Montag, November 25, 2024

ABB-Vorstandsvorsitzender Franz ­Chalupecky sieht bei Energiethemen die Politik gefordert und den Markt mehr denn je im Umbruch – auch punkto Elektromobilität wäre in Österreich noch mehr möglich.

(+) plus: Herr Chalupecky, in welcher Position waren Sie bei ABB vor 20 Jahren?

Chalupecky: Bis Anfang der Neunzigerjahre war ich bei der Vorgängerorganisation BBC in der Projektabwicklung international in Burundi, in den Emiraten und Nordafrika beschäftigt. 1996 kam ich nach Österreich zurück und begann, Karriere zu machen. Meine erste Geschäftsführerposition war die Leitung des Profitcenters Gebäudetechnik mit rund 400 Mitarbeitern – ein Bereich, den es in dieser Form heute bei ABB in Österreich nicht mehr gibt. 1997 wechselte ich in die Geschäftsführung der damals größten ABB-Österreich-Tochter Energie AG – damals bestand der Konzern aus vielen Einzelfirmen. Um 2000 wurden alle Töchter zusammengeführt und ich wechselte in den Vorstand.

(+) plus: Wie sahen die Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft aus? Welche Stimmung herrschte damals unter den Unternehmen?

Chalupecky: Der Eindruck, wie es einem geht, ist ja immer sehr subjektiv. Vor 20 Jahren diskutierten wir Themen, die sich in der damaligen Empfindung sehr große Herausforderungen für den Markt darstellten – beispielsweise Genehmigungsverfahren für Leitungsbauprojekte, die sich 15 Jahre und länger hinzogen. Wenn man das mit den Veränderungen in der E-Wirtschaft heute vergleicht, sind die Herausforderungen wesentlich größer geworden. Damals war die E-Wirtschaft ein gefestigter Block mit Kraftwerk, Hochspannungsleitung, Verteil- und Niederspannungsnetz und einer vertikalen Verteilrichtung vom Erzeuger zum Verbraucher. Heute müssen die Energieversorger ihre Businesspläne und Geschäftsmodelle grundlegend umdenken.

(+) plus: Welche Wachstumsfelder sehen Sie für ABB heute?

Chalupecky: Wir haben einen starken Schwerpunkt auf Lösungen für die Industrie. ABB investiert und setzt große Hoffnungen in die Bereiche Industrie 4.0, Automatisierung und Robotik sowie Digitalisierung auch in der Energiewirtschaft. Die größten Stromverbraucher weltweit sind Motoren – durch Frequenzumrichter und verbesserte Steuerungen kann hier hinsichtlich Energieeffizienz viel getan werden. Die Industrie- und Energiewelt wird sich auf Basis von Technologie noch stark verändern und wir möchten diesen Wandel aktiv mitgestalten.

(+) plus: ABB setzt unter anderem auf das Thema Elektromobilität. Was tut sich dazu derzeit am Markt?

Chalupecky: Die Technologie ist da, Standards und Normen sind geschaffen und die Produkte vorhanden. Länder wie Österreich, die ihren Strom mehrheitlich aus erneuerbarer Energie produzieren, könnten schon sinnvoll auf Elektromobilität setzen. Ich glaube nicht, dass die Voraussetzungen anderswo wesentlich besser sind. Trotzdem sehen wir zum Beispiel in skandinavischen Ländern mehr Bewegung. ABB hat derzeit ein Pilotprojekt mit Elektrobussen gemeinsam mit Volvo laufen, bei dem große elektrische Leistungen bei Schnellladestationen umgesetzt werden. Ein anderer Pilot ist

TOSA in Genf, das auf rein elektrisch betriebene Gelenkbusse setzt. In Österreich haben wir als klarer Marktführer bereits 2015 die hundertste Schnellladestation verkauft. Mit unseren netzwerkfähigen Multistandard-Schnellladestationen tragen wir wesentlich zum Auf- und Ausbau bedürfnisorientierter Ladeinfrastruktur bei.

(+) plus: Welchen politischen Meinungsumschwung wünschen Sie sich bei diesem Thema in Österreich wünschen?

Chalupecky: Mit fehlt eigentlich die Vision und Gesamtstrategie für alle Energie–themen – von Elektromobilität bis zur Energieversorgung. Was soll langfristig gefördert werden? Welche Wirtschaftlichkeit erwarten wir uns in der Energieaufbringung? Es braucht definitiv einen Businessplan für Österreich, aus dem Maßnahmen abgeleitet werden. Wenn CO2 ein Ziel ist, dann müssen wir auch ein zukunftsfähiges Konzept für den Verkehr erstellen. Mit einer Neugestaltung in Richtung Elektromobilität ist dies möglich. Wir brauchen jetzt aber endlich ein klares Ja dazu. Im Moment gibt es in Österreich nur ein Stückwerk an Wünschen und Umsetzungen. Ich glaube aber, dass die Menschen von unseren Politikern generell unterschätzt werden und viel cleverer sind. Das Thema Elektromobilität beispielsweise kann ihnen schon zugemutet werden.

Natürlich braucht es in der Politik dazu auch Courage, denn so etwas ist mit viel Überzeugungsarbeit verbunden. Man muss sich schon hinstellen und Ideen argumentieren, die vielleicht nicht bei allen populär sind. Doch muss auch in Unternehmen ständig Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wenn ich es jedem recht machen wollte, würden wir kein einziges unserer Ziele erreichen.

(+) plus: Warum sollte sich die Politik nicht einfach zurücklehnen und der Industrie die Durchsetzung der besten Lösungen und Systeme überlassen?

Chalupecky: Forschung und Entwicklung sowie die wirtschaftlichen Umsetzungen sind stets auch eng mit den richtigen Rahmenbedingungen verknüpft. Falls beispielsweise Elektromobilität tatsächlich gewollt ist und Rahmenbedingungen politisch geschaffen werden – etwa das Fahren mit Elektroautos auf der Busspur, Befreiung von Parkgebühren, Steuererleichterungen, wie sie zuletzt erfreulicherweise auch passiert sind –, dann geschieht die Entwicklung der Industrie dazu ganz automatisch. Wenn aber ein Produkt mit allem Aufwand entwickelt und produziert wird, dann aber bei Rahmenbedingungen, die Sie nicht beeinflussen können, nicht genutzt werden kann, dann sprechen wir von einer klassischen Fehlinvestition. Die Wirtschaft braucht sichere Bedingungen, um ihr Geschäftsrisiko einigermaßen eingrenzen zu können. Die Betriebe nehmen dafür ja Geld in die Hand.

Ich glaube nicht, dass man wesentlichen strategischen Neuausrichtungen eines Marktes die totale Freiheit lassen sollte. Schon gar nicht bei Infrastrukturfragen. Prinzipiell sollte man aber vielleicht überlegen, die Fördermodelle stärker in Richtung Innovation zu gestalten: Gefördert werden jene, die bei der Umsetzung ihrer Technologie und Anlagen mit den geringsten Zuschüssen auskommen. Hier ist sicherlich auch mehr Wettbewerb unter den Erneuerbaren gefordert. Sich nur ins gemachte Bett zu legen und mit den Förderungen seine Zinsen zu verdienen – das ist nicht innovativ.

(+) plus: Elektromobilität und Infrastruktur: Welches Konzept wäre aus Ihrer Sicht für Wien sinnvoll?

Chalupecky: In Wien war man für den öffentlichen Ausbau von notwendiger bedarfsorientierter Ladeinfrastruktur bis vor kurzem noch nicht bereit. Es dürfte in der jetzigen Phase noch Diskussionen hinsichtlich Zuständigkeiten geben. Auch in welche technische Richtung und über welche Infrastruktur das Thema Elektromobilität getrieben wird, scheint noch nicht bekannt.

Die beste Vorgehensweise für die Errichtung von Ladeinfrastruktur in Wien wäre sicherlich ein Mischkonzept und damit eine sinnvollen Kombination der unterschiedlichen Ladetechnologien, bei dem bedarfsorientiert die jeweiligen Stärken im Rahmen eines integrierten Ladeinfrastrukturkonzepts Beachtung finden sollten. Wir sollten also auf eine gute Mischung von Langsam- und Schnellladestationen setzen, wie es andere Länder auch tun. Dazu müssen nun öffentliche Flächen für die Ladebereiche geschaffen werden, was aber keinen großen Wandel bedeutet. Wir haben ja heute schon Tankstellen, denen Fläche gewidmet worden. Diese klassischen Anlaufstellen oder zum Beispiel auch Supermarktparkplätze sind ideale Orte für Schnellladestationen. Wo solche zweckmäßigen Kombinationen nicht möglich sind, muss aber dann eben auch öffentlich Fläche dafür zur Verfügung gestellt werden.

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