Auch die Burgenländische Krankenanstalten GmbH bildet ihre gesamten OP-Prozesse inzwischen zur Gänze elektronisch ab. Für die Übertragung, Speicherung und Verwaltung der enormen Datenmengen und die Sicherheit der sensiblen Informationen zeichnet das Rechenzentrum von T-Systems verantwortlich.
Die Datenbanktechniker gehen inzwischen bereits einen Schritt weiter in Richtung Analyse. Künftig sollen aufgrund der gesammelten Informationen auch Prognosen möglich sein: Welche Krankheiten kommen im Herbst auf uns zu? In welchen Regionen ist mit einer Häufung zu rechnen? Selbst die Erstellung von Diagnosen bleibt nicht länger nur Ärzten vorbehalten. Der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin verbuchte schon einen medienwirksamen Erfolg: In Japan konnte eine todkranke Frau gerettet werden, die man zuvor mit Leukämie-Medikamenten behandelt hatte. Als sich ihr Zustand zusehends verschlechterte, fütterten Spezialisten an der Universität in Tokio den IBM-Computer Watson mit ihren Geninformationen. Watson glich die Daten innerhalb von zehn Minuten mit jenen von 20 Millionen anderen Krebspatienten ab und identifizierte ein seltenes Krankheitsbild, auf das man mit herkömmlichen Methoden vermutlich nur durch großen Zufall gestoßen wäre. Spekulationen, dass schon in naher Zukunft in der Apotheke die Medikamente computergesteuert ausgehändigt werden oder Roboter Operationen durchführen, erscheinen nicht unrealistisch.
Künstliche Intelligenz
In der medizinischen Forschung ist künstliche Intelligenz seit einiger Zeit ein Thema. Für das internationale Projekt EuResist wurde ein System entwickelt, das auf Basis des HIV-Genotyps des Patienten und optional auch dessen klinischer Daten eine Vorhersage trifft, mit welcher Wahrscheinlichkeit er auf unterschiedliche
Therapien und Medikamentenkombinationen anspricht. Ein direkter Vergleich mit der Einschätzung menschlicher Experten zeigte weitgehend übereinstimmende Ergebnisse.
Am New York Genome Center trainieren Wissenschafter die kognitiven Fähigkeiten von IBM Watson für den Einsatz in der DNA-basierten Krebstherapie. Ausgestattet mit dem aktuell verfügbaren Wissen aus der Medikamentenforschung und der Biomedizin sowie umfassenden Genanalysedaten unterstützt Watson die Onkologen bei der Entwicklung individuell auf den genetischen Code abgestimmter Behandlungsstrategien für Gehirntumore.
Schon die Auswahl der geeigneten Testgruppe für eine der rund 180.000 klinischen Studien, die jährlich durchgeführt werden, erfordert in der Regel einen hohen Zeitaufwand. Digitale Systeme beschleunigen diesen Prozess massiv, indem alle relevanten Informationen aus medizinischen Dokumenten extrahiert und nach bestimmten Kriterien gefiltert werden. Ein automatisiertes Benachrichtigungssystem verständigt die passenden Studienteilnehmer und erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Abwicklung.
Alle Befunde abrufbar
Zugriff und Nutzung sensibler Daten werden nicht immer positiv gesehen – selbst wenn es der Forschung dient. Geht es um die Straffung verwaltungstechnischer Prozesse, sind die Vorbehalte meist noch größer. Die Einführung der e-card zog sich über Jahre hin, weil mehrere Interessengemeinschaften dagegen opponierten. Heute wirkt die Warnung, die Gesundheitskarte im Scheckkartenformat würde zu einem Überwachungssystem führen, fast anachronistisch.
Trotzdem zeichnet sich inzwischen ein ähnliches Muster rund um das Thema e-Medikation und die elektronische Gesundheitsakte ELGA ab. Ärztekammer und Datenschützer kritisieren auch diesmal die digitale Vernetzung medizinischer Einrichtungen und ihrer Dokumente. Im Grunde liegen diese Informationen vom Allergietest im Labor über Röntgenbilder aus dem Fachinstitut bis zum Entlassungsbrief des Krankenhauses schon jetzt vor – vorausgesetzt der behandelnde Arzt weiß davon und fordert sie an. Über ELGA sind die Befunde, Diagnosen und Medikation aber nun für alle Berechtigten abrufbar; wer Einsicht nimmt, wird genau protokolliert.
Aus IT-Sicht wurden alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, weitgehende Transparenz ist ohnehin gesetzlich vorgeschrieben. Zudem kann sich jede Bürgerin und jeder Bürger aus dem System abmelden oder einzelne Behandlungsepisoden, zum Beispiel einen Psychiatrieaufenthalt, löschen.
Trotz eines berechtigen Unbehagens – Stichwort »Gläserner Mensch« – liegen die Vorteile auf der Hand: Ein zu Hause vergessener Befund aus dem Vorjahr oder der Name der Tabletten, der einem in der Aufregung nicht mehr einfällt, sind dann hinfällig. Es ist ja alles im System gespeichert.
Lange Entscheidungswege
Die langen Entscheidungswege stellen auch die IT-Fachleute vor große Probleme. Verglichen mit den rasanten Entwicklungszyklen in der Branche könnte die Diskrepanz nicht größer sein. »Vom Pre-Sales-Prozess über die Ausschreibung bis zur Entscheidung geht wertvolle Zeit verloren, denn bis die Vergabe erfolgt und das Projekt startet, dauert es oft bis zu drei Jahre. Inzwischen geht die technologische Entwicklung weiter und neue Produkte kommen auf den Markt, die aber aufgrund der veralteten Ausschreibung nicht zum Einsatz kommen«, umreißt T-Systems-Expertin Proske die Problematik.
Die nordeuropäischen Länder sind in der Umsetzung ähnlicher Vorhaben deutlich schneller, auch technisch ist man besser ausgestattet. In Dänemark läuft seit mehreren Jahren eine mit ELGA vergleichbare Datenbank, über die sich Gesundheitseinrichtungen vernetzen und Patienten ihre
Daten einsehen können. Deutschland steht dagegen erst vor der Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte – durch die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Bundesländer ein schwieriges Unterfangen.
In Österreich wurde ELGA 2012 vom Nationalrat beschlossen, bisher erfolgte der Rollout erst in Wien und der Steiermark, und da nur für den stationären Bereich. Ab November folgen weitere Bundesländer. Laut Plan beginnt der Rollout auch für niedergelassene Ärzte und Apotheken im ersten Quartal 2017 und endet im zweiten Quartal 2018. Mit den niedergelassenen Ärzten gibt es noch Diskussionen. An ihnen drohte schon in Deutschlandsberg der Probelauf für e-Medikation zu scheitern. Zu viele Ärzte verweigerten die Teilnahme oder beklagten den hohen administrativen Aufwand. Das Pilotprojekt wurde nun verlängert.
Via e-Card hätten künftig auch Apotheker – mit Einverständnis des Patienten – Einblick in die Medikamentenliste und könnten auf Wechselwirkungen oder Mehrfachverschreibungen aufmerksam machen. Schon 2008 erwiesen sich die Pharmazeuten mit dem Arzneimittel-Sicherheitsgurt als Vorreiter – einer Software, die damals sogar mit dem Staatspreis ausgezeichnet wurde. »Dieses Programm war in Salzburg schon in 70 Apotheken im Einsatz und mit dem e-card-System vernetzt. Der erste Pilotversuch fand also bereits vor zehn Jahren statt. Das ist nicht gerade die Geschwindigkeit, mit der man üblicherweise IT-Projekte umsetzt«, sagt Volker Schörghofer, stellvertretender Generaldirektor des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger. Die Skepsis der Ärzte teilt die Apothekerkammer übrigens nicht: Sie will die E-Medikation notfalls auf eigene Faust vorantreiben.
Musterbeispiel
Krankenhaus Schwarzach
Das Kardinal Schwarzen-berg’sche Krankenhaus in Schwarzach setzt seit Mitte 2015 auf die In-Memory-Plattform SAP HANA. Mit ihr lassen sich Auswertungen und Datenanalysen beschleunigen. Das IT-gestützte System erleichtert die Dokumentation und Archivierung von Diagnosen und Behandlungen. Via Tablet oder Smartphone kann das medizinische Personal über spezielle Apps direkt bei der Visite alle Patientendaten, Befunde und Röntgenbilder abrufen und speichern.
Mit rund 600 Betten und rund 30.000 Patienten pro Jahr fällt das Pongauer Spital unter Großprojekte, deren Abwicklung einen straffen Zeit- und Organisationsplan erfordert. In Schwarzach gelang dies mit einer Durchlaufzeit von zwei Monaten zwischen Auftragsvergabe und Fertigstellung. »Wir erwarten uns mittelfristig von der HANA Datenbank große Performancegewinne. Stabilität ist oberstes Gebot. Bei Problemen übernimmt der Ausfallsknoten die Funktion innerhalb von weniger als fünf Minuten«, erklärt Christian Mühlthaler, IT-Leiter des Krankenhauses Schwarzach. »Am klinischen Arbeitsplatz reduzieren wir für spezielle Terminsichten die Ant-wortzeit von 30 auf eine Sekunde.« Ein Bereich, der sich in einem Krankenhaus besonders für Optimierung anbietet, ist der Operationssaal. Die Vielzahl an medizinischen Apparaten und Instrumenten, die rechtzeitig zur Verfügung stehen müssen, stellt höchste Anforderungen an Planung und Steuerung. Die Organisation von Personal, Material und Geräten oder lange Wege und unnötige Wartezeiten sind nicht nur unökonomisch, sondern gehen auch zulasten der Patienten.
Generell wird in Krankenhäusern der Grad der Digitalisierung von HIMMS (Healthcare Information and Management Systems Society) anhand eines siebenstufigen Modells gemessen. Österreichs Krankenhäuser liegen auf Stufe 2 und 3. Es besteht noch Entwicklungspotenzial in den Bereichen Dokumentation, Prozesse, Vernetzung sowie Kommunikation und Kollaboration mit mobilen Devices.