Aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Industrie und Logistik geben einen Vorgeschmack auf eine allumfassend vernetzte Welt. Zuerst geht es um Effizienz, dann um völlig neues Geschäft.
Wie fortgeschritten unsere Gesellschaft auf Basis von Technik ist, merken wir an der steigenden Lebenserwartung. Doch ist der technologische Wandel auch dafür verantwortlich, dass anderswo der Tod wesentlich früher kommt. Hatte gegen Mitte der 20. Jahrhunderts die durchschnittliche Lebensdauer eines Fortune-500-Unternehmens durchschnittlich noch 75 Jahre betragen, ist heute die Lebenserwartung der Unternehmen dramatisch auf 15 Jahre gesunken. Natürlich ist alles eine Frage der Innovation. Waren vor wenigen Jahrzehnten regelmäßige Produktneuerungen die Basis für den Betriebserfolg, folgten bald die Notwendigkeit zu Prozessinnovation und heute die Innovation von Geschäftsmodellen. Die Verweildauer auf dem Wirtschaftsparkett ist abhängig von der Anpassungsfähigkeit geworden.
Dass der Entwicklungsgrad von Industrie-4.0- und »Internet of Things«-Projekten sehr unterschiedlich in den Firmen ist, bestätigt Gernot Schauer, Leiter des Geschäftskundenvertriebs bei T-Systems. »Die Vorreiter haben seit vier Jahren ihre Maschinen in der gesamten Fertigung mit Sensorik versehen und sammeln Daten – hier stellt sich dann oft aber noch die Frage der Auswertungsmöglichkeiten.« Andere würden erst jetzt nachdenken, welche Bedeutung der Technikwandel für das eigene Geschäft haben könnte. »Wir betrachten die Aufgabenstellungen, die von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sind, in unserer Rolle als Integrator und vernetzen Maschinenhersteller, Kunden und IT-Plattformen.« Doch wie sieht eine moderne Vernetzung in der Industrie aus?
Bild oben: In der Logistik überschreiten vernetzte Systeme die Unternehmensgrenzen und werden weltweit entlang der Wertschöpfungsketten integriert.
Es beginnt bei der Einkaufslogistik, wo mit RFID-Tags Güter markiert und damit Standorte und Produktinformationen ausgelesen werden. Technologie ist auch maßgeblich am Konzept des intelligenten Lagers beteiligt. In einem Projekt für die Brau Union wurden von T-Systems vor einigen Jahren die Software des Lagerverwaltungssystems mit dem Staplerleitsystem und vorhandener Sensorik vernetzt. Die Innovation entstand durch die Integration dieser Basissysteme mit Wireless-LAN-Antennen, der Einbindung einer Reihe von wirtschaftlichen Prinzipien wie »first-in, first-out« in die IT-gestützte Platzvergabe und der flächendeckenden Ortung von Ressourcen im gesamten Lagerkomplex über Lasersensoren an den Staplern und der Hallendecke. Das Ergebnis: Paletten unterschiedlicher Produkte können nun scheinbar chaotisch nebeneinanderstehen und benötigen keine fest definierten Flächen mehr. Die Brau Union spart durch kürzere Wege nun Gas für die Stapler und hat die Lagereffizienz gesteigert.
Hilfe bei Instandhaltung
Der Vernetzung von Sensoren mit Informationssystemen ist auch bei der Maschinenwartung und Steuerung ein Thema mit großem Potenzial. »Predictive Maintenance« bedeutet die vorherschaubare Wartung, indem Mess- und Maschinendaten aus einem laufenden Prozesses mit Erfahrungswerten und Datenanalysten verknüpft werden. Bei auffälligen Mustern werden Geräteüberprüfungen und Services entsprechend früher durchgeführt – noch bevor es zu einem Schadensfall kommt. »Augmented Maintenance« ist weiteres Schlagwort: Über Datenbrillen mit integrierten Kamera- und Displayfunktionen werden Experten aus der Ferne bei der Arbeit in der Anlage zugeschaltet. So ist eine einfache Hilfestellung bei Reparaturen und im Service möglich: Die Fachkraft mit Spezialwissen kann weltweit zugeschaltet werden, sieht mit der Kamera des Kollegen und gibt Anweisungen. Besonders interessant ist dies für Anlagen, die schwer zugänglich sind, wie Ölplattformen oder Offshore-Windkraftwerke. Eine Fluglinie unterstützt in dieser Weise die Wartungsarbeiten an ihren Flugzeugen.
An Bord dieser Lösungen ist zunehmend auch automatisierte Bild- und Objekterkennung. Wird ein Tablet beispielsweise vor ein Ventil gehalten, werden Informationen zu Typus, Position und Funktion eingeblendet. Explosionszeichnungen technischer Teile, Kontakt auf Knopfdruck mit dem Hersteller oder automatische Vorschläge für weiteres Vorgehen – den Möglichkeiten der Interaktion mit assistierenden Systemen sind kaum Grenzen gesetzt. Mit »Augmented Reality« werden computergenerierte Objekte gemeinsam mit der gefilmten Realwelt dargestellt. Bei Hardware wie der Industrielösung »Hololens« von Microsoft ist dazu keine Datenverbindung nach außen nötig. Mit einem Speicher an Bord der Brille ist die Navigation und die Arbeit auch in abgeschotteten Umgebungen möglich.
Logistik auf höchstem Niveau
Unterschiedliche Einsatzbereiche zeichnen den Weg vernetzter Sensorik und Datenanalysen im Transport, in der Lagerung und in der Zustellung. »Drohnen werden gerade bei weitläufigeren Werksgeländen nicht nur für die Überwachung als Schutz vor Betriebsspionage eingesetzt, sondern auch für die Verwaltung von gelagerten Waren und der Optimierung von Gütern«, erklärt der Experte. Für einen Hersteller von sperrigen Industrieprodukten, die unter freiem Himmel gelagert werden, können die fliegenden Helfer Inventurarbeiten durchführen. Unternehmen in der Fahrzeuglogistik wiederum identifizieren so einzelne Wagen unter tausenden anderen auf Riesenparkplätzen. »Das sind allerdings sehr innovative Umsetzungen – die meisten Unternehmen befinden sich bestenfalls noch im Experimentiermodus«, sagt Schauer. Natürlich ist die Erschließung neuer Geschäftsmodelle ein Thema. Treiber für Investitionen sind derzeit meist aber Kosteneinsparungen und Qualitätssteigerungen. So ist in Branchen wie der Pharmaindustrie oder der Automobilindustrie die Nachvollziehbarkeit der Entstehungsschritte eines Produktes bei Gewährleistungsfragen wichtig.
Stahlkonzern im Wandel
»Die Digitalisierung ist ein Thema, das sich bei uns über viele Jahre entwickelt hat«, berichtet Franz Rotter, CEO von voestalpine Edelstahl, bei der Veranstaltung IIR Industrie Forum im September. Die metallurgischen Prozesse für die Herstellung und Verarbeitung von Werkstoffen sind derart komplex, sagt der Manager, dass Innovationen in der Produktion ohne Informationstechnologie nicht mehr möglich wären. »Alle unsere Konzernsparten sind auf Innovation ausgerichtet. Anders könnten wir als österreichisches Unternehmen am globalen Markt nicht mitspielen. Uns geht es nicht nur um Skaleneffekte«, meint der Vorstand, »die überlassen wir anderen.« Primär seien Produkt- und Prozessqualität ebenso wie die Innovationskraft im Fokus. Was auf die voestalpine Edelstahl nun zukomme, sind digitalisierte Prozesse über die bisherigen Systemgrenzen hinweg. Das heißt: Die ganzheitliche Vernetzung entlang der Wertschöpfungsketten schreitet weiter voran.
Bild oben: Franz Rotter, Chef der Special Steel Division, und Wolfgang Eder, CEO der voestalpine, eröffnen ein F&E-Zentrum für den 3D-Druck von Metallteilen in Deutschland. Der für den Prozess notwendige Werkstoff – ein speziell hergestelltes Metallpulver – wird von den Konzerngesellschaften Böhler Edelstahl und Uddeholms geliefert.
Rotter sieht die aktuellen Entwicklungen aus Aktorik, Sensorik und Robotik als herausfordernde Aufgabe, um laufend alle Möglichkeiten auszuschöpfen und innovativ zu bleiben. »Die Wertschöpfungsketten in der Industrie bestehen meistens aus zwei bis vier Gliedern. Wenn nun die Prozesse in jeder dieser Ebenen digitalisiert werden, müssen mathematisch gesprochen die Konfigurationen des Zielprodukts den Ableitungen mehrerer Ordnungen genügen. Wenn nur eine dieser Ableitungen plötzlich ausschert, ist eine Neudefinition der eigenen Geschäftslogik angesagt. Wer dann in der falschen Logik digitalisiert, hat ein Problem.« Der voestalpine-Managers hat ein Lieblingsbeispiel dazu: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von englischen Schiffsbauern und Segelmachern das modernste Segelschiff der Welt, ein Fünf-Mast-Schoner mit enormen Transportvolumen, für den Wettbewerb in der transatlantischen Logistik geschaffen. Das Meisterwerk der damaligen Technik hatte gegenüber der aufkommenden Dampfschifffahrt aber das Nachsehen. Den Segelmachern hätte auch die Digitalisierung nicht helfen können. Ihr Geschäftsmodell war obsolet geworden.
Die voestalpine generiert heute den Großteil ihres Geschäfts mit der Herstellung von Bauteilen und Systemlösungen für die Industrie. Nur noch ein Viertel kommt aus der traditionellen Stahlherstellung. Rotter ortet neuartige Geschäftsmöglichkeiten nun bei additiven Fertigungsverfahren. »3D-Druck überlagert alle unsere Digitalisierungsschritte in den traditionellen Prozessen der Stahlindustrie. Damit sind völlig neue Produkte möglich, die in Zukunft durch Sensoren sogar Intelligenz verpasst bekommen.« Er liefert auch dazu ein Beispiel: Ein Achsträger eines Rennwagens, der nach bionischen Prinzipien aufgebaut ist und aus verschiedenen Legierungskombinationen besteht. Damit werden Stahlwerke nicht mehr ausschließlich mit Schmiede- und Walzprozessen Geld verdienen, sondern auch mit Pulver-Metallurgie und neuartigen Verfahrenstechniken. Drucken statt Schmieden ist eine der disruptiven Veränderungen, welche auf die Industrie zukommen.