Mittwoch, Februar 05, 2025

Innovative Unternehmen brauchen Regelbrecher und Querdenker, die den Mut haben, ungewöhnliche Ideen zu verfolgen und unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Ein Viertelkilo Knoblauch verbrauchen Herr und Frau Österreicher durchschnittlich pro Jahr. »Ein Ritzenprodukt, nicht einmal eine Nische«, sagt Erich Stekovics. Entgegen alle betriebswirtschaftliche Vernunft pflanzte der als »Kaiser der Paradeiser« bekannte Gemüsebauer auf einem Gutteil seiner Felder das aromatische Lauchgewächs. 100 Tonnen der Bioknolle erntete er im ersten Jahr, im Vorjahr war es bereits die doppelte Menge. Als Großabnehmer konnte Stekovics die Handelskette Spar gewinnen. 2015 knackte Stekovics die Grenze von zwei Millionen Euro Jahresumsatz. Obwohl sein Knoblauch um rund 30 % teurer als herkömmliche, meist aus China importierte Ware ist, sind seine »Kilozöpfe« – in alter Tradition geflochtene Knoblauchzöpfe – inzwischen das am stärksten nachgefragte Produkt.

Nach wie vor feilt der Liebhaber alter Sorten an der Vielfalt seines Angebots. Auf 50 Hektar Land baut er neben rund 3.200 Sorten Paradeiser 600 Chili-Arten und 39 Sorten Basilikum an. Für unkonventionelle Entscheidungen war Stekovics jedoch schon immer gut. Sein Vater, 1945 aus Serbien emigriert, betrieb bis in die 1980er-Jahre die größten Chilifelder Österreichs. Sohn Erich wurde jedoch zunächst Religionslehrer und fand erst vor 15 Jahren zu seiner heutigen Passion. Sein Schlüsselerlebnis: Gespräche mit Krebskranken, die ihm von ihren Wünschen und Plänen erzählten, für deren Verwirklichung ihnen nun keine Zeit bliebe. 

Mut zu unkonventionellen Entscheidungen ist selten geworden. Es bleibt von ihrer Idee beseelten Vorreitern wie Stekovics vorbehalten, mit einer guten Portion Sturheit und von vielen belächelt ihren eigenwilligen Weg zu gehen. Manager großer Unternehmen setzen lieber auf Sicherheit – in der kurzen Halbwertszeit des Business zählen Umsätze und straffe Bilanzen mehr als visionäre Weichenstellungen. Doch die Pionierleistungen von Steve Jobs oder Bill Gates und der Uhren-Hype des Swatch-Gründers Nicolas Hayek wären ohne ein gehöriges Maß an Chuzpe nie möglich gewesen.

Fleißig und angepasst

Auch unter den Mitarbeitern ist für Querdenker in vielen Unternehmen kein Platz mehr. Durch automatisierte Bewerbungsprozesse bekommen Menschen außerhalb der Norm – und das kann schon ein verschlungener Lebenslauf, ein seltenes Studium oder eine leichte Behinderung sein – kaum eine Chance: Sie werden schon vorab ausgesiebt.  Research Managerin Andrea Derler untersuchte für ihre Dissertation an der FernUniversität Hagen die Wunschvorstellungen der Führungskräfte hinsichtlich idealer Bewerberinnen und Bewerber. 138 Personalverantwortliche aus Deutschland und Österreich nahmen an der Studie teil. Sie nannten Verlässlichkeit, Produktivität und Loyalität als wichtigste Eigenschaften potenzieller Mitarbeiter, gefolgt von Fleiß, Höflichkeit und Teamfähigkeit. Selbstbewusste und fröhliche Arbeitnehmer werden dagegen gar nicht geschätzt. Dieses Ergebnis ist insofern verblüffend, da in Stellenausschreibungen durchwegs nach »kreativen Köpfen« gesucht wird, die »selbstständig denken und innovativ« sind.

Derler ortet einen »Widerspruch zwischen Außendarstellung und gelebter Praxis«, sehen sich viele der befragten Unternehmen doch prinzipiell als innovativ und offen für Neues: »Den meisten Führungskräften sind ihre impliziten Anforderungen nicht bewusst.« Diese führen jedoch dazu, dass immer ähnliche Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt werden, die das Unternehmen kaum voranbringen. Bei der Personalauswahl sollte man deshalb auch prüfen, so die Forscherin, »welches Innovationspotenzial Beschäftigte mitbringen«.

Oder – noch besser – möglichst unbefangen an die Auswahl herangehen: »Führungskräfte, die ihre Unternehmenskultur als Konzernkultur wahrnehmen, haben die komplexeste Liste an unbewussten Erwartungen an ihre Mitarbeiter. Das kann bedeuten, dass es in solchen Kulturen die strengsten, vielleicht auch die unrealistischsten, Mitarbeiterprototypen gibt. Sie erschweren ein Anderssein.« Große Unternehmen mit Konzernstruktur könnten sich in dieser Hinsicht an »flexiblen« Organisationen, die ihren Mitarbeitern Raum zur Entfaltung des eigenen Potenzials geben, ein Beispiel nehmen.

Mainstream bevorzugt

Bekanntlich sind es gerade Newcomer oder Quereinsteiger, die etablierte Branchen revolutionieren. Sie blicken unvoreingenommen auf bestehende Märkte, Produkte und Zielgruppen und erfinden das Geschäft einfach neu – ohne sich um ungeschriebene Regeln der Branche und des Unternehmens zu kümmern. Einen Job zu bekommen, der sich nicht nahtlos in die bisherige Vita einfügt, ist jedoch heute nahezu unmöglich.  »Die globalisierte Wirtschaft bevorzugt den ›Mainstream‹. Ein internationaler Konzern möchte in Bukarest, Wien und Düsseldorf den gleichen Typ Mensch sitzen haben. Am liebsten wären ihm Klone«, kritisiert Manuela Lindl-bauer, Geschäftsführerin der Personalberatung Lindlpower, die gegenwärtige Uniformität in den Unternehmen. »Leider gibt es viele entscheidungsschwache Manager, die momentan stark unter Druck stehen. Die nehmen lieber ›more of the same‹, um nur ja keinen Fehler zu machen und nicht den eigenen Kopf zu riskieren.«

Dabei sind Querdenker und Regelbrecher selten merkwürdige, eigenbrötlerische Spinner oder neurotische Querulanten, die um jeden Preis auffallen möchten. Und es sind nicht nur technologische Innovationen, die ein Unternehmen voranbringen. Die deutsche Niederlassung des oberösterreichischen Unternehmens Fronius, Hersteller von Batterieladesystemen und Weltmarktführer für Roboterschweißen, schaffte es mit einer wahrhaft »zündenden« Idee ins Finale des »Querdenker-Awards 2015«. Neun MitarbeiterInnen verfassten in Eigenregie das Handbuch »ZündHilfe« für die Weiterbildung im Vertriebsinnendienst, das exzellente Serviceleistungen dokumentiert. Von so viel Engagement zeigte sich auch Vertriebsleiter Thomas Braune beeindruckt: »Es hat mich wieder darin bestätigt, dass es unser täglicher Job als Führungskraft ist, genau hinzuhören und das Potenzial jedes einzelnen Mitarbeiters zu aktivieren und zu nutzen.«

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